DAZ aktuell

Kassen und DAV streiten weiter

BERLIN (ks). Letzte Woche hatte sich Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Ersatzkassenverbandes vdek, weit aus dem Fenster gelehnt: Er hielt Apothekern vor, die Profiteure der Mehrkostenregelung zu sein. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte daraufhin interveniert und klargestellt, dass Apotheken keinen Gewinn aus der neuen Regelung ziehen. Den Deutschen Apothekerverband (DAV) und den GKV-Spitzenverband forderte das BMG auf, ihren Rahmenvertrag anzupassen. Dennoch schlug Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvize der AOK Baden-Württemberg, diese Woche erneut in dieselbe Kerbe wie Ballast.
Fritz Becker, DAV-Vorsitzender, ist verärgert über Hermanns Vorwurf, signalisiert aber dennoch Gesprächsbereitschaft. DAV und GKV-Spitzenverband müssten nun eine patientenfreundliche Lösung finden. Foto: ABDA/LAV BW

Die gesetzlichen Krankenkassen haben von Anfang an nicht viel von der Mehrkostenregelung gehalten. Die vom Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) geforderte Regelung zur pauschalierten Berücksichtigung von Mehrkosten in den Satzungen der Kassen wurde daher auch nicht umgehend in Angriff genommen. Vorerst raten die Kassen ihren Versicherten schlicht davon ab, die neue Möglichkeit der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen. Ebenso wenig haben GKV-Spitzenverband und DAV bislang ein genaueres Verfahren geregelt, insbesondere wie die gesetzlichen Abschläge an die Krankenkassen erstattet werden sollen. Seitens der Apothekerverbände gibt es zwar Empfehlungen, wie vorzugehen ist, wenn ein Patient ein anderes Arzneimittel als das verordnete bzw. rabattierte haben möchte und dafür auch in Vorkasse treten will – dabei ist vorgesehen, dass der Vorkasse-willige Patient zunächst den vollen Apothekenabgabepreis zahlt. Doch die Vorstellungen bei den Kassen sind anders.

BMG: Gesetzliche Vorgaben eindeutig

Nun hat sich das BMG in die Diskussion eingeschaltet und DAV und GKV-Spitzenverband aufgefordert, die nötigen Anpassungen im Rahmenvertrag vorzunehmen. Auch die Kassen sollen mit ihren Satzungsänderungen in Gang kommen. Aus Sicht des BMG gibt es keinen Grund zu streiten. Die Vorgaben des AMNOG – insbesondere in seiner Begründung – seien eindeutig, erklärte ein Ministeriumssprecher gegenüber der DAZ. Weder die Apotheken noch die Hersteller würden begünstigt, wenn es um das Wahlrecht des Versicherten bei Medikamenten gehe. Fest stehe, dass den Kassen sowohl der Hersteller- also auch der Apothekenrabatt zustehe – egal ob sich ein Versicherter für die Kostenerstattung entscheide oder nicht.

Infolge der hitzigen Diskussion hat das Ministerium letzte Woche auf seiner Webseite (www.bmg.bund.de ) einen Überblick über die "Regelungen zu Zuzahlungen und Erstattungen" veröffentlicht. Unter dem Punkt "Neue Wahlfreiheit: Vertragsmedikament oder Wunschmedikament" führt es aus, was bei der Mehrkostenregelung konkret zu beachten ist:

  • Der Versicherte zahlt in der Apotheke den Apothekenverkaufspreis (Listenpreis) des gewählten Arzneimittels in bar.
  • Der Versicherte reicht das Rezept (Kopie) bei der Krankenkasse zur Kostenerstattung ein.
  • Egal, wie hoch der Listenpreis des gewählten Arzneimittels ist: erstattet wird der Listenpreis des rabattbegünstigten Arzneimittels, maximal bis zum geltenden Festbetrag.
  • Abgezogen von diesem Betrag werden Zuzahlungen auf den Listenpreis des rabattbegünstigten Arzneimittels. Ist das rabattbegünstigte Arzneimittel zuzahlungsfrei, entfällt dieser Abzugsbetrag.
  • Abgezogen wird außerdem eine Pauschale für entgangene Vertragsrabatte und Verwaltungskosten.
  • Die Krankenkasse regelt diese Pauschale und alle Einzelheiten für die Kostenerstattung in ihrer Satzung und erstattet auf dieser Grundlage. Die Satzung muss von der Aufsichtsbehörde genehmigt werden.
  • Die Versicherten müssen von den Krankenkassen über die Abzugsbeträge informiert werden.

