Bei Begleiterkrankungen umfassend beraten
Apothekerinnen und Apotheker sollten bei der Abgabe von apothekenpflichtigen und verschreibungspflichtigen Arzneimitteln für andere Indikationen auf mögliche Interaktionen und Auswirkungen auf die Darmerkrankung achten.
Als Ursache chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen (CED) wird eine multifaktorielle Genese angenommen. Es kommt durch ein Zusammenspiel von verschiedenen Risikofaktoren wie genetischer Prädisposition, Umweltfaktoren, Ernährung oder Störungen im Darmmikrobiom zu einer defekten Darmbarriere und einer fehlregulierten intestinalen Immunantwort. Die Folgen sind chronische und oft schubweise auftretende Entzündungsreaktionen im Gastrointestinaltrakt. Klinisch zeigen die betroffenen Patienten zum Teil blutige Durchfälle, Bauchschmerzen oder Fieber, häufig verlieren sie an Gewicht, leiden unter Malnutrition oder entwickeln eine Anämie. In den letzten 20 Jahren sind durch die Einführung und rasante Weiterentwicklung der Biologika-Therapien (z. B. TNF-alpha-Antikörper, IL-23-Antikörper, Integrin-Antagonisten, JAK-Inhibitoren) signifikante Fortschritte in der Behandlung erzielt worden, die vielen Betroffenen zu einer steroidfreien klinischen und endoskopischen Remission verhelfen [1 – 3].
Oral oder parenteral?
Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa entwickeln infolge der chronischen Entzündung sowie der verminderten Resorption im Darm häufig einen Mangel an Vitaminen und Spurenelementen, der zu klinischen Symptomen und einer verminderten Lebensqualität führen kann [2, 3]. Etwa jeder fünfte ambulant behandelte Patient leidet an einer Anämie, wobei Eisenmangel die häufigste Ursache ist. Um dieses Defizit zu beheben wird Eisen vermehrt parenteral verabreicht, da die orale Substitution von Eisen-II-Präparaten mit gastrointestinalen Nebenwirkungen assoziiert ist. Insbesondere intravenöse Eisen-Carboxymaltose ist im Vergleich zur oralen Eisen-II-Gabe weniger mit Nebenwirkungen und Therapieabbrüchen bei CED verbunden [2 – 4].
Seit einigen Jahren ist mit Eisen-III-Maltol eine neue orale Option bei milder bis moderater Anämie (Hb ≥ 9,5 g/dl) bei inaktiver CED verfügbar, die bei Unverträglichkeit gegenüber Eisen-II-Präparaten angewendet werden kann [5]. Zudem wird bei Patientinnen und Patienten häufig ein Vitamin-B12- und unter Sulfasalazin-Therapie ein Folsäure-Mangel festgestellt. Folsäure bei makrozytärer Anämie und Vit-amin B12 bei Mangelernährung können peroral substituiert werden. Liegt die Ursache für den Mangel jedoch in einer Ileozökalresektion, bei der Teile des distalen Dünndarms entfernt wurden oder in einer Entzündung des terminalen Ileums, sollte Vitamin B12 parenteral verabreicht werden, da die intestinale Aufnahme reduziert ist.
Vitamin-D3-Mangel ausgleichen
Bei Patienten mit chronisch-entzündlicher Darmerkrankung sind die 25-Hydroxy-Vitamin-D3-Spiegel häufig erniedrigt, insbesondere durch Entzündungen oder Operationen des Dünndarms, bei Mangelernährung oder nach einer systemischen Glucocorticoid-Therapie. Ein niedriger Vitamin-D3-Spiegel kann das Risiko für einen erneuten Schub, sowie das Langzeitrisiko für Osteoporose erhöhen und sollte daher ausgeglichen werden [2, 3]. Gerade unter einer Glucocorticoid-Therapie sollte Vitamin D3 täglich oral supplementiert werden. Empfohlen werden bei Erwachsenen 1500 bis 2000 IE pro Tag [6]. Darüber hinaus können die Spurenelemente Zink und Selen die Regeneration der Darmschleimhaut unterstützen. Bei Patienten im akuten Schub bzw. bei anhaltenden Durchfällen kann zudem neben einem adäquaten Ausgleich des Flüssigkeitsdefizits auch eine Elektrolyt-Gabe vorübergehend indiziert sein.
