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Diagnostik

Das Who’s who komplexer mikrobieller Ökosysteme

Schnellere und gezieltere Therapie bei Infektionen dank Metagenomik?

 In einigen Fällen wollen und in einigen Fällen müssen wir sie sogar sehr dringend näher kennenlernen: Die kleinen Organismen, die sich in und auf uns befinden und mit uns eine einzige große Lebensgemeinschaft bilden. Immerhin leben diejenigen Zellen, die sich einmal aus einer befruchteten Eizelle zu einem Menschen entwickelt haben, mit ungefähr zehnmal mehr Bakterienzellen zusammen und bilden in dieser Gesamtheit das Individuum Homo sapiens. Eigentlich alles ganz normal und gut. Gefährlich wird es immer dann, wenn sich pathogene Organismen dazu­gesellen und das bestehende Gleichgewicht der Mikroorganismen verschieben. Hier ist eine schnelle und spezifische Elimination der Bösewichte möglichst unter Schonung der guten Mitbewohner gewünscht. | Von Ilse Zündorf und Robert Fürst

Ein therapeutischer Rundumschlag

Soll ein Patient mit einer fulminanten bakteriellen Infektion therapiert werden, wird zwar auch ein Abstrich genommen, um nach einer Inkubation Informationen über die (Haupt-)Bösewichte zu erhalten. Aber gleichzeitig wird meist vorsichtshalber mit einem Breitbandantibiotikum behandelt, um die bakterielle Last möglichst schnell zu reduzieren und die Infektion zu bekämpfen. Das ist für die Akutsituation richtig und wichtig, damit es dem Patienten schnell besser geht. Es kann allerdings dazu führen, dass neben den schlechten auch zu viele gute Bakterien eliminiert werden und die Mikroflora nachhaltig gestört wird – mit eventuell langwierigen Folgen. Man denke beispielsweise nur an die steigende Zahl von schweren Infektionen mit Clostridioides (früher: Clostridium)difficile. Auf der anderen Seite dauert es einige Zeit, bis die Urheber der Infektion aus einem Abstrich zunächst kultiviert und anschließend eindeutig identifiziert sind, um schließlich nach Erstellung eines Antibiogramms ein spezifisch wirksames Antibiotikum einsetzen zu können. Zeit, die der Patient eventuell nicht hat.

Wünschenswert wäre also eine Möglichkeit, eine bakterielle Infektion wesentlich schneller und trotzdem sicher charakterisieren zu können. Erst vor kurzem hat eine Veröffentlichung in der Zeitschrift „Nature Biotechnology“ für Auf­sehen gesorgt, in der eine Methode zur sicheren Charakterisierung von Infektionen der unteren Atemwege in nur sechs Stunden beschrieben wurde. Nur sechs Stunden! Das ist natürlich wirklich ein Wort.

Ein analytischer Rundumschlag

Die Wunderwaffe, die bei diesem und ähnlichen Ansätzen eingesetzt wurde, ist die sogenannte Metagenomik. Oft taucht dieser Begriff in Verbindung mit „Nanopore“ auf. Kaum, dass Termini wie Genomik, Transkriptomik oder Proteomik erfolgreich in den Wortschatz aufgenommen wurden, kommt jetzt also das Ganze mit der Silbe „Meta“ daher – wer soll sich da noch auskennen? Wird das dann zusätzlich mit „Nano“ kombiniert, klingt alles extrem modern, aber auch extrem verwirrend.

Natürlich hat „Metagenomik“ ebenso wie die „Genomik“ etwas mit der Sequenzierung von DNA zu tun, und zwar nicht nur von einzelnen Genen, sondern von einem ganzen Genom eines Organismus. Wer erinnert sich nicht noch an das humane Genomprojekt zur Aufklärung der Nukleotidabfolge in der menschlichen DNA, das 1990 gestartet wurde. Bereits damals machten zwei unterschiedliche methodische Ansätze von sich reden: Während die Human Genome Organisation sehr strukturiert Chromosom für Chromosom sequenzierte, wollte Craig Venter mit seiner Firma Celera das Ziel mit dem sogenannten Whole Genome Shotgun Sequencing erreichen. Bei dieser Methode wird das komplette Genom eines Organismus unspezifisch und zufällig in kleinere Stücke zerschnitten, die sequenziert werden. Anschließend werden die Ergebnisse mithilfe von Computerprogrammen auf überlappende Bereiche analysiert und darüber die verschiedenen Chromosomen quasi zusammengesetzt – ähnlich wie einzelne Puzzlestücke, die später ein komplettes Bild ergeben.

