Selbstmedikation

Nahrungsergänzungsmittel strenger regeln

Positionspapier des Komitee Forschung Naturmedizin e. V.

ral | Nahrungsergänzungsmittel stellen in der Apotheke mittlerweile einen großen Teil des Sicht- und Freiwahlsortiments dar, und ständig drängen neue Produkte auf den Markt. Die Abgrenzung zu Arzneimitteln ist nicht immer einfach – und die Werbung im Fernsehen und vor allem im Internet geht manches Mal über das für Nahrungsergänzungsmittel eigentlich erlaubte Maß hinaus. Wie soll man damit umgehen? Wie können Verbraucher vor Irreführung geschützt werden? Das Komitee Forschung Naturmedizin e. V. hat sich dazu positioniert.
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Das Komitee Forschung Naturmedizin e. V. (KFN), das 1999 gegründet wurde, steht für eine „Phytotherapie mit Phytopharmaka, die eine belegte klinische Wirksamkeit besitzen, eine individuell dokumentierte Unbedenklichkeit gezeigt haben und damit ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis aufweisen“. Die Tatsache, dass seit einigen Jahren immer mehr Nahrungs­ergänzungsmittel und stoffliche Medizinprodukte auf den Markt kommen, die pflanzliche Zubereitungen beinhalten, sieht das KFN kritisch. Die Produkte präsentierten sich in zunehmendem Maße wie Arzneimittel, schreibt das KFN in seinem Positionspapier, und viele Hersteller beabsichtigten auch genau das. Hieraus resultiert aus Sicht des KFN eine bewusst herbeigeführte, massive Irreführung von Verbrauchern, die Nahrungs­ergänzungsmittel und Medizinprodukte „im guten Glauben“ verwenden, dass es sich hierbei um Arzneimittel handelt. Um dieser Irreführung einen Riegel vorzuschieben, hat das KFN die Politik und entsprechende Kontroll­instanzen dazu aufgefordert, die „relevanten regulatorischen Vorgaben einzuhalten und die Einhaltung der Abgrenzungskriterien wirksam zu überwachen“. Insgesamt müssten die Voraussetzungen für einen funktionierenden Verbraucherschutz und für einen fairen Wettbewerb gewährleistet sein.

Im Einzelnen fordert das KFN, dass

  • Nahrungsergänzungsmittel eindeutig so gekennzeichnet werden, dass erkennbar ist, dass es sich dabei um Lebensmittel handelt, die zur Ergänzung der Ernährung gedacht sind.
  • Nahrungsergänzungsmittel nicht mit Angaben werben, die einen Krankheitsbezug haben.
  • die in Nahrungsergänzungsmitteln enthaltenen Nährstoffe wie Vitamine und Mineralstoffe sowie pflanz­liche Zubereitungen in ihrer Dosierung mit den Stoffmengen vergleichbar sind, die auch über den Verzehr von Lebensmitteln „in verzehrs­üblichen Mengen“ möglich sind bzw. dass die Dosierung den Stoffwechsel nur in solchem Maß beeinflusst, dass ihr Effekt im Rahmen physiologischer Zustände bleibt.
  • für die Bewerbung von Nahrungsergänzungsmitteln nur die europaweit genehmigten gesundheitsbezogenen Angaben (Health Claims) für Nährstoffe bzw. sonstige Stoffe verwendet werden. Das KFN merkt in diesem Zusammenhang an, dass bei pflanzlichen Inhaltsstoffen gilt, dass die gesundheitsbezogenen Angaben, die noch nicht bewertet wurden (sogenannte „on hold claims“), so lange verwendet werden dürfen, bis der Bewertungsprozess abgeschlossen ist. Wichtig ist jedoch, dass bis zum Abschluss des Bewertungsverfahrens die ausgelobte gesundheits­bezogene Angabe nur unter Ver­antwortung des Inverkehrbringers verwendet werden kann, wenn er sie durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise begründen kann. Ansonsten ist von einer Irreführung bzw. Täuschung auszugehen. Es ist nicht ausreichend, lediglich unter der therapeutisch wirk­samen (monographierten) Menge zu bleiben und eine physiologische Eigenschaft zu vermuten.
  • in Nahrungsergänzungsmitteln keine neuartigen Pflanzenextrakte enthalten sind. Diese unterliegen der Novel Food Verordnung und müssen entsprechend zugelassen werden. Auch dürfen nur Extraktionslösungsmittel für Nahrungsergänzungsmittel verwendet werden, die auch für Lebensmittel zugelassen sind.
  • im Fall von Pflanzenzubereitungen, die in Nahrungsergänzungsmitteln verwendet werden, die im Lebensmittelrecht verankerten Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen einzuhalten sind. Erlaubte Höchstmengen an Kontaminanten, Schwermetallen etc. dürfen somit bei der Rohstoffauswahl nicht überschritten werden. Insgesamt plädiert das KFN dafür, bei der Herstellung der Präparate die Good Agricultural sowie die Good Manufacturing Practices einzuhalten.
  • stoffliche Medizinprodukte, die arzneilich wirksame Bestandteile enthalten, eine klinische Prüfung durchlaufen müssen – auch wenn diese Bestandteile die bestimmungsgemäße Hauptwirkung nur unterstützen. Einige Medizinprodukte-Hersteller unterlaufen aus Sicht des KFN diese Forderung sehr geschickt, indem sie in ihren Produkten rein physikalisch wirksame Inhaltsstoffe, z. B. Meersalz, mit solchen Pflanzenextrakten kombinieren, die ebenfalls in zugelassenen Arzneimitteln Verwendung finden. Gegenüber den Aufsichtsbehörden werde dann auf die rein physikalische Wirkung des Salzes abgestellt. In der Werbung hingegen werde dem Verbraucher suggeriert, dass besonders die in dem Produkt enthaltenen Pflanzenextrakte für die gewünschte Wirkung verantwortlich sind. |

