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Saarbrücker Fremdbesitz-Apotheke ist geschlossen

BERLIN (ks/cr). Die Saarbrücker DocMorris-Apotheke, die seit dem 3. Juli 2006 als erste und einzige deutsche Apotheke von einer Kapitalgesellschaft betrieben wurde, ist nach fast dreijährigem Rechtsstreit endgültig geschlossen. Das saarländische Ministerium für Justiz, Gesundheit, Arbeit und Soziales hat die DocMorris erteilte Betriebserlaubnis wenige Tage nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zurückgenommen.
Handschriftlich bedankte sich das Apothekenteam bei den Kunden. Für einen persönlichen Abschied blieb ihm keine Zeit.

Foto: privat

Unmittelbar nach dem Richterspruch aus Luxemburg war der Staatssekretär im saarländischen Gesundheitsministerium, Wolfgang Schild (CDU), noch davon ausgegangen, dass zunächst das Verwaltungsgericht über das Schicksal der Betriebserlaubnis befinden würde. Doch am vergangenen Wochenende machte die Nachricht die Runde, dass das Ministerium die Schließung der DocMorris-Fremdbesitzapotheke in Saarbrücken bereits zum Samstag angeordnet hatte. Am Montag, dem 25. Mai, verkündete das Ministerium offiziell, es habe die an DocMorris N.V. am 29. Juni 2006 erteilte Erlaubnis zum Betrieb der Apotheke zurückgenommen. Von der "Rücknahme" eines Verwaltungsaktes – hier der Erteilung der Apothekenbetriebserlaubnis – spricht man im Verwaltungsrecht dann, wenn dieser ursprünglich rechtswidrig erteilt worden war. Bis zuletzt hatte Schild behauptet, rechtmäßig gehandelt zu haben – doch nun hat der EuGH die in Deutschland und anderswo geltenden apothekenrechtlichen Fremdbesitzverbote für europarechtskonform erklärt. "Nach der Entscheidung des EuGH war das Ministerium verpflichtet, die erteilte Betriebserlaubnis zurückzunehmen", heißt es in der knappen Pressemitteilung. Ein Schließungsbescheid sei dem Unternehmen bereits zum 22. Mai zugestellt und die sofortige Vollziehung angeordnet worden.

Gefahr von Amtshaftungsansprüchen

Die entgegen ursprünglicher Ankündigung jetzt doch rasch vollzogene Schließung der Fremdbesitzapotheke dürfte vor dem Hintergrund zu sehen sein, dass sich das Ministerium bei einem weiteren Zuwarten der Gefahr von Amtshaftungs- und Schadensersatzansprüchen ausgesetzt sah – immerhin hatte das Ministerium die Apothekenbetriebserlaubnis für die DocMorris-Filialapotheke contra legem und unter bewusster Missachtung des deutschen Apothekengesetzes erteilt. Auch heißt es, dass der Hecken-Nachfolger und jetzige Minister für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales, Gerhard Vigener, in der Fremdbesitz-Frage emotional sehr viel weniger engagiert ist als sein unglücklich agierender Staatssekretär. Über das Nachtreten Schilds in Richtung EuGH-Richter war Vigener, wie es heißt, "not amused". Er scheint nach der Luxemburger Ohrfeige jetzt eher auf Deeskalation zu setzen.

Weitere Nachfragen unerwünscht

Wortkarg gibt sich das Ministerium weiterhin bei Fragen, die sich im Zusammenhang mit der innerminsteriellen Arbeitsgruppe stellen, die im Vorfeld der Erteilung der Erlaubnis an die DocMorris-Fremdbesitzapotheke in Saarbrücken unter der Leitung von Schild getagt hatte. Eine Auskunft über die Zusammensetzung verweigert das Ministerium beharrlich. Fest steht, dass DocMorris-Rechtsanwalt Thomas Diekmann Mitglied der Arbeitsgruppe war. Keine Auskunft wollte Pressesprecher Stephan Kolling auch zu der Frage erteilen, welche Kosten auf Seiten des Ministeriums im Zuge der Erteilung der Betriebserlaubnis an DocMorris und der darauf folgenden Rechtsstreitigkeiten (einschließlich der Kosten für das Streinz/Herrmann-Auftragsgutachten) entstanden sind. "Alles Wichtige" stehe "klar und eindeutig" in der Presseerklärung, hieß es gegenüber der DAZ. Dort ist darüber freilich nichts zu lesen. Auch der frühere saarländische Gesundheits- und Justizminister Josef Hecken (CDU), unter dessen Ägide die Betriebserlaubnis seinerzeit erteilt wurde, "bittet um Verständnis, dass er sich in seiner heutigen Funktion als Präsident des Bundesversicherungsamtes nicht mehr zu dem Thema äußern kann".

