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Unerwünschte Arzneimittelwirkungen analysieren auf europäisch

19.07.2016, 09:00 Uhr - Ein Blog-Beitrag von DAZ.online-Mitglied Roland Holtz


Haben Sie sich schon einmal über den Satz, „Zu Risiken und Nebenwirkungen, lesen Sie die Packungsbeilage oder fragen sie ihren Arzt oder Apotheker“ geärgert? Faktisch bedeutet dieser Satz, das Fragen über Risiken und Nebenwirkungen immer bei den Ärzten und Apothekern, in der Mehrzahl aber bei den Apothekern landen. Patienten sind oft nicht in der Lage oder willens, sich selber damit zu befassen. 

Tatsächlich ist der Umgang mit solchen Fragen sehr zeitaufwendig, setzt eine hohe Qualifikation voraus und wird nicht honoriert. Was viele nicht bedenken ist, dass von der Beantwortung solcher Fragen auch ein hohes Risiko für den ausgehen kann, der sie beantwortet.

Dieser Satz trifft nämlich auf alle Arzneimittel zu, unabhängig davon, ob diese verschreibungspflichtig oder rezeptpflichtig sind. Dass es sich hierbei um Tausende Arzneimittel handelt, das war den Schöpfern dieses Staatsgebildes sicherlich bekannt. Dass ein Mensch alleine - ob Arzt oder Apotheker - nicht über alle Arzneimittel detailliert im Bilde sein kann, sicherlich auch. Nun werden sich die Betreffenden gedacht haben, dass diese Fragen auch über die Fachinformationen oder Datenbanken zur Meldung von Nebenwirkungen geklärt werden können.

Also schnell die Rote Liste aufgeschlagen oder die Fachinformationen in der Roten-Liste online einsehen. Was aber machen Sie, wenn Patienten in die Apotheke kommen und sich über Nebenwirkungen informieren wollen, über die soeben in der Laienpresse berichtet worden ist? Aktuelle Entwicklungen können auf diesem Wege nicht beurteilt werden, weil neu aufgetretene Nebenwirkungen nur mit u. U. deutlicher zeitlicher Verzögerung in der Roten Liste oder in den Fachinformationen auftauchen. Eine Beurteilung solcher aktueller Entwicklungen ist so nicht möglich.

Nun werden Sie auf den Gedanken kommen, in einer zentralen Datenbank nach derartigen Einträgen zu suchen. Nehmen wir einmal an, Apotheker oder Arzt sind überzeugte Europäer und wollen dies in der von der EMA geführten „Europäischen Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen“ analysieren.

Nachdem Sie auf der ersten Seite die Hinweise akzeptiert haben, werden Sie auf eine Seite gelenkt, in der Sie eine der europäischen Sprachen auswählen können. Sodann erhalten Sie die Möglichkeit, entweder eine Nebenwirkung zu melden oder eine solche zu suchen. Entscheiden wir uns für die Suche nach einer Nebenwirkung. Dann wird eine Seite geöffnet, auf der die Unmöglichkeit dieses Systems sofort offen zutage tritt.


Suche „Bei zentral zugelassenen Arzneimitteln wird Zugriff sowohl über den Namen des Arzneimittels als auch über dem Namen des Wirkstoffs gewährt."

 

Zweite Anmerkung: „Bei nicht zentral zugelassenen Arzneimitteln wird Zugriff nur über dem Namen des Wirkstoffs gewährt."

 


Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, bei welcher Regulierungsbehörde in Europa das Arzneimittel, mit dem sie sich gerade befassen, zugelassen wurde? Wohl kaum! Werden wir aber praktisch: Nehmen wir an, Sie wollen sich über das Kontrazeptivum Maxim® in dieser Datenbank orientieren. Maxim® wurde nicht zentral zugelassen. Sie werden sofort wissen, was jetzt kommt. Wie viele andere Kontrazeptiva auch, besteht dieses Arzneimittel aus mehreren Wirkstoffen, nämlich Ethinylestradiol und Dienogest. Der Systematik, in der diese Datenbank geführt wird, folgend, hieße dies, das Risiken und Nebenwirkungen für beide Substanzen nur einzeln, nicht aber in der Kombination der Wirkstoffe, analysiert werden können. Das Fertigarzneimittel zu beurteilen ist so unmöglich. Völlig daneben sagen Sie und haben natürlich recht.

