Prävention

Vitamin D und Atemwegsinfektionen

Ein guter Vitamin-D-Status senkt das Erkältungsrisiko

Uwe Gröber | Seit der Entdeckung seiner antirachitischen Wirkung in den 1920er Jahren hat man Vitamin D lange Zeit nur im Hinblick auf seine Funktion im Calcium- und Knochenstoffwechsel betrachtet. Eine Vielzahl von Forschungsergebnissen der vergangenen Jahre hat allerdings gezeigt, dass Vitamin D nicht nur an der Regulation des Calcium- und Phosphathaushaltes beteiligt ist, sondern vielfältige extraskelettale Wirkungen aufweist. Darunter sind von besonderer Bedeutung der Einfluss auf das Immunsystem sowie auf die Zelldifferenzierung und das Zellwachstum.

Colecalciferol und Calcitriol

Vitamin D3 (Colecalciferol) ist im engeren Sinne kein Vitamin, sondern ein konditionell essenzieller Nährstoff. Die biologisch aktive Form ist das 1,25(OH)2-Vitamin D3 – kurz 1,25(OH)2D3 oder Calcitriol; es ist ein Steroidhormon, das seine biochemischen und physiologischen Effekte in Verbindung mit dem nukleären Vitamin-D-Rezeptor (VDR) als Transkriptionsfaktor ausübt. Der Calcitriol-VDR-Komplex bindet – analog zu den Schilddrüsenhormonen – zusammen mit Retinoid-X- Rezeptoren (RXR) an bestimmte Genabschnitte, die sogenannten Vitamin-D-Response-Elemente (VDRE). Auf diese Weise induziert oder reprimiert er bei schätzungsweise mehr als 2000 der 20.488 Gene des Menschen die Synthese unterschiedlicher Proteine. Dies erklärt die ausgeprägte pleiotrope Wirkung von Calcitriol [1].

Immunmodulierende Wirkungen

Neben den endokrinen Effekten übt Calcitriol auch auto- und parakrine Wirkungen aus. Zahlreiche Körperzellen, darunter auch immunkompetente Zellen wie dendritische Zellen, Makrophagen, B- und T-Lymphozyten, verfügen über VDR und die enzymatische Ausstattung zur Synthese von Calcitriol aus seinem Präkursor 25(OH)D3 (Calcidiol). Calcitriol ist ein potenter Modulator der erworbenen Immunität und der Immunbalance zwischen Th1- und Th2-Zellen. Lokal oder systemisch gebildetes Calcitriol inhibiert u. a. die Reifung der dendritischen Zellen, reduziert die Th1-vermittelte Sekretion proinflammatorischer Zytokine wie TNFα, steigert die Differenzierung von Monozyten zu Makrophagen und deren Phagozytoserate sowie die Aktivität lysosomaler Enzyme in Makrophagen [2].

Bereits 1924 beschrieb Thomas Mann die heilsame Wirkung des Sonnenlichts bei Tuberkulose in seinem Roman "Der Zauberberg". Inspiriert wurde er zu diesem Werk, als seine Frau Katia 1912 in einem Davoser Lungensanatorium weilte. Kuraufenthalte in Sanatorien der Hochalpen zählten damals zur Standardtherapie wohlhabender Tuberkulose-Patienten, sowohl wegen der reinen Luft (Allergenkarenz) als auch wegen der intensiven Sonnenstrahlung (Heliotherapie): Die UV-B-Strahlung (280 – 315 nm) regt im Körper die Produktion von Calcidiol an, der Vorstufe von Calcitriol.