Durch die Weiterentwicklung der Sequenziertechniken und der bioinformatischen Möglichkeiten hat sich diese Methode in der Genomik soweit durchgesetzt, dass jetzt nicht mehr nur Genome einzelner, isolierter Organismen untersucht werden, sondern die Genome aller Organismen eines bestimmten Lebensraums. Es war wieder Craig Venter, der diesen Ansatz maßgeblich weiterentwickelte: 2004 veröffentlichte er zusammen mit einem ganzen Stab an Wissenschaftlern in der renommierten Zeitschrift „Science“ ein Sequen­zierprojekt aller Organismen in der Sargassosee, einem Meeresgebiet nahe den Bermuda-Inseln im Atlantik. Dafür wurden großvolumige Wasserproben filtriert und die Filter direkt dazu verwendet, daraus DNA zu isolieren und zu sequenzieren. Dies war die Geburtsstunde der Metagenomik-Projekte, also der Genomanalyse ganzer Lebensräume (Biotope) und das direkt aus Umweltproben. Egal welche Lebensgemeinschaft (Biozönose) von Interesse war, man konnte nun direkt aus dem Probenmaterial Sequenzinformationen erhalten und mit Datenbanken abgleichen. Das Resultat ist die Zusammensetzung der einzelnen Individuen einer Lebensgemeinschaft. Für die Ökosystem- und Bio­diversitätsforschung ist die Metagenomik mittlerweile unverzichtbar geworden, sie hat diese Bereiche geradezu revolutioniert. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass mehr als 99% aller Mikroorganismen nicht kultivierbar sind, kann man sich die Tragweite dieser neuen Forschungsrichtung vorstellen. Auch die Pharmazie wird in Zukunft davon pro­fitieren, denn die Metagenomik hat sich im Bereich der Naturstoffforschung bereits etabliert, sodass neue Wirkstoff­kandidaten zu erwarten sind.

Natürlich wird die Metagenomik inzwischen auch für Proben aus menschlichen Lebensräumen angewendet, seien es Stuhlproben, Urinproben oder Abstriche von der Haut. Bei der bereits erwähnten, in „Nature Biotechnology“ veröffentlichten Studie wurden verschiedene Proben aus der Lunge (Sputum, endotracheales Aspirat und bronchoalveolare Lavage) analysiert. Je nachdem, welcher Lebensraum untersucht werden soll, ist das große Problem jedoch die Menge an „Hintergrund-DNA“. Bei Infektionen der unteren Atemwege finden sich in den Proben neben Mikroorganismen natürlich auch viele Zellen des menschlichen Wirts. Während jedoch typische Bakteriengenome in der Größenordnung von 2 bis 5 × 106 Basenpaare umfassen, trägt jede menschliche Zelle genetische Information aus 3 × 109 Basenpaaren.Eine einzige Zelle des Wirtsorganismus liefert also ungefähr soviel DNA wie 1000 Bakterien! Die Herausforderung besteht somit darin, zunächst die Menge menschlicher DNA stark zu reduzieren, bevor die Genome der Mikroorganismen sequenziert werden können. Der Trick, den die Wissenschaftler mit den Lungenproben angewendet haben, war, menschliche Zellen zunächst durch Behandlung mit einem Saponin zu lysieren und so zu entfernen. Die Bakterien­zellen überstanden diese Prozedur unbeschadet und konnten anschließend mittels eines optimierten Lyse-Protokolls recht quantitativ aufgeschlossen und die DNA analysiert werden.

Was macht die Nanopore?

Inzwischen sind die DNA-Sequenzierungstechniken so ausgefeilt, dass wirklich einzelne DNA-Stränge/Moleküle analysiert werden können, eben mithilfe einer winzigen Pore – der besagten Nanopore –, was dann insgesamt als Nanopore Sequencing bezeichnet wird. Verwendet werden beispielsweise dünne, synthetische, nicht stromleitende Membranen, in die Nanoporen integriert sind. Diese Poren können biologischen Ursprungs sein und zum Beispiel vom α-Hämolysin (Exotoxin von Staphylococcus aureus) abstammen oder mittlerweile auch synthetisch erzeugt werden (zum Beispiel aus Graphen). Sie formen eine räumlich streng definierte Durchtrittsöffnung im niedrigen Nanometer-Bereich. Über die Membran hinweg, die in einer Elektrolytlösung liegt, wird eine konstante Spannung angelegt, sodass ein Stromfluss durch die Nanopore entsteht. In einer Art Elektrophorese bewegt sich nun ein DNA-Strang durch die Nanopore, wobei die resultierende Stromstärke, die gemessen wird, von der Zusammensetzung der DNA abhängt: Die Stromstärke ändert sich also basen­spezifisch (Abb. 1). Von der Firma Oxford Nanopore Technologies (ONT) wurde ein kleines Handgerät, das MinION, entwickelt, das für die DNA-Analyse einfach über USB an einen Computer angeschlossen werden kann. Auf einer Durchfluss-Messzelle im MinION befinden sich insgesamt 512 Sensoren, die jeweils mit vier Nanoporen verknüpft sind, von denen immer eine im Einsatz ist. Der Stromfluss durch die Pore wird Tausende Male pro Sekunde gemessen und das Ergebnis in Echtzeit über eine geeignete Software verarbeitet. Natürlich muss die DNA vorher speziell vorbereitet und mit einem Adapter versehen werden, damit der Doppelstrang zu einer Pore gelenkt, dort durch eine Helikase denaturiert wird und als Einzelstrang durch die Pore wandert. Die Firma Oxford Nanopore Technologies bietet dafür ein vorgefertigtes Kit an. Teil des Protokolls für die DNA-Vorbereitung ist eine PCR-Amplifikation über 25 Synthesezyklen. Um die gesamte Analysezeit zu optimieren wurde für die Atemwegsinfektions­studie die Elongationszeit im PCR-Standardprotokoll zur Herstellung der DNA-Bibliotheken von sechs Minuten auf vier Minuten verkürzt, was eine Zeitersparnis von 50 Minuten einbrachte.

