DAZ-Spezial: Dauerthema Lieferengpässe
DAZ und DAZ.online sind dem Thema Engpässe nachgegangen. Zum einen haben wir Anfang Mai auf DAZ.online ein Woche lang mit Ihrer Hilfe Defekte gesammelt. Wir wollten selbst einen Eindruck bekommen, wie es in der Apothekenpraxis aussieht. Rund 50 Apotheken haben uns die PZN der nicht verfügbaren Arzneimittel mitgeteilt. Knapp 3000 Arzneimittel kamen zusammen, die in dieser einen Woche im ambulanten Bereich in Apotheken nicht lieferbar waren. Zum anderen haben wir bei allen betroffenen Akteuren nachgefragt: bei Apothekern, Herstellern, Großhändlern, Kassen und der Politik. Wo sehen sie die Ursachen für die Engpässe? Und wo die Lösungsmöglichkeiten? Die Antworten sind nicht durchweg auf einer Linie. Einig sind sich die verschiedenen Player allerdings insoweit, dass es „die eine“ Antwort nicht gibt. Zu viel spielt hier zusammen – auf nationaler wie auch auf globaler Ebene. Lesen Sie diese Woche in unserem Schwerpunkt Lieferengpässe, wie sich die Lage derzeit darstellt – und wie die Aussichten sind.
Die Sicht der Apotheker
Rabattverträge machen die Arzneimittelversorgung fehleranfälliger
DAV-Chef Fritz Becker und mit ihm viele Apotheker sehen in Rabattverträgen einen wesentlichen Grund, warum für Deutschlands öffentliche Apotheken bestimmte Arzneimittel oft nicht verfügbar sind. Deshalb will Becker Rabattverträge allerdings nicht per se verteufeln – es müsse aber nachjustiert werden. Die richtigen Ansätze hierfür sieht er in den im Pharmadialog vereinbarten Maßnahmen.
Die Ursachen für Lieferengpässe sind vielfältig, betont Becker. Manche seien strukturell, manche situativ. „Einige liegen in der Regulierung des Arzneimittelmarktes auf nationaler Ebene, andere haben eine internationale Dimension“. Eine besondere Rolle spielen hier sicherlich die Globalisierung der Wirkstoffproduktion und die Herausbildung von Oligopolen bei der Herstellung von Fertigarzneimitteln.
917 verschiedene Präparate (PZN) haben 50 verschiedene Apotheken innerhalb einer Woche als nicht lieferbar an DAZ.online gemeldet. Zum Vergleich: Typischerweise hat eine deutsche Apotheke rund 8000 bis 10.000 verschiedene Arzneimittel vorrätig.
ABDA fordert Meldepflicht für Hersteller
Die bisherigen Maßnahmen, die hierzulande gegen Engpässe ergriffen wurden – die auf freiwilligen Herstellerangaben basierenden Lieferengpasslisten beim BfArM und beim PEI – seien zwar in der Sache wichtig, so Becker. Doch im Apothekenalltag helfen sie leider kaum weiter. Eine Forderung der ABDA sei es daher schon lange, dass Unternehmen zur Meldung von Lieferengpässen verpflichtet werden. Dies würde sicher die Informationslage bei betroffenen Arzneimitteln verbessern, meint Becker. Für das Bundesgesundheitsministerium gehe diese Forderung aber zu weit.
Mehrfachvergabe: Wirklich eine Lösung?
Mehr Entgegenkommen seitens der Politik gibt es bei Rabattverträgen. Diese spielen bei Engpässen auf nationaler Ebene durchaus eine Rolle, sagt Becker: „Sie können die Zahl der Lieferanten verringern und das System fehleranfälliger machen. Das heißt aber nicht, dass Rabattverträge per se der falsche Weg sind“. Vielmehr gehe es darum, nachzujustieren. „Wenn es zum Beispiel einen Chargenausfall bei einem Hersteller mit Rabattvertrag gibt, wäre es sinnvoll, wenn ein anderer Hersteller unabhängig vom Preisniveau kurzfristig ausgleichen könnte“. Auch Mehrfachvergaben bei Rabattverträgen, bei denen ein Rabattpartner einspringen könnte, wenn ein anderer ausfällt, würden aus Beckers Sicht „ganz bestimmt helfen“. Manche Krankenkassen hätten das zum Glück auch schon erkannt.
Dies sieht allerdings nicht jeder so. Der Offenbacher Apotheker und ehemalige Vize-Vorsitzende des Hessischen Apothekerverbands Hans Rudolf Diefenbach ist zwar überzeugt, dass die Rabattverträge eine wesentliche Ursache der Engpässe seien. Doch Mehrpartnerverträge bergen in seinen Augen das Problem, dass ein Patient gegebenenfalls drei Mal ein anderes Produkt erhalten kann. Und: „So können uns Argumente zu Pharmakodynamik und Pharmakokinetik genommen werden“. Dass dieses Problem sehr viel komplexer sei, als von Politikern wahrgenommen, belegten eine Reihe von Veröffentlichungen. Diefenbach: „Ich erinnere hier an die Darlegungen zum BCS-System von Professor Hennig Blume, die Jahre alt sind und nach denen Stoffe wie Theophyllin oder sogar Säureblocker eben nicht einfach nach ‚Lagerbestand‘ ausgetauscht werden sollen“.
„Richtig los ging das Anfang 2014. Da stellte ich fest, dass mein sehr großes Warenlager immer häufiger ,Nein‘ sagte, wenn es um bestimmte verordnete Arzneimittel ging.“
Lästige Praxis-Probleme
Becker betont zudem ein weiteres Problem für Apotheken: Sie müssen den Kassen die Nichtverfügbarkeit eines Arzneimittels von Großhändlern – teilweise sogar von Herstellern – belegen. „Das Belegen von Lieferengpässen ist für uns gelinde gesagt lästig. Das Abtelefonieren mehrerer Großhändler und des Herstellers sind schon fast zur unguten Normalität geworden“. Eine Vergütung gibt es dafür nicht – stattdessen tragen Apotheker das Risiko der Retaxation. Becker: „Krankenkassen müssen ein Interesse daran haben, dass ihre Versicherten in der Apotheke gut versorgt werden. Das geht nur, wenn man das Damoklesschwert der Retaxation komplett beiseiteschafft“.