Die Umwandlung von Calcidiol in Calcitriol wird durch das Enzym CYP27B1 oder 1α-Hydroxylase katalysiert. Bei Tuberkulose-Patienten stimulieren Lipopolysaccharide des Tuberkelbazillus (Mycobacterium tuberculosis, Mtb) diesen Prozess; sie binden an den Toll-ähnlichen Rezeptor 2 (TLR 2) von Makrophagen und steigern dadurch die Synthese von Vitamin-D-Rezeptoren (VDR) und CYP27B. Calcitriol-VDR-Komplex dringt in den Zellkern ein und induziert dort als Transkriptionsfaktor die Synthese von Cathelicidin LL-37 (Abb. 1). Dieses antimikrobiell wirksame Peptid lagert sich mit seiner kationischen Domäne an die anionischen Komponenten von Bakterienmembranen an und penetriert sie. Durch die Poren strömen Ionen ein, die das Membranpotenzial des Bakteriums zusammenbrechen lassen und seinen Tod herbeiführen.

Abb. 1: Vernichtung von Tuberkelbazillen in Makrophagen durch Cathelicidin LL 37, für dessen Synthese 1,25(OH)2 D3 (Calcitriol) und VDR entscheidend sind. – TLR = Toll-ähnlicher Rezeptor; VDR = Vitamin-D-Rezeptor; RXR = Retinoid-X-Rezeptoren; Mtb = Mycobacterium tuberculosis.

Lungentuberkulose

Nach einer aktuellen Metaanalyse ist ein defizitärer Vitamin-D-Status (gemessen als Calcidiolspiegel im Serum) mit einem signifikant erhöhten Risiko assoziiert, an Lungentuberkulose zu erkranken. Personen mit adäquater Vitamin-D-Versorgung hatten dabei im Vergleich zu denjenigen mit einem Vitamin-D-Mangel ein um 32% reduziertes TBC-Risiko (RR: 0,68; 95%-Konfidenzintervall (95%-KI): 0,43– 0,93). Je besser der Vitamin-D-Status, desto geringer scheint auch das Risiko zu sein, dass es nach einer Mtb-Infektion zum Ausbruch der Erkrankung kommt [3, 4].

Nehmen TBC-Patienten zusätzlich zu Antituberkulotika Vitamin D3 in hoher Dosierung ein, kann das die Heilung beschleunigen. Allerdings spielt hier der Polymorphismus des Vitamin-D-Rezeptors eine Rolle. In-vitro-Untersuchungen haben gezeigt, dass nur das t-Allel des TaqI-VDR die Calcitriol-induzierte Mtb-Phagozytose steigert.

In einer multizentrischen, doppelblinden, randomisierten Studie erhielten 146 Patienten mit offener Lungentuberkulose zusätzlich zur Standardtherapie mit Antituberkulotika (Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid, Ethambutol) viermal (an Tag 7, 14, 28 und 42) entweder 2,5 mg Colecalciferol (= 100.000 I.E. Vitamin D3) oder Placebo. Primärer Endpunkt war die Zeit vom Beginn der tuberkulostatischen Therapie bis zur Sputumkonversion (d. h. dass im Sputum kein lebensfähiges Mtb mehr nachweisbar ist). Zusätzlich wurden die Patienten hinsichtlich der TaqI-VDR-Varianten (tt, Tt, TT) genotypisiert. In die primäre Wirksamkeitsanalyse waren 126 Patienten eingebunden (62 in der Verumgruppe, 64 in der Placebogruppe). Bei den Patienten der Verumgruppe erfolgte die Sputumkonversion im Schnitt schon nach fünf Wochen (36,0 Tage), in der Placebo-Gruppe erst eine Woche später (43,5 Tage). Dieser Unterschied war allerdings nicht signifikant (p = 0,41) [5].

Die Subgruppenanalyse zeigte, dass nur die Patienten mit dem tt-Genotyp des VDR von der Supplementierung von Vitamin D profitierten (Hazard Ratio: 8,09; 95%-KI: 1,36 – 48,01; p = 0,02). Dieser Genotyp liegt bei weniger als 10% der Bevölkerung vor. Welche Rolle er tatsächlich für den Erfolg einer Vitamin-D-Substitution spielt, muss nach Meinung der Autoren weiter untersucht werden [5].

