Das Urteil im Zyto-Prozess (Teil 1)

Das „perfekte Verbrechen“ für den Bottroper Zyto-Apotheker

Karlsruhe - 15.11.2018, 10:15 Uhr

Der Bottroper Zyto-Apotheker Peter S. (hier mit seinen Anwälten) hat jahrelang Zyto-Zubereitungen gepanscht, damit Patienten geschadet und die Kassen um rund 17 Millionen Euro betrogen. DAZ-Autor Hinnerk Feldwisch hat die Urteilsbegründung analysiert. (Foto: hfd)

Der Bottroper Zyto-Apotheker Peter S. (hier mit seinen Anwälten) hat jahrelang Zyto-Zubereitungen gepanscht, damit Patienten geschadet und die Kassen um rund 17 Millionen Euro betrogen. DAZ-Autor Hinnerk Feldwisch hat die Urteilsbegründung analysiert. (Foto: hfd)


Abrechnungsbetrug in Millionenhöhe, keine Hygieneverstöße nachweisbar

Außerdem verurteilte das Landgericht Essen Peter S. wegen Abrechnungsbetrugs: Die unterdosierten Mittel seien „wirtschaftlich wertlos“ gewesen, daher handele es sich bei den monatlichen Abrechnungen um Betrug in 59 Fällen. Auf Basis mehrerer Abschätzungen bezifferten die Richter den Abrechnungsbetrug bei Krankenkassen auf einen Gesamtschaden von 17.943.846 Euro, den sie auf einen Betrag von 17,3 Mio. Euro abrundeten. Die Anklage hatte auch Hygieneverstöße mit aufgeführt, doch sprach die Strafkammer S. diesbezüglich frei: Zwar hätten die Zeugenaussagen „unzweifelhaft“ ergeben, dass S. zumindest gelegentlich in Straßenschuhen und ohne Schutzkleidung im Reinraumlabor arbeitete – doch ließen sich Kontaminationen auch aufgrund fehlender Untersuchungen nach der Razzia nicht feststellen. „Keine der 117 sichergestellten Zubereitungen ist im Ermittlungsverfahren sachverständig auf mikrobielle oder sonstige Verunreinigungen untersucht worden“, heiß es im Urteil.

Peter S.: Sohn zweier Apotheker

Es beschreibt auch den Werdegang von S.: Dieser sei als Sohn zweieer Apotheker aufgewachsen, seine Mutter betrieb früher die inzwischen umbenannte Alte Apotheke in Bottrop. Nach seinem Studium erlernte er die Zyto-Herstellung beim Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz, während er Apotheker im Rang eines Hauptmanns in einer Bundeswehrapotheke war. Im Jahr 2000 wechselte er als angestellter Pharmazeut in die Apotheke seiner Eltern. Ein Promotionsstudium brach er ab, einen betriebswirtschaftlichen Ergänzungsstudiengang absolvierte er und erlangte die Qualifikation eines Betriebswirts, wie später auch die des Fachapothekers für Offizin-Pharmazie sowie für Onkologie.

Ab dem Jahr 2001 baute S. in der Apotheke seiner Mutter die Zyto-Herstellung auf. Zu November 2009 pachtete er die Alte Apotheke von ihr und übernahm die Leitung, während seiner Eltern weiter im Betrieb arbeiteten. Gut ein Jahr später eröffnete er außerdem eine Filialapotheke in Düsseldorf. 2012 übertrug seine Mutter ihm das Apothekengebäude im Zuge einer vorweggenommenen Erbfolge – welches sie sich jedoch im Januar 2017 zurückübertragen ließ, als S. in Untersuchungshaft war. Mit Übernahme von seiner Mutter habe sich der Umsatz erheblich gesteigert – auf jährlich rund 40 Millionen Euro, wovon bis zu die Hälfte auf den Reinraumbetrieb entfallen sei. Seit 2009 habe sich auch die Zahl der Mitarbeiter auf rund 90 verdoppelt, mit zuletzt mehr als sechs Apothekern, rund 30 PTAs, mindestens neun PKAs, mehreren Reinigungskräften und rund 20 Fahrern.

„Sabotage durch den Angeklagten“

Bis heute leidet S. an den Folgen einer Kopfverletzung aus dem Jahr 2008, aufgrund derer er den Geruchssinn verlor und gelegentlich Kopfschmerzen hat. Die Verteidiger hatten dies als Grund für eine mögliche verminderte Schuldfähigkeit vorgebracht, doch auf aufgrund psychiatrischer Gutachter wiesen die Richter dies ab. So schließt die Kammer aus, dass die Folgen der Kopfverletzung dazu geführt haben, „dass der Angeklagte das Unrecht seiner Taten nicht einsehen konnte oder nicht nach seiner Einsicht handeln konnte“, heißt es im Urteil. Durchgeführte Tests zur Leistungsfähigkeit „erwiesen sich jedoch aufgrund von Sabotage durch den Angeklagten als unergiebig“. Ein von der Verteidigung bestellter Gutachter hatte angeführt, dass S. für seinen Berufsstand eine unterdurchschnittliche Intelligenz habe, was die Richter aufgrund mangelnder Datenbasis zurückwiesen. „Allzu oft ist die Intelligenz von Apothekern nämlich bislang nicht wissenschaftlich überprüft worden“, schreiben sie.

Derselbe Gutachter argumentierte, S. wäre vielleicht überfordert gewesen. Doch sei das Bild eines „angstbesetzten“ Apothekers, der Tag für Tag frühmorgens in der Sorge, nicht fertig zu werden, versehentlich Krebsmittel unterdosierte – und dabei praktischerweise ein Millionenvermögen verschaffte – von seiner Lebenswirklichkeit „meilenweit entfernt“, schreiben die Richter. Der Angeklagte sei vielmehr ein dynamischer „Macher“, der viele Projekte stemmte.

Peter S. tat viel für seine Region

In Bottrop sei S. für sein soziales Engagement bekannt gewesen: Er organisierte etwa für das Hospiz einen jährlichen Spendenlauf. Allein im Jahr 2013 spendete er laut Urteil einen Betrag von 170.000 Euro, in anderen Jahren soll es ähnlich viel gewesen sein. Nach außen hin sei der Apotheker „eher zurückhaltend und bescheiden“ aufgetreten, stellen die Richter fest – obwohl er in den letzten Jahren vor Inhaftnahme einen „kostspieligen Lebensstil“ gepflegt habe: Er ließ sich auf einem rund 18.000 Quadratmeter großen Grundstück für eine zweistellige Millionensumme eine luxuriös und extravagant ausgestattete Villa einrichten – samt Wasserrutsche, großer Modelleisenbahnanlage und rund 70 teils sehr wertvollen Kunstwerken. Der große Garten – mit einem Stück Berliner Mauer, das vom Künstler James Rizzi gestaltet wurde – wurde von einem Gärtner gepflegt, den S. in Vollzeit angestellt hatte. „Zu keinem Zeitpunkt hatte er Liquiditätsschwierigkeiten“, heißt es im Urteil.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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