Zu wenig Einsatz seitens der ABDA?
Insgesamt ist der Einsatz der ABDA gegen Lieferengpässe aus Diefenbachs Sicht allerdings nicht ausreichend. Das hat ihn in den vergangenen Jahren zum Einzelkämpfer gemacht. Viermal hat er seit 2014 Kollegen in der ganzen Republik aufgefordert, ihm ihre Defektlisten zu schicken. Mithilfe seiner Mitarbeiterinnen hat er diese ausgewertet. Er ist damit immer wieder an die Öffentlichkeit gegangen und hat durchaus das Interesse verschiedener Medien erweckt. Auch im Bundesgesundheitsministerium sprach er 2014 einmal vor und legte seine Erkenntnisse dar. Doch bei der ABDA stieß er mit seinen Aktivitäten auf wenig Gegenliebe. Nachdem ihm der Pressesprecher der ABDA einmal darlegt habe, das Problem der Lieferengpässe sei ein Problem seiner „subjektiven Wahrnehmung“, habe er diese Ebene nie mehr betreten, sagt Diefenbach.
„Nachdem ich zwei Jahre lang etwa 750 Defektlisten aus dem ganzen Land ausgewertet habe, stelle ich fest: Eine Verbesserung der Lage ist nicht in Sicht.“
Diefenbachs Resümee nach vier Defektsammlungen ist: Verändert hat sich in der Zeit nichts. Die Lieferengpässe in einem System wie in Deutschland seien peinlich, „weil man Ursachen nicht ehrlich benennt“. Er ist überzeugt: „Hier geht es schlicht ums Geld. Dass dabei der Marktpartner Apotheke, der gerade mal rund 2,4 Prozent der Arzneimittelkosten bekommt, für Strategien und Unfähigkeiten anderer den Kopf täglich hinhält, ist inakzeptabel“.
Die Klinikapotheker
Engpässe erfordern unglaublichen Aufwand
„Die Vielzahl und Bedeutung nicht lieferbarer Arzneimittel ist einfach unerträglich“, sagt Rudolf Bernard. Er ist leitender Pharmaziedirektor der Krankenhausapotheke im Klinikum rechts der Isar in München und Vizepräsident des Bundesverbands deutscher Krankenhausapotheker (ADKA). Das Streben nach Gewinnmaximierung ist für ihn eine der Ursachen für Engpässe.
In den Kliniken fielen die Engpässe zuerst auf, bereits 2012 war das – seitdem hat sich wenig geändert. Besonders kritisch sind Lieferschwierigkeiten bei Zytostatika und Antibiotika, Melphalan (Alkeran®) und Sultamicillintosilat (Unacid®) sind negative Dauerbrenner. Aber auch Röntgenkontrastmittel und Ernährungslösungen finden sich immer wieder unter den Defekten.
2960 Mal war in den 50 teilnehmenden Apotheken innerhalb einer Woche ein gewünschtes Arzneimittel nicht lieferbar. Rechnet man das auf alle 20.249 deutsche Apotheken hoch, sind in Deutschland jede Woche rund 1,2 Millionen Arzneimittelpackungen nicht lieferbar.
Dass die Lieferengpässe oftmals nicht in einen Versorgungsengpass münden, liegt auch am Engagement der Krankenhausapotheker. Ihnen gelingt es oft, Therapiealternativen zu finden. Bei antibiotischen Wirkstoffen kann teilweise auf ein ebenfalls wirksames, aber vielleicht nicht gleichermaßen selektives Antibiotikum ausgewichen werden. Doch es gibt auch andere Fälle. Augenblicklich bereitet wieder der Wirkstoff Melphalan (Alkeran®) große Probleme, der zur Vorbereitung auf Knochenmarkstransplantationen benötigt wird. In Deutschland mussten deswegen alleine im April 2016 laut ADKA 48 Stammzelltransplantationen verschoben werden. Der Hersteller Aspen nennt als Grund lapidar ein „Ereignis innerhalb des Qualitätsmonitorings in der Produktionsstätte“. Nach Stand vom 22. Mai 2016 gibt es „leider noch kein Datum für die uneingeschränkte Lieferfähigkeit“.
Nicht nur aufwendig hergestellte Wirkstoffe fehlen
Wie ihre Kollegen in der Offizin verweisen auch die Klinikapotheker auf die vielfältigen Ursachen von Engpässen. Besonders anfällig seien aufwendig herzustellende Arzneimittel wie Impfstoffe oder biotechnologische Wirkstoffe. Verzögerungen können beispielsweise durch Probleme bei der Vermehrung der erforderlichen Bakterien oder Viren entstehen. Allerdings sind immer wieder auch Arzneimittel, die sich durch eine relativ einfache chemische Synthese herstellen lassen, defekt. So etwa das Alkylans Carmustin (Bis-Chlorethyl-Nitroso-Urea BCNU; Carmubris®), das ebenso wie Melphalan in der Vorbereitung auf Knochenmarkstransplantationen eingesetzt wird.
ADKA-Vize Bernard will zwar nicht pauschal das Profitstreben der Pharmaunternehmen für solche Engpässe verantwortlich machen. Allerdings: Wenn die Produktionsstätten immer mehr reduziert werden – bei patentgeschützten Wirkstoffen ist es oft ohnehin nur ein Herstellungsort – und Wirkstoffe in Indien oder China günstig produziert werden, stecke dahinter natürlich Gewinnstreben.
