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Tier des Jahres 2003: Der Wolf ist da

Die Schutzgemeinschaft Deutsches Wild in Bonn hat den Wolf zum Tier des Jahres 2003 gewählt. Sie setzt sich mit Canis lupus exemplarisch für Tierarten ein, die auf natürlichem Wege nach Deutschland zurückkehren. Seit 1998 scheint sich der Wolf wieder dauerhaft in Deutschland anzusiedeln. Der Wolf als uralter Begleiter des Menschen offenbart jenseits des üblichen Bildes eines blutgierigen Räubers immer noch Überraschendes.

Das erste Wolfsrudel

Über 3000 Wölfe auf dem Gebiet der Europäischen Union stehen unter gesetzlichem Schutz. Seit Herbst 2000 gehört ein Rudel in der Muskauer Heide bei Weißwasser in der Oberlausitz dazu. Ihr Revier ist mindestens 250 Quadratkilometer groß. Kernstück ist ein 14 500 Hektar großer Truppenübungsplatz mit ca. 10 000 Hektar Wald. Der Gefechtslärm mit Schießbetrieb an fünf Tagen in der Woche stört die scheuen Jäger nicht. So werden sie auf dem Schießplatz gleichsam mitbewacht und vor zudringlichen Menschen geschützt.

1998 sah man in der Muskauer Heide zum ersten Mal ein Wolfspaar. Im Sommer 2000 gebar die Wölfin vier kleine Graufelle. Zu den sechs Tieren kamen ein Jahr später zwei weitere Welpen. Es ist das erste Wolfsrudel, das seit 150 Jahren in Deutschland in freier Wildbahn lebt. Selbst im viel größeren deutschen Kaiserreich gab es um 1900 Wölfe nur als Grenzgänger aus dem benachbarten Russland.

Unerbittlich verfolgt

Der Wolf, der ursprünglich die gesamte Nordhalbkugel der Erde bis hinunter nach Indien durchstreifte, war als Raubtier des Weideviehs unerbittlich verfolgt und nicht nur in Deutschland ausgerottet worden. Bis etwa 1950 gab es in Deutschland noch Abschussprämien. Erst 1989 wurde ein komplettes Jagdverbot ausgesprochen. In den fünf Jahrzehnten zuvor waren in der alten Bundesrepublik gerade einmal 20 Wölfe gesichtet worden. In Nordrhein-Westfalen z. B. wurde der einzige Wolf 1963 in der Eifel erlegt. Nun erobert er die Gebiete, die er einst besiedelte, zurück, weil ihm der Mensch als einziger Feind die Gelegenheit dazu gibt.

Optimale Lebensbedingungen

Die Wälder beiderseits der Oder bieten dem Wolf optimale Lebensbedingungen. Nicht von ungefähr wurde das grenzüberschreitende Lebuser Land (benannt nach der brandenburgischen Stadt Lebus) zur Landschaft des Jahres 2003/04 bestimmt. Viele im europäischen Raum nicht mehr vorhandene bzw. vom Aussterben bedrohte Pflanzen- und Tierarten gedeihen hier prächtig. Die Täler und Niederungen der Warthe, Netze und Oder sind bedeutende Feucht- und Vogelschutzgebiete.

Bruchwälder und Dickicht bieten den Wölfen vorzügliche Deckung und Nahrung. Von der Neumark kommend, könnten die Wölfe also die Oder durchschwommen haben und weiter nach Süden gewandert sein, um sich im Schutze der Panzer in aller Ruhe an Rebhühnern und Rothirschen zu erfreuen. Möglicherweise haben sie aber auch die weite Reise aus den Karpaten über die Sudeten hinter sich.

Der Wolf wird zum Kulturfolger

Seit 1982 ist der Wolf in vielen europäischen Ländern ganzjährig geschützt. Auch in Polen gilt seit 1998 ein Jagdverbot für die etwa 500 Wölfe in 115 Rudeln. Vor allem Jungtiere ziehen seitdem auf der Suche nach neuen Revieren wieder in den feuchten Urstromtälern auf uralten Pfaden gen Westen, die schon ihre Ahnen entlangschlichen. Die Muskauer Heide liegt an einem solchen Weg der Wölfe. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die ersten weiterziehen. Schon jetzt jagt das Rudel in angrenzenden renaturierten Braunkohletagebauflächen.

Auch in anderen Ländern folgt der Wolf dem Menschen. In den Abruzzen schleicht Meister Isegrim des Nachts in die Hinterhöfe und Müllhalden auf der Suche nach Pasta und Pizza. Das Leben dieser Spaghettiwölfe wird seit 1973 beobachtet. Ohne Schlachtabfälle und Nahrungsreste ginge es ihnen wohl nicht so gut. Denn erst seit den letzten Jahrzehnten gibt es genug Rehe und Hirsche in der weitläufigen Bergwelt der Abruzzen.

