Recht

Rabatte, Gutscheine, Boni & Co.

Was ist erlaubt, was ist verboten?

DAZ-Interview mit Elmar J. Mand zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs

Am 9. September hat der Bundesgerichtshof (BGH) in mehreren Urteilen entschieden, dass Apotheken bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel wettbewerbsrechtlich nur in sehr engen Grenzen Gutscheine und Bonustaler an ihre Kunden abgeben dürfen. Ausländische Versandapotheken, die Arzneimittel nach Deutschland liefern, müssen nach Auffassung der Karlsruher Richter das deutsche Arzneimittelpreisrecht beachten. In dieser Frage hat jetzt der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe das letzte Wort. Die BGH-Entscheidungen haben für Aufsehen gesorgt und zum Teil auch zu Unsicherheiten geführt. Im DAZ-Gespräch mit Christian Rotta zeigt Professor Elmar J. Mand Hintergründe und Konsequenzen der BGH-Entscheidungen auf. Mand ist Professor für Zivil- und Gesundheitsrecht an der Universität Marburg und Autor zahlreicher gesundheitsrechtlicher Publikationen (u. a. zusammen mit Heinz-Uwe Dettling: Fremdbesitzverbote und präventiver Verbraucherschutz).
Prof. Dr. Elmar J. Mand, LL.M. (Yale), Jahrgang 1973, Studium der Rechtswissenschaften in Marburg und Yale (USA), Leiter der Nachwuchsforschergruppe für Zivil- und Gesundheitsrecht an der Philipps-Universität Marburg, Forschungsschwerpunkte: Gesundheitsrecht, Deutsches und Internationales Wirtschaftsrecht, Europarecht .

DAZ: Herr Professor Mand, was sind die Kernaussagen der Urteile des Kartellsenats des Bundesgerichtshofs?

Mand:

Unser höchstes Zivilgericht, der Bundesgerichtshof, hat sich sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf den internationalen Anwendungsbereich für eine weite Auslegung des einheitlichen Apothekenabgabepreises ausgesprochen: Sachlich ist das Preisrecht für Arzneimittel strikt auszulegen. Rechtspolitisch motivierten Versuchen, den einheitlichen Abgabepreis preisgebundener Arzneimittel in Apotheken durch juristische Argumentationskniffe für Umgehungsstrategien zu öffnen, hat der BGH eine klare Absage erteilt. Nunmehr steht fest: Der Apotheker verstößt nicht nur dann gegen das Preisrecht, wenn er dem Käufer den Preis nachlässt, sondern auch dann, wenn er dem Endverbraucher im Zusammenhang mit dem Kauf preisgebundener Arzneimittel Gutscheine, Bonustaler oder andere wirtschaftliche Vorteile gewährt bzw. verspricht. Entsprechendes gilt innerhalb der Handelsstufen für wirtschaftliche Vorteile, die zur Unterschreitung des einheitlichen Abgabepreises der Hersteller oder des Mindestpreises der Großhändler führen würden.

Zudem möchte der BGH auch ausländische Versandapotheken, die Arzneimittel an Verbraucher in Deutschland liefern, an das deutsche Preisrecht binden. Dies stellt sicher, dass der Wettbewerb auf dem inländischen Apothekenmarkt mit gleich langen Spießen geführt wird. Ich selbst habe mich in mehreren Beiträgen wiederholt für ein solches Abstellen auf das sogenannte Marktortprinzip ausgesprochen und die abweichende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kritisiert. Es freut mich, dass der BGH diesen Standpunkt nunmehr teilt. Und ich bin zuversichtlich, dass der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, der wegen der Divergenzen zwischen BSG und BGH das letzte Wort hat, der Ansicht des höchsten Zivilgerichts folgt.


DAZ: Welche Fragen sind nach den Urteilen noch offen?

