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Novo Nordisk aus britischem Industrieverband ausgeschlossen
Unerwartet gestiegene Nachfrage bei Semaglutid und Co. – gar nicht so unerwartet?
GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Exenatid, Liraglutid, Lixisenatid, Dulaglutid und vor allem Semaglutid haben in der breiten Masse mittlerweile einen Bekanntheitsgrad erlangt, der für verschreibungspflichtige Arzneimittel durchaus als ungewöhnlich bezeichnet werden kann. Doch ist dieser fragwürdige Ruhm allein Social-Media-Trends zu verdanken, wie oft der Eindruck entsteht? Manche Medien werfen Novo Nordisk, dem Zulassungsinhaber von Liraglutid und Semaglutid, gar eine orchestrierte PR-Kampagne vor. Vorgänge in Großbritannien werfen tatsächlich kein gutes Licht auch auf die Lieferengpässe in Deutschland.
Lieferengpässe bei Inkretin-Mimetika wie Semaglutid prägen weiterhin die tägliche Arbeit in der Apotheke. Bereits im November 2022 hatte die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) deshalb unter dem Titel „Mit Diabetesmedikament zum Traumgewicht?“ dazu zu ermahnt, solche „GLP-1 Rezeptor-Agonisten nicht als Lifestyle-Therapie im Eigengebrauch“ einzunehmen. Denn Inkretin-Analoga sind in den vergangenen Jahren zunehmend in den Fokus einer Gewichtsabnahme gerückt worden, obwohl sie ursprünglich zur Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes entwickelt worden waren. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie erklärte im November, dass Semaglutid zwar auch bei Menschen ohne Diabetes zu einer Gewichtsreduktion von etwa 15 Prozent führen kann. Sie machte aber darauf aufmerksam, dass ein „Off-Label-Use“ nicht nur die Versorgung der eigentlichen Zielgruppe gefährde, der Menschen mit Diabetes, sondern auch Risiken und Nebenwirkungen mit sich bringe.
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Die unkontrollierte Anwendung ohne Indikation könne etwa zu
- Übelkeit und Erbrechen führen.
- Auch Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse und Gallenblase könnten die Folge sein.
- In Tierversuchen habe man ein potenziell erhöhtes Risiko für bestimmte Schilddrüsenkrebsarten gesehen.
- Zudem wisse man nichts über die Langzeitwirkungen.
Zu bedenken ist außerdem, dass GLP-1-Agonisten mit der Verschlechterung einer diabetischen Retinopathie in Verbindung gebracht werden. Studien deuten darauf hin, dass das Risiko speziell unter subkutaner Semaglutid-Therapie besteht. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie rät deshalb dazu, schon vor Beginn einer Semaglutid-Therapie bei Diabetes auf das Vorliegen einer Retinopathie zu testen. „Diese Medikamente sollten nur spezialisierte Ärztinnen und Ärzte verschreiben – und auch nur, wenn die medizinische Notwendigkeit besteht und die Anwendung in der Folge sorgfältig überwacht wird“, fasste Professor Dr. med. Harald J. Schneider, Sprecher der Sektion Angewandte Endokrinologie der DGE aus München und Landshut im November die Situation zusammen.
Auch der Beirat für Liefer- und Versorgungsengpässe des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wies im April 2023 nochmals auf die indikationsgerechte Anwendung der GLP-1-Agonisten mit den Handelsnamen Trulicity® (Dulaglutid) und Ozempic® (Semaglutid) hin.
Haben die Pharma-Hersteller die hohe Nachfrage befördert?
Als Grund für die Engpässe wird vonseiten der Firmen immer wieder eine unerwartet stark gestiegene Nachfrage genannt. Medienberichte legen nahe, dass vor allem die Nutzung von Sozialen Medien Semaglutid und Co. wie von selbst zu der hohen Nachfrage verholfen hat. In dem Blog der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie wird aktuell jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass die gestiegene Nachfrage für Novo Nordisk, den Zulassungsinhaber von unter anderen Semaglutid in Ozempic®, wohl gar nicht so unerwartet kam.
Dort wird auf einen Artikel der britischen Zeitung „The Guardian“ verwiesen, worin bereits im März 2023 von einer „orchestrierten PR-Kampagne“ zu Semaglutid die Rede war. Der Vorwurf: Expert:innen, die sich positiv zu Semaglutid in seiner Indikation zum Abnehmen geäußert haben, sollen dafür viel Geld von Novo Nordisk erhalten haben. Wörtlich schreibt der „Guardian“ jedoch dazu: „Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Zahlungen gegen irgendwelche Regeln verstoßen haben, und das Unternehmen sagt, es habe niemals ‚absichtlich‘ außerhalb ethischer oder rechtlicher Standards gehandelt. Die Empfänger der Gelder sagen, dass sie nicht davon beeinflusst wurden und ihre Interessen ordnungsgemäß angegeben haben. Kritiker sagen jedoch, dass die Ergebnisse Fragen über die Versuche von Novo Nordisk aufwerfen, seinen Einfluss im Vereinigten Königreich zu vergrößern.“
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Gamechanger Semaglutid und Co.
