Klinische Pharmazie – POP

Ein multimorbider Patient mit Linksherz-Unterstützungssystem

Herr H. ist ein 73-jähriger Mann, der aufgrund einer Verschlechterung des Allgemeinzustands, Harnverhalt und einem Abfall des Hämoglobins (Hb) (Konzentration von 7,0 g/dl), den der Hausarzt feststellte, stationär aufgenommen wurde. | von Franca Schoofs, Eduard Schmulenson, Kerstin Bitter, Adam Aksoy und Ulrich Jaehde

Ein multimorbider Patient mit Linksherz-Unterstützungssystem

1. Kapitel

Im Folgenden präsentieren wir Ihnen als 49. POP-Fall einen Beitrag von Franca Schoofs und Eduard Schmulenson. Die Arbeit ist im Wahlpflichtfach „Pharmazeutische Betreuung“ unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich Jaehde entstanden und wurde als beste pharmazeutische Studienarbeit mit dem UniDAZ-Wissenschaftspreis ausgezeichnet. 

Lernziele

In dem preisgekrönten Beitrag lesen Sie,

  • wie man arzneimittelbezogene Probleme erkennt und löst,
  • wie man Betreuungsprozesse und arzneimittelbezogene Interventionen dokumentiert,
  • wie man sich in die Patientenperspektive hineinversetzt,
  • wie man die Rolle des Apothekers im therapeutischen Team einschätzen kann und
  • wie eine umfassende Medikationsanalyse durchgeführt wird.

Der Patient

Herr H. ist ein 73-jähriger Mann, der aufgrund einer Verschlechterung des Allgemeinzustands, Harnverhalt und einem Abfall des Hämoglobins (Hb) (Konzentration von 7,0 g/dl), den der Hausarzt feststellte, stationär aufgenommen wurde. Nach Angabe des Patienten bestehe für ihn ein „Trink­limit“ von einem Liter pro Tag, das durch seine chronische Niereninsuffizienz im Stadium 3 begründet ist. Aus der Patientenakte war zu entnehmen, dass bei Herrn H. die Diagnose einer koronaren Zwei-Gefäß-­Erkrankung nach Myokardinfarkt 2000 vorlag, die bereits mit einem Stent versorgt wurde. Eine arterielle Hypertonie und Hypercholesterolämie waren als kardiovaskuläre Risikofaktoren bereits zuvor bekannt.

Wegen eines diagnostizierten Bradykardie-Tachykardie-Syndroms bei Vorhofflimmern erfolgten 2002 bei Herrn H. eine Herzschrittmacher-Implantation sowie im Verlauf bei hochgradig eingeschränkter linksventrikulärer Ejektionsfraktion eine Aufrüstung auf ein biventrikuläres ICD-System (implantierbarer Kardioverter-Defibrillator). Des Weiteren litt er unter einer ischämischen Kardiomyopathie mit hochgradig eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion und rezidivierenden Tachykardien, die aufgrund der fortschreitenden Verschlechterung 2012 chirurgisch mit einem Linksherz-Unterstützungssystem (LVAD) des Herstellers HeartWare® versorgt werden musste. Das implantierte LVAD besitzt einen kontinuierlichen Blutfluss. Aufgrund der diagnostizierten Herzinsuffizienz (NYHA III bis IV) war bei Herrn H. eine massive Ödembildung in den unteren Extremitäten zu beobachten. Eine Therapie mit Marcumar® erfolgte bereits vor der LVAD-Implantation, da der Patient Jahre zuvor einen mechanischen Mitralklappen-Ersatz erhielt und unter persistierendem Vorhofflimmern leidet. Herr H. wurde in der Vergangenheit bereits mehrere Male wegen INR-Entgleisung unter Phenprocoumon und Hb-Abfall stationär aufgenommen. Oft waren rezidivierende gastrointestinale Blutungen der Grund für den Hb-Abfall, wie sich aus der Krankengeschichte entnehmen ließ. Ebenfalls wurde einige Monate zuvor eine Raumforderung der Blase entdeckt, bei der ein Malignitätsverdacht im Raum stand, dessen Abklärung Herr H. jedoch ablehnte. Beim Patienten wurden ebenfalls eine leichtgradige postkapillare pulmonale Hypertonie diagnostiziert sowie eine chronische obstruktive Lungenkrankheit (COPD). Herr H. gab im Gespräch an, etwa seit den 70er Jahren nicht mehr zu rauchen. Da er der Pflegestufe 2 zugeteilt wurde, kümmern sich zu Hause sowohl seine Frau als auch ein Pflegedienst um ihn. Dieser übernimmt vor allem den Verbandswechsel des LVAD.

