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Entscheidungsgründe zu Apotheken-Boni liegen vor

BERLIN (ks). Der Bundesgerichtshof (BGH) hat vergangene Woche die Entscheidungsgründe von vier seiner fünf am 9. September 2010 verkündeten Urteile zu Apotheken-Boni veröffentlicht. Auch die Gründe für den im Verfahren gegen die niederländische Europa Apotheek Venlo ergangenen Vorlagebeschluss an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe liegen nunmehr schriftlich vor.

In sechs Streitverfahren hatte der BGH vor einem guten Monat zu entscheiden. Sie alle betrafen in unterschiedlicher Ausgestaltung die Frage, ob und in welchem Umfang Apotheken bei der Abgabe preisgebundener Arzneimittel ihren Kunden Boni bzw. Gutscheine gewähren dürfen. Was die Fälle der in Deutschland ansässigen Apotheken betrifft, konnten die Karlsruher Richter ihre letztinstanzlichen Urteile fällen.

Nicht jeder Verstoß wettbewerbsrechtlich relevant

Danach liegt ein Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung auch dann vor, wenn für das preisgebundene Arzneimittel zwar der korrekte Preis angesetzt wird, dem Kunden aber gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen. Die einschlägigen Preisbestimmungen der Arzneimittelpreisverordnung i.V.m. dem Arzneimittelgesetz stellen Marktverhaltensregelungen im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) dar und ein Verstoß gegen sie kann damit einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassunganspruch begründen. Nach § 4 Nr. 11 UWG handelt unlauter, "wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln". Dennoch: Nicht jedes Abgehen von den fixen Preisen ist zwingend wettbewerbsrechtlich zu beanstanden. "Spürbar beeinträchtigt" seien die Interessen der Mitbewerber nämlich dann nicht, wenn das beanstandete Verhalten sich in den Grenzen des § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG) hält, der neben den Preisvorschriften anwendbar ist. In dieser Norm finden sich die Voraussetzungen, unter denen für den Bereich der Arzneimittel Werbegaben zulässig sind. Das ist etwa der Fall, wenn es sich um eine "geringwertige Kleinigkeit" handelt. In diesem Rahmen sind dem BGH zufolge durchaus auch geldwerte Gutscheine und Boni zulässig. Wo genau hier allerdings die Grenze zu ziehen ist, bleibt vage. Die sogenannten "Engel-Taler" (Az.: I ZR 125/08) einer Darmstädter Apotheke, die einen Wert von 40 Cent hatten, ließ der BGH ebenso als zulässig durchgehen wie die Offenburger "Douglas-Taler" (Az.: I ZR 26/09) mit einem geschätzten Wert von 50 Cent. Bei einer Publikumswerbung mit einer Werbegabe im Wert von fünf Euro – wie sie die Apotheken in zwei weiteren Fällen offerierten – handelt es sich dem BGH zufolge dagegen nicht mehr um eine solche "geringwertige Kleinigkeit" (Az.: I ZR 193/07 und I ZR 37/08). Zu beachten ist jedoch, dass Aufsichtsbehörden die Möglichkeit haben, Verstöße gegen arzneimittelrechtliche Preisvorschriften unabhängig von der Frage, ob Werbegaben wettbewerbsrechtlich zulässig sind oder nicht, verwaltungsrechtlich zu unterbinden.

Ein Fall für das deutsche Preisrecht?

In einem der BGH-Fälle ging es zudem nicht nur um die Zulässigkeit der Boni an sich, sondern um die Frage, wie mit derartigen Rabatten ausländischer Versandapotheken umzugehen ist. Im Blickpunkt stand dabei die Werbung der Europa Apotheek Venlo. Sie verspricht ihren Kunden einen Bonus von 2,50 bis zu höchstens 15 Euro je verordneter Packung. Doch ist das deutsche Preisrecht hier einschlägig? Der BGH ist der Auffassung, dass dies der Fall ist. Da das Bundessozialgericht (BSG) in einem anderen Fall (Urteil vom 28. 7. 2008, Az.: B 1 KR 4/08 R) jedoch schon einmal entschieden hat, dass das deutsche Arzneimittelpreisrecht nicht für im Wege des Versandes nach Deutschland eingeführte Arzneimittel gilt, musste der BGH den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes anrufen. Dieser hat bei abweichenden Entscheidungen Oberster Gerichte das letzte Wort, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu wahren.

