Vitalpilz Lion‘s Mane - Social Media Hype oder nachweislich wirksam?

„Essen Sie Lion‘s Mane Pulver jeden Morgen und Sie werden innerhalb kürzester Zeit ….“ – an der Stelle lässt sich nun Verschiedenes einfügen, denn der „Löwenmähne“ als Nahrungsergänzungsmittel werden eine ganze Reihe wunderbarer Kräfte zugeschrieben. In den sozialen Medien wie TikTok, Instagram, Facebook und Co. kursieren diverse Beiträge, welche die Eigenschaften – des seit dem chinesischen Altertum bekannten Pilzes – hervorheben.

Die Angaben reichen von „Muskulatur aufbauen“ bis zu „Gehirnbooster“. Lion’s Mane ist die vor allem im angloamerikanischen Raum verwendete Bezeichnung für den Saprophyten, den totes organisches Material zersetzenden Pilz Hericium erinaceus. Im Deutschen ist der Name Igelstachelbart gebräuchlicher oder auch Affenkopfpilz oder eben Löwenmähne. Japaner kennen ihn als Yamabushitake („Bergaffen-Pilz“) und die Franzosen als „Pom-Pom-Blanc“ (also „weißer Bommel“). Die lateinische Artbezeichnung eri­naceus leitet sich vom Igel ab. Denn: „Erinaceus“ ist die Gattung der Kleinohrigel. Im Chinesischen heißt er hóu tóu gū, was übersetzt auch „Affenkopfpilz“ heißt.

Der Pilz wächst wild auch in Deutschland, gilt aber als sehr selten. Er steht auf der roten Liste der Pilze als stark gefährdete Art und darf daher wild nicht geerntet werden. Er ist in ganz Europa weit verbreitet, kommt aber selten vor. Allerdings lässt er sich gut züchten, so dass er insbesondere als Nahrungsergänzungsmittel in zahlreichen Online-Shops in allen möglichen Darreichungsformen in großer Menge verfügbar ist.

Der Pilz ist ein sogenannter Weißfäule-Pilz. Er zersetzt das Holz toter Laubbäume insbesondere von Eichen und Buchen, seltener auch von Birken und Ahorn und lebt vom darin enthaltenen Lignin. Selten besiedelt er abgestorbene Äste an lebenden Bäumen. Der größte Teil des Pilzes, das Myzel, wächst bis zu 40 Jahre in den verrottenden Bäumen – namensgebend ist der markante Fruchtkörper, der wie eine Ansammlung weißer Stacheln aussieht (die Igel-Analogie) oder auch wie eine wilde Löwenmähne aufgrund der insgesamt rundlichen Form (oder eben wie ein „weißer Bommel“). Züchten lässt er sich recht anspruchslos auf einem Substrat aus pflanzlichen Abfallstoffen aller Art – vom Sägemehl über Papier bis zu Baumwollabfällen. Angeboten wird er frisch und in Form von Kapseln, Tabletten, getrocknetem Pilz, als Pulver oder auch Flüssigextrakt zur Nahrungsergänzung.

Welche Rolle spielt der Pilz in der Medizin?

In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) (und in Japan) ist der Pilz seit langer Zeit bekannt.
Traditionell gilt er als:

  • nahrhaft für die fünf inneren Organe – Leber, Lunge, Milz, Herz und Niere,
  • verdauungsfördernd; er soll gegen Magen-Darm-Beschwerden helfen,
  • kognitiv und neurologisch unterstützend – er soll die geistige Klarheit fördern und die Konzentration, (dazu setzten ihn etwa buddhistische Mönche traditionell ein),
  • die allgemeine Vitalität fördernd: Lion’s Mane soll das Qi (Lebensenergie) stärken, Langlebigkeit fördern und verjüngend wirken,
  • das Immunsystem stärken und Entzündungen hemmen.

Diese Eigenschaften werden dem Vital­pilz auch in den modernen sozialen Medien zugeschrieben und entsprechend als Werbung für Kapseln und/oder Pulver als Nahrungsergänzungsmittel genutzt.

Darüber hinaus sollen seine Inhaltsstoffe auch antitumorielle, hämagglutinierende, cytotoxische und immunmodulatorische Wirkung haben.
Unter den Inhaltsstoffen sind:

  • Beta-Glucan-Polysaccharide (als Bestandteil der Zellwände) – sie sollen den Fettstoffwechsel und das Immunsystem günstig beeinflussen,
  • Ergothionein – ein Antioxidans,
  • und die nach der Gattung Hericium benannten Triterpene Hericenone, Erinacine und Hericerin.