Bei Pharmaunternehmen schwindet das Verantwortungsgefühl
Verständnis hat Bernard dafür nur begrenzt. Zwar wächst der Preisdruck, insbesondere bei Generika. Doch im Großen und Ganzen verdiene der Pharmasektor noch immer sehr gut. Dafür haben einige Unternehmen in den letzten Jahren in ihrer Unternehmensphilosophie etwas verloren: Verantwortungsgefühl. Es sei zugunsten der Gewinnmaximierung abgebaut worden. „Ich vermisse das Verantwortungsgefühl und Bewusstsein dafür, dass Arzneimittel eine besondere Art Ware sind und nicht einfach Schrauben für ein Auto“, so Bernhard.
„Ganz entscheidenden Anteil [an der Entstehung von Lieferengpässen] haben sicherlich die Globalisierung der Wirkstoffproduktion und die Herausbildung von Oligopolen bei der Herstellung von Fertigarzneimitteln.“
Aber was können Apotheker tun, wenn im Krankenhaus ein Engpass auftritt? Das erste, so Bernard sei, die Fakten festzustellen: Wie ist der aktuelle Bestand? Wie lang ist die Reichweite? Gibt es alternative Bezugswege oder qualitativ vergleichbare Produkte? „Wir sondieren den Markt, führen Preisverhandlungen, informieren natürlich die Ärzte über einen möglicherweise notwendigen Produktwechsel. Oder im Falle eines alternativlosen Versorgungsengpasses, erarbeiten wir gemeinsam Strukturen für eine sinnvolle Rationierung des limitierten Präparats“, so Bernard. Der finanzielle und auch der zeitliche Aufwand hierfür sei „unglaublich“. Die Engpass-Liste des BfArM biete dabei wenig konkrete Unterstützung, zumal sie auf freiwilligen Meldungen der pharmazeutischen Hersteller beruht und somit nicht vollständig ist. Eine Erhebung deutscher Uniklinikapotheken habe gezeigt, dass durchschnittlich nur 15 Prozent der tatsächlich nicht lieferbaren Arzneimittel überhaupt von der BfArM-Liste erfasst waren.
Mehr Pflichten für Hersteller
Die ADKA fordert daher wie die ABDA eine Meldepflicht für Engpässe – auch therapeutische Alternativen sollen die Unternehmen bei Nichtlieferbarkeit angeben müssen. Verstöße müssten als bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeiten geahndet werden, damit sich die Maßnahme nicht als „zahnloser Tiger“ entpuppe. Daher bewertet Bernard auch das Ergebnis des Pharmadialogs in diesem Punkt als vertröstende „Augenwischerei“. Denn bevor das Ministerium bereit ist, eine gesetzliche Meldung verpflichtend einzuführen, will es zunächst weiterhin das bereits bestehende System prüfen. „Dass es nicht funktioniert, das wissen wir bereits“, so Bernard. Darüber hinaus fordert die ADKA, dass pharmazeutische Unternehmen angehalten sein müssen, eine gewisse Mindestmenge ihrer Arzneimittel permanent vorrätig zu haben. Bislang trifft nur Apotheken und Großhändler eine solche Pflicht. Gesetzgeberische Pläne hierfür gab es bereits – doch sie wurden wieder fallen gelassen.
Die Probleme der Großhändler
Exporte unattraktiver machen
Auch die Pharmagroßhändler sind tagtäglich mit Lieferengpässen konfrontiert. Die wirtschaftlichen Folgen für sie sind einschneidend: Einige sprechen von Umsatzausfällen in Millionenhöhe und fordern unter anderem, Arzneimittelexporte in Länder, in denen höhere Preise erzielt werden können, unattraktiver zu machen.
Die Apothekergenossenschaft Noweda berichtet von „täglich um 2000 bis 4000 PZN, die aufgrund mangelnder Auslieferung seitens der Industrie defekt sind.“ Nicht viel anders sieht es bei der Sanacorp aus. Sie berichtet, dass insbesondere die Firmen Astra Zeneca, GlaxoSmithKline und Novo Nordisk auffallen würden. Auch bei Gehe heißt es: „Wir werden in sehr vielen Fällen nicht so beliefert, wie wir unseren Bedarf bestellen.“
„Wir stellen seit einigen Jahren fest, dass Lieferengpässe nicht nur das ,Backoffice‘ der Apotheke beschäftigen, sondern ganz konkret am Handverkaufstisch für den Patienten spürbar werden.“
Hersteller kontingentieren
Ein von den Großhändlern häufig genannter Grund für die Engpässe sind höhere Umsatzmöglichkeiten im Ausland. So landen laut Pharma Privat Arzneimittel vielfach in jenen Ländern, in denen höhere Preise erzielt werden können. Zudem gebe es bei Arzneimitteln, die anfällig für Auslandsexporte sind, eine Kontingentierung durch die Hersteller. In diesen Fällen werde nur ein Bruchteil der notwendigen Mengen ausgeliefert. So hat Noweda die Erfahrung gemacht, dass von einem Arzneimittel 600 Stück bestellt werden, aber nur 15 Stück ausgeliefert werden.
Mehrfachvergabe hilfreich
Die Großhändler nennen auch Rabattverträge als mögliche Ursache von Lieferengpässen. So sei der Wechsel der Vertragspartner beim Ablauf der Verträge immer wieder problematisch, heißt es bei Noweda. Neue Vertragspartner könnten die benötigten Mengen nicht schnell genug liefern. Hier ist man daher überzeugt: „Bei Rabattverträgen brauchen wir dringend die durchgehende Vergabe an drei Hersteller. Nur dadurch können Versorgungsengpässe deutlich reduziert werden.“
Schließlich weisen die Händler darauf hin, dass die Lieferketten anfällig für Störungen seien. Da Arzneimittel nicht mehr nur in Deutschland produziert werden, sondern aus Kostengründen auch in der europäischen Peripherie und in Asien, würden die Lieferketten immer länger und komplexer. Auch würden viele Entscheidungen nicht mehr in Deutschland getroffen, sondern in den Zentralen der global aufgestellten Unternehmen. Dort fielen wirtschaftlich motivierte Entscheidungen, die unter Umständen konträr zu den Versorgungsinteressen des deutschen Marktes laufen können.