Beratung außerhalb des Arzneimittel-Segments wichtig nehmen

Nahrungsergänzungsmittel sind keine Arzneimittel – und das sollte der Verbraucher auch erkennen können. Die Forderung des KFN ist deutlich formuliert. Wir wollten darüber hinaus wissen, wie das Komitee Forschung Naturmedizin e. V. sich die Umsetzung seiner Forderung vorstellt und wo es in diesem Zusammenhang die Apotheke sieht. Darüber haben wir mit Prof. Dr. Michael Habs, ehemaliger Geschäftsführer der Dr. Willmar Schwabe GmbH und stellvertretender Vor­sitzender des KFN, gesprochen.

DAZ: Herr Professor Habs, in Ihrem Positionspapier fordern Sie eine eindeutige Kennzeichnung der Nahrungsergänzungsmittel, die darauf hinweist, dass diese Produkte als Lebensmittel zur Ergänzung der Ernährung gedacht sind. Gemäß der derzeitigen gesetz­lichen Regelung muss auf Verpackungen unter anderem „Nahrungsergänzungsmittel“ stehen sowie der Hinweis, dass diese kein Ersatz für eine ausgewogene Ernährung sind. Reicht das aus Ihrer Sicht nicht? Wie sollte die Kennzeichnung besser lauten?

Habs: Oft sind Nahrungsergänzungsmittel ganz bewusst in ihrer Aufmachung Arzneimitteln nachempfunden. Wir fordern daher eine blickfangartige, eindeutige Kennzeichnung auf der Packung von Nahrungsergänzungsmitteln, die Verbrauchern klar und unmissverständlich signalisiert, dass es sich bei Nahrungsergänzungsmittel um Lebensmittel und gerade nicht um Arzneimittel handelt. Dies könnte z. B. in Form eines definierten „Icons“ erfolgen. Für dieses Vorgehen muss Rechtssicherheit gegeben werden. Auch ein Icon „geprüftes Arzneimittel“ würde bei der Differenzierung helfen und einer möglichen Irreführung von Verbrauchern vorbeugen.

Foto: privat

Prof. Dr. Michael Habs ist stellvertretender Vorsitzender des KFN

DAZ: Sie fordern weiter, dass für Nahrungsergänzungsmittel nicht mit einem Krankheitsbezug geworben wird bzw. nur mit zugelassenen Health Claims. Tatsächlich ist die Werbung mit Krankheitsbezug ja bereits verboten, und die Health Claims, die erlaubt sind, sind ebenfalls definiert. Müsste die Forderung hier nicht lauten, dass Verstöße gegen dieses Verbot bzw. gegen die Health-Claims-Verordnung strenger und vor allem konsequenter geahndet werden?

Habs: Das Verbot der krankheitsassoziierten Werbung sollte so abgefasst werden, dass nicht nur Einzelfälle in aufwendigen Wettbewerbsverfahren unterbunden werden können, wie es derzeit der Fall ist. Das bedeutet, dass die bestehenden gesetzlichen Regelungen inhaltlich geschärft werden müssen, damit eine bessere Umsetzbarkeit gewährleistet ist. Zudem ist es erforderlich, dass im Falle einer schwerwiegenden Verbrauchertäuschung Straftatbestände staatsanwaltschaftlich aufgegriffen werden und konsequent zu verfolgen sind.

DAZ: Beim Inverkehrbringen von Nahrungsergänzungsmitteln werden immer wieder regulatorische Grenzen überschritten, geahndet wird das oft nicht. Geschuldet ist das einem unübersichtlichen System von zustän­digen Überwachungsbehörden, die zudem personell oft nicht in der Lage sind, solche Inverkehrbringer zu kontrollieren und zu sanktionieren. Was muss sich hier ändern?