Neuroprotektiv, antimikrobiell und immunmodulatorisch?

Bislang gibt es keine zugelassenen Arzneimittel, die auf H. erinaceus oder seinen Inhaltsstoffen basieren. Allerdings wurden seine angeblichen Gesundheitswirkungen in zahlreichen wissenschaftlichen Studien und Forschungsarbeiten untersucht. Die Ergebnisse einiger Studien konnten biologisch aktive Substanzen im Igelstachelbart nachweisen. Allerdings betonen Forschende der Federal Universität (Rio de Janeiro) in einem aktuellen, in Nutrients veröffentlichten Review: „Während präklinische und In-vitro-Studien seine neuroprotektiven, antimikrobiellen und immunmodulatorischen Eigenschaften nachgewiesen haben, sind groß angelegte, gut kontrollierte klinische Studien unerlässlich, um diese Wirkungen an Menschen zu bestätigen“.

In einem anderen Review – veröffentlicht in Food Science and Human Wellness – kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass es zwar eine ganze Reihe bioaktiver Substanzen in dem Pilz gebe, diese aber zum Teil noch nicht ausreichend erforscht seien und/oder die Extraktionsmethoden im Labor nur schwer auf industrielle Produktion übertragbar seien. Ferner seien etliche der Substanzen chemisch instabil – was grundsätzlich auch die mögliche Wirksamkeit von Pulvern und Kapseln in Frage stellt.
Für einzelne Komponenten wie die als neuroprotektiv geltenden Erinacine gibt es Hinweise für mögliche Wirkmechanismen.

Ergebnisse eines neueren Reviews – veröffentlicht in Frontiers – deuten darauf hin, dass Erinacine und Extrakte aus H. erinaceus im Tier- und Zellversuch neuroprotektiv wirken könnten. Dies soll laut den Forschern hervorgerufen werden, indem Zellüberlebensfaktoren hoch und oxidativer Stress und neuroinflammatorische Signalwege herunter reguliert werden. Die Erinacin-Verbindungen sollen zum Beispiel Nuclear-factor-erythroid-2-related-factor-2(Nrf2)-Signalwege aktivieren. Nrf2 ist dabei ein Transkriptionsfaktor, der antioxidative Reaktionen reguliert. Außerdem zeigte Erinacin S analgetische Wirkungen bei neuropathischen Schmerzen. Laut den Forschern Jiang et al. gibt es Erkenntnisse aus diversen Studien, dass Extrakte aus Fruchtkörpern, Myzel und Kulturmedien beziehungsweise isolierte Inhaltsstoffe wie Hericenone im Tierversuch die Expression von Zytokinen regulieren, was wiederum das Zellwachstum und Entzündungsgeschehen beeinflussen kann.

Und tatsächlich erwies sich eine täg­liche Supplementierung mit Erinacin-A-angereichertem Pilzextrakt bei 33 Probanden in einer kleinen randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Pilotstudie als positiv (Bizjak et al.). Die Forscher testeten die Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten mit Hilfe von zwei nonverbalen Geschwindigkeitstests. In der Kontroll­gruppe zeigte sich eine signifikante Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten. Außerdem verbesserte der Extrakt die Diversität der Darmmikrobiota. In einer weiteren kleinen Pilotstudie (Docherty et al.) mit 41 gesunden Erwachsenen im Alter von 18 bis 45 Jahren, verbesserte sich durch die tägliche Einnahme von dreimal täglich 600 mg H.-erinaceus-Extrakt das subjektive Stressempfinden der Teilnehmer nach 28 Tagen. Demnach gibt es Hinweise darauf, dass der Pilz sowie seine Inhaltsstoffe gesundheitsfördernde Wirkungen besitzen – abschließende Evidenz gibt es bislang aber wenig.

Gibt es Risiken oder unerwünschte Wirkungen?

Generell sind auch die Forschungen zu unerwünschten Wirkungen noch am Anfang. Es gibt Hinweise darauf, dass es Wechselwirkungen mit blutverdünnenden Arzneimitteln geben könnte – und die Einnahme von H.-erinaceus-Präparaten dann vermieden werden sollte. Außerdem gibt es Berichte über leichte gastrointestinale Beschwerden wie Bauchschmerzen, Übelkeit, Durchfall und Allergien. Wer eine bekannte Allergie hat, sollte den Pilz in keiner Darreichungsform zu sich nehmen. Ob der Extrakt lebertoxisch wirkt, wurde noch nicht abschließend geklärt.