Der durchschnittliche Calcidiolspiegel lag nach 56 Tagen in der Verumgruppe bei 101,4 nmol/l (= 40,56 ng/ml) und in der Placebogruppe bei 22,8 nmol/l (= 9,12 ng/ml). 97% der Probanden wiesen zu Studienbeginn einen Vitamin-D-Mangel (< 75 nmol/l = 30 ng/ml) auf [5, 6].

Vitamin-D-Status kontrollieren


Bei allen Patienten mit Lungentuberkulose sollte der Vitamin-D-Status (Referenz: Calcidiol: 40 – 64 ng/ml) labordiagnostisch kontrolliert und ein Mangel durch eine gezielte Supplementierung rasch kompensiert werden. Eine erhöhte Tuberkulose-Inzidenz weisen z. B. HIV-positive Patienten auf. Untersuchungen zeigen, dass sowohl HIV als auch Virustatika (z. B. Saquinavir) den Abbau von Calcidiol und Calcitriol fördern und dadurch einen Vitamin-D-Mangel begünstigen.

Grippaler Infekt und Influenza A

Die Ergebnisse einer Reihe von Studien weisen darauf hin, dass Vitamin D in der Vorbeugung und Therapie von weniger dramatischen Infektionskrankheiten der Atemwege wie grippalen Infekten und Influenza A eine wichtige Rolle spielt. Lange hatten Wissenschaftler gerätselt, warum Grippe- und Erkältungswellen immer in der dunklen Jahreszeit über unser Land schwappen. In der nördlichen Hemisphäre oberhalb des 37. Breitengrades (z. B. Deutschland, große Teile Nordamerikas) reicht von Oktober bis Ende März die Strahlungsintensität der Sonne nicht aus (UV-Index < 3), um den Vitamin-D-Bedarf über die kutane Synthese sicherzustellen. Ein Vitamin-D-Mangel (Calcidiol < 75 nmol/l bzw. 30 ng/ml) dürfte also für die Ausbreitung von Erkältungskrankheiten im Herbst und Winter mitverantwortlich sein.

In einer US-amerikanischen Studie an 18.883 Personen (Alter > 12 Jahre) – repräsentativer Querschnitt der US-Bevölkerung (3rd National Health and Nutrition Examination Survey) – wurde der Zusammenhang zwischen dem Calcidiolspiegel im Serum und der Anfälligkeit für Infekte der oberen Atemwege untersucht. Dabei korrelierte der Vitamin-D-Status invers mit der Infektrate der oberen Atemwege: Gegenüber den Probanden mit einem ausreichenden Status (> 75 nmol/l) hatten die Probanden mit einem mangelhaften Status (25 – 75 nmol/l) eine 1,24-fach erhöhte Infektrate und die Probanden mit einem sehr schlechten Status (< 25 nmol/l) eine 1,36-fach erhöhte Infektrate. Bei Patienten mit Asthma bronchiale oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) war die Infektrate sogar 2,26-fach bzw. 5,67-fach erhöht. Übrigens lag der durchschnittliche Calcidiolspiegel aller Studienteilnehmer bei 29 ng/ml (72,5 nmol/l) [8].

Unterstrichen wird der präventive Effekt von Vitamin D bei Infektionskrankheiten der Atemwege durch zwei doppelblinde placebokontrollierte Studien. Die erste Studie wurde an postmenopausalen Afroamerikanerinnen, die wegen der schwarzen Hautfarbe weniger Vitamin D3 synthetisieren, durchgeführt und dauerte 36 Monate (n = 208). Dabei erhielten die Probandinnen der Verumgruppe während der ersten beiden Jahre 800 I.E. Vitamin D pro Tag und im dritten Jahr 2000 I.E. Vitamin D pro Tag. Unter der Supplementierung traten signifikant weniger jahreszeitlich bedingte grippale Infekte auf. Im Vergleich zu den Probandinnen der Placebogruppe wiesen die Frauen der Verumgruppe in den ersten beiden Jahren ein um 60% reduziertes Erkältungsrisiko auf, und im dritten Jahr kam in dieser Gruppe nur noch ein einziger Erkältungsfall vor (Abb. 2) [7].

