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Paläontologie: Das Sterben im Quartär

Mammut, Säbelzahnkatze und die vielen anderen großen Tiere, die nach der letzten Eiszeit ausgestorben sind, faszinieren den Menschen noch heute. Das Zusammenleben des frühen Homo sapiens mit diesen mächtigen Wesen der Vergangenheit gibt ebenso Rätsel auf wie ihr plötzliches Verschwinden.

Zu Beginn des Pleistozäns (früher: Diluvium) waren die Ostsee und weite Teile der Nordsee ohne Wasser. Der Rhein bildete mit Maas und Themse ein gemeinsames Delta nördlich ihrer heutigen Mündungen. In den Warmzeiten breitete sich dagegen die Nordsee über ganz Schleswig-Holstein aus. Am Ende des Pleistozäns fiel die Nordsee wieder trocken, die Ostsee war mit Gletschern zugedeckt. Nach dem Abschmelzen der Gletscher stieg der Meeresspiegel um bis zu 100 m. Die Klimazonen wanderten gen Norden. Nordafrika wurde zur Wüste, ein riesiger See mitten in Nordamerika schrumpfte zu den fünf kleinen Großen Seen.

Das kalte, trockene Pleistozän wandelte sich zum warmen, feuchten Holozän (früher: Alluvium). Der Mensch fühlte sich wohler, seine Zahl nahm zu. Gleichzeitig starben viele kälteangepasste Säugetiere aus. Diese Parallelität der Ereignisse hat zu Spekulationen Anlass gegeben. Ebenso wie das Rätsel der Entstehung der Eiszeiten nicht gelöst ist, konnte die Frage nach den Ursachen des Massensterbens bisher nicht überzeugend beantwortet werden. Verschiedene Entwürfe – sonderbare wie einleuchtende – versuchen, die Ereignisse zu rekonstruieren.

Virus oder Tuberkel?

Das Mammut (Mammuthus primigenius) ist durch ein hochletales Virus dahingerafft worden. Das zumindest behauptet Ross MacPhee vom Amerikanischen Museum für Naturgeschichte. Deshalb sucht er auf der Wrangel-Insel im russischen Eismeer, wo die Eiszeitelefanten bis vor 3700 Jahren gelebt haben, in deren Knochen nach Viren. Innerhalb von 400 Jahren habe die mysteriöse Krankheit zwei Drittel aller Großsäuger Sibiriens und Nordamerikas zur Strecke gebracht. Die über die Beringstraße nach Amerika eingewanderten Menschen sollen mit ihren Haustieren die Seuche eingeschleppt haben. Dieses Modell einer Hyperinfektion fiel MacPhee ein, als er einen Bericht über das Ebola-Virus las.

Bruce Rothschild vom Carnegie-Museum für Naturgeschichte in Pittsburgh versucht auf ähnliche Weise das Verschwinden des Mastodons (Mammut americanum), eines engen Verwandten, mit Tuberkuloseinfektionen zu erklären. Demnach infizierte sich das Rüsseltier beim Streifzug durch die feuchten Wälder Nordamerikas. Die geschwächten Tiere wurden ein leichtes Opfer der umherstreifenden Jäger. Das Verschwinden der auf den kalten Steppen grasenden, nicht infizierten Mastodons erklärt Rothschild mit dem aggressiven Jagdverhalten der damals lebenden Menschen. Ebenso wie viele weitere Säugerarten habe das Mastodon sich nicht darauf einstellen können und wurde ausgerottet.

Im Quartär ist alles anders

Im Laufe der Erdgeschichte gab es mehrere Massensterben, die alle exogene oder geogene Ursachen haben. Es werden Meteoriteneinschläge, Vulkanausbrüche und sogar Supernova-Explosionen mit verheerenden klimatischen Folgeerscheinungen als Ursache diskutiert. Viele Arten des Festlandes und der Meere starben gleichermaßen aus.

