Apothekerkammer Nordrhein

Sicherstellungsauftrag als Plan B zum Rx-Versandverbot?

Neuss - 15.11.2017, 13:15 Uhr

Kammerpräsident Lutz Engelen diskutierte mit dem Nachwuchs über die Zukunft der Apotheke. (Foto: AKNR)

Kammerpräsident Lutz Engelen diskutierte mit dem Nachwuchs über die Zukunft der Apotheke. (Foto: AKNR)


In der Kammerversammlung der Apothekerkammer Nordrhein hat am heutigen Mittwoch eine spannende Diskussion zur Zukunft des Apothekenwesens stattgefunden. Kammerpräsident Lutz Engelen diskutierte mit mehreren Nachwuchsapothekern über neue Versorgungsmodelle, die Bedeutung der Apotheke vor Ort und den Versandhandels-Konflikt. Dabei kamen auch viele Apotheker-Tabus auf den Tisch, wie etwa mobile Apotheken, die „Apotheke Light“ oder Video-Beratungen.

Am heutigen Mittwoch traf sich die Apothekerkammer Nordrhein zu ihrer Kammerversammlung in Neuss. Unter anderen stand eine Diskussion mit Nachwuchsapothekern über die Zukunft des Apothekenwesens auf dem Programm. Doch bevor Kammerpräsident Lutz Engelen die jungen Kollegen auf die Bühne holte, leitete er die Kammversammlung mit einem kurzen politischen Statement ein. Engelen erinnerte seine Mitglieder erneut an das für die Apotheker so wichtige Verfahren, in dem die Kammer sich derzeit gegen Schadenersatzansprüche von DocMorris wehrt. Zur Erinnerung: Die niederländische Versandapotheke hatte die Kammer nach dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung vor dem Landgericht Düsseldorf auf etwa 2,6 Millionen Euro Schadenersatz verklagt. Engelen sagte dazu: „In diesem Verfahren haben wir die Chance, die Ausgangsfrage um die Rx-Boni zurück zum EuGH, mindestens aber zum Bundesgerichtshof zurückzubringen.“ Der Kammerpräsident erklärte, dass er in dem Prozess von der ABDA unterstützt werde. „Wir kämpfen an dieser Stelle für den gesamten Berufsstand, die ABDA unterstützt uns sehr kollegial und hat sich mit 50.000 Euro an den Kosten beteiligt.“

Wer Lutz Engelen kennt, der weiß, dass der Apotheker aus Herzogenrath aber auch gerne und oft kritische Töne für die Arbeit der Standesvertretung übrig hat. Am heutigen Mittwoch schoss Engelen in Sachen Honorar-Gutachten in Richtung Berlin. Zu den Inhalten der Studie wolle er sich noch nicht äußern, weil alles nur auf Spekulationen beruhe. Engelen mahnte aber an, dass die ABDA im Falle eines negativen Ergebnisses die richtigen Antworten parat haben solle. „Wir haben schon vor längerer Zeit in Berlin angemahnt, Daten zu sammeln und sich auf eine solche Diskussion vorzubereiten. Erst jetzt hat die Arbeit der ABDA dazu Fahrt aufgenommen. Sollte das Gutachten wirklich zum Schluss kommen, dass das Honorar gesenkt werden muss, sollten diejenigen in Berlin dafür geradestehen müssen, die das zu verantworten haben.“

„Rx-Versandverbot dient nur dem Erhalt der Festpreise“

In Richtung Politik schickte Engelen noch eine für ihn wichtige Feststellung: Immer wieder werde den Apothekern im Versandhandels-Konflikt vorgeworfen, mit dem Rx-Versandverbot nur die unliebsame Konkurrenz des Versandhandels loswerden zu wollen. Doch dagegen wehrte sich Engelen: „Unser Engagement bezieht sich ausdrücklich auf den Erhalt der Festpreise im Rx-Bereich. Es ist unser erklärtes Ziel, die Qualität der Versorgung aufrecht zu erhalten und keine Preisdiskussionen in der Arzneimittelversorgung aufkommen zu lassen.“