Diagnosen, Medikamente und ­Vitalparameter


Diagnosen

  • ischämische Kardiomyopathie mit hochgradig eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion (NYHA III – IV) → LVAD-Implantation
  • chronische Niereninsuffizienz Stadium 3
  • Zwei-Gefäß-KHK
  • Herzschrittmacher-Implantation, mechanischer Mitralklappenersatz
  • bakterieller Infekt
  • chronisch obstruktive Lungenkrankheit (COPD)
  • persistierendes Vorhofflimmern
  • Epilepsie
  • leichtgradige pulmonale Hypertonie
  • Hypothyreose
  • kardiovaskuläre Risikofaktoren: arterielle Hypertonie und Hypercholesterolämie

Patientencharakteristika

Alter: 73 Jahre

Größe: 1,79 m

Gewicht: 56 kg

BMI: 17,5 kg/m²

Puls: 80 Schläge pro Minute

RR → Da die LVAD-Pumpe für einen kontinuierlichen Blutfluss sorgt, der zu einem eng beieinander liegenden arteriellen systolischen/diastolischen Pulsdruck führt, wird empfohlen, den arteriellen Mitteldruck (MAP) zu überwachen. Er sollte bei < 85 mmHg gehalten werden. Bei Aufnahme des Patienten lag der MAP bei 75 mmHg.

ausgewählte Laborwerte zum Zeitpunkt der Einlieferung (mit Referenzbereich [Rb]):

Na+: 125,7 mmol/l (Rb: 135 – 145 mmol/l)

K+: 3,47 mmol/l (Rb: 3,5 – 5,1 mmol/l)

CL-: 89 mmol/l (Rb: 95 – 105 mmol/l)

Glucose: 149 mg/dl (Rb: 70 – 100 mg/dl)

Hb: 7,0 g/dl (Rb: 12,5 – 17,2 g/dl)

hCT-Wert: 22% (Rb: 42 – 52%)

pH-Wert: 7,511 (Rb: 7,37 – 7,45)

Creatinin: 3,23 mg/dl (Rb: 0,6 – 1,3 mg/dl)

GFR (MDRD4): 20,21 ml/min

CRP: 94,6 mg/l (Rb: < 3 mg/l)

Medikation

In der Tabelle 1 ist der Medikationsplan des Patienten sowohl vor als auch während des stationären Aufenthalts dargestellt.

