Rezeptur

Individuell für Kinder

Einige Besonderheiten der pädiatrischen Rezeptur

Von Cornelia Bruns | Trotz Förderung der Entwicklung und Zulassung von Arzneimitteln für Kinder haben Rezepturarzneimittel aus der Apotheke zur individuellen Behandlung von Kindern weiterhin eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Im Sinne der Arzneimittelsicherheit stellt die aktuelle Apothekenbetriebsordnung hohe Anforderungen an die Herstellung und Abgabe von Rezepturarzneimitteln. Wenn es sich dabei um Arzneimittel für Kinder handelt, sind aber noch zusätzliche Aspekte zu beachten.

Seit Juli 2008 muss in Europa bei neu zuzulassenden Arzneimitteln ein Prüfkonzept für die Anwendung bei Kindern vorgelegt und von dem Pädiatrieausschuss der European Medicines Agency (EMA) genehmigt werden. Nur mit Einreichung dieses Prüfkonzeptes ist – unabhängig von der Wahl des Zulassungsverfahrens – eine erfolgreiche Zulassung realisierbar. Daneben ist das sogenannte Paediatric Use Marketing Authorisation (PUMA) eine neue Möglichkeit, eine erweiterte Zulassung von Arzneimitteln zur Anwendung bei Kindern zu erhalten [1].

Generell reichen die industriell hergestellten Fertigarzneimittel zur individuellen Versorgung aller Patienten jedoch nicht aus. Diesem Tatbestand folgt ab der Ausgabe 7.7 auch das Europäische Arzneibuch [2] mit der Monografie „Pharmazeutische Zubereitungen“ und unterstreicht die berechtigte Existenz der Rezeptur neben der industriellen Herstellung.

Die Verantwortung für die Arzneimittelsicherheit bei Rezepturarzneimitteln liegt sowohl beim verordnenden Arzt als auch beim herstellenden Apotheker, was sich für den Apotheker u.a. in der Plausibilitätsprüfung nach § 7 Apothekenbetriebsordnung widerspiegelt. Da Kinder in den verschiedenen Entwicklungsphasen (Tab. 1) sich in ihrer Physiologie mehr oder weniger von Erwachsenen unterscheiden, muss bei Rezepturarzneimitteln für Kinder einigen Punkten besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden: Art der Arzneiform, Wirkstoffquelle, weitere Bestandteile sowie Packmittel für die kindgerechte Dosierung.

Arzneiformen

Von den im Reflection Paper „Formulations of Choice for the Paediatric Population“ der EMA empfohlenen Arzneiformen [3] ist im Allgemeinen nur eine Auswahl in der Apotheke herstellbar. Dazu zählen hauptsächlich halbfeste und flüssige Zubereitungen zur kutanen Anwendung, Kapseln (Pulver), flüssige Zubereitungen zum Einnehmen und Zubereitungen zur rektalen Gabe. Parenterale Zubereitungen, die aseptisch hergestellt oder im Endbehältnis sterilisiert werden, bedürfen spezieller Räume und besonderer Ausstattung und sollen hier nicht näher betrachtet werden.

Dermatika. Aufgrund der geringeren Hautdicke von Kindern bis etwa fünf Jahren und des unvollständigen Säureschutzmantels ist bei der kutanen Anwendung von flüssigen und halbfesten Zubereitungen mit einer erhöhten transkutanen Resorption zu rechnen [4]. Hierdurch kann es zu unerwünschten systemischen Nebenwirkungen durch Wirk- oder Hilfsstoffe kommen, insbesondere bei Applikation auf geschädigter Haut oder bei Verwendung von okkludierenden Grundlagen. Das Risiko einer transkutanen Resorption ist insbesondere bei Rezepturen mit z.B. Salicylsäure, Milchsäure sowie Steroiden zu berücksichtigen. Des Weiteren sollte der als Feuchthaltemittel häufig verwendete Harnstoff erst bei Kindern ab drei Jahren zum Einsatz kommen [5].

Die Bedeutung der Grundlage für die Bioverfügbarkeit der Wirk- und Hilfsstoffe in halbfesten Zubereitungen zur kutanen Anwendung unterstreichen auch die Regularien der EMA, die hier eine bezugnehmende Zulassung wie bei peroralen Arzneiformen nicht erlauben. Konsequenterweise muss beim Zusatz von weiteren Hilfsstoffen nicht nur die Kompatibilität, sondern auch der Einfluss auf die Grundlage geprüft werden.