Das gilt so nicht für das Quartär. Zum ersten Mal war mit der Megafauna nur eine bestimmte Gruppe betroffen. Damit sind die großen Säugetiere wie Riesenhirsch, Flusspferd, Waldnashorn oder Höhlenbär gemeint. Die Megafauna hatte 20 Eiszeiten überlebt, bevor nach der letzten dann Schluss war. Derzeit werden zwei ernst zu nehmende Vorschläge diskutiert – die Blitzkrieg- oder Overkillhypothese und die Klimahypothese.

Blitzkrieg oder schlechte Wissenschaft?

Die Blitzkrieg-Hypothese schiebt die Schuld auf den modernen Menschen. Die vor ca. 12 000 Jahren aus Asien nach Nordamerika eingewanderten Menschen sollen die unvorbereiteten Tiere schlicht ausgerottet haben. Das zeitliche Zusammentreffen von Besiedlung und Aussterben scheint einleuchtend. Eine Koevolution wie in Ostafrika, wo Mensch und Tier viel mehr Zeit hatten, sich aneinander zu gewöhnen, gab es weder in der Neuen Welt noch in Sibirien oder Europa.

Hinzu kommt, dass Homo sapiens sapiens den Speer des Neandertalers (Homo sapiens neanderthalensis) zum Atlatl weiterentwickelt hatte. Diese Speerschleuder verdoppelte die wirksame Reichweite auf 30 m und ließ sich auch für die Großwildjagd einsetzen. Nach russischen Modellrechnungen stirbt eine gesunde Mammutpopulation bereits aus, wenn weniger als 4 Prozent jährlich erlegt werden. Danach hat das große Tier den Jägern in Sibirien 7000 Jahre widerstanden, bevor es unwiderruflich aus der Tundra verschwand.

Dennoch hat die These Schwächen. Zunächst bleibt fraglich, ob der Mensch auch die Tiere mit einer höheren Reproduktionsrate so einfach überjagen konnte. Doch vor allem für Nordamerika geht die Überlegung nicht auf. Denn auf dem Erdteil scheint die aus Asien auftauchende Clovis-Kultur nicht die erste gewesen zu sein. Auf beiden Kontinenthälften wurden in den letzten Jahrzehnten viel ältere Zeugnisse menschlichen Wirkens gefunden. Manche (nicht sehr häufig zitierten) Archäologen sprechen von einer 50 000 und sogar von einer mehr als 250 000 Jahre währenden Besiedlung Amerikas. Spekuliert wird dabei über Einwanderungswellen über die Ozeane, aus Europa und Polynesien.

Diese Vorstellung ist allerdings ideologisch belastet. So wehren sich die Indianer gegen die Behauptung noch älterer Kulturen auf dem Kontinent. Der amerikanische Anthropologe Donald Grayson ist auch vehement gegen dieses Konzept. Er weist darauf hin, dass von den 35 Großtierarten Nordamerikas bereits 20 ausgestorben waren, als die Clovis-Kultur aufblühte. Die Overkill-Hypothese entspreche den Erwartungen des jüdisch-christlichen Weltbildes und verschließe sich dem empirischen Befund. Das sei schlechte Wissenschaft.

Oder ist das Klima schuld?

Die Klimahypothese hat einen anderen Ansatz. In den mehr als 2 Millionen Jahren des Pleistozäns gab es 20 Kalt-Warm-Zyklen von jeweils etwa 100 000 Jahren. Die Würm-Eiszeit erreichte ihren Höhepunkt vor 18 000 Jahren. Danach sind die Temperaturen (mit Schwankungen) angestiegen. Während der letzten 125 000 Jahre lebten mindestens 44 Großtierarten in Europa, davon 31 Pflanzenfresser. Flusspferd, Mammut und 18 weitere davon sind heute nicht mehr vertreten. Sie verschwanden aber nicht während der größten Kälte, sondern erst, als es wieder wärmer wurde.

Eine der Hypothesen postuliert nun für die gesamte holarktische Region gravierende Vegetationsveränderungen. Demnach gab es im kühleren Pleistozän eine hohe lokale Diversität der Pflanzengesellschaften. Große Pflanzenfresser, die abwechslungsreiche Nahrung benötigten, konnten sich nicht auf die immer einheitlicher werdende Vegetation bei steigenden Temperaturen umstellen.

