Wenn Fieber Rätsel aufgibt
Bei rund 70% aller Termine beim Kinder- oder Hausarzt spielt uncharakteristisches, unklares Fieber eine Rolle. Dies löst bei Eltern – zum Teil auch bei den Behandlern – oft große Sorge aus, sagte Priv.-Doz. Dr. Elke Lainka, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin an der Unikinderklinik Essen, bei einem Symposium auf dem Kinder- und Jugendärztekongresses in München. Laien sehen Fieber sehr häufig nicht als Symptom, sondern als die eigentliche und besorgniserregende Erkrankung. Wichtig ist die Information über den physiologischen Sinn des Fieberns: Die Erhöhung der Körpertemperatur hemmt die Replikation von Bakterien und Viren und steigert – möglicherweise – die Immunität gegen Erreger. Ein daraus folgendes Beratungsziel ist auch in der Offizin, dass die Eltern anstatt auf die bloße Normalisierung der Körpertemperatur engmaschiger auf Zeichen einer schweren Erkrankung achten, zum Beispiel die Atmung, Haut, Verhalten und Bewusstseinszustand des Kindes verfolgen – und frühzeitig den Arzt aufsuchen.
In den meisten Fällen erscheinen fiebernde Kinder wenig beeinträchtigt, dennoch sollte bei kleinen Kindern und bei anhaltendem oder hohem Fieber keine Selbstbehandlung ohne ärztliche Abklärung erfolgen, betonte Lainka. Der Arzt nimmt beim fiebernden Kind Atmung, Puls und Blutdruck, Verhalten, Bewusstsein und die Reaktion auf Reize in Augenschein, außerdem Hautfarbe und Hautturgor. Ausschließen muss er unter anderem signifikante Infektionen der unteren und oberen Atemwege, eine Appendizitis sowie eine Meningitis, gegebenenfalls rheumatologische, endokrine, neurologische, onkologische und metabolische Ursachen. Aus seiner Sicht sind erste Fragen bei der Ursachensuche:
Seit wann besteht Fieber und wie hoch ist das Fieber maximal?
Schwankt die Temperatur im Tagesverlauf?
Sind Begleitsymptome vorhanden (Durchfall, Ausschlag, Husten, Schmerzen etc.)?
Besteht Fieber schon länger als eine Woche und bleibt dessen Genese unklar?
Fieber: Zündfunke für die Abwehr
Fieber entsteht durch Hochregulierung des Sollwerts der Körpertemperatur im Hypothalamus durch Pyrogene. Exogene Pyrogene sind z. B. Bestandteile von Bakterien (pathogen-associated molecular patterns, PAMP, z. B. Lipopolysaccharid) oder zerstörten Zellen. Diese führen über die Aktivierung von Makrophagen und Zellen des retikuloendothelialen Systems zur Sekretion endogener Pyrogene wie Interleukin 1β. IL-1β, das Schlüsselzytokin der Entzündungskaskade, regt im Hypothalamus die Produktion von Prostaglandin E2 an. PGE2 verstellt den Sollwert der Kerntemperatur von z. B. 37 °C auf 40 °C. Der Körper produziert dann Wärme durch mehrere Mechanismen: Muskelzittern (Frösteln), Aktivierung des Stoffwechsels (z. B. braunes Fettgewebe) und Aktivierung des Sympathikus mit Vasokonstriktion der Hautgefäße, verminderter Wärmeabgabe und Hemmung des Schwitzens.
Eine Erhöhung der Temperatur hemmt die Replikation von Bakterien und Viren und steigert die Immunität gegen Erreger. Die Tatsachen, dass Fieber a) durch die Evolution hindurch hoch konserviert ist und b) durch das ZNS sehr eng reguliert wird, sprechen dafür, dass die Temperaturerhöhung einen Überlebensvorteil darstellt.
Quelle: Niehues T. The febrile child: diagnosis and treatment. Dtsch Arztebl Int 2013;110(45):764–774, doi: 10.3238/arztebl.2013.0764
Fieber unklarer Genese ...
