Nicht-Zöliakie-Gluten-Sensitivität

Gluten als Auslöser für Beschwerden: ist das nur Einbildung?

Stuttgart - 07.02.2024, 15:00 Uhr

Patient:innen mit einer Nicht-Zöliakie-Gluten-Sensitivität sind nicht an einer Zöliakie oder einer Weizen-Allergie erkrankt. Betroffene geben an, beim Verzehr von Weizen-Produkten unter gastrointestinalen Symptomen wie Blähungen, Bauchschmerzen oder Diarrhö zu leiden. (Foto: Kaspars Grinvalds/AdobeStock)

Patient:innen mit einer Nicht-Zöliakie-Gluten-Sensitivität sind nicht an einer Zöliakie oder einer Weizen-Allergie erkrankt. Betroffene geben an, beim Verzehr von Weizen-Produkten unter gastrointestinalen Symptomen wie Blähungen, Bauchschmerzen oder Diarrhö zu leiden. (Foto: Kaspars Grinvalds/AdobeStock)


Immer mehr Menschen vertragen nach eigener Aussage kein Gluten mehr. Bei der Nicht-Zöliakie-Gluten-Sensitivität berichten Betroffene von gastrointestinalen Symptomen nach dem Verzehr Gluten-haltiger Produkte. Aber sind die Beschwerden nur Einbildung oder auch klinisch belegbar?

Brot, Kekse, Nudeln – wer isst das nicht gerne? Bei Menschen, die eine Weizenallergie oder die Autoimmunerkrankung Zöliakie haben, treten Symptome wie Durchfall oder Bauchkrämpfe durch den Verzehr Gluten-haltiger Lebensmittel auf. Aber auch immer mehr Personen, die nicht an diesen Krankheiten leiden, verzichten auf Gluten. Bei der Nicht-Zöliakie-Gluten-Sensitivität geben Betroffene an, nach dem Essen von Weizenprodukten gastrointestinales Unwohlsein, zum Beispiel Blähungen, Bauchschmerzen oder Diarrhö, zu erleben. 

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Für diese Art der Weizen- Sensitivität könnten Gliadine und Glutenine, bestimmte Bestandteile des Klebeproteins Gluten, verantwortlich sein. Der genaue Pathomechanismus ist unbekannt. Ungefähr 1 Prozent der Patient:innen mit Reizdarmsyndrom sind von dieser Gluten-Sensitivität betroffen; in der Allgemeinbevölkerung sind es ungefähr 0,6 bis 13 Prozent. Die Nicht-Zöliakie-Gluten-Sensitivität ist eine Ausschlussdiagnose, für die es keine Biomarker oder Klinikdaten gibt [1, 3]. 

In einer 2013 erschienen Studie aus Australien wollte ein Forschungsteam wissen, ob Nicht-Zöliakie-Gluten-Sensitivität sich experimentell-klinisch nachvollziehen lässt. Ihre Hypothese: Patient:innen müssten auf eine Gluten-freie Ernährung mit stark verminderten gastrointestinalen Symptomen reagieren oder gar beschwerdefrei werden. Wenn Gluten wieder verzehrt wird, müssten die Magen-Darm-Probleme zurückkehren [1].

Ausgezeichnet Gluten-frei

Das internationale Glutenfrei-Symbol ist ein geschütztes Markenzeichen, das Gluten-freie Lebensmittel kennzeichnet. Seit 2009 gibt es einheitliche Vergabe- und Kontrollrichtlinien für die Lizenzierung. Anhand der Registrierungsnummer unter der durchgestrichenen Ähre können Konsumenten und Konsumentinnen die rechtmäßige Verwendung erkennen: Der Code besteht aus einem Länderkennzeichen, Firmennummer und fortlaufender Produktnummer. Die Voraussetzungen für den Erhalt des Glutenfrei-Symbols sind

  • die Einhaltung aller Vorgaben der Association of European Coeliac Societies für glutenfreie Lebensmittel, insbesondere
  • eine jährliche Analyse der Produkte durch ein unabhängiges, akkreditiertes Labor,
  • die Einhaltung des gesetzlichen Grenzwertes für Gluten-freie Produkte (max. 20 ppm, also 20 mg pro kg Lebensmittel) und
  • ein jährliches Glutenfrei-Audit durch eine unabhängige Kontrollstelle sowie
  • ein Lizenzvertrag mit der Arbeitsgemeinschaft Zöliakie des jeweiligen Landes. Die Zöliakie-Gesellschaften übernehmen die Kontrolle der Unternehmen (Überprüfung der Audit-Berichte, Erhalt und Kontrolle der Analyse-Zertifikate, Druckfreigabe der Verpackungen, Berichterstattung und Archiv). Der Verwaltungsaufwand wird durch eine umsatzabhängige Lizenzgebühr abgedeckt. wird. Derzeit sind in Europa mehr als 23.000 Produkte mit dem internationalen Glutenfrei-Symbol auf dem Markt.