Weiter heißt es auf der Webseite, dass viele Krankenkassen diese Regelungen erst jetzt in ihrer Satzung umsetzen. Sie seien aber bereits jetzt verpflichtet, die Kosten zu erstatten und ihren Versicherten Auskunft über die Höhe der Erstattung zu geben.

Beim GKV-Spitzenverband sieht man den Punkt zum Abzug der Rabatte ebenso: Sowohl der Hersteller- als auch der Apothekenrabatt von 2,05 Euro müsse bei der Abgabe in der Apotheke direkt herausgerechnet werden. Dies sei auch "technisch machbar" betonte Verbandssprecher Florian Lanz gegenüber der DAZ. "Das ist die richtige und saubere Lösung." Noch im Januar wollen sich Vertreter des GKV-Spitzenverbandes und des DAV treffen, um einer gemeinsamen Lösung näher zu kommen.

Hermann: Überflüssige Regelung

Dennoch legte die AOK Baden-Württemberg am 10. Januar nochmals nach. Vorstandsvize Hermann hielt dem Deutschen Apothekerverband (DAV) vor, Patienten, die in der Apotheke ein Vorkasse-Arzneimittel wählen, unrechtmäßig mit Mehrkosten zu belasten: "Die Apotheken berechnen den Patienten derzeit den vollen Preis für das Vorkasse-Arzneimittel, obwohl der Gesetzgeber dies so in der Gesetzesbegründung ausdrücklich ausgeschlossen hat." Dies bringe der Apotheke einen "aufwandslosen Mehrgewinn" für jedes Wunscharzneimittel von mindestens 2,05 Euro, der Hersteller profitiere im Weiteren durch prozentuale Einsparungen am Herstellerabschlag. Es werde hierbei sehr deutlich, wer allein ein Interesse an einer möglichst häufigen Inanspruchnahme der Wunscharzneimittelregelung hat, heißt es in der Pressemitteilung der AOK Baden-Württemberg. Solange diese Rabatte in der Apotheke bleiben, entstehen laut Hermann unnötige Mehrkosten. "Sofern an der überflüssigen Regelung insgesamt überhaupt festgehalten werden soll, ist zumindest eine Vorteilnahme von Herstellern und Apotheken zulasten der Versicherten auszuschließen. Die elektronische Abrechnung muss auch bei Vorkasse-Arzneimitteln vorgegeben werden. Die Berücksichtigung pauschaler Komponenten, etwa für Rabattverträge, kann in der Apotheke ebenfalls problemlos softwareunterstützt erfolgen." Die AOK forderte GKV-Spitzenverband und DAV auf, die Abrechnung von Vorkasse-Arzneimitteln nun schnellstmöglich rechtskonform zu regeln.

DAV: Kassen müssen Informationspflicht nachkommen

Die verärgerte Reaktion des DAV ließ nicht lange auf sich warten: Falschaussagen würden auch durch Wiederholungen nicht richtig. Der DAV-Vorsitzende Fritz Becker: "Die AOK Baden-Württemberg ist anscheinend erst jetzt aus dem Winterschlaf erwacht. Wenn Herr Hermann die neue Regelung als im Grundsatz sinnlos bezeichnet, mag das sein gutes Recht sein. Aber er kann und darf dies nicht auf dem Rücken von uns Apothekern und den Patienten austragen. Wenn er zudem mit unwahren Behauptungen hantiert, zeugt das von der Schwäche seiner Argumente." Statt Patienten weiter zu verunsichern, hätte Hermann seiner Informationspflicht nachkommen müssen. Der DAV forderte alle Krankenkassen auf, endlich die Rabattverträge offenzulegen und damit "die Tür für Fairness, Transparenz und eine zuverlässige und kostengünstige Versorgung der Menschen zu öffnen". Alles andere sei Augenwischerei.

Beim DAV setzt man nach eigener Aussage auf eine patientenfreundliche Lösung, die nun im Einvernehmen mit dem GKV-Spitzenverband gefunden werden müsse. Becker: "Es ist höchste Zeit, dass die Kassen ihr Handeln an den Interessen der Menschen ausrichten. Wir stehen für Gespräche jederzeit zur Verfügung."



DAZ 2011, Nr. 2, S. 24

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