Krebsbehandlung

Wie Chemotherapeutika weibliche Keimzellen schädigen

Frankfurt/M. - 05.03.2011, 07:33 Uhr


Frauen sind deshalb hauptsächlich von Unfruchtbarkeit nach der Chemotherapie betroffen, weil ihre Keimzellen einer anderen Qualitätskontrolle unterliegen als männliche Keimzellen. Zu diesem Ergebnis kommen Frankfurter Wissenschaftler in einer neuen Studie.

Chemotherapeutika vernichten nicht nur Krebszellen, sondern auch gesunde Zellen. Auch Keimzellen, also Ei- und Samenzellen, gehören dazu. Deshalb sehen sich viele junge Frauen nach überstandener Krebserkrankung mit der nächsten Hiobsbotschaft konfrontiert: der Unfruchtbarkeit. Bereits seit langem vermuten Wissenschaftler einen Zusammenhang mit der Chemotherapie – was jedoch genau dabei abläuft, war bislang unbekannt.

Während die männlichen Keimzellen kontinuierlich in riesiger Anzahl bis ins hohe Alter produziert werden, ist die Anzahl der weiblichen Eizellen begrenzt. Jede Frau verfügt bereits bei der Geburt über einen festgelegten Pool dieser wertvollen Keimzellen. Werden diese Eizellen durch die Krebsbehandlung geschädigt, sterben sie dank einer strikten „weiblichen“ Qualitätskontrolle ab. Entscheidend beteiligt an dieser Qualitätskontrolle ist ein Protein mit dem Namen p63. Es hat große Ähnlichkeit mit einem anderen wichtigen Protein, dem p53.

Als „Wächter des Genoms“ bekannt, reguliert p53 Zellteilung und Zelltod in kranken Zellen und hat damit eine Schlüsselrolle bei der Unterdrückung von genetischen Abweichungen, die zu Krebs führen können. Bei mehr als der Hälfte aller menschlichen Tumore ist p53 verändert und dadurch nicht mehr funktionsfähig.

Die Konzentration von p53 ist in gesunden Zellen sehr gering. Treten in einer Zelle jedoch genetische Defekte auf, durch die sie zur Tumorzelle entarten könnte, erhöht sich diese Konzentration. Es kommt zur Zusammenlagerung von vier p53-Proteinen zu einem Tetramer. In dieser Tetramerstruktur ist der Tumorsuppressor aktiv und kann je nach Schädigung bewirken, dass die Zelle den entstandenen Schaden repariert oder zellulären Selbstmord betreibt.

Zwischen diesem Mechanismus und dem, der die Aktivität des Proteins p63 in Eizellen kontrolliert, besteht eine enge Verwandtschaft, wie die Forscher jetzt zeigen konnten. Das Protein p63 liegt in gesunden Eizellen in hoher Konzentration als kompaktes inaktives Dimer vor. Treten jedoch in Eizellen-DNA Doppelstrangbrüche auf, etwa in Folge radioaktiver Strahlung, wird p63 phosphoryliert. Durch die Anlagerung von Phosphatgruppen wird die kompakte Struktur des inaktiven Zustandes aufgebrochen, und es kann sich ein zweites offenes Dimer anlagern. Damit entsteht ein aktiver tetramerer Zustand, der auch für das Tumorsuppressor-Protein p53 charakteristisch ist und der den Zelltod der beschädigten Eizellen einleitet. Da die Wirkungsweise vieler Chemotherapeutika auf der Erzeugung von Doppelstrangbrüchen in der DNA der Zellen beruht, führen diese Wirkstoffe letztendlich auch zur Aktivierung von p63 in Eizellen und damit zu deren Absterben.

Als Modellsystem untersuchten die Forscher auch Proteine des Fadenwurms, Caenorhabditis elegans. Dieser niedere Organismus aus der Familie der Nematoden hat ein p53-ähnliches Protein, das aber aufgrund der kurzen Lebenszeit des Fadenwurms nicht als Tumorsuppressor wirkt, sondern hauptsächlich der Kontrolle der genetischen Stabilität der Keimzellen dient. Die genetische Kontrolle der Keimzellen ist demnach die ursprüngliche Funktion der gesamten p53-Proteinfamilie und legt die Vermutung nahe, dass p63 das primitivste und älteste Mitglied und damit der Urahn der p53-Familie ist.

p63 hat noch eine weitere Funktion: Es ist essentiell für den Erhalt von Stammzellen in Epithelgeweben, wie etwa der Haut. Da Keimzellen und Stammzellen viele Gemeinsamkeiten haben, zeigt sich hier ein Evolutionsweg von Proteinen in niederen Organismen, die für die genetische Stabilität der Keimzellen zuständig sind, über die Kontrolle von Stammzellen in Organismen mit erneuerbaren Geweben bis hin zur Entstehung eines p53-Tumorsuppressors für alle Körperzellen.

Literatur: Dötsch, V., et al.: Cell 2011, Online-Publikation doi:10.1016/j.cell.2011.01.013.


Dr. Bettina Hellwig