Mand:

Nicht entschieden hat der BGH, inwieweit neben Gutscheinen und Bonustalern auch andere Zuwendungen gegen das Preisrecht verstoßen. Ebenso bleibt konkretisierungsbedürftig, wann die Gutscheine und sonstigen Zuwendungen – wie vom BGH für Verstöße gegen das Preisrecht gefordert – an den Erwerb preisgebundener Arzneimittel "gekoppelt" sind. Darüber hinaus hat der BGH, obwohl er das Arzneimittelpreisrecht strikt auslegt, im Wettbewerbsrecht wieder eine kleine Kehrtwende gemacht. Mitbewerber und klagebefugte Verbände können zivilrechtlich gegen rechtswidrige Bonus- und Gutscheinsysteme ihrer Mitbewerber nur dann vorgehen, wenn die Verstöße gegen das Preisrecht die vom BGH befürwortete wettbewerbliche Spürbarkeitsschwelle überschreiten. Wie diese Schwelle exakt zu fassen ist und für welche Arten von Zuwendungen sie gilt, ist unklar.


DAZ: Und welche Zuwendungen verstoßen gegen das Preisrecht?

Mand:

Der BGH hat über Gutscheine und Bonustaler entschieden. Dabei hat er darauf abgestellt, dass diese wie Geld als Tauschmittel für den Erwerb alltäglicher Gegenstände eingesetzt werden konnten. Die Kunden hätten die Gutscheine und Taler daher als Geldersatz angesehen. Konsequenterweise verstoßen meines Erachtens auch Sachprämien gegen das Preisrecht, jedenfalls wenn die Verbraucher aus einem Sortiment alltäglicher Gebrauchsgegenstände auswählen können.


DAZ: Für die Apothekenpraxis ist es auch wichtig zu wissen, wann Zuwendungen "anlässlich" der Abgabe von Rx-Arzneimitteln gewährt werden …

Mand:

Um gegen das Preisrecht zu verstoßen, müssen die Zuwendungen im Zusammenhang mit der Abgabe preisgebundener Arzneimittel angeboten bzw. gewährt werden. Insoweit ist eine funktionale, also zweckorientierte Betrachtung angezeigt. Es kommt darauf an, ob ein unzulässiger Preiswettbewerb durch die Hintertür betrieben werden soll. Gewährt eine Apotheke dem Kunden Vorteile bei einem Erwerb von Rx-Arzneimitteln, besteht aus der maßgeblichen Sicht des Kunden z. B. auch dann ein hinreichender Kaufbezug, wenn die Vorteile formal als Jubiläums-, Geburtstags- oder gar als Besuchsrabatte deklariert werden. Um einen unzulässigen Preiswettbewerb handelt es sich zudem, wenn die Apotheke ihren Service herunterfährt und ihre arzneimittelrechtlich unerwünschte Discount-Qualität mit kleinen Geschenken auszugleichen sucht.

Innerhalb der Handelsstufen besteht auch bei den beliebten Rabatten auf das OTC-Segment, die sich am Umsatz mit preisgebundenen Arzneimitteln orientieren, ein hinreichender Kaufzusammenhang. Auch insoweit gilt also: Die sich auf das Rx-Sortiment beziehenden oder an deren Umsatz anknüpfenden Rabatte dürfen zusammengenommen die maximal zulässige Höhe, d. h. die disponible Großhandelsspanne, nicht übersteigen.


DAZ: Gilt für Verstöße gegen die Arzneimittelpreisverordnung eine Bagatellgrenze?

Mand:

Nein! Der BGH ist hier unmissverständlich: Auch kleinste Preisnachlässe und gleichwertige Zuwendungen verstoßen gegen das arzneimittelrechtliche Gebot einheitlicher Apothekenabgabepreise. Für den einheitlichen Abgabepreis der Hersteller und den Mindestpreis der Großhändler gilt nichts anderes. Die vom BGH in seinen jüngsten Urteilen verlangte "wettbewerbsrechtliche Spürbarkeit" der Übertretung lässt nicht den Rechtsverstoß entfallen, sondern beschränkt lediglich die Klagemöglichkeiten von Konkurrenten und Verbänden.


DAZ: Warum hat der BGH die Möglichkeit von Mitbewerbern und Verbänden, Verstöße gegen das Preisrecht mit eigenen wettbewerbsrechtlichen Klagen anzugreifen, bei geringwertigen Kleinigkeiten eingeschränkt?

Mand:

Das Preisrecht ist öffentliches Recht. Es kann durch Behörden aufsichtsrechtlich und speziell bei den Apotheken durch die Apothekerkammern auch berufsrechtlich durchgesetzt werden. Allerdings können die Behörden nach dem Opportunitätsprinzip selbst ihnen bekannte Verstöße auch einmal wegen Geringfügigkeit unbeanstandet lassen.

