Westfalen-Lippe

Rochell: Apothekenwesen ist keine Krisenbranche

11.11.2024, 10:45 Uhr

AVWL-Chef Thomas Rochell. (Foto: AVWL)

AVWL-Chef Thomas Rochell. (Foto: AVWL)


Auch wenn die Apothekerinnen und Apotheker unter dem wirtschaftlichen Druck ächzen: Zumindest nach den Kriterien der Treuhand ist das Apothekenwesen keine Krisenbranche, betonte der Vorsitzende des Apothekerverbands Westfalen-Lippe, Thomas Rochell, kürzlich in Münster. Das Problem sei hausgemacht – durch eine Kette von Fehlentscheidungen und jahrelange Untätigkeit der Politik. 

„Der Ampel sind alle Sicherungen durchgebrannt“ – so fasste der Vorstandsvorsitzende des Apothekerverbands Westfalen-Lippe (AVWL), Thomas Rochell, die aktuelle politische Situation am vergangenen Samstag in Münster zusammen. Bei der Mitgliederversammlung seines Verbands in der neu errichteten PTA-Schule im Heinrich-Salzmann-Haus beleuchtete Rochell zunächst, welche Folgen der Bruch der Regierungskoalition für die Apotheken hat: Zwar sei mit dem Aus für die Apothekenreform aus dem Hause Lauterbach das Konzept der Apotheke ohne Apotheker erfolgreich abgewehrt – zudem werde die 3-Prozent-Marge nicht wie geplant auf 2 Prozent abgeschmolzen. „Das hätte die Versorgung mit Hochpreisern unwirtschaftlich gemacht und unseren einzigen Dynamisierungsfaktor geschwächt.“ 

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Gleichzeitig müssen die Apotheken nun jedoch auf alle Zuckerl verzichten, die noch in der Gesetzgebung hängen. Dazu zählt der AVWL-Chef zum Beispiel die erweiterten Impf- und Testbefugnisse für Apothekerinnen und Apotheker. „Wir brauchen solche neuen Leistungen“, betonte er. Denn was ihren Wunsch nach einer Honoraranpassung betrifft, stecke die Apothekerschaft in einem Dilemma. Die Zusatzbeiträge steigen, die Pflegekasse ist leer und große Arbeitgeber wie Volkswagen und Thyssenkrupp stecken in der Krise – keine gute Zeit, um eine Erhöhung der Packungspauschale zu fordern, meint Rochell. „Damit verlieren wir nur die Politik und unsere engsten Verbündeten, die Patienten“, sagte er. Das habe auch die ABDA erkannt und konzentriere sich inzwischen darauf, an anderen Stellschrauben zu drehen, etwa an der Vergütung von Botendiensten, Rezepturanfertigungen und Dokumentationspflichten. „Dazu hat die ABDA Vorschläge erarbeitet, die Lauterbach vorliegen.“

Am Ball bleiben 

Dennoch: Die Regierungskrise wird das Apothekennetz nach Rochells Einschätzung weiter ausdünnen. Es werde Monate dauern, bis Deutschland eine neue Regierung habe – Monate, in denen weitere Betriebe schließen werden. Auch wenn er Neuwahlen persönlich begrüße, seien sie berufspolitisch durchaus problematisch. Denn die Apothekenthemen werden auch für die nachfolgende Regierung nicht an erster Stelle stehen. Trotzdem gelte es jetzt am Ball zu bleiben und das Gespräch mit der Politik zu suchen. „Viele Abgeordnete treten nicht wieder an“, gab Rochell zu bedenken. Ihre Nachfolgerinnen und Nachfolger müssten jetzt für die schwierige Lage der Apotheken sensibilisiert werden und auf das große Potenzial hingewiesen werden, das in ihnen schlummert.

Denn das Apothekenwesen sei zumindest nach den Kriterien der Treuhand keine Krisenbranche. Typische Anzeichen seien ein Rückgang der Nachfrage, sinkende Umsätze, der Abbau von Arbeitsplätzen und eine negative öffentliche Wahrnehmung. All das treffe auf die Apotheken nicht zu – der Rückgang der Apothekenzahl sei insbesondere auf eine Kette von Fehlentscheidungen und die Untätigkeit der Politik in den vergangenen Jahren zurückzuführen. „Das ist unsozial, wirtschaftspolitischer Unsinn und eine Gefahr für die Gesundheitsversorgung der Patientinnen und Patienten“, unterstrich Rochell. 

Rochell: Apotheken müssen Chancen nutzen 

Die Kolleginnen und Kollegen rief der AVWL-Vorsitzende im nächsten Atemzug auf, die Chancen zu nutzen, die sich ihnen bereits bieten. Insbesondere nannte er die pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) und Impfungen. „Die Summen, die aktuell aus dem pDL-Topf abgerufen werden, sind erschreckend gering.“ Das Geld, das dort geparkt ist, stehe irgendwann zur Disposition, warnte er. Die Apotheken sollten nun ihre eigenen Prozesse überprüfen und an die neuen Anforderungen anpassen. Denn auch wenn das Gesundes-Herz-Gesetz wohl nicht mehr kommen wird, zeige der Entwurf dennoch, dass Apotheken eine größere Rolle als bisher in der Prävention von Krankheiten spielen könnten. „Daran sollen wir nach den Neuwahlen anknüpfen“, so Rochell. Die Branche müsse sich entwickeln und wandeln. 

