Arzneimittel und Therapie

Johanniskraut: Welche Inhaltsstoffe sind wirksam?

Etwa 15 Einzelverbindungen eines breiten Spektrums von Inhaltsstoffgruppen des Johanniskrauts sind in ihrer chemischen Struktur bis heute geklärt. Als für Johanniskraut typische Inhaltsstoffe, auf die sich die Suche nach dem aktiven Prinzip vorerst konzentrierte, standen bis vor kurzem Hypericin und weitere Dianthronverbindungen im Vordergrund.

Die dem Hypericin zunächst zugeschriebene MAO-inhibitorischen Eigenschaften konnten jedoch nicht bestätigt werden. Unbeachtet, weil chemisch sehr labil und daher in unsachgemäß behandelter oder gelagerter Droge oft stark reduziert, blieben lange Zeit die genuin in der Pflanze mengenmäßig vorherrschenden Phloroglucinderivate Hyperforin (2 bis 4%) und sein Begleitstoff Adhyperforin. Neue Extraktionsverfahren ermöglichen nun, alkoholisch-wäßrige Extrakte mit stabilen, definierten Hyperforingehalten zu klinisch-pharmakologischen Studien bereitzustellen. Mit einem standardisierten, hyperforinreichen (0,5% Hyperforin) Johanniskraut-Extrakt (Neuroplant 300), einem um den Faktor 10 mit Hyperforin angereicherten Extrakt und den Reinsubstanzen Hypericin und Hyperforin wurden verschiedene Untersuchungen durchgeführt.

Wiederaufnahmehemmung von Neurotransmittern

Um die therapeutische Wirkung von Hypericumextrakt bei Depressionen erklären zu können, bedient man sich biochemischer Modelle, die heute als relevant für den Wirkungsmechanismus synthetischer Antidepressiva gelten. Die meisten dieser Stoffe hemmen die neuronale Wiederaufnahme von synaptisch freigesetzten Neurotransmittern, insbesondere von Noradrenalin und Serotonin, und erhöhen deren Konzentration im synaptischen Spalt. Sowohl die beiden Extrakte als auch reines Hyperforin, nicht jedoch Hypericin hemmten dosisabhängig die Wiederaufnahme von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin. Damit hätte Johanniskrautextrakt einen Wirkungsmechanismus, der dem einiger trizyklischer Antidepressiva vergleichbar wäre. Für Hyperforin gehen Neurotransmittereffekte sogar über die anderer Antidepressiva hinaus; es beeinflußt zudem, wenn auch vergleichsweise schwächer, die Wiederaufnahme der Überträgersubstanzen Gamma-Aminobuttersäure und l-Glutamat. Eine solche breite Hemmwirkung in verschiedenen Systemen ist bislang für kein anderes Antidepressivum bekannt. Werden Antidepressiva über einen längeren Zeitraum eingenommen, kommt es durch langanhaltende Wiederaufnahmehemmung der Botenstoffe zu einem Überangebot von Neurotransmittern im synaptischen Spalt, dann gleicht dies der Organismus durch adaptive Veränderungen im Überträgersystem des ZNS wieder aus. Die Dichte und Funktionalität der Rezeptoren kann erhöht (Up-Regulation) oder erniedrigt (Down-Regulation) werden. Tatsächlich konnten nach mehrwöchiger Behandlung mit Johanniskrautextrakt eine Down-Regulation von Beta-Rezeptoren am frontalen Kortex der Ratte festgestellt werden, ähnlich wie bei dem parallel untersuchten Antidepressivum Imipramin. Entsprechende Wirkungen korrelieren mit der Anwesenheit und dem Gehalt an Hyperforin. Inwieweit Hyperforin für die antidepressive Wirkung verantwortlich gemacht werden darf, ist aber noch unklar. Die Nebenwirkungsarmut von Hypericum-Präparationen im Vergleich zu synthetischen Antidepressiva läßt auf eine synergistische Gegensteuerung anderer Inhaltsstoffe schließen, die darüber hinaus zur antidepressiven Wirkung beitragen könnten.

