Therapien im Gespräch

Stoffwechselerkrankungen und Diabetes

Arzneimittel können immer nur ein Teil eines umfassenden Therapiekonzepts sein

cae | Wenn der Stoffwechsel einmal massiv gestört ist, ist es unwahrscheinlich, dass er sich von selbst wieder normalisiert. Oft sind physiologische Strukturen irreversibel zerstört, z. B. die Betazellen bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1. Die betroffenen Personen sind chronisch krank und benötigen eine lebenslange Therapie.

Übergewicht: Was kann man dagegen tun?

Ausgangspunkt einer Stoffwechselstörung ist oft die Überernährung, die Belastung des Körpers mit Nährstoffen, die er gar nicht braucht. Eine falsche, ungesunde Ernährung ist typisch für den Lebensstil in den modernen Industriegesellschaften. Diäten versprechen Hilfe, die sie dann doch nicht bieten können. Sind Arzneimittel mit einschlägiger Indikation hier eine bessere Option? Kann man mit ihrer Hilfe sein „Wunschgewicht“ erreichen? (DAZ 10, S. 48)

Die von mehreren medizinischen Fachgesellschaften verabschiedete S3-Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas“ setzt bei Übergewicht und Adipositas zuerst auf Lebensstiländerungen. Arzneistoffe sollten erst bei einem Body-Mass-Index ab 30 zum Einsatz kommen – bei Personen mit Bluthochdruck oder Diabetes ausnahmsweise bei einem BMI ab 27.

Mit Anorektika, Lipase-Inhibitoren und Quellstoffen gibt es verschiedene Wirkstoffgruppen, allerdings empfiehlt die S3-Leitlinie ausschließlich den Lip­ase-Hemmer Orlistat. Abhängig von der Dosis ist Orlistat rezeptpflichtig (120 mg, Xenical®) oder rezeptfrei (60 mg, alli®). Typische Nebenwirkungen sind weicher Stuhl und Fettstuhl (Steatorrhö), eine häufigere Stuhlfrequenz sowie Meteorismus. Der Apotheker muss den Patienten darüber aufklären, um dessen Compliance zu verbessern.

Relativ neu auf dem Markt sind zwei Präparate, die es allein wegen ihrer Neuheit noch nicht in die S3-Leitlinie schaffen konnten: das GLP-1-Analogon Liraglutid (Saxenda®) und eine fixe Kombination des Opioid-Antagonisten Naltrexon mit dem Entwöhnungsmittel Bupropion (Mysimba®). Das GLP (Glucagon-like peptide) bremst den Appetit, indem es auf das entsprechende Steuerungszentrum im Gehirn einwirkt. GLP-1-Analoga sollen weniger bedenklich sein als ältere Arzneistoffe, die im zentralen Nervensystem ihre Wirkung entfalten, allen voran die bereits in den 1960er-Jahren in den Markt eingeführten „Appetitzügler“ mit Amphetamin-Struktur.

Auch jüngere Entwicklungen, die den Appetit durch die Blockade von Cannabinoid-Rezeptoren (Rimonabant, Acomplia®) oder durch die Wiederaufnahmehemmung der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin (Sibutramin, Reductil®) hemmen, werden wegen möglicher Nebenwirkungen wie Depressionen bzw. kardiovasku­läre Ereignisse kritisch gesehen.

Formuladiäten in der Apotheke

Bleibt schließlich noch die große Produktpalette von Abnehmhilfen unter den Nahrungsergänzungsmitteln, über die es keine wissenschaftlichen Untersuchungen gibt. Dieser Mangel kann teilweise durch die praktischen Erfahrungen ersetzt werden, und die besagen, dass der Erfolg meistens vom Anwender abhängt: Er darf sich nicht allein auf die Schlankheitsmittel verlassen, sondern muss sie als Baustein in ein Ernährungskonzept einbauen. Viele Formuladiäten sind apothekenexklusiv. Insofern darf der Kunde hier auch eine kompetente ­Beratung in der Apotheke erwarten (DAZ 10, S. 61).

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Dyslipidämien: den Cholesterolspiegel senken

Schätzungsweise jeder zehnte Deutsche weist anomale Blutlipidwerte auf, wobei unter den Blutlipiden die Cholesterole (das „gute“ HDL und das „schlechte“ LDL) im Vordergrund stehen. Hypercholesterolämien verursachen auf die Dauer Atherosklerose und in der Folge noch schwerwiegendere Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Pharmakotherapie, die möglichst von positiven Lebensstiländerungen begleitet sein sollte, erfolgt durch Lipidsenker mit verschiedenen Wirkprinzipien. Am wichtigsten sind derzeit die Statine (DAZ 13, S. 24).

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Hypercholesterolämien sind nur zum Teil auf cholesterolreiche Nahrungsmittel ­zurückzuführen, denn das meiste Cholesterol synthetisiert der Körper selbst.

