Temperatur-Studie

Die kritischen Transportwege der Versandapotheken

Berlin - 28.07.2017, 15:50 Uhr

: Beim Versand von Arzneimitteln ist die Temperatur
zuweilen ein Problem. (Foto: Africa Studio / AdobeStock)

: Beim Versand von Arzneimitteln ist die Temperatur zuweilen ein Problem. (Foto: Africa Studio / AdobeStock)


Mag Kunden von Versandapotheken nach jüngster Rechtsprechung auch ein Widerrufsrecht beim Arzneimittelkauf zustehen: Die zurückgeschickten Arzneimittel wieder in den Verkehr zu bringen, dürfte in der Regel unzulässig sein. Darauf verweist nicht nur die ABDA. Auch eine Temperatur-Studie eines Pharma-Dienstleisters verdeutlicht, warum dies so ist.

Diese Woche veröffentlicht der Verbraucherzentrale Bundesverband ein aktuelles – und noch nicht rechtskräftiges – Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg. Demnach dürfen Versandapotheken in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen das Verbrauchern im Fernabsatz zustehende Widerrufsrecht nicht generell ausschließen. Das Gericht räumt ein, dass das bei Arzneimitteln problematisch sein kann. Doch der Gesetzgeber müsse für eine klare Regelung sorgen, wolle er für diese spezielle Ware das Widerrufsrecht ausschließen.

Die ABDA kann das nachvollziehen: Unter Berücksichtigung der neueren europarechtlichen Vorgaben aus der Verbraucherrechterichtlinie, die in § 312g Abs. 2 BGB umgesetzt worden sind, habe das Gericht diesen Ausschluss „zutreffenderweise“ für unzulässig gehalten, erklärte ein ABDA-Sprecher gegenüber DAZ.online. Das früher zur Rechtfertigung eines solchen Ausschlusses geltende „rechtliche Verderben“ könne nach neuer Rechtslage so nicht mehr herangezogen werden. Der Sprecher weist allerdings darauf hin, dass Versandapotheken den Widerruf für ursprünglich versiegelte Arzneimittel, die geöffnet wurden, nach wie vor ausschließen können. Dies werde ab 2019 besonders relevant sein, wenn die EU-Fälschungsrichtlinie greifen wird und Verpackungen mit besonderen Sicherheitsmerkmalen ausgestattet sein müssen.

Der ABDA-Sprecher betonte zudem, dass die Frage des Widerrufsrechts zu trennen ist von der Frage, ob die zurückgeschickten Arzneimittel überhaupt noch einmal in den Verkehr gebracht werden dürfen. „Dies dürfte regelmäßig aufgrund nicht sicherzustellender unversehrter Qualität unzulässig sein“, so die Auffassung der Standesvertretung.

Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass Arzneimittel die zum Verbraucher und gegebenenfalls wieder zurück zur Versandapotheke geschickt werden, in der Regel einen unkontrollierten Weg hinter sich haben. Kritisch ist zum Beispiel die Einhaltung von Temperaturvorgaben. Schon im Jahr 2015 hatte die Apothekerkammer Nordrhein in Stichproben festgestellt, dass hierauf beim Arzneimittelversand offenbar kein besonderes Augenmerk gelegt wird.

Temperaturvorgaben um 20°C unterschritten

Diese Annahme jetzt auch durch eine diese Woche veröffentlichte Studie gestützt. Hinter der Studie steht der in der Nähe von Stuttgart angesiedelt Dienstleister EIPL (European Institute for Pharma Logistics), ein Dienstleistungsunternehmen, das an der pharmazeutischen Lieferkette beteiligte Firmen berät. Dieser hat Anfang des Jahres zum einen verschiedene Arzneimittel online bei nicht genannten Versandapotheken bestellt. Zum anderen hat er zur gleichen Zeit selbst 100 mit Temperatur-Sensoren ausgestattete Test-Päckchen verschickt. Und zwar über die fünf von Online-Apotheken standardmäßig gewählten Paketdienstleister. Weil er die Empfänger bewusst falsch angab, wurden die Pakete als unzustellbar zurück an die EIPL GmbH gesendet. Auf diese Weise sollten die Temperaturbedingungen beim Transport über die Paketdienste nachvollzogen werden.

Nun präsentiert das in Apotheken- und Großhandelskreisen eher unbekannte Unternehmen seine  Auswertung. Sie zeigt: Auch temperatursensible Medikamente werden von den Online-Apotheken nur in normalen Versandkartons geliefert – und sind damit unzureichend geschützt vor zu tiefen oder zu hohen Temperaturen. Zudem wurden die Temperaturbedingungen in vielen Fällen nicht eingehalten. Als Beispiel nennt EIPL den Paracetamol-Saft von Stada, der laut Beipackzettel nicht unter +8°C zu lagern (und damit zu transportieren) ist. Die zeitgleich mit demselben Dienstleister versandten Test-Päckchen mit den Temperatur-Sensoren zeigen, dass die Pakete während der Auslieferung Temperaturen von bis zu -12°C ausgesetzt waren – und das in bis zu 48 Stunden Versandzeit. In einem Fall wurde der temperatursensible Paracetamol-Saft sogar mit kühlpflichtigen Medikamenten geliefert – zusammen mit einem Kühl-Akku in der Verpackung.