Peroralia. Bei den peroralen Arzneiformen spielen die Verfügbarkeit des Wirkstoffes (als Reinsubstanz oder Fertigarzneimittel) und seine Eigenschaften eine entscheidende Rolle für die Auswahl der Arzneiform: Kapseln bzw. Pulver, Lösung, Emulsion oder Suspension.

Bis zu einem Alter von sechs Monaten muss mit einer verlängerten Magenentleerungszeit und einer entsprechend langsameren Wirkstoffaufnahme gerechnet werden. Bedeutsamer für die Resorption bestimmter Wirkstoffe kann der bis zum Alter von drei Jahren erhöhte pH-Wert im Magen sein. Bei der Rezeptur sollte man sich daher an den Arzneiformen von Fertigpräparaten oder standardisierten Rezepturen orientieren; dagegen sollte man nicht wegen besserer Löslichkeit auf Derivate des Wirkstoffes ausweichen, denn diese können eine andere Bioverfügbarkeit haben. Einen Überblick über die bei peroraler Applikation relevanten Eigenschaften von Wirkstoffen gibt das Biopharmazeutische Klassifizierungssystem (Biopharmaceutical Classification System, BCS) [6].

Bei leichtlöslichen Wirkstoffen und der Verfügbarkeit als Reinsubstanz kann die Herstellung einer Lösung die bessere Alternative zu Kapseln sein. Dagegen erfordert die Herstellung von Suspensionen eigene Untersuchungen zur Stabilität und Dosiergenauigkeit, es sei denn, es gibt eine standardisierte Rezeptur. Die im englischsprachigen Raum populäre Herstellung von flüssigen Zubereitungen aus Tabletten bedarf in jedem Fall einer kritischen Beurteilung, da Hilfsstoffe in den Tabletten einen relevanten Einfluss auf die Stabilität der Zubereitungen haben können (dies zeigen Untersuchungen zur Stabilität).

Rektalia. Die rektale Applikation eignet sich aufgrund der schwankenden Resorptionsraten im Allgemeinen nur für Arzneistoffe mit einem breiten therapeutischen Fenster.

Dosierung und Wirkstoffmengen

Eine erste Übersicht kann man sich mit dem Werk „Pädiatrische Dosistabellen“ [7] verschaffen. Über den aktuellen Zulassungsstatus der am Markt befindlichen Fertigarzneimittel in Bezug auf den Einsatz bei Kindern informiert die ZAK-Kinderarzneimittel-Datenbank der Hexal-Initiative [8]. Viel ausführlichere Empfehlungen zu altersgerechten Dosierungen und Indikationsgebieten gibt das „British National Formulary for Children“ [9], das jährlich aktualisiert wird.

Um Schwankungen bei der Verteilung von geringen Wirkstoffmengen zu minimieren, kann man ein Fertigarzneimittel mit einer geringen Wirkstärke einsetzen oder selbst ein derartiges Zwischenprodukt herstellen [10].

(Un-)Bedenklichkeit der weiteren Bestandteile

Konservierungsmittel. Zu den bei Säuglingen und Kleinkindern nicht einsetzbaren Konservierungsmitteln gehören Natriumbenzoat, Benzoesäure, Benzylalkohol und Propylenglykol. Das Letztere dient auch als Lösungsvermittler und soll bei Kindern unter vier Jahren nicht angewendet werden, da es durch unzureichende Metabolisierung Krampfanfälle, Arrhythmien und Leberschäden auslösen und gegebenenfalls zum Tode führen kann [11].

Potenziell allergen sind die Parabene Methyl-4-hydroxybenzoat und Propyl-4-hydroxybenzoat, deren Einsatz nach Möglichkeit zu vermeiden ist. Zur endokrinologischen Toxizität von Propyl-4-hydroxybenzoat gibt es mittlerweile ein Reflection Paper der EMA [12]. Demnach sollte vor seinem Einsatz bei Kleinkindern (unter 2 Jahre) eine individuelle Nutzen-Risiko-Abschätzung erfolgen. Zur Anwendung bei Kindern über zwei Jahren (und Erwachsenen) gilt zurzeit eine Höchstmenge von 5 mg/kg Körpergewicht pro Tag.

