Interpharm 2024

Lieferengpässe bei Kinderarzneimitteln mit Rezepturen überbrücken

15.04.2024, 09:15 Uhr

Berthold Pohl hatte viele Rezeptur-Tipps zu pädiatrischen Rezepturen für seine Zuhörer (Foto: Alex Schelbert) 

Berthold Pohl hatte viele Rezeptur-Tipps zu pädiatrischen Rezepturen für seine Zuhörer (Foto: Alex Schelbert) 


In Zeiten von Lieferengpässen hat die Rezepturherstellung wieder an Bedeutung gewonnen. Wie vor allem das Fehlen von Kinderarzneimitteln durch passende Rezepturen überbrückt werden kann, war Schwerpunkt des Vortrags von Apotheker Dr. Berthold Pohl.

Gründe für die Herstellung von Kinderrezepturen gibt es viele – neben der Nichtlieferbarkeit verordneter Präparate ist es auch das Fehlen geeigneter Fertigarzneimittel in für Kinder geeigneten Darreichungsformen und Dosierungen. „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“ betonte Pohl und wies darauf hin, dass die verordnete Dosis stets auf Plausibilität geprüft werden müsse, beispielsweise mithilfe von kinderformularium.de, einer Seite des Universitätsklinikums Erlangen. Vor allem bei den Kleinsten ist die Dosierung kritisch. Als Beispiel nannte Pohl das säurelabile Erythromycin: Da die Belegzellen des Magens erst im Laufe der ersten Lebenswochen die Säureproduktion vollständig aufnehmen, liegt der pH-Wert des Magensafts bei Neugeboren fast im Neutralen. Da das Antibiotikum hier stabiler ist, muss es in den Wochen nach der Geburt deutlich niedriger dosiert werden als im späteren Verlauf.

Muss ein Rezepturarzneimittel aufgrund eines Lieferengpasses hergestellt werden, kann sich ein Blick auf die Rezepturhinweise des NRF lohnen, in die meist zeitnah entsprechende Hinweise oder Rezepturen aufgenommen werden. Auch eine Anfrage bei den Herstellern der pharmazeutischen Ausgangsstoffe ist  empfehlenswert, so Pohl, haben sie doch oft fertige Rezepturvorschriften, die sie zur Verfügung stellen. 

Konservierungsmittel: nur wenige sind für Kinder geeignet

Ausführlich ging Pohl, der in seiner Apotheke viele pädiatrische Rezepturen entwickelt hat, auf die Herstellung von Lösungen und Suspensionen zum Einnehmen ein, die bis zum achten Lebensjahr besser geeignet sind als feste Darreichungsformen. Bei wässrigen Zubereitungen ist vor allem die Frage der Konservierung komplex: Benzoesäure und Natriumbenzoat sind erst ab einem Alter von zwei Jahren geeignet, Propylenglykol sollte nicht bei Kindern unter fünf Jahren verwendet werden, und die „Parabene“ Propyl-4-Hydroxybenzoat und Methyl-4-Hydroxybenzoat sind für ihr allergenes Potenzial bekannt. Somit ist für Säuglinge lediglich Sorbinsäure beziehungsweise Kaliumsorbat mit Citronensäure geeignet. Der hierfür nötige pH-Wert von 4 bis 5 ist jedoch für manchen Arzneistoff kritisch. Alternativ empfahl der Münchner Apotheker Zuckersirup DAB als Grundlage. Die hohe Zuckermenge macht sowohl eine Konservierung als auch ein Geschmackskorrigenz überflüssig.

Aromen gezielt auswählen

Viele Wirkstoffe, gerade Antibiotika, haben einen für Kinder unangenehmen Geschmack. Pohl gab hier Tipps für die Auswahl eines Geschmackskorrigenz. Nach Angaben der European Medicines Agency eignen sich zur Maskierung unterschiedlicher Geschmacksrichtungen ganz unterschiedliche Aromen: Während saurer Geschmack z. B. gut durch Zitronen- oder Orangenaroma überdeckt werden kann, ist bei bitteren Arzneistoffen Grapefruit-, Erdbeer- oder Himbeeraroma besser geeignet [1]. Pohls persönlicher Favorit ist jedoch Süßorangenschalenöl, mit dem man fast jeden Geschmack überdecken könne. Bei extrem bitteren Geschmäckern können „Bitterblocker“ wie Glycerol, Karamellaroma oder Sucralose helfen. Welches Aroma ein krankes Kind bevorzugt, hängt auch von der Art der Erkrankung ab: Während Kinder, die an Fieber oder Schmerzen leiden, zum Beispiel Kirsch- oder Bananenaroma vorziehen, ist bei einem Magen-Darm-Infekt Limette oder Pfefferminze beliebter [1].