Kostenersparnis vor Qualität?

„Vom Hersteller haben wir die klare Aussage erhalten, dass dieses Produkt in solch einem Fall keinesfalls mehr verwendet werden soll“, sagt EIPL-Geschäftsführer Christian Specht. „Denn laut Hersteller kann die Wirksamkeit dann nicht mehr garantiert werden.“ Für Specht sind die Ergebnisse der Studie in der gegenwärtigen Versandhandels-Diskussion nicht zu unterschätzen, denn hier wird seines Erachtens zu viel über die Kosten und zu wenig über Qualität gesprochen: „Aus unserer Sicht zeigt der Feldtest deutlich auf, dass das Konzept der Online-Versandapotheken nicht aufgeht. Denn beim jetzigen Versandweg über die herkömmlichen Paketdienstleister bleiben die Transportqualität und damit die Patientensicherheit ganz klar auf der Strecke“.

Versandapotheken müssten also letztlich die Konsequenz ziehen, zurückgeschickte Arzneimittel zu vernichten. Ob dies tatsächlich immer geschieht, ist schwerlich zu kontrollieren.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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5 Kommentare

Kritische Transportwegw

von Ratatosk am 31.07.2017 um 10:08 Uhr

Was heißt hier kritische Transportwege ?! das ist der von Politik und Kassen gewünschte Weg, Argumente stören hier nur.
Und was hier nicht passt, wird von den Adlaten sicher bald passend gemacht.
Eher werden wohl unerfüllbare Anforderungen an die örtiliche Pharmazie gemacht.

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A. Peter vrs U.Ströh

von Heiko Barz am 29.07.2017 um 11:24 Uhr

Sehr geehrter Herr Ströh,
Sie sollten nicht Schutz vor Argumentationen suchen hinter Beschlüssen des DAT vom Herbst 2016.
Der Tsunami, der durch das unsägliche, unser pharmazeutisches Grundsystem vernichtende EUGH Urteil übers Land geschwappt ist, konnte von den Deligierten in diesen uns mittlerweile allen bekannten Ausmaßen in keiner Weise erahnt werden.
Der von Frau Peter hier angemerkte Skandal ist demnach eine berechtigte Aussage.
Dass Sie diesen Skandal berufspolitisch damit neutralisieren wollen, weil irgendwelche damals desinformierte Deligierte zukunftsorientiert falsch abstimmten, darf nicht dazu führen, dass diese falsche Abstimmung nach heutigem Ermessen nicht angeklagt werden darf.
Waren nicht die Herren Schmidt und Tisch zum DAT nicht noch der Meinung, dass das EUGH Urreil eigentlich nur zu Gunsten der Apothekerschaft ausfallen könne?
Zurückschauend auf das vergangene Dreivierteljahr des pharmazeutischen Tsunami ist die von Frau Peter beschriebenen Skandalsituation wohl berechtigt.
Die dafür Verantwortlichen ( Deligierten ) werden im stillen Kämmerlein mittlerweile genauso denken.

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Skandal

von Anita Peter am 28.07.2017 um 17:51 Uhr

Es ist schlichweg ein Skandal, dass diese Zustände die Politik nicht interessiert. RXVV hin oder her, die Politik akzeptiert, dass AMs evtl. nicht mehr wirksam sind. Wenn beim Transport nicht zu 100% die Temparaturführung gewährleistet werden kann, muss der komplette Versand von AMs verboten werden.

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Skandal?

von Ulrich Ströh am 28.07.2017 um 19:27 Uhr

Ob nun Skandal...
Tatsache ist der DAT in seiner Vollversammlung einen Antrag zur Prüfung auf Temperaturkonstanz von Versandhandelsapotheken zurückgewiesen hat.
Fragen Sie Ihre Delegierten,warum .

AW: Skandal

von Nicht-so-schnell am 30.07.2017 um 12:30 Uhr

Wenn gegen Gesetze verstossen wird, muss man einschreiten. Ggf. auch pauschal verbieten. Doch vom Patienten rücklaufende, originalverpakte und versiegelte Arzneimittel kommen auch zu stationären Apotheken, aus Altersheimen, Kunden die daheim aufräumen oder nach Fehlabgaben. Ob dergleichen Werte aus genannten Regulierungen tatsächlich vernichtet werden ... wer weiss? Spendenlieferungen in die Dritte Welt rekrutiert sich manchmal aus Rücklieferungen.
Wer fordert, dass mögliche Zweifel 100% ausgeräumt werden, der muss auch dort regulieren. So wäre eine Rücklieferung IMMER zu verbieten, vermutlich der einzige Weg. Den Schaden, der sich aus den berechtigten Rücklieferungen ergeben, hätten dann in erster Näherung die Kassen zu tragen - und würden das angesichts ihres Vorteils des Versandhandels vermutlich auch gerne tun. Somit vorsicht mit starken Forderungen. Sie könnten unerwünschte Effekze zeigen.

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