Tab. 1: Medikationsplan des Patienten sowohl vor als auch während des stationären Aufenthalts
Indikation
Wirkstoff und Wirkstärke
Präparat
Dosierung vor Einweisung
Dosierung im Krankenhaus
Antikoagulation
Phenprocoumon 3 mg
Marcumar®
nach INR, Ziel 2 bis 3
pausiert
Heparin 25.000 I.E.
Heparin-Natrium ratiopharm®
nach PTT
Phenprocoumon-Antagonisierung
Phytomenadion 5 mg
Konakion®
nach INR
pulmonale arterielle Hypertonie
Sildenafil 20 mg
Rezeptur des Klinikums
1-0-0
1-0-0
Depression
Mirtazapin 15 mg
Remergil®
0-0-0-1
Epilepsie
Levetiracetam 500 mg
Keppra®
1-0-1
1-0-1
Vorhofflimmern
Amiodaron 200 mg
Cordarex®
1-0-0
1-0-0
Herzinsuffizienz, Hypertonie, KHK
Carvedilol 6,25 mg
Dilatrend®
1-0-1
1-0-1
Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern
Digitoxin 0,07 mg
Digimerck® minor
1-0-0
1-0-0
Ödeme, Hypertonie
Xipamid 20 mg
Aquaphor®
1-0-1
pausiert
Furosemid 40 mg per os
Lasix®
2-1-0
pausiert
Furosemid 80 mg i.v.
Lasix®
1-0,5-0
Hypokaliämie
Kaliumchlorid 600 mg
Kalinor retard P®
1-1-1
2-1-2
Ulkusprophylaxe
Ranitidin 150 mg
Ranitic®
1-0-0
1-0-0
Omeprazol 40 mg
Nexium®
1-0-0
1-0-0
Eisen-Mangelanämie
Eisen(II)-Glycin-sulfat-Komplex 100 mg
Ferro sanol®
1-0-0
1-0-0
Folsäure-Mangelanämie
Folsäure 5 mg
Folsäure Stada®
1-0-0
1-0-0
Hypothyreose
L-Thyroxin 25 µg
L-Thyrox-Henning®
1-0-0
1-0-0
bakterieller Infekt (Therapie vor Verlegung auf Intensivstation)
Ciprofloxacin 250 mg
Ciprobay®
1-0-1
Clindamycin 600 mg
Sobelin®
1-1-1
bakterieller Infekt (Therapie nach Ver­legung auf Intensiv­station)
Meropenem 1 g
Meronem®
1-0-1
Vancomycin (Stärke je nach Vancomycin-Plasmakonzentration)
Vancomycin®
nach Vancomycin-Plasmakonzentration
Diarrhö
Saccharomyces-cerevisiae-Trockenhefe 375 mg
Eubiol®
2-2-2
Anämie
Erythrozytenkonzentrat
nach Hämoglobin

2. Kapitel

Umfassende Medikationsanalyse

Im Folgenden werden ausgewählte, einzelne Krankheitsbilder (INR-Entgleisung, chronische Niereninsuffizienz und kardiovaskuläre Erkrankungen) nach dem SOAP-Schema analysiert. Zusätzliche SOAP-Analysen zu COPD, bakteriellem Infekt und Hämoglobin-Abfall sowie ein ausführlicher Interaktionscheck werden hier nicht dargestellt.

Antikoagulation

Subjektive Beschwerden (S)

Herr H. gab an, seit mehreren Tagen zahlreiche und zum Teil sehr großflächige blaue Flecken bemerkt zu haben. Vor allem an Händen und Füßen seien viele neu dazugekommen.

Objektive Parameter und relevante Ziele (O)

Der Patient litt im Verlauf des stationären Aufenthalts unter einer INR-Entgleisung, die unter der Therapie mit Phenprocoumon (Marcumar®) zustande kam. Der maximal bestimmte INR-Wert betrug 4,7 (Abb. 1). Auch Quick- und PTT-Werte lagen außerhalb des Referenzbereiches (Quick-Wert: 10%; Referenzbereich: 70 bis 130%; partielle Thromboplastinzeit [PTT]: 70 s; Referenzbereich: 22 bis 26 s). Zusätzlich litt Herr H. an Hämaturie.

Abb. 1: Verlauf der International Normalized Ratio (INR)

Analyse (A)

Beim Patienten lag eine mangelhafte Dosiseinstellung vor, welche allerdings nicht auf die Ernährung oder Ähnliches zurückzuführen ist. Herr H. gab an, hauptsächlich Trinknahrung zu sich zu nehmen, auch der Konsum von Alkohol wurde verneint.

Die erstmalige Phenprocoumon-Einstellung erfolgte stationär, weitere Kontrollen des INR-Wertes wurden durch den Patienten selbst durchgeführt. INR-Werte, die oberhalb des therapeutischen Zielbereiches liegen, stellen ein erhöhtes Risiko für Blutungen da.