Aushänge zum Abschied

Bei der Saarbrücker DocMorris-Apotheke sind die Schotten nun dicht. Auf handgeschriebenen Aushängen im Schaufenster heißt es: "Liebe Kundin, lieber Kunde, leider können wir ab sofort nicht mehr für Sie da sein. Das ist sehr schade, denn es hat uns immer viel Spaß gemacht, Sie zu beraten. Der Grund für die Schließung unserer DocMorris-Apotheke: Am 19. Mai wurde einer Klage von benachbarten Apothekern vor dem Europäischen Gerichtshof stattgegeben. Anders als in verschiedenen Nachbarländern Europas dürfen in Deutschland Apotheken weiterhin nur Apothekern gehören und nicht Unternehmen, wie in unserem Fall Apotheke DocMorris. Apothekerin Jutta Müller und ihr Team sagen Danke! Es bleibt uns jetzt nur, Ihnen Danke für Ihre Treue zu sagen. Wir wären gerne weiter für Sie da gewesen."



Kommentar

Deregulierung ist nicht oberstes EU-Prinzip: Die deutschen Apotheken dürfen am Leben bleiben
Es wird in Deutschland keine Schlecker- und keine Lidl-Apotheken geben. Es bleibt dabei, dass für den Verkauf von Medikamenten ganz andere Regeln gelten als für den Verkauf von Waschmitteln, Essiggurken und Semmeln. Der Europäische Gerichtshof hält, wider Erwarten, seine Hand über das deutsche Apothekermonopol: Die Richter haben verhindert, dass künftig juristische Personen, also Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Apothekenketten betreiben können. Das sogenannte Fremdbesitz-Verbot bleibt.
Also bleibt im deutschen Apothekenwesen erst einmal alles beim Alten. Jede Apotheke hat ihren Apotheker, dem der Laden gehört und der die Verantwortung dafür trägt. Das ist gut so, denn nicht alles, was alt ist, ist veraltet. Das Urteil ist etwas ganz Besonderes, ein neues europäisches Signal: Nicht der Markt, nicht Kapital- und Niederlassungsfreiheit sind die höchsten Werte, denen sich alles unterzuordnen hat. Die EU-Richter respektieren, dass es andere Werte gibt und diese höher zu bewerten sein können – Werte nämlich, die Tradition heißen und Vertrauen. Warum soll ein System dereguliert werden, das gut funktioniert? Die Apotheke ist, wie Rathaus und Kirche, ein Stückchen Heimat; Europa ist nicht dafür da, das den Leuten wegzunehmen.
Die Europarichter sind also diesmal nicht im großen Strom der Liberalisierung mitgeschwommen, sie haben nicht die Deregulierung zum unantastbaren europäischen Prinzip erklärt, wie es eigentlich auf der Linie dieses EU-Gerichts in Luxemburg liegt. Vielleicht ist dieses Urteil also endlich Zeichen der Besinnung darauf, dass die Europäische Union den Ländern ihre Eigenheiten lässt. Das wäre, kurz vor der Europawahl, ein gutes Signal, das ist vielleicht ein Indiz für Besserung: Deregulierung und Traditionszerstörung kann ja nicht oberstes Ziel europäischer Gewalt bleiben.
Das Apothekermonopol geht zurück auf das Jahr 1241, damals erließ der Stauferkaiser Friedrich sein Edikt von Salerno. Das Grundprinzip ist ebenso altehrwürdig wie erhaltenswürdig – aber nur dann, wenn die Apotheker zeigen, dass sie viel mehr können als ein Discounter, wenn also die Beratung in der Apotheke mehr beinhaltet als das Abstempeln von Rezepten und die Ausgabe des möglichst teuersten Präparats. Der Spruch aus Luxemburg allein wird aber die Apotheken nicht erhalten; er liefert nur die rechtliche Grundlage dafür. Erhalten müssen sie sich selber, indem sie das Hauptdefizit des Gesundheitswesens ausgleichen: Es krankt am mangelnden "Sich kümmern". Beratung, Hilfe und Reden kann so wichtig sein wie das Medikament. Schüler lernen das, wenn sie ihre erste Textinterpretation schreiben: Da wird ihnen oft eine Kurzgeschichte von Josef Reding über eine Apotheke vorgelegt, die "Vita Nova" heißt. Der Apotheker verhindert dort auf stille Weise den Selbstmord eines Lebensmüden. Die Europarichter haben jetzt mit ihrem Urteil ein Kapitaldelikt am Apothekenwesen verhindert.
Kommentar von Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, 20. Mai 2009. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Süddeutschen Zeitung.

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