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Warum Venter kein synthetisches Leben geschaffen hat

Eine Arbeit in Science mit dem Titel "Creation of a Bacterial Cell Controlled by a Chemically Synthesized Genome" [1] füllte in der vorletzten Woche die Schlagzeilen. Der US-Genforscher Craig Venter, der im Jahr 2000 das menschliche Genom entschlüsselt und 2007 erstmals das vollständige Genom eines Bakteriums hergestellt hatte, schuf mit seinem Team ein Bakterium mit künstlichem Erbgut.
Abb.: Zusammenbau des synthetischen M.-mycoides -Genoms in ­Hefe­zellen Das Genom wurde in drei Stufen zusammengebaut: Zunächst wurden 1078 DNA-Cassetten, die überlappende Sequenzen aufweisen und 1080 bp lang sind, in Sets von 10 Cassetten assembliert. Das Resultat waren 109 ca. 10 kbp große Fragmente (hellblaue Pfeile). Von diesen Fragmenten wurden wiederum zu 10 Stück aneinandergehängt , sie lieferten 11 ca. 100 kbp große Fragmente. Aus diesen Fragmenten konnte schließlich das komplette Genom zusammengesetzt werden (roter Kreis). Mit Ausnahme von zwei Fragmenten, die enzymatisch verknüpft wurden, sind alle größeren Fragmente durch sogenannte homologe Rekombination in Hefezellen entstanden. Die gelben Kreise weisen auf wesentliche Abweichungen von der natürlichen DNA-Sequenz hin. Vier davon sind die "Wasserzeichen" (WM1-WM4), eine 4 kbp große Region wurde absichtlich entfernt (94D) und in einem Bereich sind die Sequenzen lokalisiert, die für die Vermehrung in Hefe und den Transfer des Genoms verantwortlich sind (mod. nach [1]).
Quelle: Dingermann/Zündorf

Sie bauten die Gene eines Bakteriums mithilfe einzelner DNA-Fragmente nach und setzten dieses Kunstgenom dann in eine andere Bakterienart ein. Die Folge: Die so vom künstlichen Erbgut gekaperte Zelle produzierte nur noch Stoffe, die auf diesem gespeichert waren. Das Original-Erbgut der Zelle wurde herausgekickt. Hat Craig Venter mit diesem Schritt künstliches Leben geschaffen, wie viele Tageszeitungen fragten? Wir wollten von Dr. Ilse Zündorf und Professor Theo Dingermann wissen, wie sie dieses Experiment zur Synthetischen Biologie bewerten.

DAZ: Hat die Gruppe um den Genforscher J. Craig Venter tatsächlich hier erstmals ein neues, "synthetisches" Lebewesen geschaffen, wie man zu lesen glaubte?

 

Zündorf: Nein, das ist nicht der Fall. Venter und seine Wissenschaftler haben gewissermaßen die Software eines existierenden Organismus (Mycoplasma mycoides) kopiert. Diese haben sie dann in eine vorhandene Hardware – das Bakterium Mycoplasma mycoides – eingeführt und von dieser auslesen lassen.


DAZ: Ist das denn nicht doch die Schaffung eines neuen Lebewesens?

 

Dingermann: Nein, das ist es nicht. Es wurde "nur" das Genom eines Organismus komplett synthetisiert. Die Biochemie, die erforderlich ist, um die genomische Information zu übersetzen und damit "Leben" zu ermöglichen, wurde in Form einer real existierenden Bakterienzelle bereitgestellt. Hinzu kommt, dass die genomische Information zwar komplett synthetisiert wurde, jedoch nicht neu entworfen, sondern ausgehend von der vorhandenen Mycoplasma-mycoides -DNA "nur" kopiert wurde.


DAZ: Was bedeutet das? Wie kann man sich das vorstellen?

 

Dingermann:

Das ist schon ein erheblicher Aufwand, denn das Mycoplasma-mycoides -Genom besteht immerhin aus ca. 1.080.000 Buchstaben. Zunächst wurden DNA-Fragmente mit einer Länge von 1078 Buchstaben synthetisiert. Diese wurden in drei Schritten in der Hefe Saccharomyces cerevisiae zusammengebaut: Im ersten Schritt wurden jeweils 10 Ausgangsfragmente zu ca. 10.800 Buchstaben langen Fragmente assembliert. Dabei erhielt man 109 unterschiedliche, aber in ihrer Sequenz überlappende DNA-Fragmente. Jeweils 10 dieser Fragmente wurden zu 11 ca. 100 kbp-Fragmenten zusammengesetzt, und schließlich wurden diese 11 Fragmente zu einem kompletten, zirkulären Mycoplasma-mycoides -Genom verknüpft. All dies geschah, wie gesagt, in der Hefe Saccharomyces cerevisiae .

Zündorf: Parallel zu diesen Arbeiten hatte man gelernt, diese riesige DNA aus der Hefe zu isolieren und sie in das Bakterium einzuschleusen. Dabei stellte sich heraus, dass das Bakterium die in der Hefe synthetisierte DNA als fremd erkennt und abbaut. Dieses Problem wurde umgangen, indem man die DNA mithilfe eines Extraktes aus M. mycoides methylierte, wodurch sie vor dem speziellen bakteriellen DNA-Restriktionssystem geschützt war.