Eine eventuelle Leberinsuffizienz konnte durch Ermittlung der Aspartat-Aminotransferase (AST) und der Alanin-Aminotransferase (ALT) ausgeschlossen werden (ALT: 26 U/l, AST: 38 U/l, Referenzbereich: < 50 U/l), wodurch Phenprocoumon in dieser Hinsicht nicht kontraindiziert ist und keine erhöhte Blutungsgefahr von einer erniedrigten Leberfunktion ausgeht.

Da bei Herrn H. ein Hb-Abfall ungeklärter Ursache vorlag, musste die Wirkung des Phenprocoumons mit einer einmaligen Gabe von Phytomenadion antagonisiert werden. Nach kurzer Latenzzeit lag der INR-Wert knapp unter dem therapeutischen Zielbereich und liegt im Verlauf des stationären Aufenthalts deutlich unter den gewünschten Zielwerten von 2 bis 3.

Weiterhin ist festzuhalten, dass nach Implantation eines LVAD die zusätzliche Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS) empfohlen wird. Falls ASS zur benötigten Antikoagulation nicht ausreicht, kann eine Kombination aus ASS und Clopidogrel (Plavix®) angewendet werden. Bei einer Unverträglichkeit/Allergie oder Kontraindikation für ASS wird empfohlen, die Thrombozytenaggregationshemmung alleinig mit Clopido­grel durchzuführen [1].

Plan (P)

Eine erneute Einstellung des INR in den Zielbereich 2 bis 3 ist unerlässlich, da Herr H. durch den Mitralklappenersatz, das LVAD, das persistierende Vorhofflimmern und einen CHA2DS2-VASc-Score von 4 ein erhöhtes Thrombose- sowie Schlaganfall­risiko hat [4].

Zudem muss das Interaktionspotenzial von Marcumar® berücksichtigt werden. Insbesondere ist der CYP2C9/CYP3A4-Inhibitor Amiodaron von Relevanz, da dadurch die Phenprocoumon-Wirkung verstärkt werden kann. Dies kann unter Umständen erst nach mehrmonatiger Therapie auftreten, da Amiodaron eine Halbwertszeit von 25 bis 100 Tagen hat [5].

Herr H. wird aufgrund arrhythmischer Episoden mit mehrmaliger ICD-Auslösung seit Mitte Juli 2015 mit Amiodaron behandelt. Ein Wechsel oder das Absetzen des Antiarrhythmikums sind aus diesem Grund keine Alternative. Dadurch stellt diese Interaktion einen nicht zu vernachlässigenden Faktor dar, zumal der Patient einen HAS-BLED-Score von 5 aufweist [4]. Daher ist es ratsam, den INR-Wert engmaschig zu kontrollieren [4]. Eine Umstellung des Patienten auf ein direktes orales Antikoagulans (z. B. Dabigatran, Rivarox­aban) wurde, trotz der einfacheren Hand­habung, nicht empfohlen. Dies ist durch die bestehende Niereninsuffizienz des Patienten und die Kontraindikation bei mechanischer Mitralklappe begründet [6, 7]. Aufgrund des LVAD ist die zusätzliche Gabe von ASS indiziert [1].

Chronische Niereninsuffizienz

Subjektive Beschwerden (S)

Der Patient klagte über Harnverhalt sowie über die limitierte Trinkmenge von einem Liter am Tag.

Objektive Parameter und relevante Ziele (O)

Die Serum-Creatinin-Konzentration von Herrn H. war stark erhöht (Abb. 2), auch die Serum-Harnstoff-Konzentration (Höchstwert: 242 mg/dl, Referenzbereich: 15 bis 39 mg/dl) zeigte während des Klinikaufenthalts deutlich zu hohe Werte an. Zudem war die glomeruläre Filtrationsrate (GFR), ­errechnet nach der MDRD-Formel (Modification of Diet in Renal Disease Study Equation), stark erniedrigt, mit Werten von zum Teil unter 20 ml/min (Abb. 3).