Zehn Wirkstoffe (s. Tab. 1) in insgesamt 12 verschiedenen Produkten (PZN) waren für rund 30 Prozent der an DAZ.online gemeldeten Lieferdefekte verantwortlich.
Wirkstoff
|
Meldungen
|
---|---|
Metoprolol
|
211
|
Diclofenac
|
107
|
Quetiapin
|
99
|
Levofloxacin
|
91
|
Cefaclor
|
79
|
Dexamethason (auch Kombis)
|
74
|
Candesartan
|
70
|
Pantoprazol
|
66
|
Johanniskraut
|
65
|
Alendronsäure/Alendronat
|
54
|
Keine eigene Verantwortung
Die Pharmagroßhändler selbst sehen sich bei Lieferengpässen in der Regel nicht in der Verantwortung. So weist Sanacorp darauf hin, dass man nur Apotheken in Deutschland beliefere: „Wir lehnen jede Art von Arzneimittelschiebungen ins Ausland entschieden ab.“ Folglich könne man nicht Teil der Ursache des Missstandes sein. Auch Pharma Privat erklärt, Arzneimittel nicht ins Ausland zu exportieren und damit nicht zu einer Verknappung auf dem deutschen Markt beizutragen. Allerdings könne man das für Wettbewerber nicht ausschließen. „Wir stellen fest, dass Kunden unnatürlich große Mengen bestellen, was den Verdacht nährt, dass die Ware nicht für den deutschen Markt verwendet wird.“
Dennoch, die wirtschaftlichen Folgen des Missstandes bekommen die Händler unmittelbar zu spüren. Sanacorp erklärt, durch Lieferengpässe der Industrie monatliche Umsatzverluste in Höhe von mehreren Millionen Euro zu verzeichnen. Aus der Mangelsituation ergebe sich ein erhöhter administrativer Aufwand durch Nachfassaktivitäten gegenüber säumigen Herstellern, der Bearbeitung von Kundenreklamationen sowie der Erstellung, Pflege und Abarbeitung von Vorbestellungslisten.
„Auf der nationalen Ebene spielen sicher Ausschreibungen und Rabattverträge eine Rolle. Sie können die Zahl der Lieferanten verringern und das System fehleranfälliger machen. Das heißt aber nicht, dass Rabattverträge per se der falsche Weg sind.“
Auch Noweda berichtet von großem Aufwand: In den Einkaufsabteilungen müsse täglich mehreren tausend Artikeln „hinterhergelaufen“ werden, um irgendwie beim Hersteller doch noch Ware zu erhalten. Zwischen den verschiedenen Niederlassungen würden Bestände, soweit möglich, im Verbund ausgeglichen. Darüber hinaus müssten zahlreiche Anfragen von Kunden beantwortet werden, die wegen der Lieferengpässe verärgert seien. Noweda spricht von einem mittleren siebenstelligen Euro-Betrag, den diese Umstände die Genossenschaft jährlich kosten.
Internationales Preisgefälle abmildern
Die Situation könnte nach Ansicht der Händler entschärft werden, indem der Export von Arzneimitteln, die für den deutschen Markt bestimmt sind, erschwert wird – Verbote sind mit europäischem Recht sicherlich nicht vereinbar. So sieht Sanacorp den Gesetzgeber gefordert, Lösungen zu entwickeln, mit denen das internationale Preisgefälle abgemildert wird. Vorgaben für die Hersteller, bestimmte Lagerbestände vorrätig zu halten oder Meldepflichten für knappe Artikel dürften aus Großhändler-Sicht hingegen wenig ändern.
Was sagen die Hersteller?
Anbietervielfalt als Schutz gegen Engpässe
Die Hersteller bekommen von vielen Seiten die Schuld für die Engpässe zugeschoben. Doch pauschale Vorwürfe wollen sie sich nicht machen lassen. Klar ist: Kein Unternehmen verursacht absichtlich einen Engpass. Schließlich wollen alle Geld verdienen – und einen Ruf haben sie auch zu verlieren. Generikahersteller verweisen auf den Kostendruck, unter dem sie stehen, und die zunehmende Marktkonzentration. Ebenso wie die forschenden Hersteller sind sie überzeugt: Engpässen ist am besten durch Hersteller- und Produktvielfalt entgegenzuwirken.
Für Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, ist klar: Die Effizienzreserven der Generikahersteller sind nicht unendlich. Darauf macht der Verband derzeit mit seiner „7 Cent“-Kampagne aufmerksam. So viele Cent verdiene ein Hersteller nach Abzug aller Rabatte durchschnittlich noch an einer Tagesdosis für ein Generikum. Damit sei ein Punkt erreicht, an dem man leider auch über Engpässe reden müsse, sagt Bretthauer. Für die Generikahersteller sind diese ohne Frage misslich. Nicht nur, dass ihr Image Schaden nimmt. Rabattverträge sehen auch Vertragsstrafen vor, wenn es Lieferprobleme gibt. Schadensersatzforderungen kommen noch dazu – das wird für die Unternehmen schwer kalkulierbar. Der Pro Generika-Vorsitzende Wolfgang Späth schließt nicht aus, dass sich dies bei manchen Kassen schon als „Einkommensmodell“ entwickelt habe.
