Europäischer Gerichtshof

Kein generelles Kopftuchverbot in Apotheken

Berlin - 22.03.2017, 17:50 Uhr

Kopftuchverbot? Bei Jobs ohne Kundenkontakt diskriminierend! Und in der Apotheke?  (Foto: dpa)

Kopftuchverbot? Bei Jobs ohne Kundenkontakt diskriminierend! Und in der Apotheke?  (Foto: dpa)


Darf ein Arbeitgeber einer Angestellten muslimischen Glaubens das Kopftuch verbieten? Mit dieser Frage hat sich der Europäische Gerichtshof befasst. Seine Antwort: Unter Umständen ja – aber dazu ist ein berechtigtes Interesse nötig. Auch für Apotheken sind die vom EuGH aufgestellten Leitplanken von Bedeutung.

Der Europäische Gerichtshof hat kürzlich zwei Entscheidungen zur Kopftuch-Frage verkündet. Als die Fernsehnachrichten vergangene Woche hierüber berichteten, waren immer wieder Apotheken zu sehen – und zwar mit positiven Bildern: Eine islamische Apothekeninhaberin, die selbst Kopftuch trägt, ebenso ein deutscher Apotheker, der klar sagt: Bei ihm zählt die Kompetenz seiner Mitarbeiterinnen – Kopftuch hin oder her. Aber möglicherweise gibt es auch Apotheken, die mit dem Kopftuch hadern, etwa weil sie Kunden haben, die sich beschweren.

Die Fälle vor dem EuGH

Doch worum ging es genau vor dem EuGH? Die Luxemburger Richter hatten gleich zwei Fälle zu entscheiden. In einem ging es um die Klage einer Rezeptionistin einer belgischen Sicherheits- und Überwachungsfirma. Die Arbeitnehmerin entschied sich nach dreijähriger Betriebszugehörigkeit, künftig auch während der Arbeitszeit ihr Kopftuch zu tragen. Als sie dies ihrem Arbeitgeber mitteilte, erklärte er, er dulde das sichtbare Tragen politischer, philosophischer oder religiöser Zeichen nicht, da es der von der Firma bei ihren Kundenkontakten angestrebten Neutralität widerspreche. Es kam zur Kündigung. Die Besonderheit in diesem Fall: Schon bevor die Klägerin eingestellt wurde, gab es im Betrieb eine interne Regelung, die das Tragen sichtbarer religiöser, politischer und philosophischer Zeichen denjenigen untersagte, die während ihrer Tätigkeit Kundenkontakt hatten. Diese wurde später auch vom Betriebsrat gebilligt und in die Arbeitsordnung übernommen.

Kündigung nach Kundenbeschwerde

Im zweiten Fall ging es um die Klage einer französischen Mitarbeiterin in einem IT-Unternehmen. Der Arbeitgeber hatte die Mitarbeiterin eingestellt, nachdem diese bereits ein Praktikum in dem Betrieb absolviert hatte – mit Kopftuch. Später arbeitete sie als fest angestellte Softwaredesignerin. Nachdem sich ein Jahr später ein ihr zugewiesener Kunde beschwert hatte, wurde die Mitarbeiterin aufgefordert, künftig auf das ständige Tragen des Kopftuchs zu verzichten. Sie weigerte sich, der Arbeitgeber kündigte.

Dreh- und Angelpunkt beider Entscheidungen ist das in der europäischen Richtlinie 2000/78 festgeschriebene Diskriminierungsverbot. Dieses ist hierzulande im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz umgesetzt. Die Luxemburger Richter hatten zu entscheiden, ob das Verbot des Tragens eines Kopftuchs eine unzulässige Diskriminierung darstellt oder durch ein berechtigtes Ziel des Arbeitgebers gerechtfertigt ist.

Neutralitätsgebot muss für alle Religionen gelten

Zusammengefasst lässt sich sagen: Der Arbeitgeber kann durchaus unternehmensintern bestimmen, dass das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens verboten ist – doch das muss für alle gleichermaßen gelten. Ein sichtbares christliches Kreuz oder eine Kippa ist demnach ebenso tabu wie ein muslimisches Kopftuch. Diese Regelung stellt laut EuGH keine unmittelbare Diskriminierung dar. Allerdings ist denkbar, dass es zu einer mittelbaren Ungleichbehandlung kommt. Nämlich dann, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden.

Es kommt letztlich darauf an, ob der Arbeitgeber ein berechtigtes Ziel verfolgt – und das eingesetzte Mittel – das Kopftuchverbot – erforderlich und angemessen ist. Dazu stellt der EuGH klar, dass der Wunsch eines Arbeitgebers, seinen Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, zu seiner unternehmerischen Freiheit gehöre. Der Wunsch beziehungsweise das Ziel sei insbesondere rechtmäßig, wenn er nur Arbeitnehmer mit Kundenkontakt einbeziehe. 

Kundenbeschwerde allein reicht nicht für ein Verbot

Anders als eine betriebsinterne Regelung sei allerdings die Kundenbeschwerde – wie sie im zweiten Fall vorlag – zu bewerten. Allein ein solcher Kundenwunsch führt nicht dazu, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse hat, der Arbeitnehmerin, die auf ein Kopftuch nicht verzichten will, zu kündigen.

Was heißt das letztlich für die Apotheken? Ein generelles Kopftuchverbot wird es auch hier nicht geben. Jedenfalls kann Beschäftigten ohne Kundenkontakt das Tragen des religiösen Symbols nicht verwehrt werden. Selbst wenn es eine interne Regelung zur Neutralität gibt: Ein Apothekenleiter, der keine solche Regelung aufgestellt hat – auch nicht im Arbeitsvertrag – darf sich also nicht einfach von Kundenbeschwerden oder der Furcht vor solchen beeindrucken lassen. Will er wirklich kein Kopftuch sehen, wenn seine Mitarbeiterinnen Kundenkontakt haben, dann muss er ein Verbot aufstellen, dass sämtliche Religionen umfasst und am Ende nicht doch nur muslimische Frauen trifft.

Europäischer Gerichtshof, Urteile vom  14. März 2017, Rs. C- 157/15 und C - 188/15



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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