Auch kulinarisch ein Genuss

Abgesehen von seiner traditionell-medizinischen oder möglichen medizinischen Verwendung gilt der Löwenmähnen-Pilz als echte Delikatesse. Er kann in Würfel geschnitten in Butter oder Öl angebraten werden und soll angenehm, aber nicht zu sehr nach Pilz schmecken. Einige beschreiben Konsistenz und Geschmack als dem von Meeresfrüchten ähnelnd. Als Scheiben geschnitten lässt sich aus dem Fruchtkörper auch ein „veganes Steak oder Schnitzel“ zubereiten – paniert oder unpaniert. Auch dazu gibt es in den sozialen Medien eine ganze Reihe von Rezepten.

Gekauft werden können die frischen Pilze in Online-Shops und seltener in Asia-Läden. Man sollte beim Kauf darauf achten, dass es sich um Zuchtpilze handelt (diese gibt es auch in Bio-Qualität) – da der Pilz geschützt ist, sollte er nicht in der Natur gesammelt werden, wo er ohnehin nur selten zu finden ist. Der Pilz hat einen durchaus hohen Nährwert: in 100 Gramm getrocknetem Pilz sind 22,3 Gramm Rohprotein, 3,5 Gramm Fett und 64,8 Gramm Kohlenhydrate enthalten – also kann er als „proteinreich“ gelten. Unter den enthaltenen Zuckern (Arabitol, Glucose, Mannitol, Myo-Inositol und Trehalose) sticht der Arabitol-Gehalt hervor. Überdurchschnittlich hoch ist auch der Gehalt an freien Aminosäuren, insbesondere an essenziellen, mit Ausnahme von Methionin und Tryptophan.

Literatur

Bizjak MC, Pražnikar ZJ, Kenig S et al. Effect of erinacine A-enriched Hericium erinaceus supplementation on cognition: A randomized, double-blind, placebo-controlled pilot study, Journal of Functional Foods, Volume 115, 2024, https://doi.org/10.1016/j.jff.2024.106120
Contato AG, Conte-Junior CA. Lion’s Mane Mushroom (Hericium erinaceus): A Neuroprotective Fungus with Antioxidant, Anti-Inflammatory, and Antimicrobial Potential—A Narrative Review. Nutrients. 2025; 17(8):1307. https://doi.org/10.3390/nu17081307
Docherty S, Doughty FL, Smith EF. The Acute and Chronic Effects of Lion‘s Mane Mushroom Supplementation on Cognitive Function, Stress and Mood in Young Adults: A Double-Blind, Parallel Groups, Pilot Study. Nutrients. 2023 Nov 20;15(22):4842. doi: 10.3390/nu15224842. PMID: 38004235
Jiang S, Wang S, Sun Y, Zhang Q. Medicinal properties of Hericium erinaceus and its potential to formulate novel mushroom-based pharmaceuticals. Appl Microbiol Biotechnol. 2014 Sep;98(18):7661-70. doi: 10.1007/s00253-014-5955-5
Lion’s Mane. LiverTox: Clinical and Research Information on Drug-Induced Liver Injury; Stand: 5. Januar 2024, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK599740
Spangenberg ET , Moneypenny A, Bozzo GG, Perreault ML. Unveiling the role of erinacines in the neuroprotective effects of Hericium erinaceus: a systematic review in preclinical models; Frontiers in Pharmacology; Volume 16 – 2025; www.frontiersin.org/journals/pharmacology/articles/10.3389/fphar.2025.1582081
Thongbai B, Rapior S, Hyde KD et al. Hericium erinaceus, an amazing medicinal mushroom. Mycol Progress 14, 91 (2015). https://doi.org/10.1007/s11557-015-1105-4
Qiu Y, Lin G, Liu W et al. Bioactive compounds in Hericium erinaceus and their biological properties: a review, Food Science and Human Wellness, Volume 13, Issue 4, 2024, Pages 1825-1844, https://doi.org/10.26599/FSHW.2022.9250152

* Die Auszeichnung der Löwenmähne zum Pilz des Jahre 2026 wurde am 6. Oktobr 2025 ergänzt.