PrEP mit Lenacapavir

Wirksamer HIV-Schutz mit zwei Injektionen im Jahr

Stuttgart - 16.08.2024, 13:45 Uhr

Als Durchbruch in der HIV-Prävention bezeichnete die WHO die Studienergebnisse zu Lenacapavir. Das Problem: die anfallenden Therapiekosten. (Foto: REDPIXEL/AdobeStock)

Als Durchbruch in der HIV-Prävention bezeichnete die WHO die Studienergebnisse zu Lenacapavir. Das Problem: die anfallenden Therapiekosten. (Foto: REDPIXEL/AdobeStock)


Keine HIV-Infektionen, 100% Wirksamkeit: Das sind die Ergebnisse der Zwischenanalyse einer Phase-III-Studie, in der die zweimal jähr­liche subkutane Injektion des antiretroviralen Wirkstoffs Lena­capavir zur HIV-Prophylaxe untersucht wurde. Der Kapsid-Inhibitor ist in der EU bisher nur zur Behandlung multiresistenter HIV-1-Infektionen zugelassen. Den Forschern könnte ein entscheidender Schritt im Kampf gegen die weltweite HIV­-Epidemie gelungen sein.

Antiretrovirale Wirkstoffe werden nicht nur zur HIV-Therapie, sondern auch zur HIV-Präexpositionsprophy­laxe (HIV-PrEP) eingesetzt. Die prophylaktische Einnahme soll eine Infektion bei HIV-negativen Personen mit besonders hohem Risiko aufgrund ihres Lebensstils verhindern. Die Deutsch-Österreichische Leitlinie empfiehlt zur PrEP die fixe Wirkstoff­kombination der beiden Reverse-Transkriptase-Inhibitoren Emtricitabin/Tenofovirdisoproxilfumarat (Truvada® und Generika) [1].

Zur PrEP ist seit Herbst 2023 auch der Integrase-Hemmer Cabotegravir in Apretude® von den europäischen Behörden zugelassen worden, steht in Deutschland aber nicht zur Verfügung. Als Vocabria ist Cabotegravir bereits seit 2020 zur HIV-Therapie zugelassen [2].

 

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Emtricitabin/Tenofoviralafenamid (Descovy®), das in Deutschland ausschließlich als HIV-Therapeutikum indiziert ist, ist in den Vereinigten Staaten eine weitere Alternative zur HIV-PrEP [1].

Neue Strategien notwendig

Obwohl die aktuell eingesetzten Wirkstoffe zur HIV-PrEP eine gute prophylaktische Wirksamkeit zeigen, ist die Adhärenz vor allem bei Cisgender-Frauen weltweit und insbesondere in Bevölkerungsgruppen mit hoher HIV-Inzidenz begrenzt. Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen unter anderem in der Angst vor Stigmatisierung, der Einnahmefrequenz und in einer verzerrten Einschätzung des Infekt­ionsrisikos.

Südafrikanische Wissenschaftler nahmen dies zum Anlass, alternative Strategien zu untersuchen, um die Infektionsprävention zu verbessern. Dazu verglichen sie in einer doppelblinden, randomisierten, aktiv kontrollierten Phase-III-Studie (PURPOSE-1) die Wirksamkeit und Sicherheit von Lenacapavir (siehe Kasten „First-in-class Kapsid-Inhi­bitor Lenacapavir“) zur HIV-Prä­expositionsprophylaxe mit zugelas­sener antiretroviraler Medikation bei Cisgender-Frauen.

An 28 Standorten in Südafrika und Uganda wurden 5338 heranwachsende Mädchen und junge Frauen in die Studie aufgenommen. Die Probandinnen waren zwischen 16 und 26 Jahre alt, HIV-negativ und identifizierten sich mit ihrem weiblichen Geburts­geschlecht.