Abb. 2: Inzidenz von Atemwegsinfekten (z. B. grippaler Infekt) in Abhängigkeit von der Vitamin-D-Supplementierung und der Jahreszeit während einer dreijährigen Studie mit Afroamerikanerinnen (Placebogruppe: n = 104; Verumgruppe: n = 104; Dosis in den ersten beiden Jahren 800 I.E., im dritten Jahr 2000 I.E.) [7].

Die zweite Studie wurde an 334 japanischen Schulkindern durchgeführt. Die Kinder erhielten während des Interventionszeitraums von Dezember 2008 bis März 2009 täglich ein Placebo oder 1200 I.E. Vitamin D. Das Risiko, an Influenza A zu erkranken, wurde durch die Supplementierung von Vitamin D gegenüber Placebo um 62% verringert (RR: 0,58; 95%-KI: 0,34, 0,99; p = 0,04). Der protektive Effekt war insbesondere bei denjenigen Kindern ausgeprägt, die keine anderen Vitamin-D-haltigen Supplemente einnahmen (RR: 0,36; 95%-KI: 0,17, 0,79; p = 0,006) [9].

Praxis-Tipp


Der Nutzen einer Supplementierung von Vitamin D zur Stärkung der Immunkompetenz und Vorbeugung von Atemwegsinfektionen hängt vom basalen Calcidiol-Status ab. Nach den aktuellen Erkenntnissen sollte der Calcidiol-Spiegel im Serum bei 40 bis 64 ng/ml bzw. 100 bis 160 nmol/l liegen (früher: 30 ng bzw. 75 nmol/l). Diese Referenzwerte gelten sowohl für Erwachsene als auch für Kinder. Calcidiol-Spiegel über 40 ng/ml sind notwendig, um einen sekundären Hyperparathyreoidismus zu vermeiden.


Literatur

[1] Gröber U. Vitamin D3 – ein altes Vitamin im neuen Licht. Med Monatsschr Pharm 2010;33(10):376 – 383.[2] Gröber U. Arzneimittel und Mikronährstoffe, 2. Aufl. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2011.[3] Nnoaham KE, Clarke A. Low serum vitamin D levels and tuberculosis: a systematic review and meta-analysis. Int J Epidemiol 2008;37(1):113 – 119.[4] Gibney KB, et al. Vitamin D deficiency is associated with tu berculosis and latent tuberculosis infection in immigrants from sub-Saharan Africa. Clin Infect Dis 2008;46(3):443– 446.[5] Martineau AR et al. High-dose vitamin D3 during intensive-phase antimicrobial treatment of pulmonary tuberculosis: a double-blind randomised controlled trial. Lancet 2011;377(9761):242 – 250.[6] Gröber U, Holick MF, Kisters K. Vitamin D3 und Arzneimittel. Med Monatsschr Pharm 2011;34(10):377– 387. [7] Aloia JF, Li-Ng M. Epidemic influenza and vitamin D. Epidemiol Infect 2007;135:1095 – 1096. [8] Ginde AA, et al. Association be tween serum 25-hydroxy vitamin D level and upper respiratory tract infection in the Third National Health and Nutrition Examination Survey. Arch Intern Med 2009;169:384 – 390. [9] Urashima M, et al. Randomized trial of vitamin D supplementation to prevent seasonal influenza A in schoolchildren. Am J Clin Nutr 2010;91(5):1255 – 1260.


Autor
Uwe Gröber, Akademie & Zentrum für Mikronährstoffmedizin, Zweigertstraße 55, 45130 Essen, www.mikronaehrstoff.de



DAZ 2012, Nr. 2, S. 50

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