„Gewinnmaximierung ist eine der Ursachen.“
Rabattverträge als Katalysator
Auch Pro Generika verweist auf die vielfältigen Gründe der Engpässe, vor allem die zunehmende Marktkonzentration. Bei vielen Generikaherstellern habe zudem eine Portfoliobereinigung stattgefunden – sie bieten nicht mehr die volle Bandbreite von Wirkstoffen an. Entscheidender Grund sei letztlich der Kostendruck. Je höher dieser ist, desto höher sei auch das Risiko für Engpässe, sagt Späth. Und hier kommen die Rabattverträge ins Spiel. Allerdings kann man diesen – zumal im globalen Arzneimittelmarkt – nicht die alleinige Schuld geben. Das weiß auch Pro Generika. Auch, dass dieses Sparinstrument aus der Versorgung nicht mehr hinwegzudenken ist. Doch die Verträge sind Teil eines Systems, das erheblichen Kostendruck auf die Hersteller ausübt. Und: Gibt es ein Problem mit der Lieferfähigkeit, hat der Rabattvertrag nochmals einen erheblichen „Katalysator-Effekt“, sagt Bretthauer. „Das ist es auch, was die Apotheken zu spüren bekommen“. Ein „Ammenmärchen“ ist es laut Späth allerdings, dass Hersteller in Deutschland deshalb lieferunfähig werden, weil sie ihre Produkte in Länder liefern, in denen mehr hierfür bezahlt wird. Wenn sie hierzulande Rabattverträge abgeschlossen haben, würden diese auch erfüllt. Es könne allerdings sein, so Späth, dass ein Hersteller mit begrenzten Produktionskapazitäten eher darauf verzichtet, einen zweijährigen Rabattvertrag in Deutschland einzugehen – und stattdessen für andere Länder produziert.
Und so fordert Bretthauer „minimalinvasive“ Schritte, um Engpässen besser vorzubeugen. Dazu verweist er auf die Ergebnisse des Pharmadialogs. So müsse es eine Sechsmonatsfrist zwischen Rabattvertragszuschlag und -start geben, damit die Unternehmen sich auf ihren Auftrag einstellen können. Zudem müsse für die Arzneimittel, die auf der zu erarbeitenden Liste versorgungsrelevanter, engpassgefährdeter Arzneimittel stehen werden, ein Rabattvertragsverbot gelten. „Das Versorgungsinteresse der Allgemeinheit übersteigt hier das Spar-Interesse der einzelnen Kasse“, so Bretthauer. Nicht zuletzt setzt Pro Generika darauf, die Mehrfachvergaben zu stärken. Letztlich geht es dabei um Maßnahmen, die einer weiteren Marktkonzentration vorbeugen sollen. Sie sind aus Verbandssicht dem bloßen Management von Engpässen und weiteren gesetzlichen Regulierungen – etwa zu einer erweiterten Lagerhaltung – vorzuziehen.
vfa: Parallelexporte können Verfügbarkeit belasten
„Herstellervielfalt und Produktvielfalt sind der beste Schutz davor, dass sich Einzelprodukt-bezogene Lieferengpässe zu Versorgungsengpässen auswachsen“ – das sagt auch Dr. Siegfried Throm, Geschäftsführer Forschung/Entwicklung/Innovation des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa). Er sieht im Markt der patentgeschützten Arzneimittel ebenfalls die Gefahr, dass Kostendruck Engpässe verursachen kann. So könnten Präparate von Deutschland ins Ausland abwandern, wenn Erstattungsbeträge unter dem durchschnittlichen EU-Preisniveau liegen. Allerdings betont Throm, dass dem vfa keine Marktdaten über das Parellelexport-Geschehen zur Verfügung stehen. „Aber einige Indizien und die Einschätzungen einzelner Hersteller sprechen dafür, dass Parallelexporte in der Tat die Verfügbarkeit bei einigen Produkten in Deutschland belasten“.
Throm sieht die Engpässe allerdings nicht zu dramatisch: „Glücklicherweise sind meist ja nur einzelne Packungsgrößen oder Darreichungsformen eines bestimmten Medikaments knapp. Die Patientenversorgung ist dann trotzdem gewährleistet – durch Ausweichen auf andere Packungsgrößen, Wirkstärken, Darreichungsformen oder Konkurrenzprodukte“. Dieses Umdisponieren werde durch die im Pharmadialog verabredete Selbstverpflichtung der Unternehmen erleichtert, jeden eingetretenen oder absehbaren Lieferengpass öffentlich zu melden. „An diesen guten ersten Schritt werden weitere anknüpfen müssen, allerdings zumindest europäisch, wenn nicht international. Denn Arzneimittel werden international vertrieben“. Die Meldepflicht schreckt den vfa offenbar nicht: Da die vfa-Unternehmen ihre Lieferengpässe schon heute freiwillig meldet, „spricht für uns nichts gegen eine Meldepflicht“, so Throm.
Die meisten an DAZ.online gemeldeten Lieferschwierigkeiten gab es mit Metoprolol. 20 verschiedene Präparate bzw. Wirkstärken bzw. Packungsgrößen (also 20 verschiedene PZN) des Betablockers waren nicht lieferbar, insgesamt bekamen die 50 teilnehmenden Apotheken 211 Mal nicht das gewünschte Metoprolol-Präparat geliefert. Damit war Metoprolol alleine für 7 Prozent der Defekte verantwortlich.
Die zuständigen Behörden
Erfahrungen mit Engpass-Registern
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hält seit 2013 auf seiner Webseite eine Übersicht zu aktuellen Lieferengpässen für Humanarzneimittel bereit. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bietet eine entsprechende Liste für Human-Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten. Wir fragten bei den Behörden nach, für wie wirkungsvoll sie die Listen halten – und was besser werden könnte.
Die BfArM-Liste erfasst Lieferunterbrechungen, die sich voraussichtlich über mehr als zwei Wochen erstrecken. Derzeit ist die Liste auf besonders wichtige Arzneimittel beschränkt; erfasst werden etwa Onkologika, Antibiotika, Notfallarzneimittel und Arzneimittel, die in Zusammenhang mit Operationen verwendet werden. Die Meldung durch den Hersteller erfolgt freiwillig.
