Linke will Klarheit

Frühe Nutzenbewertung – tricksen erlaubt?

Berlin - 10.10.2014, 11:59 Uhr


Den Erstattungsbetrag eines neuen Arzneimittels verhandeln GKV-Spitzenverband und pharmazeutischer Unternehmer auf Grundlage der Bewertung des Dossiers, das letzterer beim Marktzugang seines Medikaments dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vorzulegen hat. Was ist aber in den Fällen, in denen ein Dossier bewusst nicht eingereicht wird? Damit verhindere der Unternehmer die Bewertungsstufe ,geringer als der Nutzen der zweckmäßigen Vergleichstherapie‘, schrieb G-BA-Chef Josef Hecken an die Linksfraktion. Die fordert von der Regierung jetzt eine Ansage.

Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) wurde zum 1. Januar 2011 die frühe Nutzenbewertung von neuen Arzneimitteln eingeführt (§ 35a SGB V). Aufgrund des eingereichten Dossiers entscheidet der G-BA, inwieweit das neue Präparat einen therapeutischen Mehrwert (Zusatznutzen) gegenüber dem bisherigen Therapiestandard (zweckmäßige Vergleichstherapie) besitzt. Auf Grundlage dieses G-BA-Beschlusses verhandeln GKV-Spitzenverband und Hersteller daraufhin einen Rabatt für die Erstattung, der auch für die private Krankenversicherung gilt.

Legt der Hersteller die Unterlagen aber nicht rechtzeitig oder nur unvollständig vor, gilt ein Zusatznutzen als nicht belegt. Dann hat sich der Erstattungsbetrag an dem der zweckmäßigen Vergleichstherapie zu bemessen. Bei mehreren möglichen Vergleichstherapien gilt als Orientierung die preisgünstigste. Damit soll verhindert werden, dass sich Hersteller diejenige mit den höchsten Jahrestherapiekosten aussuchen, um einen hohen Erstattungspreis verlangen zu können. Dennoch können Hersteller nach der aktuellen Gesetzeslage kein oder nur ein unvollständiges Dossier einreichen und – sofern das Präparat nicht festbetragsfähig ist – auf eine Erstattung in der Größenordnung der Vergleichstherapie setzen.

„Allerdings bleibt der Zusatznutzen dann unklar“, stellen die Linken fest. Für G-BA-Chef Hecken sei die fehlende oder unvollständige Einreichung eines Dossiers „in der überwiegenden Zahl der Fälle als beabsichtigt einzustufen“, zitiert die Fraktion aus seinem Brief. Dieses kalkulierte Vorgehen könne unter Umständen dann problematisch für Patienten sein, wenn das neue Arzneimittel tatsächlich schlechter als die bestehenden zweckmäßigen Vergleichstherapien zu bewerten wäre – denn damit werde verhindert, dass ein neues Arzneimittel mit „geringer als der Nutzen der zweckmäßigen Vergleichstherapie“ bewertet werde. Und „eine derartige Bewertung würde zweifelsohne in der Verordnungspraxis der Ärzte einen Niederschlag finden und die Umsatzentwicklung des Unternehmens belasten“.

Die Abgeordneten um Kathrin Vogler wollen von der Regierung daher eine Einschätzung, ob es ihrer Ansicht nach zutrifft, dass das Unterlassen der Dossier-Einreichung eine Bewertung des Zusatznutzens neuer Arzneimittel verhindert. Inwiefern wird der Zweck des AMNOG, für jedes neue Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen eine Nutzenbewertung durchzuführen, durch diese Praxis „unterminiert“ – und inwiefern ist die Verweigerung einer Dossiereinreichung zulässig? Wie kann der Zusatznutzen eigentlich maßgeblich für die Vereinbarung des Erstattungsbetrages sein, wenn gar keine Bewertung des Zusatznutzens vorliegt? Und wie viel Geld haben GKV und PKV seit Anfang 2011 für die Erstattung neuer Arzneimittel ohne frühe Nutzenbewertung ausgegeben?


Juliane Ziegler