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Gut vorbereitet in den Einsatz
Was Einsatzkräfte bei Apotheker ohne Grenzen über Katastrophenpharmazie wissen müssen
Weshalb verfehlen gut gemeinte Arzneimittelspenden häufig ihren Zweck? Worauf kommt es bei einem Katastropheneinsatz an, und was macht eine erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit aus? Um diese und weitere Themen ging es in dem Aufbauseminar von Apotheker ohne Grenzen e. V. (AoG) in Berlin.
Pharmazie im Einsatz
Die Arbeit eines Apothekers in einem Katastrophengebiet sieht anders aus als in einer deutschen Offizin. „Auf einem Einsatz haben Apotheker meist umfassendere Kompetenzen als im deutschen Gesundheitssystem, wo die Pharmazeuten bei verschreibungspflichtigen Medikamenten der Vorgabe des Arztes folgen. Dagegen wählen die Pharmazeuten in vielen Auslandseinsätzen eigenverantwortlich auf Basis einer ärztlichen Diagnose den passenden Arzneistoff aus“, erklärte Eliette Fischbach, die Geschäftsführerin von Apotheker ohne Grenzen e. V., in Berlin.
Auch internationale Partnerorganisationen, wie beispielsweise NAVIS oder das International Medical Corps (IMC), erkennen mittlerweile, wie wichtig pharmazeutische Kompetenz ist, und fordern diese aktiv an. Vom International Medical Corps kam auch im Herbst vergangenen Jahres der Auftrag für Apotheker ohne Grenzen, pharmazeutische Hilfe auf dem karibischen Inselstaat Dominica zu leisten. Denn am 18. September 2017 fegte der Hurrikan „Maria“ über die Karibik und hinterließ dort große Verwüstungen. Bereits Anfang Oktober war das erste AoG-Team vor Ort und evaluierte den pharmazeutischen Bedarf. Bis Mitte November wechselten sich die Helfer von Apotheker ohne Grenzen in Dominica ab.
Arzneimittelspenden oft nicht hilfreich
Während der siebenwöchigen Projektphase erreichten einige private Arzneimittelspenden den Inselstaat, berichtete Simone Harries, PTA aus Marktoberdorf. Diese Spenden waren nicht immer hilfreich. So beschrieb Harries, die bis zum Abschluss des Notfalleinsatzes vor Ort war, dass sich in den Kisten beispielsweise Blister ohne Umverpackungen oder gar lose Tabletten befanden. Auch kühlpflichtige Arzneimittel waren darunter, die durch den Transport bei Raumtemperatur unbrauchbar wurden. „Da muss man alles aufmachen und sorgfältig prüfen“, verdeutlichte die PTA.
Ein großer Projektbestandteil der Teams von Apotheker ohne Grenzen in Dominica war daher die Inventarisierung der Bestände, woraufhin auf offiziellem Wege Arzneimittel und Medizinprodukte bestellt wurden. „Diese hingen allerdings länger beim Zoll fest und erreichten Dominica erst nach unserer Abreise“, erklärte Harries. Beide Organisationen – Apotheker ohne Grenzen und International Medical Corps – konnten das Notfallprojekt in Dominica inzwischen abschließen.
Notfallsortiment mit 60 Arzneimitteln für den Ernstfall
Ein weiterer Schulungsbeitrag befasste sich mit dem Interagency Emergency Health Kit (IEHK), dessen Anwendung Apothekerin Dr. Carina Vetye vorstellte. Das IEHK ist ein standardisiertes Notfallsortiment aus 60 Arzneimitteln sowie Infusionslösungen und Medizinprodukten, das die WHO für Katastropheneinsätze entwickelt hat und für die Grundversorgung von 10.000 Menschen über rund drei Monate ausgelegt ist. Im Katastrophenfall ist jede Minute kostbar und die Apotheker vor Ort müssen schnell anhand einer ärztlichen Diagnose das passende Arzneimittel auswählen. Apothekerin Dr. Carina Vetye übte mit den Seminarteilnehmern anhand von Fallbeispielen, mit dem Notfallsortiment umzugehen. Dazu hat Vetye ein Handbuch verfasst, in dem den wichtigsten Indikationen die entsprechenden Arzneimittel zugeordnet sind. Die Auswahl des Notfallsortiments ist allerdings begrenzt. Häufig ist nicht der Wirkstoff vorhanden, den man aus dem eigenen Arbeitsalltag kennt. Die Einsatzkräfte suchen dann nach Alternativen. „Das IEHK enthält kein abschwellendes Nasenspray, auch keine Kochsalzlösung, dafür eine Ringer-Lösung. Damit kann auch eine verstopfte Kleinkindnase freigespült werden“, führte Vetye als Beispiel an.