„Wer in Ländern wie Indien und China produzieren lässt, nimmt nicht nur längere Lieferwege in Kauf, sondern auch ein erhöhtes Risiko für Hygiene- und Dokumentationsmängel, Unwägbarkeiten bei der Qualitätskontrolle und daraus resultierende etwaige Einfuhrbeschränkungen, wie kürzlich im Fall Anuh-Pharma geschehen.“
BfArM-Chef für Meldepflicht
BfArM-Präsident Karl Broich sieht das Register als einen „wichtigen ersten Schritt“ für eine bessere Information der Fachkreise und der Öffentlichkeit. Doch nicht alle relevanten Lieferengpässe würden dem BfArM gemeldet. Mittelfristig brauche man ein flächendeckenderes Bild – und daher eine Meldepflicht für die Unternehmen. „Auf diese Weise könnten wir sowohl aufgrund unserer Fachexpertise als auch aufgrund der vorliegenden Daten dabei mithelfen, dass mögliche Versorgungslücken frühzeitiger erkannt und Probleme schneller gelöst werden“, sagt Broich. Schon jetzt prüfe das BfArM auf Basis der verfügbaren Daten, ob und gegebenenfalls wie viele Alternativpräparate bei Produktionsproblemen verfügbar sind. Hier gebe es auch eine Zusammenarbeit mit den Unternehmen und anderen Institutionen. Ein Beispiel sei der erneute Engpass bei Melphalan: „Hier haben wir im engen Austausch mit dem Hersteller und der italienischen Behörde eine möglichst schnelle Lösung des Problems erzielt“, so Broich.
Die im Pharmadialog verabredete Liste versorgungsrelevanter, engpassgefährdeter Arzneimittel ist laut Broich bereits in Arbeit: „Ausgehend von einer umfangreichen Liste unverzichtbarer Arzneimittel haben wir eine Risiko-adaptierte Liste erstellt, die mit den Fachgesellschaften abgestimmt wurde und die kontinuierlich überprüft und weiterentwickelt wird“. Sie sei schon jetzt eine wichtige Grundlage für einen differenzierten Umgang mit Lieferengpässen. Allerdings kann sich Broich für Arzneimittel, die von der Wirkstoffliste betroffen sind, auch weitergehende Maßnahmen vorstellen. Hoffnung setzt der BfArM-Präsident zudem auf den beim Pharmadialog vereinbarten „Jour Fixe“ zum Thema Engpässe unter Beteiligung der Bundesoberbehörden und der Fachkreise. Dieser soll bestehende und sich abzeichnende Lieferengpässe bewerten und geeignete Maßnahmen vorschlagen. „Wir wollen, dass der Jour Fixe in Kürze mit seiner Arbeit beginnt“, sagt Broich. Ein intensiverer Austausch mit allen beteiligten Akteuren ist für ihn einer von vielen Schritten hin zu einer flächendeckenderen Information über Lieferengpässe.
Fünf Hersteller (s. Tab. 2) waren für fast ein Viertel (24 Prozent) der an DAZ.online gemeldeten nicht lieferbaren Produkte (PZN) verantwortlich. Diese machten 35 Prozent der gescheiterten Bestellversuche aus.
Hersteller
|
PZN
|
Meldungen
|
---|---|---|
Heumann
|
65
|
311
|
Hexal
|
50
|
247
|
ratiopharm
|
48
|
166
|
1A
|
36
|
203
|
Aurobindo
|
24
|
113
|
PEI: Erfassung und Vermeidung funktionieren schon gut
Beim PEI, das die Engpass-Liste für Humanimpfstoffe zum Schutz und zur Behandlung von Infektionskrankheiten pflegt, steht man dem Jour Fixe ebenfalls positiv gegenüber. Hier könne man etwa Maßnahmen zur Reduktion von GMP-Problemen bei der Herstellung, logistische Aspekte beim Abverkauf und Möglichkeiten zur Planung sowie gegebenenfalls die Ausweitung der Produktionskapazitäten erörtern. Denn eines ist für das PEI ganz klar: „Impfen schützt am besten gegen Infektionskrankheiten, und um eine möglichst hohe Impfquote zu erreichen, müssen entsprechende Impfstoffe immer verfügbar sein“.
Doch bei den Impfstoffen gibt es offenbar ohnehin weniger Probleme. Beim PEI sieht man daher auch keinen Anlass, eine Meldepflicht zu fordern. Der Austausch mit den Impfstoff-Herstellern sei schon immer gut gewesen, heißt es dort. Das liege daran, dass sich beide Seiten der besonderen Verantwortung auf diesem Sektor bewusst seien. „Das System zur Unterrichtung über Verknappungen oder Ausfälle ist etabliert und hat auch früher schon gut funktioniert“.
Laut PEI-Präsident Klaus Cichutek und Isabelle Bekeredjian-Ding, Leiterin der Abteilung Mikrobiologie, die derzeit für die Lieferengpass-Listen des PEI zuständig ist, gehen derzeit im Schnitt rund drei Meldungen pro Woche beim PEI ein. Das können Meldungen über Engpässe sein oder solche über die Wieder-Lieferfähigkeit. Das PEI prüfe dann, ob die Versorgung der Bevölkerung durch den Lieferausfall gefährdet ist und ob alternative Produkte zur Verfügung stehen. Solche Alternativen werden dann in der Liste aufgeführt. Außerdem informiert das PEI die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut, wenn zum Beispiel durch fehlende Alternativen eine Impfstoffknappheit auf dem Markt auftreten könnte. Die STIKO prüft dann, ob sich der Engpass auf ihre Impfempfehlungen auswirken könnte und gibt Handlungsempfehlungen, wie in diesem speziellen Fall am besten vorzugehen ist.
„Das Modell der Exlusivverträge hat sich einfach bewährt.“
Cichutek und Bekeredjian-Ding sehen in der Regel die Marktversorgung trotz Engpässen gesichert. „Nach unseren Erfahrungen bestehen die meisten Lieferengpässe nur kurzfristig“. Häufig seien auch nur einzelne Packungsgrößen betroffen, die gesondert ausgewiesen werden und die Listen umfangreich erscheinen lassen. Tatsächlich seien im Moment zum Beispiel nur neun Impfstoff-Produkte betroffen. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die STIKO im Allgemeinen keine bestimmten Impfstoffe empfiehlt. Auch wenn ein bestimmtes Impfpräparat fehle, könne man in der Praxis oft auf gleichwertige Impfstoffe ausweichen oder statt eines Mehrfachimpfstoffs zwei Alternativprodukte in Kombination einsetzen. „Bisher war es immer möglich, mit den verfügbaren Impfstoffen die Empfehlungen der STIKO umzusetzen“.