Abb. 2: Verlauf der Serum-Creatinin-Konzentration

Abb. 3: Verlauf der glomerulären Filtrationsrate

Analyse (A)

Der Medikationsplan des Patienten vor der Einweisung ins Krankenhaus zeigt keinen potenziell nephrotoxischen Arzneistoff. Die akut niedrige GFR des Patienten bei stationärer Aufnahme ist auf prärenales und eventuell postrenales Nierenversagen zurückzuführen. Das prärenale Nierenversagen lässt sich durch den Hb-Abfall und die Herzinsuffizienz erklären, während das postrenale Nierenversagen durch die potenziell maligne Raumforderung der Blase zustande käme [9, 10, 11].

Der Patient ist mit seiner derzeitigen Nierenfunktion nicht dialysepflichtig. Die Serum-Creatinin- und Serum-Harnstoff-Konzentrationen konnten während des Klinikaufenthalts gesenkt werden, wenn auch nicht in den Referenz­bereich. Die GFR stieg bis auf 39,3 ml/min [8].

Plan (P)

Teile der verordneten Arzneistoffe werden renal eliminiert, was bei einer chronischen Niereninsuffizienz zu erhöhten Plasmakonzentrationen und damit zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) führen kann. Hierbei ist der Q0-Wert zu beachten, welcher die extrarenale Dosisfraktion beschreibt. Ein kleiner Q0-Wert zeigt an, dass der Arzneistoff hauptsächlich über die Niere ausgeschieden wird und damit in diesem Fall kritisch zu betrachten ist (Tab. 2).

Arzneistoff
Anwendung bei schwerer Niereninsuffizienz
Maßnahme
Q0-Wert
Phenprocoumon
kontraindiziert
engmaschige INR-Überwachung, da keine mögliche Alternativmedikation
1
Heparin
kontraindiziert
engmaschige Überwachung der Gerinnungsparameter
0,8
Levetiracetam
mit Vorsicht anwenden
maximal zweimal 500 mg/Tag bei GFR < 30 ml/min
0,34
Kaliumchlorid
kontraindiziert
engmaschige Überwachung der Kalium-Konzentration
Ranitidin
mit Vorsicht anwenden
maximal 150 mg/Tag
0,25
Ciprofloxacin
mit Vorsicht anwenden
per os: maximal 500 mg/Tag bei GFR < 30 ml/min
i.v.: maximal 400 mg/Tag bei GFR < 30 ml/min
0,4
Meropenem
mit Vorsicht anwenden
maximal 2 g/12 Stunden bei GFR 26 bis 50 ml/min
maximal 1 g/12 Stunden bei GFR 10 bis 25 ml/min
0,24
Vancomycin
mit Vorsicht anwenden
engmaschige Überwachung der Serumkonzentrationen
0,05

Somit ist eine Nutzen-Risiko-Abwägung notwendig, aus der z. B. Dosisanpassungen, die Gabe alternativer Arzneistoffe oder ein engmaschiges Monitoring resultieren. Beispielsweise weist Vancomycin einen Q0-Wert von 0,05 auf. Da es aber aufgrund des bakteriellen Infekts benötigt wird und keine Dauertherapie erfolgt, ist die Gabe mit einer regelmäßigen Bestimmung der Serumkonzentrationen zu überwachen. Hierbei sollen Talkonzentrationen von 5 bis 10 mg/l angestrebt werden, zudem sollte die Serumkonzentration eine Stunde nach Beendigung der Infusion zwischen 30 und 40 mg/l betragen.

Kardiovaskuläre Erkrankungen

Subjektive Beschwerden (S)

Der Patient klagt über Antriebslosigkeit und Müdigkeit. Hinzu kommt eine massive Ödembildung in den unteren Extremitäten, welche ihn in der Beweglichkeit stark einschränkt. Außerdem leidet Herr H. unter anhaltender Dyspnoe.

Objektive Parameter und relevante Ziele (O)

Der Patient leidet an einer chronischen Herzinsuffizienz, die nach NYHA (New York Heart Association) in das Stadium III bis IV einzuordnen ist. Zudem besteht eine stark eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion (Ejektionsfraktion von 15%), auch wurden zum Teil stark erniedrigte Elektrolyt-Konzentrationen bemerkt. Sowohl die Calcium-Konzentration (Tiefstwert 1,78 mmol/l, Referenzbereich: 2,12 bis 2,52 mmol/l) als auch die Kalium- (Abb. 4) und Natrium-Konzentrationen (Abb. 5) lagen zeitweise weit unter dem Referenzbereich.