In den USA ist Semaglutid seit Juni 2021 unter dem Handelsnamen Wegovy® in erhöhter Dosis (bis zu 2,4 mg einmal wöchentlich als Spritze) zum Abnehmen zugelassen und seit Januar 2022 hat Wegovy® auch von der EU-Kommission die Zulassung zur Therapie der Adipositas erhalten – in Deutschland und auch Großbritannien ist es aber noch nicht auf dem Markt.
Novo Nordisk wegen schwerwiegender Verstöße aus britischem Industrieverband ausgeschlossen
Während am 12. März 2023 der Verband der britischen Pharmaindustrie (Association of the British Pharmaceutical Industry, ABPI) die im „Guardian“ geäußerten Vorwürfe noch nicht kommentieren, aber prüfen wollte, meldete das „British Medical Journal“ (BMJ) am 17. März: „Novo Nordisk wegen schwerwiegender Verstöße von Branchenverband suspendiert.“ Zwei Jahre lang dürfe Novo Nordisk nun kein Mitglied mehr des ABPI sein, weil es gegen dessen Verhaltenskodex verstoßen habe. Auslöser für letzteres sind aber tatsächlich nicht die Geschehnisse rund um Semaglutid. Stattdessen geht es um Liraglutid und eine Beschwerde, die bereits im Juni 2021 bei der ABPI einging. Liraglutid ist unter dem Handelsnamen Saxenda® bereits zur Gewichtsregulierung indiziert und auf dem deutschen Markt erhältlich, sofern keine Lieferengpässe bestehen.
Konkret zu der Beschwerde, heißt es im BMJ, sei das Sponsoring eines Gewichtsmanagement-Training-Kurses für Gesundheitsberufe auf LinkedIn nicht ausreichend gekennzeichnet worden. Darin seien auch positive Informationen zu Saxenda® enthalten gewesen. Doch die ABPI wird noch deutlicher und äußert sich besorgt darüber, dass Novo Nordisk nicht erkannt habe, dass es sich bei den Kursen eigentlich um eine groß angelegte Saxenda®-Werbekampagne handelte, für die das Unternehmen wissentlich bezahlt habe und die „getarnt“ gewesen sei.
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Zudem habe Novo Nordisk die Kosten für die sogenannten „PGD“-Kurse (patient group direction) übernommen. Solche Kurse können in Großbritannien Angehörige der Gesundheitsberufe absolvieren – beispielsweise Diätassistent:innen, Krankenpfleger:innen und auch Apotheker:innen. Haben diese den Kurs absolviert, dürfen sie im Rahmen eines Programms einer bestimmten Gruppe von Patient:innen Arzneimittel – in diesem Fall Saxenda® – verordnen. Ein Kontakt mit einem Arzt oder einer Ärztin ist dann nicht nötig. Im „Pharmaceutical Journal“ wurde im April bereits kritisch diskutiert, ob öffentliche Apotheken injizierbare Medikamente zur Gewichtsreduktion anbieten sollten.
Die ABPI kam schließlich zu dem Schluss, dass die Vereinbarungen zu den PGD zwischen Novo Nordisk und dem Schulungsanbieter die pharmazeutische Industrie in Misskredit gebracht haben. So seien Novo-Nordisk-Vertreter bei den Webinaren und der anschließenden Nachbereitung mit den Teilnehmenden dabei gewesen – was man nicht als marktübliches Sponsoring betrachten könne.
Die ABPI hat nach eigenen Angaben nun erst zum achten Mal in 40 Jahren ein Mitglied (vorübergehend) suspendiert. Der Suspendierung seien umfassende Untersuchungen und ein Berufungsverfahren vorausgegangen. Die Suspendierung von Novo Nordisk aus dem Verband gab die ABPI am 16. März 2023 in einer Pressemitteilung bekannt.
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Auf der Seite der „Prescription Medicines Code of Practice Authority“ (PMCPA), der Selbstregulierungseinrichtung der ABPI, finden sich auch Einträge zu Beschwerden in Bezug auf die Bewerbung von Ozempic® (Semaglutid) aus dem Jahr 2019, 2020 und 2022. Anders als im Fall um Liraglutid konnten hier die Beschwerden jedoch nicht bestätigt werden oder führten zu keinen weiteren Maßnahmen.
Auch die Zeitung „Welt“ hat sich aktuell wieder mit dem Hype um Semaglutid auseinandergesetzt: „Recherchen von Welt am Sonntag zeigen, dass Novo Nordisk in Deutschland als großzügiger Spender von Fachverbänden im Diabetes- und Adipositasbereich auftritt“, ist dort etwa zu lesen. All diese Informationen – die zum Teil gesichert sind, zum Teil aber auch nicht – sind für Apotheker:innen und umso mehr für Patient:innen nicht leicht einzuordnen. Vielleicht sind sie aber eine weitere Ermutigung dafür, die „Empfehlung“ des Beirats für Liefer- und Versorgungsengpässe vom April zu befolgen und beispielsweise Privatrezepte zu Semaglutid und Co. nur bei korrekter Indikation zu beliefern.
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