Regionale Probleme nicht im Griff
Einen Haken gibt es allerdings – und das ist genau der Punkt, den die Apotheken zu spüren bekommen. Denn inwieweit die Impfstoffe am Markt wirklich verfügbar sind, kann das PEI letztlich doch nicht mit Sicherheit sagen. Neben den Problemen mit den Impfstoff-Ausschreibungen – wenn der Auschreibungsgewinner nicht lieferbar ist, nutzt es dem Apotheker überhaupt nichts, wenn ein Impfstoff eines anderen Hersteller lieferbar ist, diesen darf er nicht abgeben – bekommt das PEI auch von eventuell bestehenden regional begrenzten Lieferschwierigkeiten nichts mit.
Die Behörde bezieht ihre Informationen nur von den Zulassungsinhabern. „Bedingt durch die Handelskette kann es durchaus sein, dass in einzelnen Apotheken oder Regionen ein Impfstoff nicht vorhanden ist, obwohl kein Lieferengpass gemeldet wurde. Lokale oder regionale Probleme bei der Lieferfähigkeit haben wir leider nicht im Griff“, räumt man beim PEI ein. Man habe aber bereits Gespräche mit Großhändlern geführt, um zu überlegen, wie man hier Abhilfe schaffen könnte.
Wo finde ich Informationen der Behörden?
In Deutschland:
Beim BfArM unter www.bfarm.de/lieferengpaesse, inklusive eine RSS-Feeds, mit dem sich Interessierte unmittelbar über eine Aktualisierung der Liste informieren lassen können
Beim PEI unter www.pei.de/lieferengpaesse-impfstoffe-human
In Österreich:
Beim Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, AGES Medizinmarktaufsicht unter www.basg.gv.at → „Übersichtsliste Vertriebseinschränkungen“
In der Schweiz:
Beim schweizerischen Heilmittelinstitut unter www.swissmedic.ch/ → „Mitteilungen zur Arzneimittelsicherheit“
Europaweit:
Bei der europäischen Arzneibehörde EMA unter www.ema.europa.eu/ → human regulatory → medicine shortages → shortages catalogue
Das Bundesgesundheitsministerium
Engpässe sind nie ganz auszuschließen
Das Bundesgesundheitsministerium hat beim Thema Lieferengpässe in den letzten beiden Jahren still gehalten und stets auf die Ergebnisse des Pharmadialogs verwiesen. Mittlerweile liegt der lang erwartete Abschlussbericht vor. Er enthält einige Vereinbarungen zu Engpässen, vor allem wie sie besser gemanagt werden können. Gesundheits-Staatssekretär Lutz Stroppe (CDU) betont, dass das Thema Lieferengpässe auch Gegenstand der internationalen Beratungen auf EU-Ebene sein müsse.
Auch für das BMG hat das Thema Lieferengpässe in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Allerdings betont es heute wie schon in der Vergangenheit: Lieferschwierigkeiten sind nicht zwangsläufig mit Versorgungsengpässen verknüpft. Vor allem in Kliniken und Apotheken sorgten Engpässe zwar für mehr Aufwand, räumt Stroppe ein. Allerdings stünden häufig alternative Arzneimittel zur Verfügung. Auch Ausfälle im Impfstoffbereich seien nicht grundsätzlich gravierend, da oft nur einzelne Packungsgrößen oder Darreichungsformen betroffen seien und Ärzte auf andere Impfstoffe ausweichen könnten. Doch der Staatssekretär betont auch, dass ein Engpass „in keinem Fall wünschenswert“ ist. Ganz auszuschließen seien sie im globalen Pharmamarkt aber nie. So könne etwa ein Wirkstoff, der in China oder Indien hergestellt wird, ausfallen, wenn er nicht die notwendige Qualität aufweist oder sich die Lieferung verzögert. Auf der einen Seite profitierten die Verbraucher von einer zunehmenden Internationalisierung, sagt Stroppe: Die Zahl der heute in Deutschland verfügbaren Arzneimittel sei außerordentlich hoch. Auf der anderen Seite führe dies in der Tendenz leider auch zu einer höheren Anfälligkeit der Lieferkette. „Deshalb ist es richtig und wichtig, dass das Thema Lieferengpässe auch Gegenstand der internationalen Beratungen auf EU-Ebene ist“.
„Je früher wir durch die Hersteller von Lieferengpässen und deren Ursachen erfahren, desto besser können die betroffenen Ärzte und Apotheker mögliche Alternativen planen.“
Meldepflicht kann Engpässe nicht beheben
Zunächst wurden im Pharmadialog allerdings Vereinbarungen auf nationaler Ebene getroffen. Sie betreffen vor allem die Robustheit der Lieferkette. Stroppe sieht es positiv, dass sich die pharmazeutische Industrie verpflichtet hat, „durch weitere Optimierung ihrer Prozesse und des Qualitätsmanagements zu einer Verbesserung der Versorgungssituation beizutragen“. Auch Transparenz sei „ein Schlüssel im Umgang mit Lieferengpässen“: Wo gibt es Engpässe und wann werden diese auftreten? Je früher man Bescheid wisse, desto besser könnten die betroffenen Ärzte und Apotheker mögliche Alternativen planen. Stroppe setzt auf die Pharmadialog-Verabredung, dass sich die Hersteller zu einer freiwilligen Meldung verpflichtet haben. „Wir werden sehr genau beobachten, ob das funktioniert“, so Stroppe. Er verweist darauf, dass im Abschlussdokument des Pharmadialogs auch festgeschrieben ist, dass sich das Ministerium vorbehält, eine gesetzliche Meldepflicht einzuführen, sollten die vereinbarten Maßnahmen nicht greifen. Allerdings sei klar: „Eine Meldeverpflichtung führt nicht zu mehr Arzneimitteln, sondern dient dem Management der Engpasssituation“. Vorrangiges Ziel müsse jedoch sein, Engpässe gar nicht erst entstehen zu lassen.