Habs: Das KFN möchte mit Unterstützung der Verbraucherschützer und der Fachkreise erreichen, dass der Gesetzgeber die offensichtliche Verbrauchertäuschung nicht länger toleriert und aktiv wird. Dazu gehört auch, die aktuelle Art und Weise der Überwachung zu überdenken und gegebenenfalls zu reformieren.

Das Komitee Forschung Naturmedizin e. V.

Im Jahr 1999 wurde das Komitee Forschung Naturmedizin gegründet, kurz KFN. Der gemeinnützige Verein setzt sich aus einem interdisziplinären Kreis von Angehörigen verschiedener Professionen im Bereich der forschenden Naturmedizin zusammen. Vereinsvorsitzender und Gründungsmitglied ist Prof. Dr. Michael Popp, CEO der Bionorica SE.

Das Ziel des KFN ist die Förderung der Phytopharmakaforschung sowie eine bessere Verbreitung dieser Forschungsergebnisse in der Öffentlichkeit, um die Akzeptanz von pflanzlichen Arzneimitteln zu erhöhen. Das Anliegen des KFN richtet sich darauf, Naturheilmittel zu identifizieren, für die eine verlässliche pharmazeutische Qualität sowie eine nachgewiesene und dadurch auch wahrnehmbare Wirksamkeit und Verträglichkeit garantiert werden können. Um dies zu erreichen, wurden und werden verschiedene Forschungsprojekte im Bereich Naturmedizin vom KFN angestoßen und auch finanziell gefördert. Alle zwei Monate erscheint zudem der Phytokompass, das publizistische Forum des Komitees Forschung Naturmedizin e. V. Das Magazin wendet sich primär an Ärzte und Apotheker. Beraten und unterstützt wird das KFN von einem internationalen wissenschaftlichen Beirat namhafter Experten. Mit deren Ergebnissen und Erkenntnissen können rationale Therapiekonzepte erarbeitet und präsentiert werden – gemäß der Maxime des KFN: Für Qualität, Wirksamkeit, Sicherheit und Transparenz.

DAZ: Bei der Frage nach der in Nahrungsergänzungsmitteln erlaubten Menge an Vitaminen, Mineralstoffen und weiteren Inhaltsstoffen liegen Sie auf einer Linie mit Forderungen nach einer EU-weiten Höchstmengenverordnung. Sowohl bei der EU-Kommission als auch bei der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde gibt es Arbeitsgruppen, die sich mit der Erarbeitung einer entsprechenden Regelung beschäftigen. Kommen könnte sie vielleicht ab 2024. Reicht das aus Ihrer Sicht? Oder sollte auch auf nationaler Ebene an entsprechenden Vorgaben gearbeitet werden?

Habs: Seit 2002 sind z. B. europäische Höchstmengen für Vitamine vorgesehen. Wenn es über 20 Jahre keine Umsetzung gibt, ist mehr Engagement in Brüssel als auch national gefordert, damit die für 2024 angekündigte Initiative nicht erneut in einer Warteschleife endet.

Foto: KFN

Ein Icon wie das hier dargestellte könnte aus Sicht des KFN bei der Differenzierung von Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln helfen.

DAZ: In der Einleitung des Positions­papiers wird beklagt, dass Nahrungsergänzungsmittel nicht nur mit ähn­licher Aufmachung wie Arzneimittel, sondern auch am gleichen Ort, z. B. in der Apotheke, vertrieben werden. Gehören die Produkte aber nicht genau hier hin, beziehungsweise eigentlich nur in die Apotheke? Einmal, weil das Apothekenpersonal einschätzen kann, ob ein Produkt den gesetzlichen Anforderungen an Zusammensetzung, Kennzeichnung und Bewerbung entspricht und somit die „Spreu vom Weizen“ trennen kann, und zum anderen, weil eine differenzierte Beratung erfolgen kann, ob im individuellen Fall statt des Nahrungsergänzungsmittels vielleicht ein besser geeignetes Arzneimittel zur Verfügung steht.

Habs: Das KFN fordert keine Verbannung von Nahrungsergänzungsmitteln aus der Apotheke. Im Gegenteil: Das KFN begrüßt es, wenn Apothekenkunden in den Vor-Ort-Apotheken auch zu Nahrungsergänzungsmitteln sachkundig und differenziert beraten werden. Allerdings ist zu überdenken, Nahrungsergänzungsmittel grundsätzlich in der Sichtwahl anzubieten, da bei Produkten in der Freiwahl die Kaufentscheidung des Kunden oft vor der Beratung getroffen wird. Die Frage an Nahrungsergänzungsmittel-affine Apotheker ist: Wie wichtig nehmen sie die Beratung bei Präparaten außerhalb des Arzneimittel-Segments? |

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