Trend in Europa

Immer mehr Ältere infizieren sich mit HIV  

London/Berlin - 27.09.2017, 07:00 Uhr

Auch älteren Menschen sollten verstärkt HIV-Tests angeboten werden, fordern Experten. (Foto:dpa)

Auch älteren Menschen sollten verstärkt HIV-Tests angeboten werden, fordern Experten. (Foto:dpa)


Immer mehr Menschen über 50 Jahre infizieren sich mit HIV. Und zwar nicht mehrheitlich bei homosexuellen Kontakten, wie das bei Jüngeren der Fall ist, sondern bei heterosexuellen. Da man in dieser Altersgruppe HIV bislang wenig auf dem Schirm hat, werden die Diagnosen oft erst sehr spät gestellt. Experten bemängeln, dass diese Altersgruppe von Aufklärungskampagnen bislang vernachlässigt wurde. 

Experten warnen vor einem neuen Trend bei HIV-Infektionen in Europa. Eine große Langzeitstudie zeigt, dass in den meisten Staaten die Neuinfektionen bei Menschen über 50 Jahren deutlich zunehmen. In Deutschland ist diese Entwicklung besonders ausgeprägt. Auffällig ist generell, dass sich überproportional viele Ältere bei heterosexuellen Kontakten anstecken und dass ihre Infektionen erst sehr spät erkannt werden. Das berichtet das Team um Lara Tavoschi vom Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) im Fachblatt „The Lancet HIV“. Im medizinischen Alltag sei diese Entwicklung schon aufgefallen, sagt der Präsident der Deutschen Aids-Gesellschaft, Georg Behrens, von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Nun habe man europaweite Zahlen, die diese Beobachtung untermauern, sagt der Infektiologe, der nicht an der Studie beteiligt war.

Die Forscher werteten die gemeldeten Neuinfektionen im Zeitraum von 2004 bis 2015 in 31 europäischen Staaten aus - die 28 EU-Mitglieder sowie Island, Liechtenstein und Norwegen. Demnach entfiel im Jahr 2015 etwa jede sechste Neudiagnose (17,3 Prozent) auf Menschen ab 50 Jahren - insgesamt knapp 30000. Während der zwölf Jahre stieg der Anteil der Älteren europaweit im Mittel um jährlich 2,1 Prozent.

Anstieg in Deutschland besonders stark

In Deutschland war der Anstieg mit 8,1 Prozent pro Jahr fast viermal stärker als im europäischen Durchschnitt - allerdings ausgehend von einem niedrigen Niveau, von 0,72 auf 1,83 Fälle pro 100 000 Menschen. Die Ansteckungen basierten europaweit häufiger als bei Jüngeren auf heterosexuellen Kontakten. Dies stehe möglicherweise in Zusammenhang mit Prostitution und Sextourismus, spekulieren die Autoren mit Blick auf ganz Europa. „Wir kennen die Ursachen in Deutschland letztlich nicht“, sagt die deutsche Ko-Autorin Barbara Gunsenheimer-Bartmeyer vom Robert Koch-Institut (RKI).

Späte Diagnosen sorgen für schlechtere Prognosen

Besondere Sorge macht nicht nur das Resultat, dass sich ältere Menschen vermehrt anstecken, sondern auch, dass ihre Infektion oft erst sehr spät bemerkt wird. Bei knapp 40 Prozent von ihnen lag die Zahl der CD4-Zellen im Blut - dieses Hauptangriffsziel des Virus ist wichtig für die Immunabwehr - dann schon unter dem Wert von 350 pro Mikroliter Blut. Zum Vergleich: Bei Betroffenen unter 50 Jahren lag der Anteil bei knapp 27 Prozent. „Eine späte Diagnose ist bei älteren Menschen besonders beunruhigend, denn dies steigert die im Vergleich zu Jüngeren ohnehin schon höhere Sterberate in dieser Altersgruppe zusätzlich“, schreibt das Team. MHH-Experte Behrens betont: „Der Erfolg der HIV-Therapie ist bei diesen Menschen eingeschränkt.“

Von Aufklärungskampagnen vernachlässigt 

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich die HIV-Epidemie in eine neue Richtung entwickelt“, wird Studienleiterin Tavoschi in einer „Lancet“-Mitteilung zitiert. „Das geht möglicherweise darauf zurück, dass HIV und seine Übertragung älteren Menschen weniger bewusst sind.“ Der Trend zeige aber auch, dass diese Altersgruppe von Aufklärungskampagnen vernachlässigt worden sei, betont sie. Die Infektionen würden häufig erst nach mehreren Arztbesuchen erkannt. Es sei zwingend notwendig, älteren Menschen verstärkt HIV-Tests anzubieten, mahnen die Forscher.

Bei Älteren auch mal an HIV denken

Das unterstreicht auch die RKI-Epidemiologin Gunsenheimer-Bartmeyer: „Die Ärzteschaft sollte für das Thema sensibilisiert werden, auch in ländlichen Gebieten.“ Behrens mahnt, Mediziner sollten bei älteren Patienten mit Symptomen wie etwa Gewichtsverlust, Lungenentzündung oder Durchfall an die Möglichkeit einer HIV-Infektion denken und einen Test anbieten.

In einem „Lancet“-Kommentar schreibt Janet Seeley von der London School of Hygiene & Tropical Medicine: „Menschen über 50 Jahre sind vielleicht nicht auf dem Laufenden über die Risiken einer HIV-Infektion und Präventionsmethoden, insbesondere wenn auf den Tod eines Partners oder eine Scheidung neue sexuelle Kontakte folgen.“ Wenn die Epidemie gestoppt werden solle, sei die Prävention von HIV-Infektionen in allen Altersgruppen essenziell. „Ältere Gruppen sollten nicht ausgelassen werden.“



Walter Willems, dpa
redaktion@daz.online


jb / DAZ.online
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1 Kommentar

Immer mehr Menschen über 50 Jahre infizieren sich mit HIV.

von Wolfgang Kirsch am 01.10.2017 um 17:03 Uhr

"Da man in dieser Altersgruppe HIV bislang wenig auf dem Schirm hat . . . "

Selten so eine dämliche Aussage gelesen. Die heutigen 50+ wurden ab 1957 geboren. Als HIV Thema in Deutschland wurde, waren sie zwischen 25 - 30 Jahre alt. Wenn man - wer zu dieser Zeit "HIV nicht auf dem Schirm hatte der muß damals völlig verpeilt gewesen sein.

Ich erinnere nur an diesen und ähnliche Artikel aus dieser Zeit.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14021779.html

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