DAZ aktuell

Gegen die Banalisierung von Arzneimitteln am Beispiel der Phytopharmaka

Durch Internethandel und Medienflut hat die "besondere Ware" Arzneimittel an Bedeutung verloren. Der Trend zur Banalisierung von Arzneimitteln bedeutet für Patienten gesundheitliche Risiken. Für Apotheker sollte er eine Herausforderung sein.
Arzneimittel kann man sich heute viel leichter besorgen als vor 20 Jahren. Ein Telefonat, ein Klick im Internet genügt, und selbst verschreibungspflichtige Medikamente werden ohne Rezept und ohne Beratung nach Hause geliefert. Gab es früher nichtapothekenpflichtige Arzneimittel in der Drogerie um die Ecke, füllen heute Präparate aus Heilpflanzen, Vitamine und Nahrungsergänzungsstoffe die Regale von Supermärkten und Discountern.
Nicht nur Arzneimittel sind verfügbarer geworden, sondern auch Informationen über sie. In jeder Buchhandlung findet sich eine Fülle von Ratgeberliteratur zu Arzneimitteln, seien sie chemischer oder pflanzlicher Herkunft, verschreibungspflichtig oder nicht. Im Fernsehen strahlen Info-Kanäle 24 Stunden am Tag Sendungen zu Gesundheitsthemen aus. Und wer im Internet nach Medikamenten googelt, wird von der schieren Menge an Treffern erschlagen. Zudem werden wir täglich mit E-Mails überschwemmt, die uns tolle Wirkungen von Arzneimitteln anpreisen.
Wie reagieren medizinische und pharmazeutische Laien auf diese Flut von Informationen und leicht verfügbaren Medikamenten? Einige sind so verunsichert, dass sie Medikamente gänzlich ablehnen. Andere wiederum glauben, sie besäßen ausreichend Wissen, um sich selbst diagnostizieren und therapieren zu können. Beide Reaktionen sind mit gesundheitlichen Risiken verbunden, beide Reaktionen sind Folge einer Überforderung des Laien.
Trotz der Fülle an Waren und Informationen herrscht doch ein Mangel an gesicherter, unabhängiger Information und Orientierung. Bei Arzneimitteln aus pflanzlicher Herkunft wird das besonders deutlich. Phytopharmaka genießen als "sanfte" und "natürliche" Arzneimittel zwar eine hohe Akzeptanz, werden aber gerade deshalb oft unkritisch eingenommen.
Ein großes Problem ist auch, dass Phytopharmaka öfter in den unkontrollierten Markt der Nahrungsergänzungsmittel rutschen werden. Denn die regulatorischen Hürden, sei es auf nationaler oder internationaler Ebene, sind in den letzten Jahren so gestiegen, dass sich viele mittelständische Firmen die geforderten Studien nicht mehr leisten können. Dies ist ein gefährlicher Trend.
Schon heute überschwemmen pflanzliche Präparate aus Europa und Asien, getarnt als Nahrungsergänzungsmittel, unkontrolliert via Internet und Versandhandel den deutschen Markt. Ungeprüfte Inhaltsstoffe, dubiose Rezepturen und heimlich beigemengte Wirkstoffe sind an der Tagesordnung und schaffen es in extremen Fällen sogar in die Schlagzeilen der Presse: Der wirksame Pflanzenextrakt gegen Hautjucken entpuppt sich nach der Überprüfung im Labor als Cortisonsalbe; das sensationelle Mittel gegen erektile Dysfunktion enthält Viagra. Solche und ähnliche Nachrichten diskreditieren die Hersteller ordentlich zugelassener Phytopharmaka und stellen ein hohes gesundheitliches Risiko für den Anwender dar.
Negativschlagzeilen über verfälschte pflanzliche Nahrungsergänzungsstoffe schaden dem Ruf des Arzneimittels insgesamt und betreffen damit auch den Apotheker, der in der Öffentlichkeit mit jeder Form von Heilmitteln assoziiert wird. Die Apotheker müssen jetzt handeln. Aufgrund ihrer wissenschaftlichen Ausbildung und interdisziplinären Ausrichtung sind sie besonders prädestiniert, für Orientierung zu sorgen. Apotheker sollten dieses Feld nicht kampflos irgendwelchen selbsternannten Experten überlassen, sondern selbst die Dinge in die Hand nehmen. Oberste Priorität sollte die individuelle Beratung von Patienten in der Apotheke sein, denn ein persönliches Gespräch ist durch nichts zu ersetzen.
Die Tendenz zur Banalisierung des Arzneimittels stellt einen Risikofaktor für die Gesundheit unserer Bevölkerung dar. Apotheker müssen dieser Tendenz entgegenwirken, um sich als unverzichtbarer Partner im Gesundheitswesen zu beweisen.
Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe, Präsidentin der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG); Prof. Dr. Hermann Stuppner, Präsident der Österreichischen Pharmazeutischen Gesellschaft (ÖPhG); Prof. Dr. Rudolf Bauer, Präsident der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung (GA)

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