Rechtsanwalt Morton Douglas zum EuGH-Urteil

„Der EuGH bestätigt uns, das Apothekenwesen selbst zu bestimmen“

Stuttgart - 01.10.2020, 17:55 Uhr

DAZ.online hat bei dem Freiburger Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas nachgefragt: Was denkt er über das neue Apotheken-Urteil des EuGH? (c / Foto: Schelbert)

DAZ.online hat bei dem Freiburger Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas nachgefragt: Was denkt er über das neue Apotheken-Urteil des EuGH? (c / Foto: Schelbert)


Der Europäische Gerichtshof hat wieder ein Apotheken-Urteil gesprochen. Diesmal ging es um Marketingmaßnahmen der niederländischen Shop Apotheke in Frankreich. DAZ.online hat bei dem Freiburger Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas nachgefragt, wie er die Entscheidung aus Luxemburg einschätzt. Aus seiner Sicht sollte sie ein Appell an den Gesetzgeber sein, beim Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz nachzubessern. 

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat diverse französische Werbeeinschränkungen für Apotheken für grundsätzlich zulässig befunden. Dabei hat er erneut klargestellt, dass die EU-Mitgliedstaaten einen Wertungsspielraum haben, wie sie die Gesundheit ihrer Bevölkerung schützen wollen. Aus ABDA-Sicht stützt das Urteil den Weg des Gesetzgebers beim VOASG. Für den Freiburger Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas verdeutlicht es hingegen, dass der Ansatz der Regierung, „demütig“ zu glauben die Vorgaben aus dem EuGH-Urteil vom Oktober 2016 in irgendeiner Form umsetzen zu müssen, der falsche Weg ist. DAZ.online hat bei Douglas nachgefragt, wie er das jüngste Apotheken-Urteil aus Luxemburg einschätzt.

Mehr zum Thema

DAZ.online: Herr Douglas, wie bewerten Sie das heute ergangene Urteil des EuGH?

Douglas: Auf den ersten Blick scheint, insbesondere nach der Pressemitteilung, das Urteil ambivalent. Insoweit wird verkürzt davon gesprochen, dass bestimmte Verhaltensweisen nicht verboten werden dürfen, andere schon. Betrachtet man jedoch die Urteilsgründe genauer, so ist das Urteil insgesamt eine Stärkung der nationalen Souveränität bei der Ausgestaltung des Apothekenwesens. Insoweit ist es den nationalen Gesetzgebern möglich, für Apotheken, einschließlich der im Ausland ansässigen Versandapotheken, einheitliche Regelungen in ihrem Gebiet durchzusetzen.

DAZ.online: Die französischen Werbeverbote werden an der „Binnenmarktsklausel“, der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr, gemessen. Was steckt dahinter? Bedeutet das Sonderrechte für Versandapotheken?  

Douglas: Grundsätzlich können sich Versandapotheken auf die Bestimmungen der Richtlinie 2000/31 berufen. Diese Richtlinie soll eine Harmonisierung der Dienste der Informationsgesellschaft herbeiführen. Diese „Dienste der Informationsgesellschaft“ sind definiert als „jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung“. Sie umfasst auch den Online-Verkauf von Waren. Diese Richtlinie geht den Grundfreiheiten grundsätzlich vor. Der EuGH hat insoweit klargestellt, dass sich Versandapotheken auf diese Richtlinie berufen können, unabhängig davon, ob sie elektronisch oder aber offline, also etwa über Werbeprospekte, für ihr Geschäftsmodell Werbung betreiben. Er hat allerdings dann auch hervorgehoben, dass diese Richtlinie nicht uneingeschränkt gilt, sondern Ausnahmen erlaubt, wenn diese zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich sind (Art. 3 Abs. 4).

Diese Einschränkungen aufgrund der öffentlichen Gesundheit entsprechen dabei denen, mit denen auch ansonsten die europäischen Grundfreiheiten eingeschränkt werden können. Kurz gesagt: Die Berufung auf die Richtlinie führt nicht dazu, dass zum Schutz der öffentlichen Gesundheit für Versandapotheken andere Grundsätze Anwendung finden müssen. Vielmehr können Maßnahmen durch den nationalen Gesetzgeber untersagt werden, wenn sie zum Schutz der öffentlichen Gesundheit geeignet sind. Und zwar für alle Apotheken.

