Lieferengpässe

BfArM fordert Meldepflicht der Hersteller

02.06.2016, 14:00 Uhr

Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte: „Es ist erforderlich, dass sich Unternehmer dazu verpflichten, Lieferengpässe zu melden.” (Foto: BfArM)

Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte: „Es ist erforderlich, dass sich Unternehmer dazu verpflichten, Lieferengpässe zu melden.” (Foto: BfArM)


Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte bietet auf seiner Webseite seit 2013 eine Übersicht zu aktuellen Lieferengpässen für Humanarzneimittel an. Sie erfasst Unterbrechungen über voraussichtlich mehr als zwei Wochen. Derzeit ist die Liste auf wichtige Arzneimittel beschränkt. Könnten die Behörden noch mehr tun? Hier sind die Antworten von BfArM-Präsident Karl Broich.  

DAZ.online: Seit einigen Jahren leistet das BfArM mit dem Web-Register einen Beitrag zur Transparenz bei Lieferengpässen. Wie sind Ihre Erfahrungen damit? 

Karl Broich: Das Lieferengpassregister auf Basis freiwilliger Meldungen war ein wichtiger erster Schritt. Er hat dazu geführt, dass die Fachkreise und die Öffentlichkeit über akute Lieferengpässe für Arzneimittel zur Behandlung lebensbedrohlicher oder schwerwiegender Erkrankungen informiert werden können. Wir bekommen aber auch Rückmeldungen, dass nicht alle relevanten Lieferengpässe beim BfArM gemeldet werden. Daher sollte das jetzige Verfahren weiterentwickelt werden.

DAZ.online: Hätten Sie gerne ein verpflichtendes Melderegister, wie andere Länder es schon haben?

Karl Broich: Die „Dunkelziffer“ ist ja nach den Erhebungen der Apotheker um einiges höher. Außerdem ist das Register auf bestimmte verschreibungspflichtige Arzneimittel beschränkt. Mittelfristig brauchen wir ein flächendeckenderes Bild, besonders über Versorgungsengpässe bei wichtigen Arzneimitteln. Dafür ist es nach Auffassung des BfArM erforderlich, dass sich Unternehmen dazu verpflichten, Lieferengpässe zu melden. Auf diese Weise könnten wir sowohl aufgrund unserer Fachexpertise als auch aufgrund der vorliegenden Daten dabei mithelfen, dass mögliche Versorgungslücken frühzeitiger erkannt und Probleme schneller gelöst werden.

Prof. Dr. Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (Foto: BfArM)

DAZ.online: In den letzten Jahren hat es immer wieder GMP, GLP- und GCP-Verstöße bei Wirkstofflieferanten und Auftragsforschern aus Drittstaaten gegeben, die zum Teil zu Ausfällen bei den betroffenen Präparaten geführt haben. Befürchten Sie hierdurch für die Zukunft noch mehr Engpässe, wenn die Kontrolldichte zunimmt? 

Karl Broich: Mehr Kontrolle ist zunächst einmal im Sinne der Sicherheit von Patientinnen und Patienten. Lieferengpässe entstehen aber häufig dann, wenn durch einen Konzentrationsprozess immer weniger Hersteller die Produktion eines bestimmten Wirkstoffes übernehmen. Wenn in solchen Fällen Herstellungsstätten wegfallen, ist ein Wirkstoff plötzlich für alle Zulassungsinhaber nicht mehr verfügbar. Dieser Weg mag für ein Unternehmen vielleicht ökonomisch günstiger sein, ist aber sicher nicht im Interesse der Patientinnen und Patienten. 

DAZ.online: Manche Länder, wie zum Beispiel die USA, setzen bei der Vermeidung von Lieferengpässen auf eine engere Kooperation der Behörden mit den Pharmaunternehmen und dem Zwischenhandel und haben damit gute Erfahrungen gemacht. Könnte das BfArM hier vielleicht auch mehr tun?  