Was die Pharmadialog-Verabredungen zu Rabattverträgen betrifft, verteidigt Stroppe die weiche Formulierung in Sachen Mehrfachvergabe. Die Krankenkassen seien mittlerweile für dieses Thema sensibilisiert. Es sei schließlich auch nicht in ihrem Interesse, wenn ihre Versicherten nicht wie geplant versorgt werden können. Mehrfachausschreibungen sollten künftig, wo es sinnvoll ist, stärker genutzt werden, so Stroppe. Aber es gebe eben auch Fälle, in denen eine Pflicht, z. B. auf drei Anbieter auszuschreiben, nicht sachgerecht sei oder gar nicht funktioniert, weil es so viele Hersteller für das konkrete Produkt vielleicht gar nicht gebe.
Die Krankenkassen
AOK-Chef Litsch: Lieferengpässe haben nichts mit Rabattverträgen zu tun
Wer oder was ist eigentlich aus Sicht der Krankenkassen daran schuld, dass es immer wieder zu Lieferengpässen kommt? Rabattverträge sicher nicht. Der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, schiebt den Herstellern den schwarzen Peter zu.
Litsch ist überzeugt: Die flächendeckende Arzneimittelversorgung in Deutschland ist sicher. Alle Medikamente seien in den Apotheken vorrätig oder kurzfristig beschaffbar. Die Lieferschwierigkeiten seien überschaubar. Betroffen seien vor allem stationär eingesetzte Produkte. Dass es überhaupt zu Engpässen kommt, liege hauptsächlich am globalen Handeln von Pharmakonzernen und dessen Folgen, sagt der AOK-Chef. An den Krankenkassen und speziell ihren Rabattverträgen liege es jedenfalls nicht: „Die sporadisch auftretenden Lieferengpässe haben nichts mit Rabattverträgen oder Ausschreibungen oder deren Attraktivität für die Hersteller zu tun“. Die AOKen gestalteten ihre Verträge mit Herstellern schon jetzt so, dass Lieferengpässe möglichst ausgeschlossen würden. Dafür sorgten auch die ausgewogenen Vorlaufzeiten vor dem Vertragsstart, die zur rechtzeitigen Bevorratung in Apotheken beitrügen. Jedenfalls bei den AOK-Verträgen gebe es bereits Vorlaufzeiten zwischen drei und fünf Monaten. Sechs Monate – wie sie im Pharmadialog gefordert wurden – seien also „mehr als ausreichend“.
Mehrfachvergaben verhindern Engpässe nicht
Die von Generikaherstellern und auch seitens der ABDA geforderte Mehrfachvergabe bei Rabattverträgen, kann Litsch nur bedingt nachvollziehen: „Wo es passt, ziehen wir auch das Mehrpartnermodell in Betracht. Allerdings sollte es nicht zur Pflicht werden. Mehrfachvergaben können Lieferengpässe nicht verhindern“. Nach Auffassung der AOK ist eine sichere Versorgung über exklusive Verträge gut machbar. Das Modell habe sich „einfach bewährt“. Es stärke die Therapietreue der Patienten, weil diese zwei Jahre lang garantiert das gleiche Arzneimittel bekommen. „Und natürlich lassen sich so auch höhere Rabatte erzielen“, räumt Litsch ein. Sollten doch einmal einzelne Packungsgrößen nicht verfügbar sein, könne die Versorgung problemlos durch die Abgabe von gleichwertigen Alternativen gesichert werden.
Zudem ist der AOK-Chef überzeugt: „Unsere Vertragspolitik führt auch zu gut kalkulierbaren Aufträgen, das stärkt den Markt vor allem auch für mittelständische Anbieter“.
Für eine Beurteilung der Lieferfähigkeit der Großhändler ist die Stichprobe von 50 Apotheken, die Defekte an DAZ.online gemeldet haben, zu klein. Naturgemäß wurden große, bundesweit aktive Großhandlungen häufiger genannt als kleine regionale, bei denen weniger Apotheken bestellen.
Von Beschwerden der Pharmaunternehmen über zu geringe Preise will er nichts hören – schon gar nicht von Anbietern patentgeschützter Arzneimittel, die erklären, ihre Präparate würden deshalb bereits in andere Länder exportiert. Deutschland sei für sie noch immer „das reinste Eldorado mit hohen Marktpreisen für alle Arzneimittel“. Immerhin übernehme die GKV für jedes Arzneimittel im ersten Jahr nach Markteinführung garantiert die Kosten – egal, zu welchem Preis.
Auch in „empfindlichen“ Märkten mit wenigen Teilnehmern will die AOK nicht auf Ausschreibungen verzichten. Litsch: „Wir sprechen uns klar für Ausschreibungen im Bereich der Zytostatika- und Impfstoffversorgung aus. Das führt zu mehr Effizienz und vor allem zu einer transparenten Auftragsvergabe in einem sonst wettbewerbsfernen Markt“. Durch bessere Planbarkeit verbessere sich dann auch die Lieferfähigkeit bei allen Beteiligten. „Gerade bei Impfstoffen haben die Lieferverpflichtungen durch Ausschreibungen für Versorgungssicherheit gesorgt“, sagt Litsch.
Wolle man den Engpässen entgegentreten, muss man nach Ansicht des AOK-Chefs die Pharmaindustrie stärker in die Pflicht nehmen. „Eine Möglichkeit ist die obligatorische und sanktionsbewehrte Meldung von Lieferengpässen, damit man die Versorgung zeitgerecht umorganisieren kann“. |