Schizophrenie

Epidemiologie, Klinik und Pathophysiologie

Der Begriff Schizophrenie leitet sich vom griechischen schizo = spalten und phren = Zwerchfell ab, da die alten Griechen den Sitz der Seele im Oberbauch lokalisierten (gegenwärtig noch in den "gut feelings" trivialisiert). Er soll die Zerrissenheit von Fühlen und Denken beschreiben. Der Einsatz von Neuroleptika als Arzneistoffe gegen eine persönlichkeitsumfassende Störung leitet sich seinerseits ab von neurolep = das Gehirn ergreifend. Die unter dem Begriff Schizophrenie zusammengefassten Störungsbilder haben eine vielschichtige Begriffsgeschichte, die – ähnlich derjenigen der affektiven Störungen – die verschiedenen Krankheitsbilder, pathogenetischen Konzepte und Verlaufsformen wiedergeben.

Schizophrenie

Der berühmte Münchner Psychiater Emil Kraepelin grenzte um die Wende zum 20. Jahrhundert die manisch-depressiven Formen von der Dementia praecox (frühzeitige Demenz) ab. Die manisch-depressiven Formen können nach Kraepelin jederzeit im Erwachsenenalter auftreten und sind durch einen episodischen und günstigen Verlauf gekennzeichnet. Die der heutigen Schizophrenie mehr entsprechende Dementia praecox charakterisierte er als eine im zweiten und dritten Jahrzehnt auftretende Erkrankung mit ungünstigem und progredientem Verlauf sowie mit demenziellem Abbau. Wenig später klassifizierte Eugen Bleuler 1911 die schizophrenen Krankheiten nach ihren Symptomen, wobei er in den Grundsymptomen verschiedene Aspekte der Kernstörung einer Psychose sah. In den 70er Jahren rückten bei der Schizophrenie-Diagnose der Wahn und die Halluzinationen in den Vordergrund, die von Kurt Schneider als Symptome des 1. Ranges definiert wurden. Heute wird die Schizophrenie wie die anderen Erkrankungen nach ICD-10 und DSM-IV Kriterien so objektiv wie möglich diagnostiziert (Tab. 1).



Epidemiologie

Die Wahrscheinlichkeit, an einer Schizophrenie zu erkranken, liegt in der Durchschnittsbevölkerung je nach Stringenz der Diagnosekriterien bei 1,4 bis 3,9%. Im Gegensatz zu den meisten Krankheiten, deren Auftreten interkulturell stark variieren, ist die Inzidenz der Schizophrenie weltweit für alle Kulturen ungefähr gleich. Lediglich bei isolierten Populationen mit vermehrten Inzuchtraten oder hoher Auswandererquote mit negativer Selektion der Zurückgebliebenen ist die Prävalenz erhöht. Es gibt keine Kultur ohne Schizophrenien.

Der Erkrankungsbeginn liegt zwischen dem 2. und 3. Lebensjahrzehnt. 90% der schizophrenen Männer machen die Ersterkrankung vor dem 30. Lebensjahr durch. Bei den Frauen erkranken rund ein Drittel erst nach dem 30. Lebensjahr, da Estrogene möglicherweise die Sensitivität von Dopamin-Rezeptoren reduzieren. Zwischen Krankheits- und Therapiebeginn vergehen im Schnitt 12 bis 15 Monate, wobei im Rückblick die ersten Prodromalsymptome schon einige Jahre vor dem offenen Krankheitsausbruch zu erkennen sind. Risikofaktoren sind

Klassifikationen der Schizophrenie

Die Einordnung bzw. Definition von Subtypen erlaubt gewisse Aussagen über Verlauf und Therapieerfolg. Eine eher traditionelle Klassifikation (ICD-10 oder DSM-Subtypisierung) teilt die Schizophrenie u. a. ein in

  • paranoid: es dominieren Wahnvorstellung und Halluzination (eher günstige Prognose).
  • hebephren: hier dominieren Affekt-, Denk- und Antriebsstörungen; Wahn-Halluzination nur schwach ausgeprägt (eher ungünstige Prognose).
  • kataton: vorherrschend sind Stupor, psychomotorische Erregung, Echopraxien. Diese Form ist seltener geworden.
  • simplex: Negativsymptome ohne vorherige positive Akutsymptomatik.

