Aus den Ländern

Stabilität und Entwicklung

Fast wäre der Thüringer Apothekertag, der am 7. und 8. Juni zum zwölften Mal stattfand, ins Wasser gefallen. Mancher Apotheker blieb wegen des Hochwassers von Saale und Weißer Elster lieber zu Hause. Die etwa 150 Teilnehmer, die dennoch nach Bad Blankenburg im Schwarzatal gekommen waren, erlebten interessante Vorträge und eine inhaltsreiche Diskussion über die Zukunft des Apothekerberufs.

Nach der Begrüßung durch Stefan Fink, Vorsitzender des Thüringer Apothekerverbandes, bekannte sich die persönlich anwesende Gesundheitsministerin Heike Taubert (SPD) zum bestehenden Apothekenwesen: "Wir wollen die Stabilität bei den Apotheken." Die Bevölkerung sei auf die Apotheke vor Ort fixiert und nicht auf den Versandhandel.

Ronald Schreiber, Präsident der LAK Thüringen, befasste sich in seinem berufspolitischen Referat mit dem Leitbild der Apotheker. Der "pharmazeutische Kaufmann" führt seines Erachtens in eine Sackgasse. Gebraucht werde der Apotheker als Arzneimittelfachmann und unabhängiger Berater, der dann auch eine adäquate Honorierung beanspruchen dürfe. Das Ergebnis der Verhandlungen zum Kassenabschlag bezeichnete Schreiber als "Kompromiss, mit dem man leben kann".

Sorgen bereitet Schreiber die Überalterung der Apothekerschaft in Thüringen. Deshalb wirbt die Kammer bei Abiturienten mit einem "Tag der Pharmazie" für das Pharmaziestudium. Da es genug Interessenten gebe, müsse die Regierung die Anzahl der Studienplätze in der Universität Jena erhöhen. Andere Kammern sollten ebenfalls aktiv werden, damit man den "Tag der Pharmazie" künftig bundesweit veranstalten kann.


Festvortrag und Seminar


Den Festvortrag hielt der Theologe und Politiker (SPD) Dr. Friedrich Schorlemmer zum Thema "Was sich rechnet, und was zählt". Darin mahnte er eine gesunde Mischung von Egoismus und Altruismus an. Man soll Gutes tun, ohne auf das eigene Glück zu verzichten. Geld sollte stets ein Mittel, aber kein Ziel sein. Die Marktwirtschaft dürfe nicht zur Marktgesellschaft verkommen.

Susanne Brittinger, Leiterin der PTA-Schule in Gelsenkirchen, sprach über negativen Stress, das Burn-out-Syndrom und therapeutische Möglichkeiten. Außer der ständigen Überforderung kann auch mangelndes Selbstbewusstsein die Entstehung eines Burn-out-Syndroms fördern. Teil einer multimodalen Therapie ist deshalb das Ressourcentraining, das dem Patienten seine eigenen Fähigkeiten bewusst machen soll.


Zwei Länder mit Apothekenketten: Norwegen …

Bjarne Thune berichtete aufgrund seiner Erfahrung als Leiter einer Apotheke in Bergen, die zuerst Filiale einer anderen Apotheke, dann selbstständige Apotheke und schließlich Kettenapotheke war, welche Folgen die Einführung des fast uneingeschränkten Mehr- und Fremdbesitzes von Apotheken im Jahr 2001 hatte: Etwa 95% der Apothekeninhaber verkauften ihre Apotheke innerhalb zwei Jahren an eine Kette. Warum hatte die Regierung das vorherige System abgeschafft? Sie wollte

  • die Apothekendichte erhöhen,
  • die Öffnungszeiten der Apotheken verlängern,
  • die OTC-Preise senken.

Die ersten beiden Ziele wurden erreicht – so stieg die Anzahl der Apotheken etwa auf das Doppelte – , das dritte Ziel wurde jedoch eindeutig verfehlt. Scheinbar wurde die Arzneiversorgung kundenfreundlicher, wenn auch nicht preiswerter. Allerdings hat nach Einschätzung von Thune die pharmazeutische Betreuung der Patienten unter dem Kettenwesen sehr stark gelitten. Denn was bei den Inhabern der Ketten allein zählt, ist der Profit; diesem Ziel kann eine gute pharmazeutische Beratung der Kunden eher hinderlich als dienlich sein.

… und die Schweiz

Über die Besonderheiten des Apothekenwesens in der Schweiz berichtete Prof. François Ledermann, Bern. Grundzüge der Schweizer Geschichte in den letzten 200 Jahren waren Liberalismus und Föderalismus. In den meisten Kantonen haben die Ärzte das Dispensierrecht – in der Schweiz "Selbstdispensation" genannt; Drogerien dürfen viele nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel abgeben (Liste D) und kämpfen darum, auch die verbliebenen apothekenpflichtigen Arzneimittel abgeben zu dürfen (Liste C). Der Arzneimittelversandhandel hat einen Marktanteil von 11%, und seit 1974 gibt es auch Apothekenketten. Allerdings haben sie die Apothekenlandschaft nicht auf einen Schlag verändert wie in Norwegen, sondern wachsen in einem eher gemütlichen Tempo. Die größte Kette, Galenica, betreibt 295 Apotheken, dagegen sind derzeit noch 1244 Apotheken, etwa 70%, unabhängig. Ledermann sieht deren Zukunft allerdings eher negativ, denn junge Apotheker bekommen keine günstigen Kredite, um eine Apotheke zu kaufen, weil die Banken deren Ertragslage meist niedrig einschätzen.

