BGH urteilt zu Aussonderungsrechten – aber nur in einer bestimmten Konstellation

Die Insolvenz des Rechenzentrums AvP im Jahr 2020 hat die Branche schwer erschüttert. Doch nicht nur Apotheken, auch andere Leistungserbringer, die über Rechenzentren mit den Krankenkassen abrechnen, waren betroffen. Im Fall eines Hilfsmittellieferanten (Klägerin) hat nun der Bundesgerichtshof geurteilt (Az: IX ZR 182/23). Demnach ist die Forderungsabtretung des Leistungserbringers jedenfalls dann nichtig, wenn dieser – wie bei AvP geschehen – dem Rechenzentrum die Weiterabtretung der Forderungen „ausdrücklich oder konkludent“ gestattet. Am selben Tag ist vor dem BGH noch ein weiteres Verfahren einer Apotheke verhandelt worden; in diesem Verfahren liegen die Urteilsgründe noch nicht vor. 

Die Klägerin sei somit Inhaberin ihrer Vergütungsansprüche gegenüber den Krankenkassen geblieben. Denn § 302 Abs. 2 Satz 3 SGB V erlaube Rechenzentren eine Nutzung der geschützten Sozialdaten (in diesem Zusammenhang sind insbesondere die patientenindividuellen Angaben auf ärztlichen Verordnungen gemeint) ausdrücklich nur nach Maßgabe dieser Vorschrift. „Eine mit diesen Regelungen nicht im Einklang stehende Datennutzung ist somit untersagt“ – das gelte auch für das Vorgehen von AvP, die Forderungen wiederum an Banken abzutreten, um ihre Tätigkeit zugunsten der Leistungserbringer zu finanzieren.  

Weiterabtretung der Forderungen nicht mit Datenschutz vereinbar

Konkret führt das Gericht aus, dass der Gesetzgeber Leistungserbringern die Offenbarung sensibler Sozialdaten ohne Einwilligung der Patienten gegenüber Rechenzentren gestatte. Zum Ausgleich für „diesen schweren Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Patienten“ sei ein strenges Datenschutzrecht mit strikter Zweckbindung der Daten vorgesehen, das Rechenzentren zu beachten haben und das der Nutzung der Daten Grenzen zieht, um einen Datenmissbrauch vorzubeugen. Eine Weiterabtretung der Forderungen durch AvP an Banken sei damit nicht vereinbar. 

Dennoch hält das Gericht den vorliegenden Fall nur für teilweise zur Entscheidung reif. Zwar habe die Klägerin Anspruch auf ihren Anteil in Höhe von gut 3.000 Euro an einer Sammelrechnung, die von der betreffenden Krankenkasse gegenüber AvP wegen des zu diesem Zeitpunkt bereits eingeleiteten Insolvenzverfahrens nicht beglichen worden war. „Ob der Klägerin auch weitere Ansprüche im Hinblick auf ihr Aussonderungsrecht zustehen, lässt sich auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen nicht entscheiden.“ Denn sofern AvP Forderungen der Klägerin gegen Krankenkassen bereits eingezogen habe und die Klägerin somit Aussonderung des Erlöses verlange, habe das Berufungsgericht zu möglichen Ansprüchen der Klägerin gegen die Masse bislang keine ausreichenden Feststellungen getroffen. 