Positiv-Negativ-Konzept

! Das Auftreten von "zuviel" an Symptomatik wie Halluzinationen oder Wahnvorstellungen wird als Plus- bzw. Positiv-Symptomatik bezeichnet. Demgegenüber steht ein Mangel an normalen Funktionen wie Affektverflachung, Sprachverarmung, Freudlosigkeit oder sozialer Rückzug, der als Negativ- bzw. Minus-Symptomatik zusammengefasst wird.

! Diese Einteilung besitzt wichtige Implikationen (Tab. 2). Die Gewichtung von Positiv- versus Negativ-Symptomen einer Episode bzw. des Krankheitsverlaufes lässt prognostische Aussagen über den Verlauf und die Effektivität der Pharmakotherapie treffen.


Klinik

Krankheitsbilder

Erkrankungen des schizophrenen Formenkreises sind gekennzeichnet durch vielgestaltige psychopathologische Symptome, wobei zwischen inhaltlichen und formalen Denkstörungen unterschieden wird (Tab. 1).

Halluzinationen. Bei 50% treten akustische, bei 15% visuelle Halluzinationen auf. Das Stimmenhören aus der Außenwelt oder aus dem eigenen Körper umfasst meist sehr präzise Inhalte. Das Hören der eigenen Gedanken (Gedankenlautwerden) wird als furchtbar störend empfunden; beim dialogischen Hören werden Gespräche wahrgenommen, die sich oft um den Patienten drehen; kommentierende Halluzinationen begleiten die alltäglichen Handlungen. Die visuellen Halluzinationen sind dagegen oft weniger präzise.

Die akustischen Halluzinationen sind ein wesentliches Symptom (Symptom 1. Ranges) der Schizophrenie, sie sagen aber nichts aus über die Pathogenese oder den weiteren Verlauf der Krankheit.

Wahn (inhaltliche Denkstörungen). Bei über 90% auftretend ist der Wahn das hervorstechende Merkmal einer Schizophrenie. Die Wahnstimmung versetzt den Patienten in eine Unruhe ("etwas ist los, etwas ist merkwürdig"), Alltägliches bekommt eine tiefe Bedeutung, alles wird auf den Patienten bezogen. Unsicherheit und Ratlosigkeit erfasst den Patienten, Aggressionen und Suizid können die Folge sein. Die wahnhaften Wahrneh-mungen – d. h. Fehlinterpretation von etwas Reellem – müssen von den Halluzinationen – d. h. der Einbildung eines nicht-existenten Sinneseindruckes– abgegrenzt werden. Unter den verschiedenen Wahnformen sind der Verfolgungswahn, der hypochondrische Wahn (Patient fühlt sich ständig krank), der religiöse Wahn und der Beziehungswahn (stalking!) die wichtigsten.

! Patienten halten die Wahninhalte für unerschütterlich wahr.

Desorganisierte Sprache (formale Denkstörungen). Diese manifestiert sich als Sprachstörung und wird in den neuen Kriterien als "desorganisierte Sprache" erfasst. Die zugrundeliegende Denkzerfahrenheit mit nicht nachvollziehbaren Assoziationen (Assoziationslockerung) gibt der Sprache und Denken keinen Sinn mehr. In der leichten Form der Paralogik kann die grammatikalische Struktur noch intakt sein: "Die Versorgung der Ukraine mit Schnellbooten ist ein echtes Kanarienproblem." Beim zerrissenen Paragrammatismus sind Satzbau und Worte völlig verstümmelt: "Das beste fortentlässig ver schauen vor ak kindliche Massenfrieden (usw.)" (beide Zitate nach Barz, 1981). Wortneubildungen (Neologismen) und Danebenreden (Antworten auf nicht-gestellte Fragen) gehören ebenso zur sprachlichen Desorganisation wie Begriffszerfall, Begriffsverschmelzungen oder Verdichtungen von Inhalten.