„Ungenutztes Potenzial demotiviert die Kollegen“

Anschließend holte Engelen mehrere jüngere Kammermitglieder auf die Bühne, die teils selbstständig oder angestellt in der Offizin arbeiten, teils in der Industrie, aber auch in der Forschung und Verwaltung tätig sind. Gleich zu Beginn der Diskussion mit den Nachwuchspharmazeuten bestand große Einigkeit bei einem Thema: Die Apotheker sollten in Zukunft mehr Alleinstellungsmerkmale ihres Berufs finden, um ihre Leistungen klar hervorzuheben und den Wert der Apotheke vor Ort in der Bevölkerung darzustellen. Ein Pharmazeut schlug beispielsweise das Feld der Pharmakogenomik vor, dass die Apotheker perfekt „belegen“ könnten, weil es noch ein sehr junges Forschungsgebiet sei.

Das größte Alleinstellungsmerkmal sei aber die pharmazeutische Beratung und dazugehörige Dienstleistungen, wie etwa der Medikationsplan und die Medikationsanalyse. Dass die Apotheker am Plan nur marginal beteiligt sind, bezeichneten die Nachwuchspharmazeuten als „falsche Entscheidung“ oder als „Katastrophe“. Eine Offizinapothekerin fügte hinzu, dass es aufgrund des ungenutzten Wissenspotenzials oft zu einer „Demotivierung“ der Kollegen komme.

Klare Vorstellung zur Finanzierung der Apotheke vor Ort

Mit Blick auf die zukünftige Finanzierung der Apotheke vor Ort, äußerten die Pharmazeuten ebenfalls klare Vorstellungen. „Allein die Distribution wird nicht mehr reichen, dann wird es die Apotheke so bald nicht mehr geben.“ Eine andere Apothekerin forderte daher von der Politik, das Rx-Versandverbot durchzusetzen, um Planungssicherheit für die Apotheken zu schaffen. Für die Umgestaltung des Apothekenhonorars stellte die Apotheker aber gemeinsam klar: Die packungsbezogene Vergütung müsse erhalten bleiben. Engelen stimmte zu und erklärte, dass Vergütungen für pharmazeutische Dienstleitungen immer ein „Add-on“ sein müssten.

Sehr spannend war die Diskussion über innovative Versorgungsmodelle. Die Jungapotheker zeigten sich erstaunlich offen für neue Denkweisen in der Versorgung. Um die Betriebskosten zu senken, sei es doch denkbar, dass man die Laborpflicht für manche Apotheken aus der Apothekenbetriebsordnung streiche, erklärte eine Apothekerin. Eine Kollegin merkte an, dass die Apotheker auch in der Debatte um die Video-Pharmazie mitreden sollten. „Eine Mutter mit drei Kindern, die auf dem Land wohnt, kann nicht immer in die Apotheker fahren. Hier könnten Video-Lösungen helfen.“ Und selbst die „mobile Apotheke“ wurde vorgeschlagen – allerdings nur, wenn sie von Pharmazeuten betrieben und extra vergütet werde.

Sicherstellungsauftrag durch Kammern und KVen?

Engelen freute sich über die offene Debatte und überraschte selbst mit einem neuen Vorschlag zum Versandhandels-Konflikt. „Bevor der Gesetzgeber tätig wird und zulässt, dass OTC an der Tanke verkauft werden können, könnten wir vorschlagen, dass wir, also die Kammern als Körperschaften öffentlichen Rechts so wie die Kassenärztlichen Vereinigungen, einen Sicherstellungsauftrag übernehmen. Das könnte auch ein Plan B zum Rx-Versandverbot werden: Wir garantieren und regeln die Versorgung selbstständig und verantwortlich, dann diskutiert man auch nicht mehr über den Versandhandel.“ 

Auf Nachfrage, wie der Sicherstellungsauftrag in der Arzneimittelversorgung aussehen könnte, erklärte Engelen: „Die Apotheker hätten dann den gesetzlichen Auftrag, die Versorgung sicherzustellen. Wir regeln dann die Versorgung und können bestimmen, zu welchen Bedingungen der Versandhandel daran teilnimmt.“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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