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Die Ansicht, das bestehende deutsche Apothekensystem zeichne sich (bestimmt?/ vielleicht?) durch mancherlei, wohl kaum aber durch intensiven Wettbewerb aus, ist weit verbreitet. Hier gebe es erheblichen Nachholbedarf – meinen Kritiker des bestehenden Systems. Insofern sei die Diskussion um Versandhandel, Freigabe der Preisbindung und Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitz nur zu verständlich.

Dem wird – nicht zuletzt von der etablierten Standesführung der Apotheker – entgegengehalten, Wettbewerb sei im Gesundheitsbereich und insbesondere in der Arzneimittelversorgung nur sehr bedingt möglich. Er kollidiere sehr schnell mit den dort natürlich vorrangigen gesundheitspolitischen Zielsetzungen.

In einer bemerkenswerten Analyse über "Das Deutsche Apothekensystem aus ökonomischer Sicht" hat unser Redaktionsmitglied Thomas Müller-Bohn, voll ausgebildeter Diplom-Kaufmann und zugleich Apotheker, ebenso nüchtern wie glasklar herausgearbeitet, dass schon die Prämissen des skizzierten Streites falsch sind (DAZ 18 (2002), S. 48ff). Unter Rückgriff auf die Kategorien und Instrumente der Volks- und Betriebswirtschaft hat er einige gängige Vorurteile gegen den Strich gebürstet.

Sein Ergebnis: Auch und gerade wenn man zum Maßstab die idealtypischen wissenschaftlichen Voraussetzungen für funktionierende, wettbewerblich ausgerichtete Märkte hernimmt, erweist sich die Arzneimittelversorgung in Deutschland als sehr geschickt organisiert. Unser Arzneiversorgungssystem kommt dem "Modell der vollständigen Konkurrenz", dem Leitbild für eine ideale Wettbewerbsordnung, sehr nah.

Es würde sich erheblich davon entfernen, wenn die Politik den Vorschlägen folgen würde, die derzeit die Runde machen. So würden sich z. B. die Markteintritts- und Austrittsbarrieren für Apotheken – ein Kriterium für freien Wettbewerb und das Ausmaß der Konkurrenz – erhöhen, wenn ein Oligopol von Ketten oder großen Versandapotheken den Markt beherrschen könnte.

Man braucht in der Tat nicht allzu viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie unter solchen Bedingungen durch Absprachen und Korruption ein vormals funktionierender Wettbewerb unter nun nicht mehr einigermaßen gleich starken Apotheken sehr leicht zur Karikatur verkommen kann.

Ein anderes Beispiel: die gleichen Apothekenabgabepreise machen nicht nur unter gesundheitspolitischen Gesichtspunkten Sinn; sie schaffen, unter Wettbewerbsgesichtspunkten betrachtet, ein Gegengewicht, das den fast monolithischen Block der gesetzlichen Krankenkassen (mit ihrem, politisch gewollt, im wesentlichen gleichen Leistungsangebot) daran hindert, die konkurrierenden einzelnen Apotheken gegeneinander auszuspielen. Dies entspräche, wie Müller-Bohn deutlich macht, dem klassischen Fall eines Marktversagens aufgrund eines Monopols – ein typischer Fall fürs Kartellamt.

Ein Blick in andere Märkte zeigt, wie unendlich schwer sich die Wettbewerbsaufsicht tut, hier noch gegenzusteuern, wenn das Kind erst einmal im Brunnen liegt.

Müller-Bohn hat mit seiner Analyse – die im Einzelnen nachzulesen ich Ihnen sehr empfehle – neue Horizonte bei der Betrachtung unseres Apothekensystems sichtbar gemacht. Er hat, mit den Worten des Volkswirtschaftlers Prof. Ulrich gesprochen, einen gordischen Knoten durchschlagen.

Auch und gerade überzeugte Marktwirtschaftler, die auf die positive Kraft des Wettbewerbs setzen, sollten noch einmal genau hinsehen, ob sie bei ihrer Einschätzung unseres Apothekensystems bislang nicht Vorurteilen aufgesessen sind. Zeit für einen Paradigmen-Wechsel?

Klaus G. Brauer

Gegen den Strich gebürstet

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