Gedankenabriss. Gleichzeitig können Gedankenablauf und Redefluss beschleunigt oder gehemmt sein. Das Abreißen von Gedanken wird von den Betroffenen als quälend empfunden.

Ich-Störungen. Bei dieser Störung der Meinhaftigkeit des Erlebens werden die eigenen seelischen Vorgänge als von anderen gemacht oder manipuliert empfunden. Gedankeneingebung wie Gedankenentzug sind Ausdruck dieses Problems.

Katatone Störungen. Bei 5 bis 10% der Patienten treten Störungen der Psychomotorik auf wie Sterotypien, Stupor (Reaktionslosigkeit auf Reize), Echopraxie (Nachahmen von Handlungen der Umgebung) oder Erregung (sinnloser Bewegungsdrang). Dies kann bis zu plötzlichen Tobsuchtsanfällen (sog. Raptus), Schreianfällen oder körperlicher Aggression führen.

Neuropsychologische Defizite. Kognitive Leistungsminderung, tendenzielle IQ-Minderung sowie Störungen von Aufmerksamkeit und Gedächtnis gehören nicht nur zum Bild der Schizophrenien, sondern erschweren auch die Erfassung von kognitiven Nebenwirkungen der Pharmakotherapie (s. u.).

Störungen der Affektivität. Die entsprechenden Symptome umfassen Affektverflachung (Gefühlsleere, Gleichgültigkeit), abrupten Stimmungswechsel oder inadäquate Affekte, d. h. der Patient erscheint depressiv gegenüber Belanglosem oder gleichgültig-amüsiert bei der Schilderung grausiger Wahninhalte; dabei kann auch die Mimik und Gestik zum Inhalt unangepasst gegensätzlich sein (Paramimie). Die Negativ-Symptome beschreiben generell den Mangel an affektiver Kompetenz und Schwingungsfähigkeit sowie einen teilweise totalen Rückzug bis zur Regungslosigkeit (Stupor) (Tab. 2).

Anhedonie. Die Unfähigkeit, Leid oder Freude zu empfinden, ist eine schwere Bürde für soziale Vernetzungen. 80% der Patienten haben keine Freizeitinteressen, 60% können Nähe und Intimität schlecht ertragen, 85% haben nur geringe Kontakte zu Freunden, ein Drittel geringes sexuelles Interesse.

Depression. 50% zeigen depressive Symptome in der Akutphase, 10% in der chronischen Phase.

! Erhöhte Suizidalität.

! Arzneimittelinteraktionen bei der Komedikation von Neuroleptika und Antidepressiva.

Somatische Symptome. Wie bei den neuropsychologischen Defiziten gibt es eine Reihe von vegetativen Symptomen, die auch als Nebenwirkung von Psychopharmaka auftreten können. Daher erfordert die Diagnose wie bei der Depression eine sorgfältige körperliche Untersuchung. Die vegetativen Störungen erscheinen auch unabhängig von den psychischen Symptomen z. B. im Prodromalstadium oder in der Remission. Die Dysfunktionen der vegetativen Systeme zeigen sich als

Frühwarnsymptome. Der Beginn von Prodromi ist im Nachhinein bis zu fünf Jahre vor dem Ausbruch der akuten Erkrankung festzustellen. Bei 50 bis 70% treten dabei auf

Bei 30 bis 40% ließen sich noch feststellen

! Diese Fülle von nicht-normalen Symptomen zeigt erschreckend eindrucksvoll, wie störanfällig unsere Gehirnleistungen und Empfindungen sind und welche ungeheure Vielfalt an molekularer Präzision unser Nervensystem leisten muss, um eine Normalität zu erreichen. Nur geringe Abweichungen können eine Vielzahl von neurologisch-psychiatrischen Auffälligkeiten verursachen, die im zwischenmenschlichen Umgang zwar außerordentlich störend sind und als massive Auffälligkeit wahrgenommen werden, aber letztlich nur als "neurochemische Unregelmäßigkeiten auf hohem Niveau" zu betrachten sind.