Hier geht es zum Symbol

Gluten-frei hilft laut Studie nicht, low-FODMAP schon

In der Placebo kontrollierten, doppelblinden Cross-over-Studie wurden 37 Gluten-sensitive Teilnehmende (davon 6 männlich, Durchschnittsalter 45 Jahre) in drei Gruppen eingeteilt. Zwei Wochen vor der Intervention und während der gesamten Studiendauer war die Basisdiät (zu der die Interventionsdiät dazukam) eine low-FODMAP Diät (s. Kasten).

Die eine der drei Gruppen verzehrte eine Woche eine stark Gluten-haltige Ernährung (16 g am Tag Gluten), eine andere Gruppe aß Gluten-arm (2 g am Tag und 14 g Molkenprotein) und die Kontrollgruppe bekam die Basisdiät und 16 g Molkenprotein täglich. Nach einer zweiwöchigen Wash-out-Phase wechselten 22 Teilnehmende die Diäten, sie erhielten drei Tage lang Gluten (16 g pro Tag), Molkenprotein (16 g pro Tag) oder eine Kontrolldiät mit keinem zusätzlichen Protein [2].

Was ist eine low-FODMAP-Ernährung?

FODMAP steht für fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und (and) Polyole. Dabei handelt es sich um Kohlenhydrate, die nicht resorbiert werden und ins Colon gelangen. Dort ernähren sich Darmbakterien von diesen Zuckerstoffen, was zu Wasseransammlungen und Gasbildung führen kann. Dadurch leiden manche Menschen nach dem Verzehr dieser Kohlenhydrate an Durchfall, Blähungen oder Bauchkrämpfen. Beim Reizdarmsyndrom wird in der S3-Leitline empfohlen, eine low-FODMAP Diät einzuhalten, da dies die Darmflora positiv beeinflussen und die Symptomatik lindern kann. Bei einer low-FODMAP-Ernährung werden wenige dieser unverdaulichen Kohlenhydrate gegessen. Beispiele für FODMAP-arme Lebensmittel sind Gurken, Kartoffeln, Salat, grüne Bohnen, Kiwi, Ananas, Mandarine, Eier, Fleisch, Geflügel, Hafer, Reis, laktosefreie Milch, Mandelmilch, Nüsse, Haushaltszucker und der meiste Schnittkäse. Zu den FODMAP-Stoffen gehören zum Beispiel Fruktane, Galaktane, Laktose, Fruktose, Sorbit, Xylit oder Maltit. Lebensmittel mit hohem FODMAP-Gehalt, die gemieden werden sollen, sind beispielsweise Spargel, Blumenkohl, Artischocken, Hülsenfrüchte, Meeresfrüchte, Weizen, Gerste, Roggen, Milch, Eis, Pfirsiche, Nektarinen, Kirschen oder mit Zuckeraustauschstoffen gesüßte Produkte. 
Zur Vorgehensweise: Bei einer low-FODMAP-Diät werden zunächst nur Lebensmittel verzehrt, die wenige oder keine der unverdaulichen Kohlenhydrate enthalten. Verschwinden die Symptome, wird langsam ausprobiert, was beschwerdefrei gegessen werden kann. Da das Darmmikrobiom ein sich verändertes System ist, kann sich mit der Zeit ändern, was vertragen wird und was nicht [2].

Während der zweiwöchigen low-FODMAP-Ernährung vor der Interventionsphase verbesserten sich die gastrointestinalen Symptome der Gluten-sensitiven Teilnehmenden. Als dann die Interventionsphase startete, berichteten die Proband:innen von Beschwerden – und zwar ohne signifikanten Unterschied zwischen der Gluten-haltigen, der Gluten-freien und der Placebo-Gruppe. Bei 8 Prozent der Teilnehmenden konnten Gluten-abhängige Symptome festgestellt werden. Es gab keine ernährungsspezifischen Veränderungen bei irgendeinem Biomarker. Das Studienteam konkludiert: Patient:innen mit Nicht-Zöliakie-Gluten-Sensitivität reagierten nicht, auch nicht dosisspezifisch, auf Gluten. Eine low-FODMAP Ernährung hingegen reduzierte Magen-Darm-Beschwerden. Außerdem fanden die Studienautoren einen leichten Nocebo-Effekt: Wenn die Teilnehmenden glaubten, Gluten zu verzehren, erlebten sie auch Symptome [1, 2].

Neue Studie deutet auf Nocebo-Effekt  

In einer im November 2023 veröffentlichten Studie hat ein Wissenschaftlerteam aus den Niederlanden und Großbritannien den Nocebo-Effekt in Bezug auf Gluten näher unter die Lupe genommen. Sie untersuchten, ob Betroffene gastrointestinale Symptome entwickeln, wenn sie tatsächlich Gluten verzehren oder wenn sie nur glaubten, dass ihre Mahlzeiten Gluten enthalten, dies aber nicht wirklich der Fall war [3]. 

