Mit Ernährung Krebs vorbeugen (Teil 1 von 3)

Wie beeinflusst Übergewicht das Krebsrisiko?

Stuttgart - 10.03.2021, 07:00 Uhr

80 Prozent aller ernährungsbedingten Krebstodesfälle sind durch hyperkalorische Ernährung – also Übergewicht – verursacht. (Foto: high_resolution / stock.adobe.com)

80 Prozent aller ernährungsbedingten Krebstodesfälle sind durch hyperkalorische Ernährung – also Übergewicht – verursacht. (Foto: high_resolution / stock.adobe.com)


Über ein Drittel aller Krebserkrankungen sind ernährungsbedingt, doch meist sind nicht Acrylamid oder Dioxin die schlimmsten Ernährungsgifte – sondern Übergewicht. Warum fördert Adipositas das Krebsrisiko und wie stark erhöht es sich – um das Doppelte, Fünffache, Siebenfache? Wissenschaftlich fundiert erklärte Professor Martin Smollich jüngst in einer Online-Vorlesung der PAN die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Krebs und was jeder Einzelne eigenverantwortlich für sein geringeres Krebsrisiko tun kann.

Wie relevant ist das überhaupt: Ernährung und Krebs? Krebs ist die zweithäufigste Todesursache der westlichen Welt – und ein wesentlicher Anteil könnte (einfach) verhindert werden. „Mehr als ein Drittel – 38 Prozent – aller Krebserkrankungen sind ernährungsbedingt“, erinnerte Professor Martin Smollich vom Institut für Ernährungsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vor kurzem in seiner Online-Vorlesung „Ernährungstherapeutische Strategien und Potenziale in der Onkologie & Ernährung und Pharmakologie – Erkenntnisse aus der Pharmakonutrition“ im Rahmen der Vorlesungsreihe „Iss Das! – Ernährung in der Medizin“ der PAN (Physicians Association for Nutrition). Allein in der EU sterben folglich jährlich 460.000 Menschen an ernährungsbedingtem Krebs – das sind mehr Todesfälle als durch Tabak (30 Prozent). Diese Zahlen zeigen überdeutlich, wie relevant Ernährung in der Krebsprävention ist. Will man eine effektive Krebsprävention betreiben, kommt man um das Thema „Ernährung“ folglich nicht herum. Doch welche Risikofaktoren gilt es zu meiden?

PAN – was ist das?

PAN ist eine ärztliche Organisation – Physicians for Nutrition –, die das Bewusstsein für eine vollwertige und pflanzenbasierte Ernährung schaffen oder schärfen will. Dabei geht es der PAN eigenen Angaben zufolge um Gesundheitsförderung, Krankheitsprävention und auch -behandlung. Zielgruppe der PAN sind in erster Linie Gesundheitsberufler:innen, allen voran Medizinstudent:innen, aber auch die Allgemeinbevölkerung und politische Entscheidungsträger:innen. PAN ist ein gemeinnütziger Verein (gegründet 2018). „Wir haben es uns zur Aufgabe gesetzt, ein globales Netzwerk rund um das Thema Ernährung aufzubauen und gleichzeitig effektiv über die Rolle vollwertig pflanzlicher Ernährung in der Medizin aufzuklären.“

Ihre Webinar-Reihe „Iss Das! – Ernährung in der Medizin“ ist der PAN zufolge die „erste deutschlandweite digitale Vorlesungsreihe zu Ernährung in der Medizin“. Nicht zuletzt möchte PAN dadurch die medizinische Ernährungswissenschaft im Medizinstudium vorantreiben.

Welche Ernährungsfaktoren erhöhen das Krebsrisiko?

Als Erstes mag man bei ernährungsbedingtem Krebs wahrscheinlich an Gifte, die man mit der Nahrung aufnimmt, denken – wie Dioxin oder Acrylamid, Pestizide oder Weichmacher. Die Realität sieht allerdings ganz anders aus: 80 Prozent aller ernährungsbedingten Krebstodesfälle sind durch hyperkalorische Ernährung – also Übergewicht – verursacht. Weitere 10 Prozent entfallen auf den Konsum von Alkohol. Fasst man folglich nur diese beiden Risikopunkte zusammen, Übergewicht und Alkohol, wird offenbar, dass tatsächlich nahezu alle – nämlich 90 Prozent – der ernährungsbedingten Krebstodesfälle Überernährung und Alkohol geschuldet sind. Was ist mit den übrigen 10 Prozent der ernährungsbedingten Krebstodesfälle? 2 Prozent lassen sich auf Schwermetalle, weniger als 1 Prozent auf chemische Karzinogene zurückführen, bei 8 Prozent der ernährungsbedingten Todesfälle kennt man die Ursache nicht.

Wie stark erhöht Übergewicht das Risiko für Krebs?