Krankheitsverlauf

Der Ausbruch ist entweder schleichend-chronisch oder akut. Ungefähr zwei Drittel der Erkrankten zeigen bereits nach der ersten Episode anhaltende Restsymptome (sog. Residualsyndrom); diese Gruppe chronifiziert auf mehr oder weniger hohem Niveau. Bei 35 bis 40% kommt es zur Heilung nach einmaliger oder mehrmaliger Episode. 60% erleiden ein Rezidiv innerhalb des ersten Jahres.

Mit zunehmendem Alter bessert sich die Symptomatik (! wichtiger Unterschied zur Depression). Es treten weniger produktiv-psychotische Episoden auf, die Dosierungen der Antipsychotika können reduziert werden. Eine stationäre Aufnahme ist seltener erforderlich.

! Infolge des hohen Risikos für Residualsyndrome oder eines wellenförmigen rezidivierenden Verlau-fes muss bei der Schizophrenie überwiegend von einer chronischen Krankheit ausgegangen werden.

Langzeitprognose und Prädiktoren. In einer Studie mit über 500 schizophrenen Patienten [Huber et al. 1994] wurden 56% als sozial geheilt beschrieben, d. h. erwerbstätig auf dem oder unter dem früheren Niveau. Dabei ist zu bedenken, dass dieses Erwerbsniveau bei vielen von vorne herein unter dem Durchschnitt liegt.

Es gibt keine verlässlichen Prädiktoren für die Langzeitfolgen. Jedoch lassen sich Faktoren definieren, die eher auf eine schlechte oder auf eine gute Prognose deuten.

Bereits an dieser Stelle darf festgehalten werden, dass Neuroleptika die Rückfallrate gegenüber Placebo um mindestens 50% reduzieren.

Komorbidität und Suizid

Die häufigen körperlichen Erkrankungen erfordern ihre eigene zusätzliche Pharmakotherapie (CAVE: Interaktionsrisiko mit Neuroleptika) und sie bestimmen auch die Sensitivität für Nebenwirkungen der Pharmakotherapie. Bei stationären bzw. ambulanten Patienten wurden bei 45 bis 80% bzw. 20 bis 45% krankheitswertige somatische Symptome diagnostiziert. Die wichtigsten Komorbiditäten sind

  • Suchterkrankungen: über 50% der Männer berichten über Alkoholabusus, 25 bis 40% konsumieren Rauschmittel wie Marihuana oder Kokain. Diese Substanz-gebundenen Süchte können – ebenso wie Schlafmittel oder Nicotin – auch als Versuch verstanden werden, die innere Spannung abzubauen.
  • Mortalität. Die Sterberaten sind ungefähr doppelt so hoch wie die der Normalbevölkerung (jährlich 15 – 20 Todesfälle/1000 Einwohner). Die Lebenserwartung ist um zehn Jahre verkürzt. Hauptursache sind Unfälle und ! Suizide – besonders kurz nach der Entlassung, wenn den Betroffenen bewusst wird, dass ihre Zukunft nicht besser, sondern schlechter werden wird. Die post-schizophrene Depression ist ein eigene ICD-10-Subklassifikation. In jüngster Zeit wird noch eine erhöhte Mortalität durch Neuroleptika (s. u.) diskutiert.

Diagnose

ICD-10 und die strengere DSM-IV listen die Symptome auf (Tab. 1), die sich in ihrer Wertigkeit unterscheiden. Generell müssen die Symptome fast ständig mindestens über einen Monat vorhanden sein, entweder mindestens eines der Symptome 1 – 4 oder zwei der Symptome 5 – 8 der (Tab. 1).

Sekundäre Psychosen

Zahlreiche Krankheitszustände und Substanzen (s. Kasten) können Schizophrenie-ähnliche Symptome erzeugen. Dazu gehören Schädel-Hirn-Traumen, endokrine Störungen, zerebrovaskuläre Erkrankungen oder ZNS-Infektionen.