Ansonsten lässt sich bei vielen peroralen Lösungen allein durch ein saures Milieu und die Konservierung mit Kaliumsorbat eine akzeptable Haltbarkeit erreichen. Notfalls kann auch eine unkonservierte Rezeptur in Betracht gezogen werden – vorausgesetzt, dass nur eine kurze Haltbarkeitszeit erforderlich und eine Kühllagerung gewährleistet ist.

Für die Herstellung von Suspensionen gibt es fertige Trägerlösungen, deren Anbieter die entsprechenden Rezepturen und Stabilitätsdaten gleich mitliefern. Bei genauerem Hinsehen sind diese Trägerlösungen jedoch mit Konservierungsmittelkombinationen und Aromastoffen versetzt, die gerade für Säuglinge und Kleinkinder problematisch sind.

Süßungsmittel. Ob man der Rezeptur Süßungsmittel wie Glucose, Saccharose und Lactose, Zuckerersatzstoffe wie Natriumcyclamat und Saccharin-Natrium, Aromastoffe und Verdickungsmittel wie Tragant und Cellulose zusetzt, ist im Einzelfall zu entscheiden.

Füllmittel. Eine Alternative zu Lösungen und Suspensionen sind Kapseln. Als Standardfüllmittel eignet sich vor allem das als Stammzubereitung im NRF monografierte Mannitol-Siliciumdioxid-Füllmittel, aber individuell können auch andere Füllmittel gewählt werden [10].

Fertigarzneimittel als Wirkstoffquelle. Stehen als Wirkstoffquelle nur Fertigarzneimittel zur Verfügung, ist bei deren Auswahl auf bedenkliche Hilfsstoffe, z.B. aluminiumhaltige Farbstoffe, zu achten.

Osmolarität. Bei Rezepturarzneimitteln für Säuglinge sollte auch die Osmolarität der verabreichten Dosen beachtet werden. Oftmals werden perorale Liquida mit einer Flüssigkeit, u.a. auch Nahrung, vermischt, wobei sich ihre Osmolarität ändert. Zwar kann dadurch die Löslichkeit einzelner Rezepturbestandteile erhöht werden und deren Osmolarität relativ ansteigen, doch die Gesamtosmolarität der Mischung sinkt in der Regel. Wenn Hartgelatinekapseln geöffnet werden und ihr Inhalt in einer Flüssigkeit suspendiert wird, hängt dagegen die resultierende Osmolarität nicht unerheblich von der verwendeten Kapselgröße ab [13]. Daher sollten Kapseln der Größen 3 und 4 bevorzugt werden.

Besonderheiten bei Dermatika. In dermatologischen Rezepturen für Säuglinge und Kleinkinder sollten polyethylenglykolhaltige Grundlagen und Hilfsstoffe vor allem bei großflächiger Anwendung vermieden werden, da sie die Permeation von Wirk- und Hilfsstoffen durch die Haut fördern oder hemmen können. Zudem sind sie osmotisch wirksam und verursachen bei Einsatz als Salbengrundlage einen der Resorption entgegengesetzten Flüssigkeitsstrom [14].

Als potenziell allergen gelten Wollwachs und Wollwachsalkohole. Cetylstearylalkohol wurde erst Ende der 90er Jahre routinemäßig in die Untersuchungen auf allergieauslösende Eigenschaften aufgenommen [15]. Hier lag die Sensibilisierungsrate bei nur 1% (bezogen auf ein Gesamtkollektiv unterschiedlichen Alters, mit höheren Sensibilisierungsraten bei älteren Patienten). Da Cetylstearylalkohol in vielen monografierten Salbengrundlagen enthalten ist, bleibt wie beim Einsatz von Parabenen nur die individuelle Risikoabschätzung gemeinsam mit dem behandelnden Arzt.

Ebenso wenig dürfen Hilfsstoffe wie Dimethylsulfoxid, Propylenglykol oder Isopropylmyristat, die die Penetration von Wirkstoffen durch die Haut erhöhen können, unkritisch eingesetzt werden [16].