Statine sind HMG-CoA-Reduktase-­Inhibitoren und hemmen die körpereigene Cholesterolsynthese bei einem frühen Syntheseschritt. Nachdem 1987 mit Lovastatin (Mevinacor®) das erste Statin zugelassen worden war, folgten Simvastatin (Zocor®), Pravastatin (Lipifacil®), Fluvastatin (Locol®), Atorvastatin (Sortis®) und Rosuvastatin (Crestor®) mit vielen Generika. Ihre häufigsten unerwünschten Wirkungen sind Muskelschmerzen. Die gefährlichste Komplikation ist die Rhabdomyolyse, d. h. die Auflösung von quergestreifter Muskulatur, die ­jedoch sehr selten auftritt.

Auch Fibrate (Fenofibrat, Bezafibrat und Gemfibrozil) senken die Cholesterolsynthese: Sie aktivieren den Peroxisomen-Proliferator-aktivierten Rezeptor α. Der PPAR-α steigert die Oxidation freier Fettsäuren, die die Leber zur Biosynthese von Lipoproteinen benötigt (und nun nicht mehr in der gewohnten Menge bekommt). Fibrate sind heute allerdings nur noch Mittel der 2. Wahl.

Ebenfalls indirekt an der Biosynthese von Cholesterol setzen die basischen Anionenaustauscherharze Colestyramin und Colesevelam an: Sie binden Gallensäuren im Darm, sodass diese mit den Fäzes ausgeschieden und nicht rückresorbiert werden. Damit wird der enterohepatische Kreislauf der Gallensäuren, die ein wichtiges Substrat für die Biosynthese von Cholesterol sind, unterbrochen.

Ein Cholesterol-Resorptionshemmer im engeren Sinne ist Ezetimib (Ezetrol®), das sich an den Bürstensaum der Dünndarmwand anlagert und dort den Transport von Cholesterol durch die Enterozyten ins Blut verhindert, indem es das Transportprotein NPC1L1 inaktiviert. Ezetimib ist derzeit der einzige zugelassene Vertreter einer neuen Wirkstoffklasse, dem bald weitere folgen könnten.

Innovationen sind bei den Lipidsenkern – wie bei vielen anderen Indikationen auch – aber vor allem durch Biologicals zu erwarten. Die mono­klonalen Antikörper Evolocumab (Repatha®) und Alirocumab (Praluent®) sind bereits in den Markt ein­geführt. Derzeit limitieren die hohen Therapiekosten ihren breiten Einsatz.

SGLT2-Inhibitoren zur Therapie des Typ-2-Diabetes

Die SGLT2-Inhibitoren oder Gliflozine stellen eine sehr junge Arzneistoffklasse dar. Als erster Vertreter wurde Dapagliflozin (Forxiga®) Ende 2012 zur Behandlung des Typ-2-Diabetes zugelassen. Ihm folgten 2013 Canagliflozin (Invokana®; zzt. nicht im Handel) und 2014 Empagliflozin (Jardiance®). SGLT2-Inhibitoren hemmen den Natrium-Glucose-Transporter 2 (SGLT2) im proximalen Tubulus des Nephrons. Dadurch vermindern sie die Rückresorption der Glucose in der Niere und senken den Blutglucose­spiegel. Aufgrund dieses Wirkmechanismus interagieren sie nicht mit anderen Antidiabetika und lassen sich gut mit ihnen kombinieren (DAZ 34, S. 32).

Ein besonderer Vorteil der Therapie mit SGLT2-Inhibitoren ist das fehlende intrinsische Hypoglykämierisiko. Zwei willkommene Nebeneffekte sind die leichte Blutdrucksenkung und die Reduktion des Körpergewichts. Allerdings gibt es auch Kontraindikationen und unerwünschte Wirkungen. Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist auch die Wirksamkeit der SGLT2-Inhibitoren weniger stark ausgeprägt. Wenn die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) unter Berücksichtigung der Körperoberfläche (KO; 1,73 m2 entspricht einer 75 kg schweren Person) bestimmte Werte unterschreitet, wird der Einsatz von SGLT2-Inhibitoren nicht mehr emp­fohlen:

  • eGFR < 60 ml/min × 1,73 m2/KO für Dapagliflozin,
  • eGFR < 45 ml/min × 1,73 m2/KO für Canagliflozin und Empagliflozin.

Die am häufigsten auftretende un­erwünschte Wirkung von SGLT2-Inhibitoren ist eine Glucosurie-bedingte Genitalinfektion (v. a. mit Candida), die meist zu Beginn der Behandlung auftritt, und zwar häufiger bei Frauen als bei Männern.

Wie bei anderen Stoffwechselstörungen gilt auch beim Diabetes, dass Arzneimittel ergänzend zu nicht-medikamentösen Maßnahmen anzuwenden sind. Beim Typ-2-Diabetes empfiehlt die Nationale Versorgungsleitlinie eine Stufentherapie in dieser Reihenfolge:

  • Intensivierung der körperlichen ­Bewegung und Muskelarbeit,
  • gesunde Ernährung mit Körper­gewichtskontrolle,
  • medikamentöse Therapie, zunächst mit Metformin, dann zusätzlich mit anderen oralen Antidiabetika (u. a. SGLT2-Inhibitoren) und injizierbaren Antidiabetika (GLP1-Inhibitoren, Insulin). |

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