Daneben erlaubt Deutschland – anders als viele andere europäische Staaten – auch den Konkurrenten und klagebefugten Verbänden, eigene wettbewerbsrechtliche Unterlassungs- und unter Umständen sogar Schadensersatzansprüche zu stellen, wenn Mitbewerber gegen öffentliche Vorschriften verstoßen, die das Marktverhalten regeln. Um eine solche Marktverhaltensvorschrift handelt es sich auch beim Preisrecht. Weil die Konkurrenten ihre Mitbewerber naturgemäß genau beobachten, sorgt diese Klagemöglichkeit für eine strikte Rechtsdurchsetzung. Nicht zuletzt, um die privaten Klagen nicht gänzlich ausufern zu lassen und den Wettbewerb von allzu kleinlichen Rechtsstreitigkeiten frei zu halten, verlangt das Wettbewerbsrecht als Schranke eine spürbare Beeinträchtigung der Interessen von Marktteilnehmern. Hierauf stützt der BGH seine "Bagatellgrenze".


DAZ: Wo ist Ihrer Ansicht nach die Bagatellgrenze zu ziehen?

Mand:

Nach den bisherigen Entscheidungen steht für Gutscheine und Bonussysteme von Apotheken fest: 1 Euro ist im Wettbewerb nicht spürbar, 5 Euro jedenfalls sind zu viel. Im unklaren Zwischenbereich dürfte die Grenze eher am anderen Ende, d. h. bei 1 Euro, anzusiedeln sein. Denn bei sonst ausgeschaltetem Preiswettbewerb treten selbst geringwertige wirtschaftliche Vergünstigungen leicht ins Bewusstsein der Verbraucher. Gerade in Deutschland muss man erwarten, dass die preisbewussten Verbraucher die Apotheke dann auch tatsächlich wechseln.

Hieraus ergibt sich zugleich die Antwort für die vom BGH nicht genau beantwortete Frage nach dem Bezugspunkt der Schwelle: Meines Erachtens kann es nur auf den Vorteil pro Rezept ankommen, selbst wenn darauf mehrere Arzneimittel verordnet sind. Denn es geht darum, ob ein nicht unerheblicher Teil der Patienten wegen der Vergünstigungen zum Besuch einer bestimmten Apotheke motiviert werden kann. Hiervon ist bei mehr als 1 Euro pro Rezept wohl auszugehen. Anzahl und Preise der verordneten Arzneimittel spielen hingegen eine untergeordnete Rolle, schon weil die meisten Patienten die Kosten der Arzneimittel nicht selbst tragen und allenfalls moderate Zuzahlungen leisten.


DAZ: Gilt die Bagatellschwelle nur für Gutscheine und Bonustaler oder auch für Barrabatte?

Mand:

Der BGH hatte nur die konkreten Fälle zu lösen und hier ging es um Gutscheine und Bonustaler. Ob die Schwelle auch für andere Zuwendungen, insbesondere für Barrabatte und Geldzuwendungen gilt, kann daher nur indirekt aus der Urteilsbegründung geschlossen werden. Insoweit bleiben Ungewissheiten: Stellt man auf den Zweck der Bagatellgrenze ab, den Wettbewerb und die Gerichte vor allzu kleinlichen Klagen zu bewahren, müsste man die Schwelle eigentlich auch auf Barrabatte anwenden. Konkretisiert man die Schwelle hingegen anhand des Heilmittelwerberechts, wie es der BGH getan hat, dann wären Barrabatte auch bei Geringwertigkeit verboten. Schließlich erlaubt das Werberecht Barrabatte im Gegensatz zu sonstigen Zuwendungen explizit und vorbehaltlos nur in den Grenzen des Preisrechts. Ob der BGH bei Barrabatten tatsächlich auf die Wertungen des Heilmittelwerberechts zurückgreift, ist jedoch keineswegs sicher.