2134 der Teilnehmerinnen erhielten alle 26 Wochen subkutan injiziertes Lenacapavir, 2136 täglich oral verabreichtes Emtricitabin/Tenofoviralafenamid. Als aktive Kontrolle diente die tägliche Einnahme von Emtricitabin/Tenofovirdisoproxilfumarat durch 1068 Frauen. Zusätzliche Placebo-Injektionen und -Tabletten je nach Randomisierungsarm gewährleisteten bei allen Beteiligten eine zuverlässige Verblindung. Analog einer Placebogruppe wurde der in der Randomi­sierungskohorte ausgeschlossene HIV-positive Anteil der gescreenten Cisgender-Frauen ohne PrEP als Hintergrundinzidenz zur Wirksamkeitsbewertung mit einbezogen [3].

Die Ergebnisse der PURPOSE-1-Studie wurden Ende Juli auf der 25. Welt-Aids-Konferenz in München vorgestellt und im New England Journal of Medicine veröffentlicht.

First-in-class Kapsid-Inhibitor Lenacapavir

Lenacapavir (Sunlenca®) ist seit August 2022 in der EU zur Behandlung multiresistenter HIV-1-Infektionen in Kombination mit anderen antiretroviralen Arzneimitteln zugelassen [7, 8]. Gilead führte Lenacapavir aber nicht auf dem deutschen Markt ein. Als Grund gab das Unternehmen eine zu geringe erwartete Honorierung an [9].

Der Wirkstoff ist der erste Vertreter der HIV-Kapsid-Inhibitoren, der durch Bindung zwischen den Kapsid-Protein-Untereinheiten in mehrere Sta­dien des HIV-Replikationszyklus eingreift: Er verhindert die nukleäre Kapsid-Aufnahme, den Zusammenbau des Viruspartikels sowie die korrekte konische Formung des Kapsids (s. Abb. 2) [7].

Das Anwendungsschema unterscheidet eine Einleitungs- und Erhaltungsphase. Letztere sieht nach einer zweiwöchigen oralen Auftitration eine subkutane Wirkstoffgabe im Abstand von sechs Monaten vor. Die lediglich zweimal jährliche Gabe wird durch die Bildung eines subkutanen Wirkstoffdepots ermöglicht, aus dem der Wirkstoff langsam freigesetzt wird [3, 7].

Abb. 2: Lenacapavir greift als selektiver HIV-1-Kapsid-Inhibitor in mehrere Schritte des Zyklus der Virus-Vermehrung ein (nach [10]).

Wirksam und sicher

Keine der 2134 Frauen im Lenacapavir-Arm infizierte sich in einem Beobachtungszeitraum von insgesamt 4821 Personenjahren zwischen 2021 und 2024 mit HIV. In der Emtricitabin/Tenofoviralafenamid-Gruppe traten 39 HIV-Infektionen (Inzidenz = 2,02 pro 100 Personenjahre; 95%-Konfidenzintervall [KI] = 1,44 bis 2,76), in der aktiven Kontrollgruppe mit Emtricitabin/Tenofovirdisoproxilfumarat 16 HIV-Infektionen auf (Inzidenz = 1,69 pro 100 Personenjahre; 95%-KI = 0,96 bis 2,74). Die HIV-Hintergrundinzidenz betrug 2,41 pro 100 Personenjahre (95%-KI = 1,82 bis 3,19).

Eine regelmäßige Wirkstoffspiegel­bestimmung anhand von Blutproben ergab eine niedrige Adhärenz in den oralen Medikationsarmen. Bei den meisten Probandinnen, die sich trotz oraler PrEP infizierten, konnten nur geringe oder keine Wirkstoffmengen nachgewiesen werden. Eine hohe Adhärenz war dagegen auch mit einem niedrigeren HIV-Infektionsrisiko assoziiert (Odds Ratio = 0,11; 95%-KI = 0,01 bis 0,49).

Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen in allen Interventions­armen gehörten Reaktionen an der Injektionsstelle, Kopfschmerzen, Harnwegs- und Chlamydieninfektionen. Übelkeit und Erbrechen traten in der Lenacapavir-Gruppe seltener auf als unter oraler Medikation.

Eine geplante Zwischenanalyse im Juni 2024 führte aufgrund der herausragenden Ergebnisse zum Abbruch der randomisiert-verblindeten Studienphase, um im Rahmen eines Open-­label-Designs allen Probandinnen die Lenacapavir-Intervention zur HIV-­Präexpositionsprophylaxe zu ermög­lichen [3].

