Arzneimittel und Therapie

Johanniskraut: Welcher Bestandteil bestimmt die Wirkung?

Bei depressiven Erkrankungen werden in Deutschland sehr häufig Johanniskrautpräparate eingesetzt. Prof. Dr. Walter E. Müller beschrieb in seiner Antrittsvorlesung am 9. Juli 1997 in Frankfurt die spannende Suche nach der Wirksubstanz in diesem traditionellen Phytopharmakon.

Depressionen treten in den Industrienationen sehr häufig auf, innerhalb von vier Wochen haben etwa 12% der erwachsenen Bevölkerung eine depressive Periode, davon ist etwa ein Viertel als schwer einzustufen. Eine Depression ist eine ernstzunehmende Erkrankung, da das Suizidrisiko mehr als 15% beträgt. Dennoch wird nur ein kleiner Teil der depressiven Patienten – etwa 10% – medikamentös behandelt. Die Gründe dafür sind beispielsweise eine überzogene Kritik an synthetischen Antidepressiva. Die älteren Antidepressiva, zu denen tri- und tetrazyklische Antidepressiva und MAO-Hemmer gehören, sind gut wirksam, weisen aber häufig unerwünschte Wirkungen auf, weswegen viele Patienten die Therapie abbrechen. In den letzten Jahren wurde eine Reihe von neuen Antidepressiva verschiedener Klassen entwickelt, die eine gute Wirksamkeit mit weniger Nebenwirkungen als die älteren Präparate verbinden. Dazu gehören die spezifischen Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wie Citalopram, Sertralin und Paroxetin, reversible MAO-A-Hemmer wie Moclobemid, spezifische Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer wie Venlafaxin sowie zentrale Alpha2-Antagonisten wie Mirtazapin.

Viele dieser Weiterentwicklungen haben sich auf dem deutschen Markt noch nicht durchgesetzt, vor allem wegen der höheren Therapiekosten, kritisierte Professor Müller. Dagegen hat sich die Anwendung von Johanniskrautpräparaten in den letzten zehn Jahren verzehnfacht, von 10,5 Millionen Tagesdosen im Jahr 1986 auf 101,5 Millionen 1996. Heute stellen die Johanniskrautpräparate etwa 25% aller Verordnungen, dabei ist Jarsin® mit 38% aller Präparate der Marktführer. Jarsin® enthält in einer Tagesdosis 900 mg Extrakt und 2700 mg Hypericin. 1986 wurde Hyperforat® am häufigsten verordnet. Dieses enthält aber nur 240 mg Extrakt und 300 mg Hypericin pro Tag. Von dem kometenhaften Aufstieg der Johanniskrautzubereitungen sind also vor allem hochdosierte Präparate betroffen.

Synthetische Antidepressiva wirken, indem sie die Konzentration von Neurotransmittern wie Noradrenalin und Serotonin im synaptischen Spalt erhöhen. Dafür hemmen sie entweder deren Abbau im synaptischen Spalt selbst und/oder die Wiederaufnahme in das präsynaptische Neuron in unterschiedlichem Ausmaß. Dabei tritt die antidepressive Wirkung nicht sofort ein, sondern ergibt sich aus adaptiven Veränderungen im ZNS. Die Mechanismen der Neurotransmission werden neu geordnet, wofür eine Zeitspanne von zwei bis drei Wochen notwendig ist. Vor allem ändert sich die Dichte der verschiedenen Neurotransmitter-Rezeptoren. Hypericumextrakt hemmt die Wiederaufnahme von Noradrenalin, Serotonin und Dopamin in Konzentrationen, die therapeutisch relevant sind. Dabei wirkt Hypericumextrakt auf alle drei Systeme etwa im selben Konzentrationsbereich mit einer IC50 von 1 bis 4 mg/ml. Bei Ratten sind nach einer Dauertherapie mit Johanniskrautextrakt adaptive Veränderungen im Gehirn zu beobachten. Dazu gehört eine Verminderung der Dichte kortikaler Beta-Rezeptoren, wie sie beispielsweise auch unter einer Imipramin-Behandlung festgestellt wird. Johanniskrautextrakt ist jedoch nicht nur in biochemischen Tests, sondern auch bei Verhaltensversuchen mit Ratten wirksam. Nach den Ergebnissen dieser Versuche scheinen die beobachteten klinischen Wirkungen beim Menschen plausibel zu sein, so Müller.

Welche Substanzen im Johanniskraut sind nun aber für die klinischen Wirkungen verantwortlich? Dafür kommt das Hypericin in Frage, das ja schon wegen seiner roten Farbe ins Auge springt. Untersuchungen mit dieser Substanz erbrachten jedoch nach der Aussage von Professor Müller keine Hinweise auf mögliche Wirkungsmechanismen bei Depressionen. Hypericin könne zwar die Monoaminoxidasen A und B hemmen, aber erst in Dosen, die therapeutisch nicht mehr relevant seien. Als weiterer Wirkstoffkandidat bietet sich Hyperforin an, das im Extrakt zu einem größeren Prozentsatz vorhanden ist als Hypericin. Mit Hyperforin angereicherte Extrakte zeigen eine deutlich bessere Hemmwirkung auf die verschiedenen Transmittersysteme, wie Noradrenalin, Serotonin, Dopamin, GABA und l-Glutamat. Auch im Verhaltenstest bei Ratten zeigte der angereicherte Extrakt eine deutlich bessere Wirkung. Mit reinem Hyperforin lassen sich in Konzentrationen von 0,1 bis 0,8 mmol/l Effekte erzielen, die denen synthetischer Antidepressiva vergleichbar sind. Dabei scheint sich der Wirkungsmechanismus von dem synthetischer Antidepressiva zu unterscheiden: Hyperforin hemmt zwar konzentrationsabhängig die Wiederaufnahme mehrerer Neurotransmitter, es bindet jedoch nicht an das Transportprotein für diese Botenstoffe. Damit könnte Hyperforin als Ausgangssubstanz für ein neues Prinzip antidepressiver Wirksamkeit dienen.

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