Flüchtlinge und Beipackzettel

Wie die AfD den Namen der Bundesapothekerkammer missbraucht

Berlin - 22.05.2018, 17:30 Uhr

Die AfD-Politikerin Brigitte Malsack-Winkemann behauptete im Bundestag, dass dem Gesundheitssystem Milliardenkosten entstehen, weil Flüchtlinge ihre Beipackzettel nicht lesen können. DAZ.online-Recherchen zeigen: Eine dreist konstruierte Behauptung mit null Wahrheitsgehalt. (Foto: dpa)

Die AfD-Politikerin Brigitte Malsack-Winkemann behauptete im Bundestag, dass dem Gesundheitssystem Milliardenkosten entstehen, weil Flüchtlinge ihre Beipackzettel nicht lesen können. DAZ.online-Recherchen zeigen: Eine dreist konstruierte Behauptung mit null Wahrheitsgehalt. (Foto: dpa)


Am vergangenen Freitag wurde im Bundestag der Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums diskutiert. Die AfD-Abgeordnete Birgit Malsack-Winkemann behauptete in ihrer Rede, dass dem Gesundheitssystem Milliardenkosten entstünden, weil Flüchtlinge ihre Beipackzettel nicht lesen könnten. Sie bezog sich dabei auf die Bundesapothekerkammer. Ein Faktencheck von DAZ.online zeigt: Die Behauptung ist dreist konstruiert.

Als es am vergangenen Freitag in der sogenannten Haushaltsdebatte im Bundestag um den Einzelplan des Bundesgesundheitsministeriums ging, zeigte sich – wie schon in den Besprechungen der anderen Einzelpläne zuvor – wie sich die Diskussionskultur im Parlament geändert hat: Die AfD nutzt nahezu jeden Redebeitrag zu jedem Thema, um die Zuwanderungspolitik in den Vordergrund zu stellen. Abgeordnete anderer Parteien unterbrechen AfD-Politiker mit lauten Zwischenrufen, Zwischenfragen von AfD-Abgeordneten zu ihren Redebeiträgen lassen sie grundsätzlich nicht zu.

Den Einzelplan Gesundheit kommentierte unter anderem Birgit Malsack-Winkemann, die AfD-Obfrau im Haushaltsausschuss des Bundestages. Malsack-Winkemann ist promovierte Juristin und arbeitete nach 1993 als Richterin im Land Berlin. Fast unbemerkt versteckte sie in ihrer Rede eine Behauptung, die insbesondere für die Apotheker von Interesse sein dürfte. Um diesen Auszug aus ihrer Rede geht es:


„Fraglich ist auch, welche Schäden dem Gesundheitssystem entstehen, weil ein großer Teil der Flüchtlinge Analphabeten sind. Nach einer im Rahmen einer Konferenz der Bundesapothekerkammer  vorgestellten Studie sind 14,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland Analphabeten; weitere 26 Prozent können nur fehlerhaft lesen und schreiben. Daraus entstehen nach Schätzung dieser Studie jährliche Kosten zwischen 9 und 15 Milliarden Euro, und zwar weil Beipackzettel nicht gelesen werden können oder die Medikation nicht verstanden wird, sodass mehr Notfallbehandlungen und Krankenhausaufenthalte die Folge sind.“

Dr. Brigitte Malsack-Winkemann (AfD im Bundestag)


Schaut man sich die Zusammenhänge und Zahlen in diesem Argument genauer an, fällt schnell auf, wie hier Zahlen unzulässig miteinander kombiniert und Fakten kreiert wurden, um Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen. Um diese Fakten geht es:

  • Es ist unklar, von welcher „Konferenz“ die AfD-Abgeordnete spricht. Auch eine Nachfrage bei der Bundesapothekerkammer brachte hier kein Licht ins Dunkel – selbst dort weiß man nicht, bei welcher Konferenz das Thema „Flüchtlinge und Beipackzettel“ eine Rolle gespielt haben soll. Eine Sprecherin der AfD-Abgeordneten verweist auf Nachfrage von DAZ.online auf eine Pressekonferenz der Bundesapothekerkammer, die im März 2018 stattgefunden hat. Um den Zusammenhang zwischen Flüchtlingen, die ihre Beipackzettel nicht richtig lesen können, und den Gesundheitsausgaben ging es bei dieser Pressekonferenz allerdings nicht. Vielmehr stand die Gesundheitskompetenz der Menschen im Mittelpunkt: Prof. Marie-Luise Dierks von der Medizinischen Hochschule Hannover stellte einen Zusammenhang her zwischen der geringen Gesundheitskompetenz und medizinischen Auswirkungen, wie etwa Medikationsfehlern oder häufigeren Notfallbehandlungen im Krankenhaus. Dass „Flüchtlinge“ eine besonders schlechte Gesundheitskompetenz haben, geht aus der von Dierks zitierten Studie allerdings nicht hervor. Vielmehr heißt es, dass „Menschen mit Migrationshintergrund“ – also alle schon seit Jahrzehnten in Deutschland lebenden Einwanderer – eine tendenziell schlechtere Gesundheitskompetenz haben (übrigens ähnlich schlecht wie chronisch Kranke oder Menschen mit niedrigem Bildungsgrad).

  • Die Bundesapothekerkammer erklärte gegenüber DAZ.online: „Eine eigene Studie zu Analphabetismus (oder zu den daraus möglicherweise resultierenden Gesundheitskosten) haben weder Bundesapothekerkammer noch ABDA durchgeführt.“ Einzig und allein in einer Pressemitteilung aus dem November 2016 hat sich die Standesvertretung der Apotheker jemals (öffentlich) mit dem Thema beschäftigt. In der Mitteilung ging es um die Bedeutung der Apotheke vor Ort für die Arzneimittelberatung von 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten in Deutschland ging. An keiner Stelle geht es aber um die Kosten, die sich durch Zuwanderer ergeben, die kein Deutsch können und somit keine Beipackzettel lesen können. Die BAK weist in dieser Pressemitteilung lediglich darauf hin, dass Migration einer der Gründe für funktionalen Analphabetismus sein kann. Stellt dazu aber sofort klar: „Nicht nur Migranten sind betroffen: Mehr als die Hälfte der funktionalen Analphabeten sind deutsche Muttersprachler. Rechnet man Zuwanderer ohne ausreichende mündliche Deutschkenntnisse hinzu, liegt die Zahl der Betroffenen noch höher.“ Für weitere Zahlen zum Analphabetismus verweist die ABDA auf ihrer Seite auf eine Themenseite der Bundeszentrale für politische Bildung.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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6 Kommentare

Wahrheiten oder Stimmungsmache?

von Heiko Barz am 23.05.2018 um 11:37 Uhr

Verehrter Herr Kollege Maertin, auch Sie sollten den Ball etwas flacher halten.
Welch einen Berg von Problemen uns die Flüchtlings-Ausländer in Zukunft noch bereiten, sehen Sie an den jüngst aufgetauchten vorerst ca. 5000 manipulierten und hauptsächlich aus Bremer Anwaltskanzleien kommenden Asylbewerber Anträge. Diese Daten, die aus der "Hochburg" Bremen über das BAfM bekannt wurden, bedeuten doch sicher nur die Spitze des Bundesweiten "Asylskandals"!
Die dadurch wachsende Unsicherheit unserer "gutwilligen" Bevölkerung ist dabei mehr als verständlich, wenn dort undefiniert Milliarden verschluckt werden. Werden dann auch noch solche intransparenten Betrugselemente, deren Umfang wir nicht einmal bewerten können, offenbar, dann kann ich den umsichgreifenden Mißmut verstehen.

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AW: Wahrheiten oder Stimmungsmache

von Felix Maertin am 23.05.2018 um 13:25 Uhr

Ich erinnere gerne an unseren Bottroper Apotheker. Auch nur die Spitze des Eisbergers, oder?
Bei solchen Äußerungen halte ich den Ball sicherlich nicht flach...