Abb. 4: Verlauf der Kalium-Konzentration

Abb. 5: Verlauf der Natrium-Konzentration

Ferner wurden bei Herrn H. eine koronare Zwei-Gefäß-Erkrankung, eine arterielle Hypertonie sowie eine Hypercholesterolämie diagnostiziert. LDL und Gesamtcholesterol waren während des aktuellen Klinikaufenthalts unauffällig (LDL: 57 mg/dl, Referenzbereich: < 150 mg/dl, Gesamtcholesterol: 85 mg/dl, Referenzbereich: < 200 mg/dl), während das HDL unterhalb des Referenzbereiches lag [2] (HDL: 10 mg/dl, Referenzbereich: > 40 mg/dl). Vor allem Letzteres lässt auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko schließen [13].

Des Weiteren kommen eine leichtgradige postkapilläre pulmonale arterielle Hypertonie und persistierendes Vorhofflimmern dazu.

Analyse (A)

Zur Unterstützung des Lungenkreislaufs bei implantiertem linksventrikulärem Herzunterstützungssystem (LVAD) wird als positiv inotroper Arzneistoff Digitoxin eingesetzt [14]. Die Anwendung von Digitoxin ist allerdings kritisch zu hinterfragen, da in der Leitlinie zur Therapie der chronischen Herzinsuffizienz bei Digitoxin auf unzureichende Untersuchungen hingewiesen wird [15]. Dennoch liegt zur Behandlung von Patienten mit LVAD und Rechtsherzinsuffizienz für positiv inotrope Substanzen der Empfehlungsgrad I vor, wobei zu erwähnen ist, dass nur ein kleines Patientenkollektiv von der Gabe profitiert [14, 16].

Zur Ödemausschwemmung wurde vor dem Klinikaufenthalt eine duale Therapie mit Xipamid und Furosemid durchgeführt, im Klinikum hingegen erfolgte die Umstellung auf eine Monotherapie mit Furosemid i.v.. Trotzdem hat der Patient starke Ödeme. Zusätzlich kam es unter der Therapie zu einer Elektrolytentgleisung. Die daraus folgende niedrige Kalium-Konzentration konnte nach Verlegung des Patienten auf die Intensivstation und einer Umstellung auf eine Kalium-Dauerinfusion erfolgreich in den Referenzbereich gebracht werden (siehe Abb. 4). Auffallend ist jedoch die Hyponatriämie des Patienten, welche sich auch mit der Behandlung auf der Intensivstation nicht gebessert hat.

Zur leitliniengerechten Therapie der koronaren Herzkrankheit sind neben dem bereits vorhandenen Betablocker auch ein ACE-Hemmer, niedrig­dosierte ASS sowie ein Statin mit Empfehlungsgrad I und Evidenzgrad A indiziert [3]. Carvedilol ist hierbei aufgrund der zusätzlichen Herzinsuffizienz als Betablocker durchaus sinnvoll [2].

Die Behandlung der arteriellen Hypertonie beinhaltet die Kombination aus Carvedilol und das Thiaziddiuretikum Xip­amid, was nach Leitlinie als eine „sinnvolle Kombination“ beschrieben wird. Erwähnenswert ist allerdings, dass bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz ausdrücklich ein ACE-Hemmer/AT1-Rezeporantagonist empfohlen wird [17].

Die Therapie der arteriellen Hypertonie ist besonders bei LVAD-Patienten wichtig, da bei Wiederherstellung der normalen Perfusion nach der Implantation eine systemische Hypertonie beobachtet werden kann [1].

Zur Behandlung der pulmonalen arteriellen Hypertonie wird Sildenafil eingesetzt, allerdings mit einer therapeutisch zu geringen Dosierung von einmal 20 mg täglich.