Medikamenten- oder Drogen-induzierte psychotische Störungen

Eine Reihe von zentralwirksamen Substanzen können Schizophrenie-ähnliche Symptome auslösen. Dabei kann eine "Drogenpsychose", also die direkte akute Wirkung der Substanz, von einer "Drogen-induzierten Psychose", d. h. Auslösung einer prozesshaften sich entwickelnden Psychose durch die Drogeneinnahme, unterschieden werden. Psychotische Symptome kann auch das Absetzen von Wirkstoffen auslösen.

schlechte Prognose
gute Prognose
soziale Faktoren
männlich,
ledig, getrennt
weiblich,
verheiratet
Prämorbidität
soziale Isolation,
Anpassungsprobleme i.d. Adoleszenz
extrovertiert,
gute Anpassung, Stressereignisse vor Krankheitsbeginn
Vorangegangene
Episoden
häufiger und von
längerer Dauer
seltener und von
kürzerer Dauer
initiales klinisches Bild
Negativsymptomatik,
akustische Halluzinationen,
bizarre Wahnideen
affektive
Auffälligkeiten,
neurologische
Auffälligkeiten
Varia
kortikale Atrophie,
Drogenabusus
gutes Ansprechen auf Neuroleptika

Medikamenten- und Drogen-induzierte psychotische Störungen

Droge bzw. Medikament
Indikation
Droge
Hemmung der Glutamat-Transmission
Ketamin
Analgesie
Amantadin
M. Parkinson
Phencyclidin (PCP)
+
Stimulierung der Dopamin-Transmission
L-Dopa, Dopamin-Agonisten
M. Parkinson
Amphetamin
ADHS
Cocain
+
Stimulierung der Serotonin-Transmission
LSD (Lysergidsäurediethylamid)
+
Hemmung des mACh-Rezeptors
Trizyklische Antidepressiva
Depression
Neuroleptika
Psychosen
Varia
Haschisch, Marihuana
+
Heroin
Analgesie
+
Designerdrogen (Ecstasy)
+
Alkohol
+
Psychose bei Entzug von
Benzodiazepine
Sedierung
Barbiturate
Epilepsie

Pathogenese

Die Ursachen für psychotische bzw. schizophrene Störungen sind noch immer ungeklärt. Es gibt aber pathognomische Änderungen der Neurochemie und Neuroanatomie, die mit den Symptomen korrelieren und die durch Neuroleptika abgeschwächt werden. Die Ursachen für schizophrene Störungen sind vielfältig und zeigen eine starke genetische Komponente als Hauptrisiko. Zahlreiche biochemische und morphologische Änderungen werden bei schizophrenen Erkrankungen beobachtet, wobei auch hier – ähnlich der Depression – noch nicht entschieden ist, was Ursache und was Folgen des Krankheitsprozesses sind. Nachstehende Faktoren gelten als wesentlich für die pathologischen Prozesse der Schizophrenie.


Genetik

Die Vererbung ist der stärkste Risikofaktor, und einige Kandidatengene wurden als für die Schizophrenie möglicherweise bedeutsam definiert (Abb. 1, Tab. 4). Jedoch steht der Nachweis einer echten Kausalität von definierten genetischen Veränderungen bzw. Mutationen und der Entwicklung einer Schizophrenie aus.

Die Konkordanz für eineiige bzw. zweieiige Zwillinge beträgt 46% (30-76%) bzw. 15% (0-28%); auch hier bestimmt die Stringenz der Definition das Ausmaß der bestimmten Vererbung. 50% der Kinder schizophrener Kranker zeigen psychische Auffälligkeiten, 12% erkranken an einer Schizophrenie – verglichen mit 1 bis 2% der Gesamtbevölkerung. Dennoch, trotz der hohen Vererbungslast, treten 80% aller Schizophrenien sporadisch auf, d. h. ohne weitere erkennbare Fälle in der Familie.