Schon der Begriff ist nicht klar definiert. Handrick spricht von Fieber unklarer Genese (= fever of unknown origin, FUO), wenn Patienten über acht bis 14 Tage eine Rektaltemperatur von > 37,7 °C morgens bzw. > 38,2 °C abends haben, ohne dass ärztliche Untersuchung, Labor- und bildgebende Diagnostik eine Fieberursache finden. „Bei Fieber unklarer Genese ist eine atypische Manifestation einer häufigen Erkrankung wesentlich wahrscheinlicher als eine exotische Erkrankung“, sagte Lainka. Die drei wichtigsten Ursachen, die ein zunächst unklares Fieber auslösen, sind Infektionen (zu > 40%), Neoplasien und Kollagenosen bzw. Gefäßkrankheiten. Eine schwere bakterielle Infektion (SBI) liegt bei Kleinkindern und älteren Säuglingen mit Fieber unklarer Genese bei 0,5 bis 1% der Fälle vor, bei Neugeborenen und Säuglingen bis drei Monaten sogar bei 5 bis 10%. Starke Hinweise auf eine schwere bakterielle Infektion bestehen in einer rektalen Temperatur über 40 °C, Zyanose, Tachypnoe, schlechter peripherer Durchblutung und Petechien (punktförmige Haut- oder Schleimhautblutungen).
... kann auch Autoinflammation sein
Bei 30 bis 50% der Kinder mit Fieber unklarer Genese bleibt die Ursache (zunächst) ungeklärt. Bei wiederkehrenden Fieberepisoden sollte man dann neben infektiösen auch an autoinflammatorische Ursachen denken. Ein kleiner Teil der Patienten leidet an hereditären rekurrierenden Fiebersyndromen (HRF), die den Autoimmunerkrankungen zuzurechnen sind. Das häufigste hereditäre rekurrierende Fiebersyndrom ist das autosomal-rezessiv vererbte Familiäre Mittelmeerfieber (FMF), das bei zwei von drei Betroffenen in der frühen Kindheit einsetzt. Die Patienten stammen meist aus dem Mittelmeerraum und dem mittleren Osten. Charakteristisch sind Stunden bis Tage dauernde, selbstlimitierende Fieberepisoden bis 40 °C, begleitet von Bauch-, Brust- und Gliederschmerzen. Im symptomfreien Intervall (eine Woche bis sechs Monate) erscheinen die Kinder völlig gesund. Als lebenslange prophylaktische Standardtherapie wird Colchicin eingesetzt.
Goldstandard: rektale Messung

Fieber wird meist definiert als rektale Temperatur über 38,5 °C, hilfsweise als im Ohr gemessene Temperatur über 38 °C. Im Allgemeinen ist die Temperatur frühmorgens am niedrigsten, in den frühen Abendstunden am höchsten. Sie variiert um 0,5 °C mittlere Amplitude. Die Überlegenheit der rektalen Temperaturmessung gegenüber anderen Messmethoden wurde in systematischen Reviews belegt. Die Sensitivität der Ohrtemperaturmessung ist eigentlich unzureichend, aber sie ist schneller, leichter zu handhaben und für die Kinder angenehmer. Die britische NICE-Leitlinie und die Leitlinien der italienischen Gesellschaft für Pädiatrie lassen bei Neugeborenen auch die axilläre Messung mit einem digitalen Thermometer zu. Dennoch ist auch bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern im Zweifelsfall die rektale Messung die zuverlässigste Methode.
Bei Schulkindern und in der Adoleszenz nimmt der Anteil immunologisch bedingter Fieberursachen zu, beispielsweise bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Fieber ist bei Colitis ulcerosa zwar kein Leitsymptom, kann aber in einem schweren Schub hinzukommen.
Wann Fieber senken?