In jedem Fall werde der nordrhein-westfälische Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) recht behalten: Er habe vorhergesagt, dass es noch Apotheken geben werde, wenn „Lauterbach längst Geschichte ist“. Rochell griff dieses Zitat auf und sagte: „Zumindest als Bundesgesundheitsminister ist Lauterbach inzwischen Geschichte – hoffentlich.“


Christina Grünberg (gbg), Apothekerin, Betriebswirtin (IWW), DAZ-Redakteurin
cgruenberg@daz.online


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6 Kommentare

Pdl

von W am 15.11.2024 um 7:04 Uhr

Für pdl ist gar keine Zeit. Wenn ein Mitarbeiter ausscheidet, findet man kaum Ersatz, die Anwesenden verbringen die Zeit damit zu recherchieren, was lieferbar ist. Wann soll ich da Medikationsmanagement machen? Oder den furchtbaren Zettelkram bzgl Inhalatoren?
Und zum Impfen müssten wir einen zusätzlichen Raum anmieten, den es zum einen nicht gibt, zum anderen würde er zusätzlich Miete kosten. Tolles Impf-Zuckerl!

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Fernab der Realität ...

von Reinhard Herzog am 11.11.2024 um 13:46 Uhr

"Rochell: Apothekenwesen ist keine Krisenbranche."
Aha. Man staunt nur - und schaut besser mal etwas über den eigenen HV-Tisch hinaus:

... der Versand kann leider nun einmal prinzipiell bedeutende Teile der Versorgungsfunktion übernehmen, und nein, die Patienten werden nicht zu Tausenden umkippen,

... der typische Wissensberuf Apotheker:in ist prädestiniert, durch Software, Datenbanken und KI nicht nur assistiert, sondern in relevantem Ausmaß auch ersetzt zu werden,

... die rein operative Tätigkeit können bereits heute Automaten zu großen Teilen übernehmen,

... das gesamte Gesundheitssystem steuert in eine Kosten- und Strukturkrise, die vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Umwälzungen und "Zeitenwenden" erst schemenhaft erkennbar wird.

Sorry, aber mehr Krise geht eigentlich gar nicht.

Aber so, wie viele unserer Vertreter:innen haben VW und Co., die Gasturbinen- und Heizkesselhersteller, die tollen Zulieferer von Getrieben, Katalysatoren, Einspritzsystemen u.a.m. oder einst die Steinkohlekumpel auch geredet.

Unverzichtbarkeits-Nimbus, hart an der Realität des Fortschritts gescheitert. Es reicht halt nicht, retrospektiv in Technologien und Geschäften des letzten Jahrhunderts gut gewesen zu sein, sondern es gilt, die Möglichkeiten und Chancen des 21. Jahrhunderts optimal zu nutzen und nicht ständig durch Bedenken gebremst auszuschöpfen - mit teils deutlich anderen und neuen Geschäftsmodellen. Sonst geht man eben mit der Zeit. Und das ist Krise ...

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Häh?

von Mathias Mallach am 11.11.2024 um 12:34 Uhr

Wie, "die ABDA konzentriert sich jetzt auf andere Stellschrauben"???
Was läuft denn hier schief ?

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Weitsicht fehlt…

von Ulrich Ströh am 11.11.2024 um 12:33 Uhr

Thomas Rochell vergisst , dass man sich meistens 2x im Leben begegnet.

In einer sich abzeichnenden neuen großen Koalition wird neuer Bundesgesundheitsminister :
Richtig… Karl Lauterbach !!!

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AW: BMG

von Holger am 12.11.2024 um 15:28 Uhr

Das glaube ich nicht! Klar, wenn die SPD erstens wieder Teil einer Regierungskoallition wird (was ich annehme) und zweitens keiner der anderen Koalitionspartner das Gesundheitsministerium für sich beansprucht oder sich wenigstens bereit erklärt, dann kommt die SPD wohl am Karl nicht vorbei. Aber es wäre für einen Kanzler Merz doch eine recht deutliche Drohung: "Entweder einer von euch macht es, oder ihr kriegt halt den Karl!"

Ob es allerdings mit einem anderen Minister grundsätzlich besser wird, wage ich zu bezweifeln. Denn wenn ich mal die Ahnengalerie rückwärts abschreite ... Jens Spahn, Hermann Gröhe, Daniel Bahr, Fipsi Rösler, Ulla Schmid, Andrea Fischer ... komme ich erst 1998 bei - es kommt mir nur schwer über die Lippen - Horst Seehofer zum letzten, bei dem es aus meiner subjektiven Sicht noch halbwegs vernünftig war. Der hatte halt mal das "Glück", ein paar Monate mit einer schweren Erkrankung selber Patient zu sein - scheinbar eine sehr "heilsame" Erfahrung für ihn. Also ich bin bezüglich eines Nachfolgers für Lauterbach nicht wirklich optimistisch.

.

von Anita Peter am 11.11.2024 um 11:02 Uhr

„Die Summen, die aktuell aus dem pDL-Topf abgerufen werden, sind erschreckend gering.“

Ja, weil es defizitär ist und auch gar nicht das Personal dazu da ist. In welchen Welten schweben unsere Standesvertreter eigentlich??

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