Die Entscheidungen im Volltext


Das als Leitsatzentscheidung ergangene Urteil – es betrifft ein von der Wettbewerbszentrale geführtes Verfahren gegen eine Schweinfurter Apotheke, die für jedes Rezept, das im Wege des Versands eingelöst wird, einen Gutschein von fünf Euro versprach –, das Urteil zu den "Douglas-Talern" sowie den genannten Beschluss finden Sie im Volltext auf DAZ.online (www.deutsche-apotheker-zeitung.de, Service-Rubrik "DAZ.online Recht").


Das BSG hatte im Juli vor zwei Jahren über die Frage entschieden, ob eine holländische Versandapotheke, für ihre nach Deutschland verschickten Medikamenten einen Anspruch auf Herstellerrabatt nach § 130 a SGB V hat. In diesem Zusammenhang führten die Kasseler Richter aus, dass derartige nach Deutschland importierte Arzneimittel nicht dem deutschen Preisrecht unterlägen und somit die Apotheke auch keinen Rabatt von den Herstellern einfordern könne. Das BSG argumentierte, dass die Arzneimittel-Preisvorschriften als klassisches hoheitliches Eingriffsrecht schon nach dem völkerrechtlichen Territorialitätsprinzip nicht auf Arzneimittel anwendbar seien, die sich außerhalb des Inlands befinden. Es ergebe sich kein Anhaltspunkt dafür, dass das Arzneimittelgesetz oder die Arzneimittelpreisverordnung insoweit Geltungskraft außerhalb Deutschlands hätten. Die Folge davon sei, dass auch Importeure von Arzneimitteln ihre Abgabepreise frei bestimmen dürften. Davon ausgehend, so das BSG, müsste speziell im Arzneimittelrecht etwas Abweichendes geregelt sein, wenn beim Import von Arzneimitteln durch Internetapotheken an den Endverbraucher die deutschen Preisvorschriften eingreifen sollten. Daran fehle es.

BGH widerspricht BSG-Argumentation

Ausführlich setzt sich der BGH in seinem Beschluss (Az.: I ZR 72/087) mit der Argumentation des BSG auseinander. Punkt für Punkt begründet er detailliert, warum er sich dieser nicht anschließen kann. So folgt er dem BSG beispielsweise schon darin nicht, dass eine Anwendbarkeit der deutschen Preisvorschriften für eingeführte Arzneimittel mangels einer speziellen Regelung im Arzneimittelrecht ausgeschlossen sein soll. Die Karlsruher Richter verweisen hier auf § 73 Abs. 4 Satz 2 AMG (§ 73 AMG trifft Regelungen zum Verbringungsverbot): Nach dieser Bestimmung finden auf im Wege der Einzeleinfuhr eingeführte Arzneimittel nur die dort im Einzelnen aufgeführten Vorschriften des Arzneimittelgesetzes Anwendung. Zu diesen wenig anzuwendenden Vorschriften zählt auch die Bestimmung des § 78 AMG, sodass die Regelungen des deutschen Arzneimittelpreisrechts gelten. Wenn aber sogar bei diesen einzelimportierten Arzneimitteln, die ansonsten vom deutschen Arzneimittelrechtsregime weitgehend freigestellt sind, das deutsche Preisrecht gelte, könne für die im Wege des grenzüberschreitenden Versandhandels eingeführten Arzneimittel kaum etwas anderes gelten, so der BGH.

Die Karlsruher Richter widersprechen zudem der vom BSG gezogenen Parallele zu Re- und Parallelimporten. Weiterhin legen sie dar, dass Regelungen mit extraterritorialer Wirkung – wie hier die Preisvorschriften – nach dem Marktortprinzip zulässig sind, wenn sie einen hinreichenden Bezug zum eigenen Souveränitätsbereich aufweisen. Und diesen sieht der BGH beim Versand von Arzneimitteln an Endverbraucher in Deutschland klar gegeben. Auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zur Modernisierung des Gesundheitssystems (GMG), mit dem seinerzeit der Versandhandel mit Arzneimitteln erlaubt wurde, lässt dem BGH zufolge darauf schließen, dass der Gesetzgeber für den grenzüberschreitenden Versandhandel bewusst gerade keine Ausnahme von der Preisbildung wollte.

Nun darf man gespannt warten, ob die Argumente des BGH auch beim Gemeinsamen Senat auf offene Ohren stoßen.

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