Zusammenarbeit mit Community Health Workern
Neben der Katastrophenhilfe ist Apotheker ohne Grenzen auch in zahlreichen Langzeit-Projekten tätig. Ein wichtiger Bestandteil der Entwicklungszusammenarbeit ist der Austausch mit den sogenannten Community Health Workern (CHW). Diese sind zumeist medizinische Laien, die in vielen infrastrukturschwachen Regionen in Afrika oder Südamerika die Gesundheitsversorgung übernehmen und auch Arzneimittel abgeben. Die Community Health Worker sind Teil ihrer Gemeinde. Beobachten sie beispielsweise, dass ein junges Mädchen schwanger sein könnte, suchen sie das Gespräch mit den Eltern. Apotheker ohne Grenzen unterstützt die Gesundheitskräfte vor Ort mit pharmazeutischem Fachwissen. Apothekerin Dr. Carina Vetye, die seit 2002 hauptamtlich ein Gesundheitszentrum in einem Elendsviertel in Buenos Aires betreut, hat ihre Schulungen an die Gegebenheiten vor Ort angepasst.
Hilfe zur Selbsthilfe ist Knochenarbeit
Vetye wies darauf hin, dass die medizinischen Laien eigene Erklärungen für gesundheitliche Phänomene haben. „Wenn man Insulin bekommt, stirbt man“, glauben beispielsweise einige Menschen in Argentinien. Wie sie darauf kommen, erklärt die erfahrene Einsatzkraft wie folgt: „Da viele Diabetes-Typ-2-Patienten viel zu spät auf Insulin eingestellt werden, ist deren Sterblichkeit bereits hoch, wenn sie mit dem Spritzen anfangen. Hier müssen wir den Community Health Workern bei der Interpretation helfen.“
Die vielfach zitierte „Hilfe zur Selbsthilfe“ braucht nach Ansicht von Vetye allerdings mehr Zeit als angenommen. So klärt die Apothekerin schon seit 2002 in Buenos Aires über Zahnhygiene auf. Nach zehn Jahren ist dort die Kariesrate um 66 Prozent zurückgegangen. „Da reicht es nicht, ein paar Zahnbürsten zu verteilen oder vereinzelte Schulungen zu halten. Nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit ist Knochenarbeit“, betonte Vetye.
Nach der Erfahrung von Apotheker ohne Grenzen ist es wirksamer, Wissen mit einer bildhaften Sprache zu vermitteln. Denn die wenigsten Community Health Worker haben die Schule abschließen können. „Für mich ist es sehr wichtig, mit Demut und Respekt an die Schulungen heranzugehen. Denn die mangelnde Schulbildung ist nicht das Verschulden der Menschen, sondern sie hatten einfach keine Möglichkeit dazu“, ergänzte Justus Schollmeier, der als Pharmaziepraktikant das erste Mal mit Apotheker ohne Grenzen in Mexico bei der Ausbildung medizinischer Laien half.
Eine ganz persönliche Entscheidung
Das Seminar bildete den optionalen Teil eines dreiteiligen Trainingsprogramms. Die beiden mehrtägigen Kurse, die in einem Zeltlager unter freiem Himmel stattfinden, sind verpflichtend, bevor ein freiwilliger Helfer mit Apotheker ohne Grenzen in einen Einsatz geht. Allein das Camping unter einfachen Bedingungen beantwortet dem einen oder anderen Teilnehmer die Frage, ob er sich die Arbeit in einem Katastrophengebiet überhaupt vorstellen kann.
„An Einsätzen teilzunehmen, ist eine ganz persönliche Entscheidung. Jeder sollte sich die Frage stellen: Will ich das überhaupt? Neben dem Fachwissen gehen wir in unseren Schulungen auch auf die psychologischen Aspekte ein und simulieren die Bedingungen vor Ort“, erklärte Dr. Thomas Bergmann, Mitglied des Vorstandes von AoG, der gemeinsam mit Dr. Carina Vetye für die Schulungen verantwortlich ist.
Nicht jeder sei für einen Einsatz geeignet, so Bergmann. Im Ernstfall müsse der Freiwillige „funktionieren“ und in einem Team arbeiten. Für Eitelkeiten gibt es keinen Platz. Bei den Vorbereitungskursen ist zeitweise ein Psychologe anwesend, der angehende Einsatzkräfte berät. Wer sich den belastenden Bedingungen in einer Notfallsituation nicht gewachsen fühlt, für den besteht auch die Möglichkeit, in Deutschland aktiv zu werden. So hat Apotheker ohne Grenzen beispielsweise die Berliner Stadtmission oder die Ambulanz ohne Grenzen in der Mainzer Zitadelle pharmazeutisch unterstützt. |
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