Regenerative Medizin

Neue Verfahren für gut verträgliche Kunststoffe

Würzburg - 28.12.2010, 07:00 Uhr


Dreidimensionale Gerüste, auf denen Zellen sich ansiedeln und zu Geweben oder Organen heranwachsen können, sind in der regenerativen Medizin begehrt. Materialwissenschaftler

Extrem dünne Polymerfäden, die zu Netzen oder dreidimensionalen Strukturen verwoben werden können und im menschlichen Körper eingesetzt werden, müssen rückstandslos abbaubar sein – und das nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam. Nur ganz bestimmte Zellen sollen sich auf ihnen ansiedeln, untereinander verbinden und zu komplexen Strukturen heranwachsen. Andere Substanzen hingegen, beispielsweise Proteine und Zellen aus dem Blut, sollen ihnen fern bleiben.

Würzburger Wissenschaftler haben jetzt eine Technik entwickelt, mit der solche Fasern in einem einzigen Arbeitsschritt hergestellt werden können. Bisher wurden ultradünne Polymerfasern durch "Electrospinning" produziert. Das Prinzip: An eine Flüssigkeit wird ein elektrisches Feld angelegt, das dünne "Jets" erzeugt. Die Fasern, die dabei entstehen, sind bis zu zehn Nanometer dünn.

Die Forscher haben ein besonderes Makromolekül entwickelt. Gibt man dieses Molekül in die Flüssigkeit, aus der die Fasern hergestellt werden, verändert sich deren Oberfläche: Das Molekül verwandelt die lipophilen in hydrophile Fasern. Damit wird die Anlagerung unerwünschter Proteine an der Faseroberfläche verändert.

Dass sich Proteine unkontrolliert an Polymerfäden anlagern, ist in der Medizin ein gefürchteter Effekt. Er tritt normalerweise sehr schnell auf, wenn Materialien in den Körper eingesetzt werden. Auf den hydrophoben Oberflächen werden die Proteine schnell denaturiert. Dadurch besteht die Gefahr, dass das Immunsystem aktiviert und die Wundheilung gestört werden – alles unerwünschte Wirkungen. Deshalb ist es wichtig, die Anlagerung solcher Proteine zu verhindern.

Andere Anheftungen sind hingegen erwünscht: Körpereigene Zellen sollen sich an den Faserstrukturen anlagern, untereinander verbinden und zu einer kompakten Struktur heranwachsen. Auf diese Weise können Mediziner beispielsweise dem Körper dabei helfen, großflächige Verletzungen schneller wieder zu schließen. Im Labor arbeiten Wissenschaftler daran, mit Hilfe dieser Fasern neue Gewebe, möglicherweise sogar neue Organe zu produzieren. Dazu "basteln" sie mit den Polymerfäden dreidimensionale Gerüste in der benötigten Form, auf denen sich anschließend die gewünschten Zellen ansiedeln – beispielsweise Leberzellen, wenn es darum geht, eine neue Leber herzustellen, oder Knorpelzellen, die Ersatz für zerstörte Gelenkoberflächen schaffen sollen.

Der Vorteil solcher Implantate liegt auf der Hand: Weil sich das neue Organ aus Zellen des jeweiligen Patienten entwickelt hat, kommt es nach der Implantation zu keiner Abstoßungsreaktion. Auf eine medikamentöse Therapie, die heutzutage nach Fremdtransplantationen zwingend erforderlich ist, kann deshalb verzichtet werden. Die Fasern werden nach wenigen Monaten rückstandslos abgebaut.

Je nachdem, welche Zellen sich an den Fasern anlagern sollen, geben die Forscher ihnen die entsprechenden bioaktiven Peptide auf der Oberfläche mit. Diese sorgen dafür, dass genau die Zellen angelockt werden, die im jeweiligen Fall benötigt werden.

Mit der neuen Technik lassen sich jetzt deutlich schneller als bisher Fasern und Faserstrukturen herstellen und mit den unterschiedlichsten Eigenschaften versehen.

Quelle: Grafahrend, D. et al.: Nature Materials 2010, Online-Veröffentlichung, DOI: 10.1038/NMAT2904


Dr. Bettina Hellwig