Das Klima des Holozäns soll demnach eine Zonierung der Lebensräume erzwungen haben, die artenärmere Tiergesellschaften begünstigte. Nach dieser Theorie waren von der Entmischung der Tiergesellschaften vor allem große Nichtwiederkäuer wie Mastodon, Mammut, Nashorn, Riesenfaultier, Esel und Pferd betroffen gewesen. Sie verlangten nach rohfaserreicher, proteinarmer Nahrung. Kleinere Wiederkäuer, die auf energiereichere Pflanzen spezialisiert waren, konnten sich an diesen Vegetationswechsel anpassen.

Auch dieser Vorschlag hat Schwächen. Beispielsweise könnte die Entmischung der Vegetation auch eine Folge des Aussterbens der Weidetiere gewesen sein. Und schließlich: Weshalb haben die Großtiere alle anderen Eiszeiten vorher überlebt?

Oder doch die Sintflut?

Vielleicht gilt ja doch die schon vor mehr als einhundert Jahren aufgestellte Hypothese von der großen Flut (lat. diluvium = Überschwemmung, Sintflut), die zumindest in Sibirien alles hinweggerafft hat. Doch für alle Hypothesen gilt gleichermaßen: Keine kann für alle Regionen das Verschwinden der Großtiere erklären. Das Wort Mammut stammt möglicherweise aus dem Estnischen. "Maa" bedeutet Erde und "mutt" Maulwurf.

Die Mammut-Elfenbein-Industrie verarbeitete zwischen 1660 und 1915 in Nordostsibirien die Stoßzähne von mehr als 46 000 Mammuten. Was die Saurier für die Kreide-Tertiär-Grenze waren, ist das Mammut für das Quartär: ein populäres und spektakuläres Tier. Doch anders als beim Saurier könnte es beim Mammut gelingen, aus intakter DNA in den Zellen eingefrorener Tiere ebendiese Tiere zu klonen und gleichsam wieder zum Leben zu erwecken.

Im Jahr 1799 fand der Tungusenführer Ossip Shumakhoff einen gefrorenen, 3,20 m hohen und 6,4 t schweren Mammutbullen aufrecht auf einer dicken Schicht fossilen Eises stehend. Er sägte die Stoßzähne ab, Wölfe und Füchse fraßen den Rest.

Zitat

Die niedrigen Seggen- und Moos-Gemeinschaften der Tundra begannen die Gräser zu ersetzen. Und diese Pflanzen konnten die Mammute und andere große Pflanzenfresser nicht ernähren. Im Winter wehte der Schnee in die fruchtbaren Teile der Täler und bedeckte sie. Und im kurzen Sommer wurden diese Täler oft überschwemmt. Der sowjetische Forscher Nikolaj K. Wereschtschagin

Literaturtipp

Spurensuche im Indianerland – Exkursionen in die Neue Welt. Von Günther Stoll und Rüdiger Vaas. 408 S., 54 Abb., S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2001. 68,– DM. ISBN 3-7776-0939-0

Mit den nordamerikanischen Ureinwohnern, den Paläoindianern, ihrer Kultur und Umwelt beschäftigt sich das Buch "Spurensuche im Indianerland". Die einzelnen Kapitel widmen sich der Geschichte und den Methoden der Archäologie, den Überresten verschwundener Hochkulturen, der Besiedlung Amerikas im Paläolithikum, den historischen Ernährungsgrundlagen, insbesondere der Bisonjagd und dem Maisanbau, den astronomischen Kenntnissen, den medizinischen Anschauungen und der Phytotherapie sowie einigen Problemen der heutigen indianischen Bevölkerung der USA. Die Autoren referieren auch verschiedene Modelle, die das "rätselhafte Artensterben" vor etwa 11 000 Jahren erklären wollen, und konstatieren, dass eine definitive Antwort beim jetzigen Forschungsstand nicht möglich ist. cae

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