Sogar in der Nähe der Stadtgrenze von Rom werden gelegentlich Einzelgänger gesichtet. Von den 1000 italienischen Wölfen ziehen schon geraume Zeit einige gen Norden. Sie leben heute in den Kantonen Wallis, Tessin und Graubünden. In Spanien und Portugal werden mehr als 2000 Wölfe gezählt. In den Getreidesteppen Nordspaniens ziehen die Rudel ihre Welpen sogar in den Feldern der Bauern auf.

Im riesigen Russland gibt es Wölfe ohne Zahl. Auch auf dem Balkan und im südöstlichen Europa wurden sie nie ganz ausgerottet. Sie leben dort teilweise in unmittelbarer Umgebung von Dörfern und Städten.

Berühmt sind die Stadtwölfe von Brasov (Kronstadt) in Rumänien. Es wurde eine Wölfin beobachtet, die ihren Nachwuchs direkt am Stadtrand aufzog. Im Stadtpark jagte das Weibchen nachts Katzen und Hunde, morgens lief es seelenruhig durch den Berufsverkehr zurück in seine Höhle.

Der Fenrir oder die zwei Seelen des Wolfs

Wodan nahm den Fenrir als Welpen zu sich. Kriegsgott Tyr war aber sein einziger Freund und fütterte ihn. Fenrir tat niemandem etwas zu Leide. Die ängstlichen Asen beschlossen dennoch, ihn zu bändigen. Sie gaukelten ihm vor, nur seine Stärke messen zu wollen, und legten ihn in Ketten. Doch selbst die stärksten Eisenringe zerriss er mühelos. Erst die Zwerge wussten Rat. Sie webten aus dem Miau einer Katze, dem Speichel eines Vogels, den Sehnen eines Bären und den Wurzeln eines Berges das unzerreißbare Band Gleipnir. Das verankerten die Götter im Urgestein einer Insel. Mit dem anderen Ende trieben sie das böse Spiel weiter. Der gutmütige Fenrir misstraute ihnen aber nun. Erst als Tyr den rechten Arm als Unterpfand in seinen Rachen legte, ließ er sich vermeintlich spaßeshalber fesseln. Als er Gleipnir nicht zerreisen konnte, bis er Tyr vor Wut den Arm ab.

Dieses ambivalente Bild des Wolfes hält sich bis heute. Die Sage von Romulus und Remus ist berühmtes Beispiel für die sorgende Selbstlosigkeit des Wolfes. Jesus dagegen setzt ihn mit dem Teufel gleich. Er warnt vor den falschen Propheten in Schafskleidern, die in Wahrheit reißende Wölfe seien.

Der Mensch des Mittelalters glaubte, wer durch bösen Zauber schwere Sünde auf sich geladen hatte, würde in einen Wolfsmenschen (Werwolf) verwandelt. Unzählige Männer wurden als Werwölfe verbrannt. Goethe verband das ursprünglich Böse mehr mit dem Fuchs als mit dem naiven Wolf. In seinem ?Reineke Fuchs? ist Isegrim ein bedauernswertes Opfer des arglistigen und voller Tücke steckenden Fuchses.

In der aufgeklärten Jetztzeit bleibt das Verhältnis zum Wolf zwiespältig. Die einen sehen in ihm den Schädling der Schafherden und begreifen ihn als Symbol der Wildnis und Unordnung, so, wie er in den Märchen der Brüder Grimm beschrieben ist. Andere deuten ihn als Widerstand gegen die negativen Folgen des Fortschritts und hoffen auf ihn als Inbegriff der Dynamik und der Selbstbehauptung der Natur. So schützen die Wölfe zum Beispiel die Vegetation, indem sie zu große Populationen von Pflanzenfressern reduzieren und jungen Bäumen auf Waldlichtungen mehr Chancen zum Wachsen lassen.

Opportunismus und Overkill

Wölfe sind im Allgemeinen Opportunisten, die ihre Kräfte genau einteilen und nur in Notfällen große Risiken eingehen. Doch es ist durchaus nicht so, dass der Wolf nur alte und schwache Tiere jagt, wenngleich das wesentlich einfacher für ihn ist. Im Gegenteil, seine Art zu jagen erscheint im Vergleich mit der der Großkatzen brutal. Während ein Löwe sein Zebra sofort an der Kehle packt und totbeißt, muss das Wolfsrudel den Hirsch von allen Seiten anfallen und förmlich zerreißen. Nach bisweilen tagelanger Hetze werden Hirsche, Rehe oder Elche sukzessive verletzt und geschwächt. Liegt die Beute endlich am Boden, reißen die Wölfe die Bauchdecke auf, um als erstes die leckeren Innereien zu fressen.