Karl Broich: Das BfArM prüft bereits jetzt auf Basis der verfügbaren Daten, ob und gegebenenfalls wie viele Alternativpräparate bei Produktionsproblemen verfügbar sind. Mit einem risikobasierten Ansatz können wir dann besondere Problemlagen rasch identifizieren und aktiv auf die Hersteller zugehen, um mögliche Lösungswege anzustoßen. Ein Beispiel ist der erneute Engpass bei Melphalan. Hier haben wir im engen Austausch mit dem Hersteller und der italienischen Behörde eine möglichst schnelle Lösung des Problems erzielt.

DAZ.online: Bei der vierten Sitzung des Pharmadialogs im Januar ging es auch um die Lieferengpässe bei Arzneimitteln. Unter anderem soll eine Liste besonders versorgungsrelevanter, engpassgefährdeter Arzneimittel erarbeitet werden. Wie ist der Stand dazu? 

Karl Broich: Ausgehend von einer umfangreichen Liste unverzichtbarer Arzneimittel haben wir eine Risiko-adaptierte Liste erstellt, die mit den Fachgesellschaften abgestimmt wurde und die kontinuierlich überprüft und weiterentwickelt wird. Sie ist aber schon jetzt eine wichtige Grundlage für einen differenzierten Umgang mit Lieferengpässen. Für Arzneimittel, die von der Wirkstoffliste betroffen sind, können gegebenenfalls weitergehende Maßnahmen vorgesehen werden.

DAZ.online: Nach den Absprachen beim Pharmadialog soll ein „Jour Fixe“ unter Beteiligung der Bundesoberbehörden und der Fachkreise eingerichtet werden, um mehr Transparenz bei der Versorgung mit Arzneimitteln und Impfstoffen zu schaffen. Gibt es hierzu schon konkrete Planungen? 

Karl Broich: Der „Jour Fixe” soll bestehende und sich abzeichnende Lieferengpässe bewerten und geeignete Maßnahmen vorschlagen. Wir wollen, dass der „Jour Fixe” in Kürze mit seiner Arbeit beginnt. Für uns ist ein intensiverer Austausch mit allen beteiligten Akteuren einer von vielen Schritten hin zu einer flächendeckenderen Information über Lieferengpässe. Dies gilt speziell für besonders relevante Arzneimittel. Deswegen arbeiten wir derzeit beispielsweise auch mit Blick auf die Melde- und Informationswege an weiteren Lösungen, die darauf abzielen, alle Engpässe gemeldet zu bekommen. So könnten wir shortage-relevante Arzneimittel schnell und verlässlich identifizieren und darüber informieren.  

Zum Hintergrund

Das BfArM publiziert die Daten zu Lieferengpässen kurzfristig nach Einsendung einer entsprechenden Meldung durch den Zulassungsinhaber. Diese sollen einen vorhersehbaren Lieferengpass spätestens sechs Monate im Voraus und unvorhergesehene Engpässe unverzüglich mitteilen. Es werden nur Lieferengpässe von Arzneimitteln gelistet, bei denen ein besonderer Informationsbedarf der Fachöffentlichkeit angenommen wird. Erfasst werden zum Beispiel Onkologika, Antibiotika, Notfallarzneimittel und Arzneimittel, die in Zusammenhang mit Operationen verwendet werden. Die Liste führt sowohl Arzneimittel in der Zuständigkeit des BfArM wie auch des Paul-Ehrlich-Institutes (PEI), das heißt auch biomedizinische Arzneimittel. Für Impfstoffe zum Schutz vor Infektions­krankheiten gibt es beim PEI allerdings gesonderte Listen.

Out of Stock: Wo finde ich regelmäßige Infos von Behörden?

Deutschland: Sowohl das BfArM als auch das PEI pflegen Register, durch die sich Interessierte unmittelbar über eine Aktualisierung der Liste informieren lassen können. Updates können per RSS-Feeds abonniert werden.

Österreich: Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen AGES Medizinmarktaufsicht, unter „Übersichtliste Vertriebseinschränkungen”.

Schweiz: Swissmedic, unter „Mitteilungen zur Arzneimittelsicherheit”. 

Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA): Unter → human regulatory → medicine shortages → shortages catalogue  


Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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