Tab. 4: Kandidatengene der Schizophrenie

Gen
Protein
Bedeutung für
DRD3
Dopaminrezeptor 3
(D3 -Rezeptor)
Dopamin-Transmission
NRG1
Neuregulin-1
Gehirnentwicklung
COMT
Catechol-O-Methyl-Transferase
Dopamin-Stoffwechsel

Dopamin – vom Mittelhirn über das ganze Zentralnervensystem

Die Signalübertragung der biogenen Amine – Noradrenalin, Serotonin und Dopamin – ist durch eine essenzielle Besonderheit gekennzeichnet: diese Transmitter werden nur in einem oder ganz wenigen Kerngebieten des Hirnstammes bzw. Mittelhirnes synthetisiert (DAZ 2010, Nr. 5, Abb. 4). Die Neurone dieser Kerngebiete ziehen in langen Fortsätzen durch das ganze Gehirn und verzweigen sich abertausendfach, um all die zig-Millionen von Nervenzellen zu innervieren, die postsynaptisch einen Rezeptor für eines (oder mehrere) der biogenen Amine exprimieren. Diese Konstellation hat besondere Folgen:

  • Die Kerngebiete der biogenen Amine umfassen relativ wenige Neuronen. Wenn nur 50.000 oder 100.000 dieser Nervenzellen degenerieren, leidet das ganze Gehirn unter einer aminergen Unterversorgung.
  • Es gibt Enzyme und Proteine, die in die Synthese und den Metabolismus mehrerer biogener Amine involviert sind. Mutationen oder Fehlaktivitäten eines Proteins können daher mehrere Systeme betreffen.
  • Enge funktionelle Verzahnungen betreffen die Dopamin-Synthese als Teil der Catecholamin-Synthese, der Abbau der biogenen Amine durch MAO- und COMT-Enzyme sowie die teilweise Speicherung der biogenen Amine im gleichen präsynaptischen Vesikel.

Das dopaminerge System hat seinen Ursprung in den Kerngruppen des Mittelhirns. Die wichtigsten der mit dem Buchstaben "A" klassifizierten Gebiete sind die Substantia nigra und das ventrale Tegmentum (Abb. 2).



Neurochemie

Wie für normale psychische und neurologische Abläufe gibt es auch für psychopathologische Störungen ein neurochemisches bzw. morphologisch-zellbiologisches Korrelat. Man muss jedoch davon ausgehen, dass jeder Unterform der Schizophrenie und den individuellen Ausprägungen entsprechend individuelle molekulare Veränderungen zugrunde liegen.

Störung der Dopamin-Transmission. Die Veränderungen der Dopamin-Transmission (Abb. 2) sind nach wie vor Arbeitsgrundlage der Pharmakotherapie, aber sie sind widersprüchlich. Sowohl die prä- wie postsynaptische Dopamin-Transmission ist gestört, die dopaminerge Aktivität ist im limbischen System erhöht und im Frontalhirn erniedrigt. ! Sofort erschließen sich die therapeutischen Grenzen von Wirkstoffen, die nur die dopaminerge Überfunktionen regulieren.

Eine erhöhte Freisetzung von Dopamin im limbischen System führt zu Fehlinterpretationen äußerer Umstände mit Wahnbildung und Halluzinationen (Positiv-Symptome), während die verminderte Dopamin-Transmission im frontalen Kortex mit kognitiven Störungen, Verarmung des Denkens und der Sprache sowie mit Antriebsstörung korreliert (Negativ-Symptome).

Der wesentliche Beweis für die zentrale Störung einer dopaminergen Überfunktion ist die Beobachtung, dass alle Wirkstoffe, die die Positiv-Symptome verbessern, die D2 -Rezeptoren hemmen. Die Negativ-Symptome werden nur mäßig oder nicht verbessert; im Gegenteil, ! hier könnten D2 -Agonisten (s. Aripiprazol) hilfreich sein.

Unterstützt wird die Dopamin-Hypothese durch die Beobachtung, dass das Dopamin-freisetzende Amphetamin (DAZ 2010, Nr. 13, S. 67) Schizophrenie-artige produktive akute Psychosen auslöst, die durch Neuroleptika rasch innerhalb von Stunden gestoppt werden.