Ziel: kleines Volumen der Einzeldosis

Ein wichtiger Aspekt in Pohls Vortrag war die korrekte Dosierung flüssiger Oralia. Im besten Fall sollte die Einzeldosis mithilfe einer Kolbenpipette entnommen werden. Die Konzentration empfiehlt Pohl so anzupassen, dass das Volumen der Einzeldosis möglichst klein ist. Bei Kindern unter fünf Jahren sollte sie maximal 5 ml, bei älteren Kindern maximal 10 ml betragen. Je geringer das Volumen, desto besser werde auch ein nicht optimaler Geschmack der Zubereitung toleriert, berichtet der Apotheker aus seinem Beratungsalltag. Säuglingen und Kleinkindern dürfen vor allem größere Flüssigkeitsvolumina mit der Dosierpipette auf keinen Fall im Liegen in den Mund gespritzt werden: „Setzen Sie das Kind auf und applizieren Sie die Flüssigkeit langsam in die Backentasche“, gab Pohl seinen Zuhörern mit auf den Weg.

Für Suspensionen zum Einnehmen stellte Pohl verschiedene fertig beziehbare Grundlagen vor und beschrieb ihre Vor- und Nachteile. Besonders auf die Osmolalität sollte hier geachtet werden, vor allem jüngere Kinder sollten keine hyperosmolaren Lösungen einnehmen. Er selbst verarbeitet bevorzugt die NRF-Stammzubereitung „Grundlage für Suspensionen zum Einnehmen“ (NRF S.52.), für Säuglinge besser geeignet sei SyrSpend® SF PH4 Neo.

Abschließend berichtete er ausführlich, wie er in den letzten Jahren Rezepturen entwickelte, um die Lieferengpässe verschiedener Antibiotikasäfte zu überbrücken. 

Das Engagement in der Rezeptur sollte auf jeden Fall auch beworben werden – „es ist besseres Marketing, als jeder Flyer, wenn Sie den Eltern damit signalisieren, dass Sie sich in Ihrer Apotheke um die kleinsten Patienten besonders viel Gedanken machen“, ermutigte Pohl. Mit den Worten "Just do it", forderte er seine Zuhörer am Ende auf, keine Scheu vor den pädiatrischen Rezepturen zu haben. 

[1] The European Medicines Agency (EMA), Committee for Medicinal Products for Human Use CHMP), Reflection paper: Formulation of choice for the paediatric population (EMEA/CHMP/PEG/194810/2005)


Dr. Sabine Werner, Apothekerin und Redakteurin
readktion@daz.online


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2 Kommentare

Rezepturen

von Roland Mückschel am 15.04.2024 um 14:10 Uhr

Jede Rezeptur stützt den derzeitigen unsäglichen Zustand des Mangels.
Der Dank ist der Schuh im Allerwertesten.
Und die Abschaffung.

Ist das euer Ernst?

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Marketing

von Stefan Haydn am 16.04.2024 um 14:41 Uhr

Also eine Herstellung, die in der Regel Verlust bringt, selbst als Defektur oft gerade kostendeckend betrieben werden kann, mit enormen Retax-Risiken, als Marketing zu sehen, ist schon stark.
Das gibt es wohl auch nur in der Apotheke, daß man Verlustgeschäfte aus Altruismus noch ausbauen möchte.

Mit der Konsequenz, daß man sich als Gesellschaft und Politik noch mehr auf die Apotheken verlässt, während man sie gleichzeitg verhungern läßt.

Bitte nicht falsch verstehen, ich liebe die Rezeptur, aber auch die muß für meinen Broterwerb sorgen und ich konnte bisher jeden Lieferengpaß mit den Ärzten regeln, ohne auf Rezepturen zurück greifen zu müssen.
Man muß halt flexibel sein.

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