DAZ.online: Welche Bedeutung hat dies für die Werbemaßnahmen, um die es in dem Verfahren konkret ging?

Douglas: Der EuGH hat zunächst klargestellt, dass es dem nationalen Gesetzgeber auch möglich ist, Regelungen zu erlassen, die dem Schutz der Würde eines Berufes dienen. Dies darf zwar einerseits nicht dazu führen, dass den Angehörigen der Gesundheitsberufe jegliche Form der Werbung ausnahmslos verboten wird, weil dies über das hinausgeht, was zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich wäre. Wenn es aber nur um einen Teilaspekt der Werbemöglichkeiten geht, steht dem nationalen Gesetzgeber ein weiter Spielraum zu. Der EuGH hat noch einmal hervorgehoben, dass die Gesundheit und das Leben den höchsten Rang einnehmen und insoweit die Mitgliedstaaten selbst bestimmen können, wie sie die insoweit verfolgten Ziele erreichen wollen.

Daher ist es sogar zulässig, einer Apotheke zu verbieten, ein Angebot zu unterbreiten, bei dem ab einem bestimmten Betrag ein Rabatt auf den Gesamtpreis der Arzneimittelbestellungen gewährt wird. Der EuGH hat dies zwar nicht abschließend entschieden, weil im vorliegenden Fall nicht ganz klar war, ob diese Regelungen auch auf andere Produkte als Arzneimittel Anwendung finden sollen. Dem Grunde nach ist dies aber eine sehr weitreichende Möglichkeit, auf das Angebot von Apotheken einzuwirken, da sich dieses Rabattverbot im konkreten Fall auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel bezog. Damit ist es einem nationalen Gesetzgeber möglich, Regelungen auch bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu treffen, wenn durch aggressive Preisgestaltungen das Risiko des Mehr- und Fehlgebrauchs entsteht. Erst recht zulässig ist es auch beim Online-Handel zu verlangen, dass vor der Bestellung ein Anamnese-Fragebogen ausgefüllt wird. Dies mag im Einzelfall für den Nutzer beschwerlich sein, jedoch ist auch dies geeignet, die Gesundheit der Patienten zu schützen.

Frankreich kann seine Position noch nachbessern

DAZ.online: Gab es in dem Verfahren auch Regelungen, bei denen der EuGH eine Europarechtswidrigkeit angenommen hat?

Douglas: Auf den ersten Blick sieht dies im Zusammenhang mit dem Verbot, kostenpflichtige Links in Suchmaschinen oder Preisvergleichsportalen einzusetzen, so aus. Allerdings – und dies ist bemerkenswert – ergibt sich dann, dass die Entscheidung des EuGH lediglich auf Basis der zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegenden Informationen ergangen ist. Es wurde zwar festgestellt, dass die französische Regierung bisher lediglich pauschale Behauptungen aufgestellt und diese nicht durch konkrete Beweise untermauert hat. Gleichwohl wird sie in dem Verfahren in Frankreich nun die Möglichkeit haben, entsprechende Beweise vorzulegen, die dann durch das vorlegende Gericht objektiv zu prüfen sein werden. Sollte der Beweis gelingen, könnte damit auch dann diese Praxis untersagt werden.

DAZ.online: Wenn man sich diese Ausführungen so anhört und insbesondere die Möglichkeit, dass Frankreich vor dem nationalen Gericht seine Position noch nachbessern kann, wird man unweigerlich an das Verfahren der Deutschen Parkinson Vereinigung und das EuGH-Urteil vom Oktober 2016 erinnert. Dort wurde dies doch im Hinblick auf Deutschland ganz anders gesehen?