83 Patient:innen mit Nicht-Zöliakie-Gluten-Sensitivität (14 Prozent Männer, Altersmedian 27 Jahre) wurden dazu von dem Forschungsteam in vier Gruppen eingeteilt:

  • In einer Gruppe wurde den Teilnehmenden gesagt, sie würden Gluten beim Frühstück und Mittagessen zu sich nehmen, tatsächlich erhielten sie aber Gluten-freie Mahlzeiten.
  • Einer anderen Gruppe wurde dasselbe mitgeteilt, und sie hatten wie erwartet zum Frühstück und Lunch Gluten-haltige Lebensmittel.
  • Einer weiteren Gruppe wurde gesagt, die Mahlzeiten seien Gluten-frei, was sie aber nicht waren.
  • Die letzte Studiengruppe erhielt ihrer Erwartung entsprechend Frühstück und Mittagessen ohne das Klebeprotein.

Eine Woche vor der Intervention und während der Studienphase wurden die Teilnehmenden angewiesen, sich Gluten-frei bzw. Gluten-reduziert zu ernähren. Die Proband:innen, die dachten Gluten zu essen und es auch tatsächlich taten, hatte die meisten gastrointestinalen Symptome und signifikant mehr als die Teilnehmenden, die Gluten zu sich nahmen, das aber nicht erwarteten. Es wurden keine signifikanten Unterschiede der Magen-Darm-Beschwerden zwischen den Gruppen festgestellt, die kein Gluten in ihrer Nahrung erwarteten, es aber bekamen oder eben nicht bekamen. Innerhalb der Gruppen, die annahmen, dass sie Gluten verzehren, konnte kein signifikanter Effekt bezüglich der Beschwerden aufgrund der Gluten-Aufnahme gefunden werden. Die Studienautoren schließen daraus, dass es sein kann, dass ein Nocebo-Effekt vorliegt, dies aber näher untersucht werden müsse. Eine Wirkung des Glutens könne nicht ausgeschlossen werden [3].

35 Prozent der Studienpopulation hatte laut einem internationalen Diagnosefragebogen, den die Studienautoren ausfüllten, das Reizdarmsyndrom, hauptsächlich der Diarrhö-Typ war vertreten. Möglicherweise sind die Beschwerden also darauf und nicht (nur) auf eine Nicht-Zöliakie-Gluten-Sensitivität zurückzuführen [3].

Probieren geht über Studieren

Ob es für Personen ohne Zöliakie aber mit Gluten-Sensitivität notwendig und sinnvoll ist, eine strikt glutenfreie Ernährung einzuhalten, können die Paper nicht abschließend beantworten. Da Vollkornprodukte Ballaststoffe, Mineralstoffe und Vitamine liefern, sollte ausprobiert werden, was vertragen wird, sodass Symptome minimiert werden und der Körper ausreichend versorgt ist.

Da eine Unterscheidung zwischen Gluten-Sensitivität und Reizdarmsyndrom schwierig ist, könnte es in manchen Fällen auch sein, dass ein Reizdarmsyndrom anstatt einer Gluten-Sensitivität vorliegt. Eine low-FODMAP-Ernährung kann Reizdarmsymptome laut S3-Leitlinie reduzieren, sollte aber ärztlich abgeklärt werden. Einige nährstoffreiche Lebensmittel werden während dieser Ernährungsweise nicht gegessen und daraus könnten Mängel entstehen [1, 2].

Praktisch kann Betroffenen geraten werden, sich mehrere Wochen Gluten-frei zu ernähren und die Symptome zu beobachten. Wird durch Gluten-freie Ernährung „Symptomfreiheit“ erreicht, kann ausprobiert werden, welche Produkte in welchen Mengen Unwohlsein auslösen bzw. nicht auslösen. Bestehen Magen-Darm-Beschwerden während der Gluten-freien Ernährung, liegt möglicherweise ein Reizdarmsyndrom vor. Sowohl die Nicht-Zöliakie-Gluten-Sensitivität, als auch das Reizdarmsyndrom sind Ausschlussdiagnosen und Personen mit unklaren Beschwerden sollten ärztlichen Rat einfordern [1-3].

 

Literatur

[1]        BiesiekIierskIi JR et al. No Effects of Gluten in Patients With Self-Reported Non-Celiac Gluten Sensitivity After Dietary Reduction of Fermentable, Poorly Absorbed, Short-Chain Carbohydrates. Gastroenterology 2013, http://dx.doi.org/10.1053/j.gastro.2013.04.051

[2]        Wie funktioniert die FODMAP-Diät bei einem Rezdarmsyndrom? AOK Gesundheitsmagazin 22. Juni 2023, www.aok.de/pk/magazin/ernaehrung/ernaehrungsformen/fodmap-diaet-weniger-fodmap-lebensmittel-bei-reizdarm/

[3]        De Graaf MCG et al. The effect of expectancy versus actual gluten intake on gastrointestinal and extra-intestinal symptoms in noncoeliac gluten sensitivity: a randomised, double-blind, placebo-controlled, international, multicentre study. Lancet Gastroenterol Hepatol 2023, https://doi.org/10.1016/S2468-1253(23)00317-5


Juliane Russ, Volontärin DAZ
redaktion@daz.online


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