DAZ: Wie kann man überprüfen, dass tatsächlich das synthetisierte Genom und nicht das authentische Genom das Bakterienwachstum steuert?

 

Zündorf: Hier haben sich die Wissenschaftler die Freiheit genommen, die man hat, wenn man etwas neu synthetisiert. Sie haben an bestimmten Stellen künstliche Sequenzen – eine Art Wasserzeichen – eingefügt, die sie zudem ziemlich originell zusammenstellten. So haben sie ihre Namen, ihre E-Mail-Adressen und auch Zitate berühmter Leute als DNA verschlüsselt in die Genom-Kopie eingefügt. Das bedeutet auch, dass sich der Ausgangsstamm Mycoplasma mycoides von dem neuen Stamm unterscheidet, weshalb man ihm auch einen neuen Namen gegeben hat: Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0, wobei das Acronym JCVI für "J. Craig Venter Institute", der Firma des Genforschers, steht.


DAZ: Wie geht es weiter mit der Synthetischen Biologie?

 

Dingermann: Dieses Feld ordnet sich noch, denn es ist ein sehr junger Wissenschaftszweig. Zwei Lager verfolgen ganz unterschiedliche Strategien.

  • Beim sogenannten "Top-down-Ansatz" geht man den Weg vom Belebten zum Künstlichen. Hier werden neue Lebensformen erschaffen, indem einzelne Bestandteile entfernt, ersetzt, umgebaut und wie "Legosteine" neu zusammengefügt werden.
  • Die Alternative ist der "Bottom-up-Ansatz", bei dem man versucht, ausgehend von Leblosem Lebewesen zu schaffen.

Zündorf: Es gibt natürlich Überlappungen beider Ansätze, so dass es nicht immer klar ist, ob ein Resultat eher der Top-down- oder der Bottom-up-Strategie zuzuordnen ist. Auch bei der Schaffung von Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0 kann man beide Ansätze erkennen. Die Neusynthese des Genoms ist sicherlich ein Bottom-up-Ansatz. Diese allerdings biologisch zu "aktivieren", gelang mit einem Top-down-Ansatz.

Wichtiger als die Strategie sind die Resultate, die auf diesem Gebiet erzielt werden. Wie bei allen Technologien gilt es auch hier, kritisch zwischen Chancen und Risiken abzuwägen.


DAZ: Wie positionieren Sie sich in diesem Spannungsfeld?

 

Dingermann: Es ist gute wissenschaftliche Praxis, Probleme am konkreten Fall zu diskutieren. Daher kann man bei seriösem, rationalem Vorgehen nicht einen alternativlosen Standpunkt gegen oder für die Synthetische Biologie einnehmen.

Natürlich müssen Sicherheitsstandards eingehalten werden, wie sie beispielsweise das Gentechnikgesetz vorschreibt. Dies sind sehr bewährte Maßnahmen, die eventuell einer Anpassung bedürfen, wenn klarer wird, welche neuen Probleme die Synthetische Biologie mit sich bringen könnte.

Auch wirft die Synthetische Biologie ethische Fragen auf, die offen diskutiert werden müssen, und wo versucht werden muss, einen gesellschaftlichen Konsens zu finden. Aber gerade dabei gilt es auch, nicht die Chancen der Synthetischen Biologie außer Acht zu lassen.

Uns beiden interessieren offensichtlich vor allem die Chancen, die sich im Hinblick auf einen Fortschritt bei den Interventionsoptionen in der Medizin ergeben. Hier vorschnell abzuwinken und eine radikal ablehnende Haltung einzunehmen, wäre ein Schlag ins Gesicht derer, die schwer krank sind und immer auf Fortschritt hoffen, weil sie, wie die meisten von uns, am Leben hängen.

Wir geben auch zu, längst nicht das ganze Potenzial dieser neuen Forschungsrichtung abschätzen zu können, wenn das denn überhaupt einer kann. Wer hätte beispielsweise gedacht, welche Entwicklung die Einführung des iPhones nach sich ziehen würde? Die Innovation war nicht etwa eine "neue Dimension des Telefonierens", wie wir alle wissen. Es waren die Zusatzanwendungen in Form von äußerst clever entwickelten "Apps" auf der Basis eines Baukastenprinzips, das Apple jedem potenziellen Entwickler zur Verfügung stellte, um hiermit seine Phantasien zu realisieren. Die Synthetische Biologie verfolgt ein sehr ähnliches Konzept! Und natürlich besitzt sie ein ungeheures Potenzial für äußerst nützliche Innovationen – im Material-, Umwelt-, Ernährungs- und eben auch im Gesundheitsbereich. Daher sehen wir eher die Chancen als die Risiken, die unseres Erachtens leicht zu beherrschen sind.


Literatur  [1] Gibson, D.G., Glass, J.I., Lartigue, C., et al.: Creation of a Bacterial Cell Controlled by a Chemically Synthesized Genome. Sciencexpress, www.sciencexpress.org / 20 May 2010 / 10.1126/science.1190719

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