Kosten kaum stemmbar

In einer Pressemitteilung bezeichnete die WHO die Studienergebnisse als „bedeutenden Durchbruch in der HIV-Prävention“ [4]. Auch die Tagesschau berichtete über PURPOSE-1 und ließ dazu den Virologen Hendrik Streeck vom Universitätsklinikum Bonn zu Wort kommen, der unter anderem die Problematik der anfallenden Therapiekosten hervorhob. Während die orale PrEP in Deutschland etwa 30 ­Euro pro Monat kostet, könnte eine Lenacapavir-Injektion nach Streecks Einschätzung Kosten in Höhe von circa 2000 bis 2500 Euro verursachen, entsprechend 4000 bis 5000 Euro jährliche Therapiekosten pro Person. Eine Summe, die im Kontext einer breiten Anwendung insbesondere in Entwicklungsländern kaum realisierbar erscheine, so Streeck [5].

Ziel: Zulassung zur PrEP

PURPOSE-1 ist eine von zwei HIV-Präventionsstudien, die GILEAD im Rahmen eines Zulassungsverfahrens für Lenacapavir zur HIV-Präexpositionsprophylaxe durchführt. PURPOSE-2 untersucht derzeit die zweimal jährliche Applikation von Lenacapavir bei Cis- und Transgender-Männern sowie Transgender-Frauen und nicht-binären Personen in Südamerika, Südafrika und Thailand, die sexuellen Verkehr mit Cisgender-Männern haben. Die Ergebnisse der Studie werden voraussichtlich Ende 2024/Anfang 2025 erwartet [6].

Literatur

[1] Deutsch-Österreichische Leitlinie zur HIV-Präexpositionsprophylaxe Version 2.0. AWMF-Register-Nr. 055-008, Stand März 2024

[2] Apretude. Information der European Medicines Agency, Stand September 2023, www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/apretude

[3] Bekker LG, Das M, Abdool Karim Q et al. PURPOSE 1 Study Team. Twice-yearly lenacapavir or daily F/TAF for HIV prevention in cisgender women. NEJM 2024, doi: 10.1056/NEJMoa240700

[4] Long-acting injectable lenacapavir proves effectiv in HIV prevention for women. News der World Health Organisation, Stand Juli 2024, www.who.int/news/item/26-07-2024-long-acting-injectable-lenacapavir-proves-effective-in-hiv-prevention-for-women

[5] Zwei Spritzen pro Jahr schützen vor HIV-Infektion. Information auf tagesschau.de, Stand Juli 2024, www.tagesschau.de/wissen/gesundheit/aids-hiv-medikament-100.html

[6] Full efficacy and safety results for Gilead investigational twice-yearly lenacapavir for HIV prevention presented at AIDS 2024. Pressemitteilung von Gilead vom 24. Juli 2024, www.gilead.com/news-and-press/press-room/press-releases/2024/7/full-efficacy-and-safety-results-for-gilead-investigational-twice-yearly-lenacapavir-for-hiv-prevention-presented-at-aids-2024

[7] Fachinfo Sunlenca®, Gilead Sciences, Stand: August 2022

[8] Gilead announces first global regulatory approval of Sunlenca® (lenacapavir), the only twice-yearly HIV treatment option. Pressemitteilung von Gilead vom 22. August 2024, www.gilead.com/news-and-press/press-room/press-releases/2022/8/gilead-announces-first-global-regulatory-approval-of-sunlenca-lenacapavir-the-only-twiceyearly-hiv-treatment-option

[9] Stellungnahme zu Lenacapavir in Deutschland. Pressemitteilung von Gilead, www.gilead-dialog.de/statement-nicht-einfuhrung-lenacapavir-deutschland/

[10] Dvory-Sobol H, Shaik N, Callebaut C et al. Lenacapavir: a first-in-class HIV-1 capsid inhibitor. Curr Opin HIV AIDS: 2022;17(1):15-21


Apothekerin Judith Esch, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


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