Abb. 1: Schematische Darstellung der Metagenomik-Analyse mithilfe der Nanopore-Technologie (Einzelheiten im Text).

Was sind die Limitationen der Methode?

Aus dem MinION-Handgerät kommen allerdings zunächst nur DNA-Sequenzen, also Basenabfolgen. Zu welchen Bakterien sie gehören, kann erst durch Vergleich mit Datenbanken festgestellt werden, in der möglichst viele Genome von Mikroorganismen abgelegt sind. Die Firma Oxford Nanopore Technologies liefert für ihre Sequenzierautomaten auch gleich das Analyseprogramm „What’s in my pot?“ (WIMP) mit. Letztlich können also nur diejenigen Sequenzen, die bereits bekannt sind, zugeordnet werden. Dadurch, dass aber bereits Erfahrungswerte aus klassischen Kulturen der Bakterienabstriche vorhanden sind, lassen sich beispielsweise Pathogene aus Atemwegsinfektionen leichter identifizieren. Ebenfalls über WIMP ist eine Datenbank für Resistenzgene mit dem Kürzel ARMA (Antimicrobial Resistance Mapping Application) verfügbar, über die einzelne Sequenzdaten abgeglichen werden können und die direkt Hinweise liefern, welche Antibiotika nicht zur Therapie eingesetzt werden sollten.

Die Metagenomik steht und fällt mit den verfügbaren Sequenzen, die in Datenbanken abgelegt sind, und mit der Rechnerkapazität, die nötig ist, um die aus den Proben erhaltenen Daten entsprechend abzugleichen. Dann kommt noch einiges an Statistik dazu, um Aussagen über Treffsicherheit und Spezifität machen zu können.

Über entsprechende Versuche mit Lungenabstrichen gesunder Probanden, bei denen die Proben gezielt mit bestimmten Bakterien versetzt wurden, konnte eine Nachweisgrenze von 103 bis 105 koloniebildende Einheiten pro Milliliter gezeigt werden. Sind also zum Zeitpunkt der Probenentnahme (noch) weniger Bakterien einer bestimmten Art enthalten, könnte die Identifizierung schwierig werden. Allerdings hat auch die klassische Methode über die Kultivierung der Bakterien eine vergleichbare Nachweisgrenze.

Fazit

Die Metagenomik ist nicht nur ein spannendes Feld für die biologische Forschung zur Identifizierung von Species in verschiedenen Lebensräumen, sondern wird auch eine enorme Bereicherung für die Diagnostik von Infektionskrankheiten einzelner Patienten sowie für die Überwachung von Epidemien darstellen. Noch sind die Kosten für die Nanopore-Sequenzierung recht hoch: Eine MinION-Messzelle kostet noch 500 bis 900 US-Dollar. Allerdings lohnt sich diese Investition, wenn Patienten dadurch der Krankenhausaufenthalt verkürzt oder eine (zu wirksame) Therapie mit einem Breitbandantibiotikum erspart werden kann. |

Literatur

Charalampous T, Kay GL, Richardson H et al. Nanopore metagenomics enables rapid clinical diagnosis of bacterial lower respiratory infection. Nat Biotechnol 2019;37:783-792

Venter JC, Remington K, Heidelberg JF et al. Environmental genome shotgun sequencing of the Sargasso Sea. Science 2004;304:66-74

Leggett RM, Clark MD. A world of opportunities with nanopore sequencing. J Exp Bot 2017;68:5419-5429

Chiu CY, Miller SA. Clinical metagenomics. Nat Rev Genet 2019;20:341-355

Autoren

Prof. Dr. Robert Fürst ist Professor für Pharmazeu­tische Biologie am Institut für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Dr. Ilse Zündorf ist am Institut für Pharmazeutische Biologie als akademische Oberrätin tätig.

Institut für Pharmazeutische Biologie, Biozentrum, Max-von-Laue-Straße 9, 60438 Frankfurt/Main

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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