Zur Therapie des persistierenden Vorhofflimmerns wird neben den frequenzkontrollierenden Arzneistoffen Carvedilol und Digitoxin und der antithrombotischen Therapie mit Phenprocoumon auch Amiodaron zum Rhythmuserhalt angewendet, was einer leitliniengerechten Therapie entspricht [4]. Unter dieser Therapie ist der Patient frei von Vorhofflimmern.

Plan (P)

Die Therapie der Herzinsuffizienz und KHK sollte um einen ACE-Hemmer/AT1-Rezeptorantagonisten erweitert werden. Da der Einsatz des Digitoxins kritisch zu sehen ist, ist es notwendig, regelmäßige Digitoxin-Plasmakonzentrationen zu bestimmen und eine regelmäßige Kontrolle der Leberparameter ALT und AST durchzuführen. Dies ist durch die geringe therapeutische Breite und die hauptsächlich hepatische Elimination des eingesetzten Medikaments begründet.

Die Ödeme müssen sorgfältig durch tägliche Kontrolle des Körpergewichts beobachtet und auch weiterhin mit Schleifen- und Thiaziddiuretika behandelt werden. Eine Behandlung mit Kalium-sparenden Diuretika wie Spironolacton ist bei schwerer Niereninsuffizienz (GFR < 30 ml/min) kontraindiziert. Bei Herrn H. als Patient mit einem linksventrikulären Herzunterstützungssystem ist eine mehrmals tägliche Kontrolle des arteriellen Mitteldrucks notwendig, wobei dieser bei unter 85 mmHg gehalten werden soll [1].

Des Weiteren ist die Medikation um ein Statin zu erweitern. Bei dessen Verordnung kann aufgrund der Niereninsuffizienz auf Atorvastatin oder Fluvastatin (bis 40 mg täglich) zurückgegriffen werden.

Zur Behandlung der pulmonalen arteriellen Hypertonie ist die Sildenafil-Dosierung von einmal 20 mg pro Tag auf eine zweimalige Gabe zu erhöhen, auch unter Berücksichtigung der Niereninsuffizienz.

Da die Rhythmus-erhaltende Therapie des persistierenden Vorhofflimmerns mit Amiodaron auch weiterhin fortgeführt werden soll, müssen unerwünschte Wirkungen frühzeitig erkannt werden. Dies erfordert eine regelmäßige EKG-Kon­trolle aufgrund der möglichen proarrhythmogenen Wirkung, eine Röntgenuntersuchung der Lunge, regelmäßige Kontrolle des TSH-Werts und der Cornea.

Fazit

Ein Medikationsmanagement trägt vor allem bei älteren, multimorbiden Patienten zur Arzneimitteltherapie­sicherheit bei. Gerade dieser Fall zeigt, wie wichtig interdisziplinäre Zusammenarbeit und patientenindividuelle Therapieentscheidungen sind. Bei diesen Patienten ist festzuhalten, dass viele Wechselwirkungen zu akzeptieren sind, da die gleichzeitige Anwendung der Arzneimittel unabdingbar ist. Gerade deshalb ist ein sorgfältiges Monitoring notwendig. Eine regelmäßige Kontrolle der Medikation des Patienten ist wichtig, um auf aktuelle Zustandsänderungen reagieren zu können und damit die Lebensqualität so gut wie möglich zu erhalten. |

Literatur

 [1] HeartWare® Ventricular Assist System. Instructions for Use, www.heartware.com, letzter Zugriff 26. September 2015

 [2] Chronische KHK, AWMF-Leitlinie, Stand 2014, www.leitlinien.de, letzter Zugriff 10. Oktober 2015

 [3] Management der stabilen koronaren Herzkrankheit (KHK). ESC Pocket Guidelines, Stand 2013, www.leitlinien.dgk.org, letzter Zugriff 26. September 2015

 [4] Leitlinien für das Management von Vorhofflimmern, ESC Pocket Guidelines, Stand 2012. www.leitlinien.dgk.org, letzter Zugriff 26. September  2015

 [5] Zagermann-Muncke P. Interaktionen: Der Zeitfaktor bei Wechselwirkungen. Pharm Ztg 2007;152:4686-4687