Serotoninantagonistische Wirkung

Daß Hyperforin für die Wirksamkeit von Johanniskraut relevant ist, wurde in weiteren Standard-Antidepressivamodellen bestätigt. In In-vitro-Untersuchungen an Meerschweinchen-Ileum-Präparaten hemmt Hypericumextrakt dosisabhängig die durch verschiedene Neurotransmitter verursachten Kontraktionen. Dabei waren die serotoninantagonistischen Effekte am stärksten ausgeprägt. Die Wirkung hing unmittelbar vom Hyperforingehalt der Extrakte ab. Hyperforin inhibiert auch eigenständig serotonininduzierte Kontraktionen und hemmt in vivo nach oraler Verabreichung die durch Serotonin induzierten Bradykardien in anästhesierten Ratten. Ebenfalls konnte eine strenge Korrelation zwischen der Hyperforinkonzentration der Extrakte und deren antidepressiven Wirkungen in Tiermodellen beobachtet werden.

Gute Plasma- und ZNS-Bioverfügbarkeit

Maximale Plasmakonzentrationen von Hyperforin beim Menschen werden nach 3 Stunden erreicht, die Plasmahalbwertszeit beträgt 9 Stunden. Die ZNS-Bioverfügbarkeit und zentrale Pharmakodynamik von Johanniskrautextrakten mit 0,5% (= Neuroplant 300) und 5,0% Hyperforin wurde im quantitativ-topographischem EEG beurteilt. Für beide Extrakte waren im Vergleich zu Plazeboversuchen reproduzierbare zentrale Effekte meßbar, die in den einzelnen Frequenzbereichen insbesondere für den 5%-Extrakt deutlich wurden. Die klinische Interpretation dieser neurophysiologischen Daten erlaubt, eine abschirmende Wirkung auf zentraler Ebene anzunehmen.

Einsatz bei leichten und mittelschweren Depressionen

In einer multizentrischen, randomisierten plazebokontrollierten Doppelblindstudie mit Interimsanalyse wurde die klinische Wirksamkeit eines standardisierten, hyperforinreichen Johanniskraut-Extrakts (Neuroplant 300) bei leichten und mittelschweren depressiven Episoden nachgewiesen. 72 (35/37) Patienten nahmen über 6 Wochen dreimal täglich 300 mg Hypericum-Extrakt bzw. Plazebo ein. Bereits nach 14 Tagen zeigten sich zwischen Verum- und Plazebogruppe statistisch signifikante Veränderungen in der Auswertung der als Zielgröße der Untersuchung geltenden Hamilton-Depressions-Skala (HAMD), die sich nach 28 und 42 Tagen der Behandlung weiter erhöhten. Die klinische Wirksamkeit eines Antidepressivums wird akzeptiert, wenn es bei einem Großteil der Patienten einen HAMD-Rückgang um mehr als 50% bewirkt oder diesen auf höchstens 10 Punkte (bei 20 Ausgangspunkten) senkt. Während in der vorliegenden Studie in der Plazebogruppe die durchschnittliche HAMD-Bewertung nach 6 Wochen auf 14 Punkte sank, war in der Verumgruppe dieser Wert bereits nach 2 Wochen erreicht und bis zum Therapieende nach 6 Wochen um weitere 3 Punkte verringert. Die Patienten bestätigten eine gute Verträglichkeit des untersuchten Präparates.

Quelle Dr. Roger Porsolt, Cedex/Frankreich, Dr. Clemens Erdelmeier, Karlsruhe, Prof. Dr. Theodor Dingermann, Frankfurt, Prof. Dr. Walter E. Müller, Frankfurt, Dr. Michael Nöldner, Karlsruhe, Priv.-Doz. Dr. Rüdiger Schellenberg, Linden, Dr. Rolf-Dieter Trautmann, Windach, Presse-Workshop "Neuroplant 300 - Johanniskraut: High Definition", München, 5. Dezember 1997, veranstaltet von Dr. Willmar Schwabe Arzneimittel, Karlsruhe.

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