Befremdend auf das zarte Gemüt des Gegenwartsmenschen wirkt das "Surplus-Killing", das wie im Blutrausch erscheinende Töten einer ganzen Schafherde, ohne dass dies zum Stillen des Hungers notwendig wäre. Die Wölfe sind hier in einer Art Endlosschleife, aus der sie kaum ausbrechen können.

Ihr Jagen wird von den Verhaltensforschern in mehrere Stufen gegliedert. Nach Suchen, Anpirschen, Jagen, Stellen, Töten kommt ganz am Ende das Fressen. Möglicherweise ist die Stufe Töten erst beendet, wenn sie keine Bewegung der Opfer mehr wahrnehmen; deshalb das Niederreißen einer großen Zahl wehrloser Schafe. Erst wenn der Wolf erschöpft genug ist, kann er sich aus dieser Schleife befreien. In der freien Natur kommt dieses übermäßige Töten kaum vor, da die Mitglieder eines Hirschrudels sehr schnell flüchten, wenn das erste Opfer gerissen ist.

Die vermeintliche Blutgier des Wolfes hat sicher in dieser Art der Wahrnehmung ihren Ursprung. Der Mensch, der zum eigenen Überleben auf seine Schafe, sein Schwein oder seine Ziege angewiesen ist, hat für dieses "sinnlose" Verhalten keinerlei Verständnis.

Homo homini lupus

Wölfe gelten als die besten Eltern im Tierreich. Das Rudel gräbt gemeinsam die Höhle für die Aufzucht der Welpen des Alpha-Weibchens. Der Bau liegt meistens auf einer Anhöhe mit gutem Ausblick und in Wassernähe. So braucht sich die Mutter nie weit vom Geheck zu entfernen. Denn die Welpen können anfangs ihren Wärmehaushalt nicht regulieren und bedürfen der Körperwärme der Mutter. Das Rudel versorgt sie mit Nahrung, alle Streitigkeiten der Paarungszeit sind inzwischen vergessen.

Vielleicht hängen die intensiven Versuche, den Wolf zu deuten, mit diesem dem Menschen sehr ähnlichen ausgeprägten Sozialverhalten zusammen. Beide leben dank ihrer Fähigkeit zur Zusammenarbeit in klar strukturierten "Rudeln". Sie sind die erfolgreichsten Raubtiere der Biologie. Wolf wie Mensch entscheiden situativ über die Art der Beute, die wesentlich größer sein kann als sie selbst und die sie planvoll und organisiert jagen. Sie markieren ihr Revier und verteidigen es vehement.

Beide besitzen eine große Zahl von Aggressions- und Unterwürfigkeitsgesten und eine komplexe Laut- und Körpersprache. Wohl deshalb ist die Domestikation zum Haushund so erfolgreich verlaufen. Kein Schimpanse könnte ein so treuer Begleiter des Menschen werden wie der Hund. Der Menschenaffe lebt wesentlich egoistischer und individueller als dieser. Das Zusammengehen von Mensch und Hund erscheint aus dieser Perspektive nahezu zwangsläufig. Der Wolf geht wieder einer besseren Zukunft entgegen.

Kastentext

Der letzte Wolf in Sachsen starb ganz in der Nähe der Muskauer Heide am Olbasee. Fünf Jahre lang führte er die Jäger an der Nase herum, bis er 1904 zur Strecke gebracht wurde. Er ging als Tiger von Sabroth in die Geschichte ein.

Kastentext

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich in der Berner Konvention zum Schutz frei lebender Tiere verpflichtet, dem Wolf eine Wiederansiedlung in geeigneten Gebieten zu ermöglichen.

Kastentext

Die Tierschutz-Hundeverordnung vom 2. Mai 2001 verbietet das Verpaaren von Hunden mit anderen Caniden. Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten, wenn damit gerechnet werden muss, dass bei den Nachkommen erblich bedingte Aggressionssteigerungen auftreten.

Kastentext Der Wolf im Netz

Freunde des Wolfs www.wildnis-wagen.de/

Large Carnivore Initiative for Europe (LCIE) www.large-carnivores-lcie.org/

Internationales Wolfzentrum www.wolf.org/wolves/

Thoddys Wolf-Kinderclub www.wolf-kinderclub.de/

Gesellschaft zum Schutz der Wölfe e.V. www.wolfsgesellschaft.de/

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