Wer jetzt annimmt, dass dies ein Einzelfall ist, sieht sich schnell getäuscht. Auf der Suche nach anderen Kontrazeptiva wird sie/er sich vor genau derselben Situation wiederfinden. Einzig das von der Firma MSD in Verkehr gebrachte Präparat Zoely® kann in dieser Datenbank unter dem Handelsnamen aufgerufen und bezüglich Risiken und Nebenwirkungen beurteilt werden.

Sie wollen die aktuelle Lage bei den Impfstoffen analysieren? Dieses Thema, interessiert insbesondere junge Mütter oft und auch zurecht, weil sie wegen der Risiken deutlich verunsichert sind oder verunsichert werden. Als Apothekerin oder Apotheker finden Sie sich in genau derselben Situation wieder, wie bei den Kontrazeptiva.

Überbordende Bürokratie in der Europäischen Union, hohe Kosten, mangelnde Transparenz und Effektivität, zeigen sich hier wie an vielen anderen Stellen. Die Systeme, die die Lösung bestimmter Fragestellungen ermöglichen sollen, verhindern sie. Wenn im Rahmen des Zulassungsverfahrens, der Zulassungsantrag, der von einer nationalen Arzneimittelbehörde positiv beschieden worden ist, in der gesamten EU zu einer Zulassung dieses Arzneimittels führt, dann muss auch sichergestellt sein, dass die Daten dieses Arzneimittels auf europäischer Ebene über zentrale Strukturen vollständig eingesehen werden können.

Die Analyse von akut berichteten Nebenwirkungen ist über die von der EMA bereitgestellte Datenbank in der vorliegenden Struktur so nicht möglich. Wesentliche Nebenwirkungsmeldungen können so verloren gehen oder entziehen sich praktisch der Kenntnis der Fachkreise. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass Oberbehörden in Deutschland zunehmend die Nutzer ihrer Internetseiten, bezüglich Risiken und Nebenwirkungen auf eben diese Datenbank verweisen. Welche gravierenden Konsequenzen das haben kann, wurde respektive wird dabei wohl nicht bedacht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion von DAZ.online.


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5 Kommentare

Fragenbanken

von Bernd Jas am 20.07.2016 um 18:24 Uhr

Super Beitrag, Dank dafür!
Habe mich mit ähnlichem Zusammenhang auch schon mal auseinander gesetzt. Gelbe Liste und Vollständigkeit von Abbildungen in der Datenbank. Allein schon für die Erhöhung der Akzeptanz zum Austausch der Rabattarzneimittel wäre dies wichtig.
Ca. 60 Firmen habe ich angeschrieben. Ergebnis: 2 ablehnende Antworten von Grünenthal und Hexal, sonst nichts, kein Interesse!

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Wie groß ist das Interesse der Industrie, dass UAWs transparent dargestellt werden?

von Roland Holtz am 26.07.2016 um 12:37 Uhr

Nicht groß, richtig?

Wir groß ist die Bereitschaft von Ärzten, derartige UAWs zu melden, wenn das Paul Ehrlich Institut berichtet, dass max. 5% der Impfreaktionen von Ärzten tatsächlich gemeldet werden. Dies obwohl der Gesetzgeber alle Ärzte verpflichtet hat, schwerwiegende Impfreaktionen dem Paul Ehrlich Institut zur Kenntnis zu geben.

Danke für Ihre Antworten. So etwas spornt an. Ich plane hier in einer Artikelserie, die verfügbaren Systeme vorzustellen, um Ihnen die Gelegenheit zu geben, alle Systeme miteinander zu vergleichen und dasjenige oder diejenigen auszuwählen, das/die Ihnen für Ihre Arbeit am effizientesten erscheint/erscheinen.

Als nächstes werde ich das System www.vigiaccess.org vorstellen. Das UAW Berichtssystem der WHO. Wenn die Analyse weltweit möglich ist, dann ist die Basis, auch bei geringer Akzeptanz der Meldepflicht, deutlich größer und eine Prognose sicherer.