Douglas: In der Tat fällt es doch schwerer nach der Lektüre dieser Entscheidung, das Urteil Deutsche Parkinson Vereinigung zu verstehen. Interessant ist insoweit – auch wenn dies nur eine Formalie ist – dass an keiner einzigen Stelle des signifikant längeren Urteils auf diese Entscheidung Bezug genommen wird. Ob dies bedeutet, dass man auch beim EuGH erkannt hat, dass diese Entscheidung vielleicht über das Ziel hinausgeschossen ist, ist eine akademische Frage. 

Erfreulich ist in jedem Fall, dass nunmehr im Zusammenhang mit Apotheken der EuGH umfassend die Maßstäbe angewendet hat, die auch in der Vergangenheit vor Deutsche Parkinson Vereinigung und in einigen Entscheidungen danach Anwendung gefunden haben und die dem nationalen Gesetzgeber einen deutlich weiteren Spielraum bei der Ausgestaltung des Gesundheitswesens offen lässt. Auch auf das EuGH-Urteil aus dem Jahr 2003 wird Bezug genommen – in dem ja ein Rx-Versandverbot bekanntlich für zulässig erachtet wurde.

DAZ.online: Sie sprechen den Gesetzgeber an. Könnte das vorliegende Verfahren auch Auswirkung auf die aktuelle Diskussion zum VOASG haben?

Douglas: Ich hoffe es! Das VOASG ist – das zeigte kürzlich auch die Anhörung im Gesundheitsausschuss – Flickschusterei. Die jetzt ergangene Entscheidung verdeutlicht, dass der Ansatz der Regierung, hier demütig glauben zu müssen, die Vorgaben aus der Entscheidung Deutsche Parkinson Vereinigung in irgendeiner Form umzusetzen, der falsche Weg ist. Mit dieser Entscheidung des EuGH in der Hand sollte der Rücken durchgedrückt werden und man dort in den anstehenden Verhandlungen unmissverständlich klarmachen, dass man sich nun vom EuGH bestätigt fühlt, die Ausgestaltung des deutschen Apothekenwesens selbst zu bestimmen. Hier kann man viel mehr zum Schutz der öffentlichen Gesundheit in ein Gesetz aufnehmen, als dies bisher der Fall ist, insbesondere wenn die Alternative ein Verbot des Online-Verkaufs von Arzneimitteln wäre. Es bleibt somit zu hoffen, dass der Gesetzgeber dieses Urteil nutzt, um nun nachzubessern mit Regelungen, die der Qualität der pharmazeutischen Versorgung in Deutschland gerecht werden und dafür Sorge tragen, dass Arzneimittel nicht wie gewöhnliche Konsumgüter angesehen werden.

DAZ.online: Herr Douglas, wir danken Ihnen für das Gespräch.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Französische Werbebeschränkungen für EU-Versender vor dem EuGH / Generalanwalt legt Schlussanträge vor

Neuer Hoffnungsschimmer aus Luxemburg?

Interview zum EuGH-Verfahren

Ein Risiko bleibt immer

Apothekenrecht-Experte Douglas zu Spahns Apothekenplänen

„Wer die Gleichpreisigkeit aufgibt, nimmt höhere Preise bei Engpässen in Kauf“

RA Morton Douglas zum Zuweisungsverbot-Urteildes BGH

Zuweisungsverbot: Schon wieder eine Lücke im Gesetz?

Ein Urteil zur Werbung einer lettischen Apotheke mit weitreichenden Folgen

EuGH: Verschärfungen bei der Wertreklame für Arzneimittel

Interview mit Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas zum Verfahren um Brötchen-Gutscheine

Die Rechtslage hat sich geändert

2 Kommentare

Ein rein politisches Thema

von Andreas Grünebaum am 02.10.2020 um 19:39 Uhr

Wer es noch nicht bemerkt hat: es ist ein rein politisches Thema und hat nichts mit EuGH zu tun.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

.

von Anita Peter am 01.10.2020 um 18:39 Uhr

Die Politik WILL Versand aus dem Ausland. Lauterbach, Spahn und Co. wollen die Vor Ort Apotheken massiv reduzieren.
Da ist es völlig egal, dass der EUGH aufzeigt was alles möglich ist.
Die ABDA schluckt das VOASG so gierig wie eine Ratte das Rattengift.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.