Suppositorien. Suppositorien werden in der Regel mit dem im Europäischen Arzneibuch monografierten Hartfett hergestellt. Von den im Arzneibuchkommentar erwähnten Varianten wird als Universal-Suppositorienmasse der Typ 1 mit einer Hydroxylzahl unter 15 und unverseifbaren Anteilen von unter 0,3% empfohlen; Hinweise zum Einsatz von Hartfetten mit unterschiedlichem Schmelzverhalten und Hydroxylzahlen oder zum Gebrauch von Verreibungen zur Verbesserung der Dosiergenauigkeit lassen sich in der Literatur finden. Alternativ zu Suppositorien können halbfeste Zubereitungen auf Basis bestimmter Triglyceride hergestellt werden.

Eine Datenbank über Wirkungen pharmazeutischer Hilfsstoffe speziell bei Kindern – ein Projekt von EuPFI (www.eupfi.org).

Fazit

Neben der Plausibilitätsprüfung nach § 7 Apothekenbetriebsordnung erfordert die Herstellung von Rezepturen für Kinder eine kritische Bewertung der Arzneiform, der Dosierung und der sonstigen Bestandteile. Insbesondere die Bewertung der Hilfsstoffe kann aufgrund unterschiedlicher Nutzen-Risiko-Abschätzungen problematisch sein. Deshalb erarbeitet die European Paediatric Formulation Initiative (EuPFI; www-eupfi.org) in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen die STEP Database (Database of safety and toxicity of excipients for paediatrics).

Derzeit muss man allerdings noch auf einzelne Publikationen und Sammlungen von standardisierten Rezepturen wie DAC/NRF zurückgreifen, um dem Anspruch gerecht zu werden, qualitativ hochwertige pädiatrische Rezepturen herzustellen und als kompetenter Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. 

Autorin

Cornelia Bruns ist Apothekerin für Klinische Pharmazie. Seit 1995 in der Zentralapotheke im Klinikum Bremen-Mitte gGmbH Gesundheit Nord Klinikverbund Bremen als Apothekerin tätig. Tätigkeitsbereich ist die Herstellung steriler und unsteriler Arzneimittel. Mitglied in der NRF-Kommission, stellvertretendes Mitglied der DAB-Kommission. Kein Interessenkonflikt.

Literatur

 [1] www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/zul/kam/_node.html.

 [2] Europäisches Arzneibuch 7.0–7.8. Amtliche deutsche Ausgabe. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2013.

 [3] www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Scientific_guideline/2009/09/WC500003782.pdf.

 [4] Marriot J, Wilson K, Langley C, Belcher D. Pharmaceutical Compounding and Dispensing. London: Pharmaceutical Press, 2006.

 [5] Wolf G., Höger P. Dermatologische Basistherapeutika mit hypoallergenen und noxenfreien Externa im Kindesalter. J Dtsch Dermatol Ges 2009;7:750–761.

 [6] Möller H., Potthast H. Biopharmazeutische Charakterisierung von Arzneistoffen und Fertigarzneimitteln. Pharm Ztg 1999;144:1640.

 [7] Linse L, Wulff B, von Harnack G-A (Begr.), Janssen F (Begr.). Pädiatrische Dosistabellen, 14. Auflage, Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2009.

 [8] www.zak-kinderarzneimittel.de

 [9] British National Formulary for Children 2014–2015. London: Pharmaceutical Press, 2013.

[10] DAC/NRF-Kommission, ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Deutscher Arzneimittel-Codex®/Neues Rezeptur-Formularium® (DAC/NRF). Loseblattwerk in sechs Ordnern. Eschborn: Govi-Verlag Pharmazeutischer Verlag, 2013.

[11] Breitkreutz J, Kleinebudde P. Arzneimitteltherapie für alle. Pharm Ztg 2002;157(33):16-24.

[12] www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Scientific_guideline/2013/05/WC500143139.pdf.

[13] Bruns C.: Hyperosmolarität – Ein Auslöser für die nekrotisierende Enterokolitis? Krankenhauspharmazie 2006;27:63–69.

[14] Fiedler HP. Lexikon der Hilfsstoffe für Pharmazie, Kosmetik und angrenzende Gebiete, 5. Auflage. Aulendorf: Editio Cantor Verlag, 2002.

[15] Schnuch A, Geier J, Lessmann H, Uter W. Untersuchungen zur Verbreitung umweltbedingter Kontaktallergien mit Schwerpunkt im privaten Bereich. Berlin: Umweltbundesamt, 2004.

[16] Weitschies W, Schiller C, Adam U. Einfluss der Galenik auf die Therapie von Hauterkrankungen. Pharm Ztg 2003;158(22):16–25.

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