Mich persönlich überzeugt schon der Ansatz nicht, die Spürbarkeitsschwelle bei Verstößen gegen das Preisrecht mithilfe des Heilmittelwerberechts zu konkretisieren. Das Preisrecht will jeden Preiswettbewerb auf der Apothekenstufe ausschalten, um eine flächendeckende Akutversorgung mit Arzneimitteln auch in ländlichen Gebieten sicherzustellen. Dagegen möchte das Werberecht und insbesondere die vom BGH bei Gutscheinen und Bonustalern angewendete Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Heilmittelwerbegesetz primär unsachliche Beeinflussungen der Endverbraucher verhindern. Dies erklärt auch die werberechtliche Zulässigkeit kleiner Geschenke: Diese trüben die Rationalität der Kaufentscheidung nämlich nicht. Allerdings können kleine, aber systematisch gewährte Geldgutscheine oder Bonustaler den preisbewussten, rational handelnden Verbraucher durchaus zum Wechsel der Apotheke motivieren. Warum dieser vom Preisrecht nicht gewollte Effekt hinzunehmen sein soll, nur weil die aus ganz anderen Gründen geltende Unsachlichkeitsgrenze des Werberechts nicht erreicht wird, leuchtet nicht recht ein.


§ 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG)


(1) Es ist unzulässig, Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren oder als Angehöriger der Fachkreise anzunehmen, es sei denn, dass

1. es sich bei den Zuwendungen oder Werbegaben um (…) geringwertige Kleinigkeiten handelt;

2. die Zuwendungen oder Werbegaben in

a) einem bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrag oder

b) einer bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Menge gleicher Ware gewährt werden;

Zuwendungen oder Werbegaben nach Buchstabe a sind für Arzneimittel unzulässig, soweit sie entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die aufgrund des Arzneimittelgesetzes gelten; Buchstabe b gilt nicht für Arzneimittel, deren Abgabe den Apotheken vorbehalten ist;

(…)


DAZ: Einige Apothekerkammern haben angekündigt, auch kleinste Verstöße gegen das Preisrecht zu sanktionieren …

Mand:

Berufsrechtliche Sanktionen bei Verstößen gegen Marktverhaltensnormen, die gar nicht am Markt spürbar sind, könnten das Grundrecht der Berufsfreiheit unverhältnismäßig beschränken. Tatsächlich ist zu erwarten, dass sich betroffene Apotheker auf ihre Berufsfreiheit berufen werden. Angesichts der liberalisierenden Tendenz der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Chancen zu obsiegen wohl auch nicht schlecht. Sicher ist ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Berufsfreiheit aber keineswegs. Wegen der geringen Marktwirkungen scheint nämlich nicht nur die Sanktionierung kleiner Verstöße möglicherweise unverhältnismäßig. Auch umgekehrt gilt: Sind die Wirkungen des Verbots der Wertreklame so klein, berührt deren Beschränkung die Berufsfreiheit allenfalls marginal. Die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit des Verbots sind entsprechend niedrig. Überdies dient die wettbewerbsrechtliche Spürbarkeitsschwelle – wie erwähnt – auch und gerade dazu, die Zivilgerichte zu entlasten. Dieser Aspekt spielt im Berufsrecht keine Rolle.


DAZ: Sollten die Apothekerkammern im Rahmen des Opportunitätsprinzips Ihrer Meinung nach auf eine Verfolgung kleiner Verstöße verzichten?

Mand:

Die rigide Durchsetzung des Rechts als solche ist weniger problematisch. Probleme bereitet die sich abzeichnende unterschiedliche Verfolgungspraxis. Gehen nur einige Kammern gegen kleinere Verstöße vor, kann es zu Ungleichbehandlungen kommen. Dies wäre gerade bei überörtlich agierenden Apotheken misslich, auch wenn der BGH die Marktwirkungen nicht für spürbar genug hält, um wettbewerbsrechtliche Klagen zu rechtfertigen. Zudem drohen Ungleichbehandlungen gegenüber ausländischen Apotheken, weil hier die behördlichen Zuständigkeiten fraglich und die Durchsetzungsmöglichkeiten erschwert sind.


DAZ: Wann wird es Rechtssicherheit geben?

Mand:

Die noch offenen Fragen zur exakten sachlichen Reichweite des Preisrechts und der wettbewerbsrechtlichen Grenzen für zivilrechtliche Klagen dürften die Gerichte noch über die kommenden Jahre hinweg beschäftigen. Was die Bindung ausländischer Apotheken an das deutsche Preisrecht angeht, sollten wir nach den bisherigen Erfahrungen bereits in einigen Monaten, jedenfalls in einem Jahr, mit einer klärenden Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes rechnen können.


DAZ: Herr Professor Mand, wir danken Ihnen für das Gespräch!

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