Urteil für spezielle Konstellation

Das Gericht urteilt also nur in dieser speziellen Konstellation, in der die Krankenkasse die Sammelrechnung der AvP noch nicht beglichen hatte, zugunsten der Klägerin. Mit der Frage, welche Aussonderungsrechte ihr unter welchen Umständen zustehen, wenn bereits Geld vom Kostenträger an die AvP geflossen ist, muss sich nun erneut das Berufungsgericht befassen. Der Apothekenrechtler Dr. Morton Douglas von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen aus Freiburg schätzt die Erfolgschancen gering ein. Denn bei AvP sei das Geld nicht etwa auf separaten Treuhandkonten für jede Apotheke beziehungsweise jeden Leistungserbringer gesammelt worden, sondern es habe eine sogenannte Vermischung stattgefunden. Der BGH hat etwa bereits darauf hingewiesen, dass eine Ersatzaussonderung nach § 48 Satz 2 InsO nur verlangen werden könne, wenn die Einziehung der Forderungen unberechtigt erfolgte und zudem die eingezogenen Beträge noch unterscheidbar in der Masse vorhanden sind. „Das Rechenzentrum war aber trotz der Unwirksamkeit der Klausel zunächst zur Einziehung berechtigt und zudem ist es kaum mehr möglich, das Geld einzelnen Apotheken zuzuordnen“, erläutert er gegenüber der DAZ. Das sei jedoch nötig, um von möglichen Ersatzaussonderungsrechten tatsächlich Gebrauch machen zu können. 

Vergleich bleibt beste Lösung für Apotheken

Aus wirtschaftlicher Sicht sei der Vergleich, dem das Gros der betroffenen Apotheken zugestimmt hat, daher noch immer die bessere Option. Zum einen vermeiden sie dadurch laut Douglas jahrelange Prozesse, die mit einem nicht zu vernachlässigendem Prozesskostenrisiko behaftet sind. Zum anderen würden die Apotheken selbst bei erfolgreicher Klage nicht signifikant profitieren. „Das Geld wird ja nicht mehr“, gibt Douglas zu bedenken. Dass alle Apotheken 100 Prozent ihrer Forderungen zurückerstattet bekommen, sei allein deswegen schon ausgeschlossen, weil die Insolvenzmasse dafür nicht ausreiche. Zinseffekte, Steuernachzahlungen und andere Faktoren minderten das Plus zusätzlich. Der Rechtsanwalt bleibt dabei: Für die betroffenen Apothekerinnen und Apotheker sei die Zustimmung zum Vergleich auch vor dem Hintergrund dieses Urteils der einzig wirtschaftlich sinnvolle Weg gewesen. Denn immerhin hätten diese Apotheken bereits 15,4 Prozent ihrer Forderungen ausgezahlt bekommen und würden nun nochmals einen erheblichen Abschlag erhalten, während die Apotheken, dies diesen Weg nicht gewählt hätten, auf absehbare Zeit leer ausgehen werden. (gbg)

Hintergrund: Aussonderungsrechte 

Seit die Insolvenz des Rechenzentrums AvP Deutschland bekannt wurde, stehen Aussonderungsrechte bei den betroffenen Apotheken im Mittelpunkt der Diskussion. Mit diesem Begriff werden Rechte bezeichnet, die bestimmten Personen oder Personengruppen einen vorrangigen Zugriff auf Gegenstände oder Geld aus einem insolventen Unternehmen bieten, sodass diese Werte nicht in die Insolvenzmasse eingehen.  

Die zentrale Idee im Fall AvP ist dabei, dass Abrechnungsgelder, erst recht solche aus einer Sozialversicherung, nicht der AvP gehören, sondern den Apotheken zugeordnet werden könnten. Der Insolvenzverwalter der AvP hat solche Aussonderungsrechte jedoch bisher nur wenigen Apotheken in Spezialfällen gewährt. Bei den meisten Apotheken erweisen sich die Abtretung der Forderungen an AvP und die Vermischung der Abrechnungsgelder zwischen den Apotheken und mit den Mitteln von AvP als Hindernisse. Um die rechtlichen Fragen zu klären, sollten Musterprozesse geführt werden.  

Wenn jedoch sehr viele Apotheken mit hohen Forderungen Aussonderungsrechte hätten, ihnen aber nur wenige andere Gläubiger mit vergleichsweise geringen Forderungen gegenüberstehen, verlieren mögliche Aussonderungsrechte ihre wirtschaftliche Bedeutung. Ein Vorrecht gegenüber einer kleinen Gruppe mit geringen Forderungen ist wirtschaftlich uninteressant. (tmb)