Und wie Sie das Versagen von Behörden mit den „Flüchtlings-Ausländern“ zusammenbringen ist mir auch ein Rätsel. Allein schon die Formulierung lässt tief blicken.

Übrigens empfehle ich unten stehenden Text erneut zu lesen, die Komplexität zu erfassen ist aufwendig und erfordert Empathie. Vor allem sollte sich ein jeder fragen, was sein Beitrag zu der Gesamtsituation ist. Der ist viel viel größer, als Sie meinen.

Grüße,

Felix Maertin

AW: Wahrheiten oder Stimmungsmache

von le D am 12.10.2018 um 20:29 Uhr

Hallo Heiko Barz,

ist es nicht erstaunlich, dass von den Vorwürfen am Ende so wenig übrig bliebt, dass das nichteinmal eine kleine Pressemeldung wert war?

Im Angesicht des IM "Ich stelle mich schützend" vor meine Mitarbeiter, wenn sie im Verfassungsschutz tätig sind, und der vernachlässigten Mitarbeiterin im BAMF, die vom IM nicht geschützt und komplett ignoriert wird, ziemlich bemerkenswert.

AFD und Bundesapothekerkammer

von Rumpelstilzchen am 22.05.2018 um 21:18 Uhr

Also mal schön die Füßchen stillhalten: dass die Flüchtlingskrise jährlich mindestens 22 Milliarden Euro kostet (mehr als die Hälfte des Bundeswehretats), die meisten der lieben Geflüchteten junge kräftige Männer aus dem Maghreb und Afrika sind und dort gebraucht werden, also weit weg von Syrien, und weitestgehend ungebildet sind, vielleicht arabisch und den Koran lesen können und wissen, dass unverschleierte Frauen ohne Kopftuch in deren Augen „Schlampen“ sind, ist der seriösen Tagespresse zu entnehmen. Ich bitte die liebe Apothekerkammer mal in Kliniken und Arztpraxen mitzuarbeiten, dann würden sie sich nicht mehr wundern was dort von den Flüchtlingspatienten alles missverstanden wird. Damit ist die Aussage der AFD - Politikerin, ob jetzt exakt richtig oder vielleicht doch ein bisschen falsch, eigentlich völlig belanglos! Also bitte mal nicht künstlich hyperventilieren ...

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AW: AFD und Bundesapothekerkammer

von Felix Maertin am 23.05.2018 um 8:41 Uhr

Sehr geehrter anonymer Schreiber,

wenn Sie hier schon Ihren einseitigen AFD-Sprech von sich geben müssen, dann doch bitte unter Klarnamen.
Und es wäre nicht vekehrt, wenn man die Komplexität solcher Zahlen korrekt darstellen würde. Sie sagen ja auch nicht, dass Ihre Apotheke 1 Millionen Euro jedes Jahr Verlust macht, ohne Ihre Umsätze zu berücksichtigen (einfaches Beispiel, um nicht zu überfordern).
Und um bei dem Beispiel zu bleiben: Urteilen Sie doch auch nicht (hoffe ich zumindest) über Kunden die z.B. eine Pille danach brauchen, ohne mit diesen über den komplexen Hintergrund Ihrer sozialen Strukturen und persönlichen Probleme gesprochen haben (und nein, das verlangt keiner, aber das Urteilen sollte damit auch unterbleiben).
Soll heißen: engagieren Sie sich in Flüchtlingsunterkünften und reden mit den Menschen dort, den jungen Afrikanern? Sie wären erstaunt, wie viel Sie noch lernen könnten.

Beste Grüße,

Felix Maertin

was ist schlimmer

von conny am 22.05.2018 um 18:01 Uhr

Tja, ich finde es ja persönlich schlimmer wenn man von Herrn Spahn und Herrn Hennrich im vernünftigen Ton verarscht wird.

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