Die Größenordnungen, in denen sich das relative Risiko erhöht, an Krebserkrankungen durch Überernährung zu sterben, sind durchaus „gravierend“, betonte Smollich. Verglichen mit einem Normalgewichtigen (BMI zwischen 19 und 25 kg/m2) erhöht sich bei adipösen Männern mit einem BMI von 35 kg/m2 das Risiko für Leberkrebs-bedingten Tod um das Fünffache, das Risiko an Bauchspeicheldrüsenkrebs zu sterben erhöht sich durch Übergewicht um das Dreifache. Auch sterben stark übergewichtige Frauen mit einem BMI ab 40 kg/m2 siebenmal häufiger an Gebärmutterhalskrebs und fünfmal häufiger an Nierenkrebs als normalgewichtige Frauen. Das Risiko an Darmkrebs zu sterben, ist bei adipösen Männern um das Doppelte erhöht, bei Frauen etwa um den Faktor 1,3.

Die Daten stammen aus einer 2003 im „New England Journal of Medicine“ veröffentlichten Studie „Overweight, Obesity, and Mortality from Cancer in a Prospectively Studied Cohort of U.S. Adults“. Bezogen auf alle Krebserkrankungen zusammen, hatten stark übergewichtige Männer in der Untersuchung ein 52 Prozent höheres Risiko für krebsbedingten Tod und Frauen dafür ein 62 Prozent höheres Risiko als normalgewichtige. Wohlgemerkt: Die von Smollich zitierten Daten wurden zwischen 1982 und 1998 vor allem an US-amerikanischen Bürgern erhoben, seither hat die dortige Bevölkerung nochmals kräftig an Gewicht zugelegt: 1990 waren laut Statista 23 Prozent der US-Amerikaner fettleibig (definiert als BMI ab 30 kg/m2), 2015 waren es bereits 38,5 Prozent.

Adipositas-Epidemie zieht Krebs-Epidemie nach sich

Mit dem Wissen, dass etwa 30 Prozent aller Krebserkrankungen durch Übergewicht verursacht werden, lässt sich anhand der Gewichtsentwicklung der Bevölkerung leicht antizipieren, wohin die Reise hinsichtlich der Prävalenz von ernährungsbedingten Krebserkrankungen hingeht: „Der Tsunami der Adipositas der westlichen Welt, die Adipositas-Epidemie, zieht gleichzeitig eine Krebs-Epidemie nach sich“, beschrieb Smollich anschaulich. Und davor warnten Epidemiolog:innen schon seit Jahren. Aktuell untermauert eine neue Studie im Fachjournal „Cancer“, die im August unter „Emerging cancer incidence trends in Canada: The growing burden of young adult cancers“ veröffentlicht wurde, diese Aussage.

Die Studie untersuchte die Geburtsjahrgänge zwischen 1983 und 2012 auf 28 Krebsentitäten und fand, dass 1988 Geborene ein doppelt so hohes Risiko für Kolonkarzinom und ein fünffach erhöhtes Risiko für Rektalkarzinom hatten als 1943 Geborene. Hingegen war die Gefahr für Lungenkrebs bei den späteren Jahrgängen 60 Prozent geringer als bei früheren. Für manche Krebsarten konnten die Wissenschaftler um Emily Heer einen Zusammenhang mit Überernährung feststellen, was sie zu dem Fazit bewog: „Bei jungen Erwachsenen steigt die Inzidenz einiger Krebsarten im Zusammenhang mit Fettleibigkeit“.

Smollich stützte seine Online-Vorlesung auf eine weitere Studie „Demographic trends in the incidence of young‐onset colorectal cancer: a population‐based study“, veröffentlicht im März dieses Jahres im Fachjournal „BJS“. Die Wissenschaftler:innen erkannten, dass das Erkrankungsalter für Darmkrebs in den letzten Jahren dramatisch gesunken ist. Sie warnten deswegen davor, das Kolorektalkarzinom weiterhin nur als Erkrankung alter Menschen zu sehen.

Warum „fördert“ Überernährung das Krebsrisiko?

Laut Smollich fördert eine hyperkalorische Ernährung zahlreiche Faktoren, die letztlich zur Krebsentstehung beitragen. So spielten Leptin-vermittelte Effekt eine Rolle, ebenso komme es zur Insulinämie, einer verstärkten Produktion und Wirkung von IGF-1 und den Sexualhormonen Estradiol und Testosteron. „Dies sind alles extrem potente Wachstumsfaktoren, die die Epithelzellen zur Proliferation stimulieren, die Apoptoserate reduzieren und dadurch eine genomische Instabilität erzeugen“, erklärte Smollich.

Welche Rolle spielen Fleisch, verarbeitete Fleischprodukte und Alkohol bei Krebs? Darum geht es im zweiten Teil von „Mit Ernährung Krebs vorbeugen: Sollte man auf Fleisch und Alkohol verzichten?



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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