Spenden für Hochwasseropfer


Die gesamten Einnahmen des Thüringer Apothekertages und des Rahmenprogramms führten die Veranstalter einem Fonds zur Unterstützung der von Hochwasserschäden betroffenen Apotheker zu. Mehrere Großhandlungen und die apo-Bank sowie Einzelpersonen stifteten ebenfalls für diesen Zweck, sodass ein fünfstelliger Betrag zustande kam.

Eintausendfünfhundert Euro Kammerpräsident Ronald Schreiber (links) und Verbandsvorsitzender Stefan Fink (rechts) freuten sich über viele kleine und einige sehr große Spenden für die Opfer der Hochwasserkatastrophe. Hier übergibt Bernhard Koelmer von der apo-Bank in Erfurt einen Scheck.
Fotos: LAK Thüringen

Die Zukunft aus Sicht des Historikers

Pharmaziehistoriker sind keine Wahrsager, aber die Geschichte kann Leitbilder für sinnvolles Handeln geben – mit dieser Überzeugung skizzierte Prof. Dr. Christoph Friedrich, Marburg, die Entwicklung und vor allem die vielen Wandlungen des Apothekerberufs in Deutschland. Trotz der ökonomischen Trennung von Arzt und Apotheker im Mittelalter besaßen beide Heilberufe pharmazeutische und therapeutische Kenntnisse, doch war der Apotheker im Grunde ein Handwerker. Seit dem späten 18. Jahrhundert organisierten fortschrittliche Apotheker die wissenschaftliche Ausbildung ihres Nachwuchses, bevor dieser – auch ohne Abitur – bestimmte Lehrveranstaltungen an den Universitäten besuchen durfte. Manches Apothekenlabor war eine Forschungsstätte, und mancher Apotheker wurde Professor in Botanik, Chemie oder Physik zu einer Zeit, als es noch keine pharmazeutischen Institute gab.

Friedrich hob die heute immer noch breite naturwissenschaftliche Bildung der Apotheker hervor und sah in deren Intensivierung ein Rezept für die Zukunft: Die Apotheker sollten ihre durch Mediziner und andere Naturwissenschaftler gefährdete Position in der Industrie stärken und verloren gegangene Gebiete wie die Toxikologie oder die medizinische Chemie "zurückerobern". Es sollten mehr Apotheker promovieren, um z. B. auch als Leiter einer Offizinapotheke ihre Kompetenz zu demonstrieren. Und nicht zuletzt wünschte Friedrich eine Pflichtweiterbildung für Apotheker.

Die Apotheke der Zukunft braucht vor allem junge Apotheker. –

Damit in Thüringens Apotheken kein gravierender Personalmangel eintritt, sollte die Universität Jena ihre Pharmazie-Studienplätze vermehren.

Diskussion mit Friedemann Schmidt

An einer Podiumsdiskussion zum Thema "Der Apotheker – auch in Zukunft frei und unabhängig?" nahmen neben den drei Referenten Thune, Ledermann und Friedrich der ABDA-Präsident Friedemann Schmidt und Rainer Striebel von der AOK Plus teil. Die Moderatorin Dr. Anette Schenk, Eschborn, fragte einleitend, wie sich unabhängiges Unternehmertum und Gemeinwohlpflichten in der öffentlichen Apotheke vereinbaren lassen. Aus Sicht von Schmidt: sehr gut. Der Widerspruch von Ethik und Monetik sei konstruiert. Für die öffentliche Apotheke sei es wichtig, die an sie gestellten Erwartungen zu erfüllen, dann werde ihre Leistung auch anerkannt und honoriert.


Was wird aus der inhabergeführten Apotheke werden? In der Vergangenheit ist manches nicht zufriedenstellend gelaufen, aber derzeit sind die Chancen für die öffentliche Apotheke nicht schlecht. Es diskutierten (von links) Bjarne Thune, Norwegen, Prof. Christoph Friedrich, Marburg, ABDA-Präsident Friedemann Schmidt, Dr. Anette Schenk, Prof. François Ledermann, Schweiz, und Rainer Striebel, AOK Plus in Dresden.

Striebel pflichtete dem bei. Die Kassen erwarten z. B., dass die Apotheken mehr beraten, um die Therapie der Versicherten zu optimieren. Die Kassen seien keine Verfechter von reinen Marktprinzipien im Apothekenwesen, sondern wünschen einen ordnungspolitischen Rahmen. Man solle die Selbstverwaltungen stärken, damit die Vertragspartner untereinander "angemessene Honorare" aushandeln, anstatt sich an Schiedsgerichte zu wenden.

Reglementierung statt Liberalisierung

Die starke Reglementierung der Berufstätigkeit durch die Apothekenbetriebsordnung sah Schmidt positiv, denn sie stabilisiert das System und setzt erstrebenswerte Ziele wie z. B. die barrierefreie Apotheke. Was im Einzelfall eine kaum zu bewältigende Herausforderung ist, ist andererseits auch eine riesige Chance. Die wichtigste Klientel der Apotheke werden die Senioren sein; darauf muss man sich jetzt schon vorbereiten.

Damit die inhabergeführte Apotheke eine Zukunft hat, ist aber auch eine gewisse Apothekendichte erforderlich, wie auch die Ereignisse in Norwegen lehren. In einem Mangel an jungen Apothekern sieht Schmidt deshalb die größte Gefahr für einen Strukturwandel, den zurzeit eigentlich niemand will. Denn das Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2009 habe bei den Politikern einen Lernprozess ausgelöst und zur Erkenntnis geführt: "Liberalisierung funktioniert nicht."


cae


Zum Weiterlesen


Andreas Ziegler: Zehn Jahre Apothekenketten – ein langer Abschied von der eigenen Apotheke

(Dieser Bericht beruht auf einem Interview mit Apotheker Bjarne Thune in Bergen)

DAZ 2011, Nr. 8, S. 74

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