 [6] Gräfe KA. Antidota auf der Zielgeraden. Pharm Ztg 2015;160:2220-2221

 [7] Heidbuchel H, Verhamme P, Alings M et al. EHRA Practical Guide on the use of new oral anticoagulants in patients with non-valvular atrial fibrillation. Europace 2013;15:625-651

 [8] Chronische Nierenkrankheit. ICD-10-GM-2015 N18, www.icd-code.de/icd/code/N18.3.html, letzter Zugriff 24. September 2015

 [9] Rahman M, Shad F, Smith MC. Acute Kidney Injury: A Guide to Diagnosis and Management. Am Fam Physician 2012;86:631-639

[10] Thews G, Mutschler E, Vaupel P. Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen. 6. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2007:488-493

[11] Akutes Nierenversagen. DocCheck Flexikon, letzter Zugriff 20. Oktober 2015

[12] Dosierung bei Niereninsuffizienz. Abteilung Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie, Universitätsklinikum Heidelberg, www.dosing.de, letzter Zugriff 24. September 2015

[13] Reiner Z, Capatano AL et al. ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias. European Heart Journal 2011;32;1769-1818

[14] International Society for Heart and Lung Transplantation Guidelines for Mechanical Circulatory Support 2013, www.ishlt.org, letzter Zugriff 10.  Oktober 2015

[15] McMurray JJV, Adamopoulos S, Anker SD et al. ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure 2012. European Heart Journal 2012;33:1787-1847

[16] Rommel JJ, O‘Neill TJ, Lishmanov A et al. The role of heart failure pharmacotherapy after left ventricular assist device support. Heart Failure Clinics 2014;10:653-660

[17] Leitlinien für das Management der arteriellen Hypertonie, ESC Pocket Guidelines: Stand 2013, www.leitlinien.dgk.org, letzter Zugriff 26. September 2015

aktuelle Fachinformation der Präparate, www.fachinfo.de

Autoren

Franca Schoofs und Eduard Schmulenson betrachteten detailliert die Medikation und die gesundheitliche Situation eines älteren, multimorbiden Patienten. Die daraus entstandene Arbeit im Wahlpflichtfach „Pharmazeutische Betreuung“ unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich Jaehde wurde von der UniDAZ, dem Studentenmagazin der DAZ, als die beste pharmazeutische Studienarbeit 2016 mit dem UniDAZ-Wissenschaftspreis ausgezeichnet.

Franca Schoofs Studium der Pharmazie an der Universität Bonn, 2015 Forschungspraktikum GRK 1873 „Pharmacology of 7TM-receptors and downstream signaling pathways“ im Arbeitskreis Prof. Dr. Klaus Mohr der Pharmakologie und Toxikologie Universität Bonn, voraussichtlich im September 2016 Abschluss des zweiten Staatsexamens, ab November 2016 PJ in der Krankenhausapotheke der Universität zu Köln

Eduard Schmulenson Studium der Pharmazie an der Universität Bonn, erfolgreicher Abschluss des Zweiten Staatsexamens im April 2016, Beginn des Master­studiengangs „Drug Research“ im Bereich Klinische Pharmazie an der Universität Bonn ab dem Sommersemester 2016

Kerstin Bitter Studium der Pharmazie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, seit 2013 Weiterbildung zur Fachapothekerin für Arzneimittelinformation und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitskreis von Prof. Dr. Ulrich Jaehde in Bonn

Adam Aksoy Studium in Bonn und Istanbul, Staatsexamen 2014, Promotion in der molekularen Kardiologie, seit 2015 Assistenzarzt in der Medizinischen Klinik II des Universitätsklinikum Bonn

Prof. Dr. Ulrich Jaehde Studium der Pharmazie an der Freien Universität Berlin, Professor (C3) für Klinische Pharmazie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn (bis 2004 auch für Pharmazeutische Chemie), seit 2004 Leiter des neu gegründeten Bereichs Klinische Pharmazie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn, Inhaber des Lehrstuhls für Klinische Pharmazie an der Universität Bonn

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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