Pharma- und Kosmetikhersteller müssen zahlen

EU-Ministerrat beschließt neue Abwasserrichtlinie

Berlin - 06.11.2024, 10:45 Uhr

Der Sitz des Rates der Europäischen Union in Brüssel. Hier wurde die neue Abwasserrichtlinie beschlossen. (Foto: IMAGO/Rolf Poss)

Der Sitz des Rates der Europäischen Union in Brüssel. Hier wurde die neue Abwasserrichtlinie beschlossen. (Foto: IMAGO/Rolf Poss)


Die Pharma- und Kosmetikindustrie wird zukünftig für die Kosten der Reinigung des Abwassers von Mikroschadstoffen zur Kasse gebeten. Nachdem nun Parlament und Rat der EU der neuen Abwasserrichtlinie zugestimmt haben, warnen Arzneimittelhersteller erneut vor einer Gefährdung der Versorgung durch die neuen Regularien.

Am vergangenen Freitag hat der Rat der Europäischen Union einer Novellierung der EU-Abwasserichtlinie (Urban Wastewater Treatment Directive) zugestimmt. Damit werden zukünftig Pharma- und Kosmetikhersteller an den Kosten des Ausbaus kommunaler Kläranlagen um eine vierte Reinigungsstufe zu mindestens 80 Prozent beteiligt. Nach Schätzung des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) wird allein der Ausbau in Deutschland etwa neun Milliarden Euro kosten, hinzu kämen demnach jährliche Betriebskosten in Höhe von einer Milliarde Euro.

VKU-Geschäftsführer Ingbert Liebing zeigte sich erfreut über den Rats-Beschluss: „Wir begrüßen, dass der EU-Ministerrat nun den Weg frei gemacht hat für die neue EU-Kommunalabwasserrichtlinie. Die Umsetzung wird für die kommunale Abwasserwirtschaft eine machbare, wenn auch ambitionierte Herausforderung. Die neue Richtlinie ist und bleibt aus unserer Sicht ein notwendiger Schritt, um unsere Gewässer langfristig zu schützen.“ Mit der neuen Regelung werde das Verursacherprinzip beim Gewässerschutz konsequent umgesetzt. Verbraucher*innen würden mit den Umsetzungskosten nicht länger allein gelassen, heißt es.

Auch die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) begrüßte die Entscheidung des EU-Rats. Allerdings stehe die Abwasserbranche damit auch vor einer „gewaltigen Aufgabe“, die ein milliardenschweres Investitionsprogramm erfordere: „Wichtig ist jetzt eine pragmatische nationale Umsetzung mit Augenmaß. Die Branche braucht Planungs- und Rechtssicherheit“, sagte die Sprecherin der DWA-Bundegeschäftsführung Lisa Broß.

Pharmahersteller fordern Schadensbegrenzung

In einer gemeinsamen Pressemitteilung haben der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa), Pharma Deutschland und Pro Generika deutlich gemacht, dass sie in der beschlossenen Novellierung eine Gefahr für den Pharma-Standort Deutschland sehen. Eine deutliche Verschlimmerung der Arzneimittelengpässe sei zu befürchten. Die Verbände appellierten an die Bundesregierung, „Schadensbegrenzung“ zu betreiben, indem sie einer einseitigen Belastung der Pharma-Unternehmen bei der Umsetzung entgegenwirken.

Für die Verbände – die es grundsätzlich für richtig halten, Mikroschadstoffe aus dem Wasser zu entfernen – ist nicht nachvollziehbar, warum nur Arzneimittel- und Kosmetikhersteller belangt werden. Auch Schadstoffe aus Pflanzenschutz- und Reinigungsmitteln, Farben und Reifenabrieb seien für die Belastungen mitverantwortlich. Und es gehe nicht um Produktionsabwässer, sondern um Schadstoffe, die durch die Ausscheidungen der Patienten und Patientinnen ins Wasser gelangen. „Das bedeutet, dass die Generika-Hersteller eine unverhältnismäßige finanzielle Last tragen würden, während andere Sektoren nicht in gleichem Maße zur Finanzierung herangezogen werden“, sagte der Geschäftsführer von Pro Generika, Bork Bretthauer. 

Auch Ulrike Zimmer, Bereichsleiterin Technik und Umwelt bei Verband der Chemischen Industrie (VCI), kritisierte die Entscheidung des Rats: „Die Bundesregierung will die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands stärken und den Bürokratiedschungel lichten. Stattdessen wird sie mit ihrem Votum das Gegenteil erreichen. Die Kommunalabwasserrichtlinie ist ein klassisches Beispiel für eine völlig verfehlte EU-Gesetzgebung.“

Zimmer warnt ebenfalls vor steigenden Preisen für die Verbraucher und einer Einschränkung des Angebots, dadurch, dass sich die Herstellung günstiger Arzneimittel teilweise nicht mehr rentieren würde. Der VCI geht von jährlichen Kosten für den Umbau zur vierten Klärstufe in Höhe von zwei bis drei Milliarden Euro für die Hersteller aus. Hinzu kämen Betriebs- und Bürokratiekosten für die Abgabenerhebung. Allein für zusätzliche Bürokratie würden von der EU 238 Millionen jährlich veranschlagt, was der VCI für „völlig realitätsfern“ und „viel zu niedrig angesetzt“ hält. Der Verband appellierte an die Bundesregierung, die Umsetzung der Abwasserrichtlinie „möglichst schlank und bürokratiearm zu gestalten.“

Generika-Hersteller besonders stark betroffen

Besonders stark würden die Hersteller von Generika betroffen sein, die knapp 80 Prozent aller Arzneimittel produzieren. Das machte auch Pro Generika in einer gesonderten Stellungnahme deutlich. 

Nach Schätzungen von Pro Generika müsste mit Kostensteigerungen bei Standardwirkstoffen wie Paracetamol, Metformin oder Amoxicillin von 0,05 bis 0,44 Euro pro Tablette gerechnet werden. Damit würde die Produktion vieler Wirkstoffe unrentabel, Marktrücknahmen seien zu befürchten, beispielsweise bei Krebsmitteln, Diabetes-Medikamenten und Antibiotika.

Geschäftsführer Bretthauer richtet mahnende Worte an die nationale Politik: „Die Bundesregierung ist dafür verantwortlich, dass die Menschen in Deutschland gut mit Arzneimitteln versorgt werden. Sie muss der einseitigen Belastung der Generikaunternehmen entgegenwirken und die zu erwartenden Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit in Deutschland eng im Blick behalten.“


Michael Zantke, Redakteur, DAZ
redaktion@daz.online


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