Ihr Roland Holtz

Zündstoff hoch drei

von Wolfgang Müller am 20.07.2016 um 14:20 Uhr

Die Quintessenz aus Ihren vortrefflichen Ausführungen ist vor Allem:

Wie wird das eigentlich, wenn in streng formalisierten, "Perspektivpapier"-gerechten gegenseitigen Steuerungs- und Kontroll-"Netzwerken" Ärzte und Apotheker Ihre Datenbank-Geschütze gegeneinander auffahren, um die "richtige" VERSCHREIBUNGS-Therapie auszuhandeln?

Und der böse Arzt dann am Ende noch so: "Schluss jetzt! Meine Erfahrung und die sich daraus ergebenden, insbesondere Risiko-Abwägungen und -Kontrollen zur Arzneimittel-Therapie sind wichtiger! OHNE DASS ICH MICH STÄNDIG RECHTFERTIGEN MUSS! Mir geht es um den PATIENTEN, und um seine Lebensqualität, nicht in erster Linie um Leitlinien und Datenbank-Breitenwissen!"

Oder noch schlimmer: Die erfahrenen Mediziner KAPITULIEREN vor den gegen sie ins Feld gefahrenen Datenbanken. Und stellen jedwede rein formal "grenzwertige" Therapie (sind bei "Polypharmazie" und Multimorbidität fast ALLE) zum Nutzen des Patienten ein.

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Datenbanken-Hoheit ist Wissenshoheit!

von Kerstin Kemmritz am 19.07.2016 um 22:24 Uhr

Danke für diesen tollen Beitrag, der mir aus dem Herzen spricht! Seit Jahren bemängele ich die fehlende Fortentwicklung der ABDA-Datenbank, die einst eine innovative Idee war, aber inzwischen ziemlich in die Jahre gekommen ist. Gerade die auch von Ihnen auf europäischer Seite angesprochene Nebenwirkungssuche ist auch dort leider ein Unding, wenn man nicht mühselig alle verordneten Arzneimittel eines Stammkunden einzeln absuchen will. Von Zugang zu klinischen Daten oder gar Evidenzdaten will ich ja gar nicht reden ... Es gibt noch viel zu tun, bis wir die Datenhoheit im pharmazeutischen Bereich auch in der öffentlichen Apotheke wiedererlangen könnten!

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Ich stelle mir einmal vor ich bin ein Pharmaunternehmen

von Roland Holtz am 19.07.2016 um 23:17 Uhr

Dann würde ich dezentral zulassen, um zu vermeiden, das UAW von Fachkreisen analysiert werden können.

Es gibt diverse Datenbanken (DB) Jeweils eine nationale, die europäische und dann noch eine, die ich für wirklich interessant halte dass ist www.vigiaccess.org.

Diese Datenbank wird von dem Uppsala Monitoring Centre geführt (WHO). http://www.who-umc.org/ In Ihr werden die UAW Meldungen aller angeschlossenen Regulierungsbehörden gespeichert. Sich www.vigiaccess.org als Link zu speichern, kann sehr hilfreich sein.

Es können Abgefragt werden
- ADR Reports mit den bekannten Untergruppierungen
- Geographische Verteilung
- Altersgruppen (für mich besonders spannend)
- Verteilung nach Geschlechtern
- Anzahl der UAW Meldungen pro Jahr

Über die reine Analyse hinaus, die aufgrund der größeren Datenbasis zu besseren Ergebnissen führt, können Sie auch direkte Suchanfragen stellen. Die Daten der Analyse werden Ihnen dann per Mail übermittelt. Allerdings ist das kostenpflichtig. (überschaubar)

Das Problem dass Präparate nicht über den Handelsnamen gefunden werden können, ist dort nicht bekannt. Ja da ist noch viel im Argen und ich denke hier sind die Apotheker an aller erster Stelle gefragt, weil in Realitas, die meisten Probleme in den Apotheken landen.

Aber wie sagen es die Bierbrauer so schön: Steter Hopfen höhlt die Leber.

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