Aus mehreren Gründen, so Lainka, sollte man besorgte Eltern darauf hinweisen, Fieber – und insbesondere Fieber unklarer Ursache – nicht reflexartig zu senken. Es sei wichtig, zunächst zu beobachten und den Zustand des Kindes im Auge zu behalten. Die erhöhte Temperatur hemme die Replikation von Bakterien und Viren und stößt immunologische Abwehrprozesse an. Zudem falle durch die Antipyrese Fieber als diagnostisches Kriterium weg. Antipyretika sollten nur unter bestimmten Bedingungen gegeben werden: wenn das Kind
- stark beeinträchtigt ist und/oder Schmerzen hat,
- sehr hohes Fieber hat (≥ 40 °C),
- nur noch sehr wenig Flüssigkeit zu sich nimmt,
- sich in einer speziellen Situationen befindet: Schock, Erkrankungen mit erhöhtem Energieumsatz, zum Beispiel chronische Herz- und Lungenerkrankung, akuter Schlaganfall oder Bronchiolitis.
Wie das Fieber senken?
Antipyretika werden nach Gewicht dosiert, nicht nach Alter. Für Paracetamol liegt die Dosierung bei 10 bis 15 mg/kg Körpergewicht alle vier bis sechs Stunden. Es wirkt innerhalb von 30 bis 60 Minuten. Von Paracetamol stehen orale, rektale und intravenöse Darreichungsformen zur Verfügung. Die Gabe von Zäpfchen ist sinnvoll bei Erbrechen oder eingetrübtem Kind. Eine Überdosis, z. B. durch zu kurze Dosisintervalle bei vermeintlich ausbleibendem Effekt, kann die Leber schädigen.
Die Dosierung von Ibuprofen beträgt 10 mg/kg Körpergewicht alle sechs Stunden, die maximale Tagesdosis ist 40 mg/kg Körpergewicht. Der maximale Effekt wird später als bei Paracetamol erreicht, hält aber länger an (siehe Tabelle). Während Paracetamol bei adäquater Dosis nahezu nebenwirkungsfrei ist, sind für Ibuprofen Einzelfälle von Gastritis und Magen- und Duodenal-Ulcera und Nephrotoxizität beschrieben.
Paracetamol
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Ibuprofen
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Wirkungsbeginn
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< einer Stunde
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< einer Stunde
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Minderung der Temperatur
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ein bis zwei Stunden
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ein bis zwei Stunden
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Wirkungshöhepunkt
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drei bis vier Stunden
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drei bis vier Stunden
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Wirkungsdauer
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vier bis sechs Stunden
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sechs bis acht Stunden
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Dosis
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10 bis 15 mg/kg Körpergewicht alle vier Stunden
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10 mg/kg Körpergewicht alle sechs Stunden
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maximale Tagesdosis
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75 (bis 90) mg/kg Körpergewicht
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40 mg/kg Körpergewicht
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maximale Tagesdosis des Erwachsenen
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4 g/Tag
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2,4 g/Tag
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Äußere Kühlung durch Eisbäder oder Wadenwickel sind alleine (ohne Antipyretika) problematisch, wenn sie die Vasokonstriktion verstärken und dem thermoregulatorischen Zentrum signalisieren, noch mehr Wärme zu produzieren. Dagegen ist bei der Hyperthermie (definiert als > 41 °C, zum Beispiel bei Hitzeschlag) der Sollwert im Hypothalamus nicht verstellt, hier kann dann eine externe Kühlung von Kindern mit Eisbädern/Wadenwickeln effektiv sein. |
Quelle
[1] Priv.-Doz. Dr. Elke Lainka. Durchfall und Fieber. Symposium „Fieber: Infektion oder Autoinflammation?“, 2. September 2015, München, 111. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DGKJ) gemeinsam mit der 67. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) 5. Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie 37. Jahrestagung des Berufsverbandes Kinderkrankenpflege Deutschland (BeKD)
[2] Niehues T. The febrile child: diagnosis and treatment. Dtsch Arztebl Int 2013;110(45):764-774, DOI: 10.3238/arztebl.2013.0764
[3] Handrick W, Menzel G. Fieber unklarer Genese: Definition, Hinweise, diagnostisches Vorgehen WVG Stuttgart, Oktober 2006 (vergriffen)