Die Metaboliten des Dopamin-Stoffwechsels sind kaum verändert. Neuroleptika erhöhen zwar inital den Hauptmetaboliten HVA (Homovanillinmandelsäure), der Effekt sistiert aber nach sechs bis acht Wochen. Die Aussagekraft der Bestimmung von Metaboliten im Liquor ist leider aus zahlreichen Gründen begrenzt.

Die beschriebene Erhöhung der D2 -Rezeptorendichte bei Schizophrenie ist wohl den Neuroleptika zuzuschreiben; Positronen-Emmissions-Tomographie-Studien (PET-Studien) mit Neuroleptika-naiven Patienten sprechen gegen eine Supersensitivität.

Serotonin-Überschuss. Auch das Psychodysleptikum LSD (Lysergsäurediethylamid) verursacht Schizophrenie-artige Symptome. Die psychotrope Wirkung von LSD wurde von Albert Hofmann zufällig entdeckt, eine klassische Serendipität (s. u.). Dies führte zur Entwicklung von Serotonin-Rezeptor-Hemmstoffen wie den neueren atypischen Neuroleptika. Die neurochemischen Befunde zum Serotonin-Metabolismus sind aber unklar; es gibt keine validen Veränderungen, die mit der Krankheitsausprägung, dem Verlauf und der therapeutischen Wirksamkeit korrelieren.

Hemmung von Glutamat. Ähnlich wie bei der "Entdeckung" der Serotonin-Dysregulation durch LSD als Teil der Schizophrenie-Pathogenese begann die Entdeckung der Glutamat-Pathogenese mit einer Rauschdroge. Das dissoziative Anästhetikum Phencyclidin (PCP) wurde wegen seiner psychotropen Effekte aus dem klinischen Einsatz genommen (Zur Erinnerung: wegen psychotroper Effekte ist auch der Einsatz seines Derivates Ketamin limitiert). PCP, das nicht nur positive, sondern auch negative Symptome provoziert, ist ein nicht-kompetitiver NMDA-Rezeptor-Antagonist. Evtl. ist die Glutamat-induzierte Aktivierung von hem-menden Interneuronen defekt, wodurch in manchen Hirnarealen die Dopamin-Ausschüttung gesteigert wird.



Strukturelle Änderungen.
Bei Schizophrenen lassen sich ein progredienter Verlust und Schrumpfung von Neuronen, v. a. im frontotemporalen Kortex und limbischen System (Abb. 3) beobachten. Eine Vergrößerung der Ventrikel wurde bei 50% beobachtet, sie korreliert mit der Schwere der Erkrankung. Der neue Begriff der "Hypofrontalität" beschreibt eine Perfusionsminderung im fronalen Kortex, die mit psychomotorischer Ver-langsamung oder kognitiven Defiziten assoziiert ist. Interessanterweise bessert sich die Hypofrontalität unter Neuroleptika nicht oder nimmt sogar ab, was sich auch mit der fehlenden Besserung der negativen Symptome in Beziehung setzen lässt.

Psychosoziale Faktoren

Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell beschreibt Lebensfaktoren, die bei gegebener Disposition (Genetik) zum Krankheitsbild Schizophrenie führen. Es gibt wenig gesicherte definierte Ereignisse (sog. life events als auslösende Faktoren); familiäre Stressoren sind vor dem Hintergrund einer wechselseitigen Beeinflussung mit den der Krankheit innewohnenden Verhaltensstörungen nur mit Vorsicht als kausale Faktoren zu sehen.

Organisch bedingte psychotische Störungen

Schizophrenie und andere psychotische Symptome können schließlich auch infolge somatischer Erkrankungen (organische wahnhafte bzw. psychotische Störungen) auftreten wie nach

  • Hypo- und Hyperglykämie,
  • Ausfall von Hypophysenvorderlappenhormonen,
  • hepatischer Enzephalopathie.

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