Pharmakologie Update
Mesalazin gehört zur Gruppe der Aminosalicylate (5-Aminosalicylat, 5-ASA) und wird bei Colitis ulcerosa mit leichter bis mittlerer Aktivität eingesetzt. Erhältlich ist der Wirkstoff in verschiedenen Darreichungsformen wie Tabletten, Suppositorien, Klysmen oder als Schaum. Bei dem verwandten Wirkstoff Sulfasalazin wird 5-ASA erst durch bakterielle Spaltung im Dickdarm freigesetzt. 5-ASA wirkt lokal antiphlogistisch, hauptsächlich im Darmlumen – wie genau, ist noch nicht abschließend geklärt. Vermutet wird, dass es den γ-Subtyp des peroxisomal proliferator activated receptor (PPARγ) beeinflusst und den Prostaglandingehalt der Darmschleimhaut moduliert. Durch Hemmung des Transkriptionsfaktors
NF-κB und der 5-Lipoxygenase könnte er möglicherweise die Zytokinproduktion und die Leukotriensynthese reduzieren. Zudem wird 5-ASA als Radikalfänger reaktiver Sauerstoffspezies diskutiert [10].
Ernährung und Malnutrition
Das Risiko für eine eingeschränkte Nahrungsaufnahme und Mangelernährung steigt mit zunehmender Krankheitsaktivität und Funktionseinschränkungen des Magen-Darm-Trakts. Malnutrition ist insbesondere beim Morbus Crohn mit einem erhöhten Risiko von Komplikationen, Hospitalisierungen und einem höheren Infektionsrisiko assoziiert.
Eine adäquate Kalorienzufuhr und Versorgung mit Makro- und Mikronährstoffen verbessert dagegen die Ergebnisse und sollte daher Teil eines ganzheitlichen Therapiekonzepts sein. Ist dies durch die normale Nahrungsaufnahme nicht möglich, kann eine unterstützende Gabe von oralen hochkalorischen Trinklösungen oder eine Anreicherung der Nahrung mit Proteinpulver hilfreich sein. Hierbei sind bei der Auswahl die häufig sekundär bei CED auftretenden Laktose- oder Fruktose-Unverträglichkeiten zu beachten. Bei pädiatrischen Patienten mit Morbus Crohn wird die sogenannte exklusive enterale Ernährung (EET) auch zur Remissionsinduktion im akuten Schub eingesetzt und ist hinsichtlich des Therapieerfolgs den systemischen Glucocorticoiden gleichwertig. Eine mögliche Alternative zur exklusiven enteralen Ernährung sind partielle enterale Ernährungstherapien (PET), bei denen nur ein Teil der Kalorien über Trinknahrung abgedeckt wird, zusätzliche Nahrungsaufnahme aber erlaubt ist.
Neuere, auch in der Erwachsenenmedizin praktizierte Ansätze wie die Crohn’s Disease Exclusion Diet (CDED) kombinieren die enterale Ernährung mit einer Ausschlussdiät, die bestimmte Lebensmittel und Nahrungsbestandteile wie Emulgatoren vermeidet und die Ernährung mit einer speziellen Trinknahrung ergänzt [7].
Ibuprofen ist tabu
Die differenzierte Beratung zu Analgetika für häufige Indikationen wie Kopfschmerzen oder orthopädische Beschwerden sowie für CED-assoziierte Schmerzen des Abdomens oder der Gelenke ist bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen besonders wichtig. Es ist gut belegt, dass die Einnahme von nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAID) nicht nur medikamentös-induzierte Darmentzündungen, sondern bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa auch akute Schübe auslösen kann. Daher sollten NSAID laut den Leitlinien bei CED nicht eingesetzt werden [2, 3]. Paracetamol, Metamizol, Spasmolytika, COX-2-Hemmer und auch niedrig potente Opioide zeigen ein deutlich besseres Nebenwirkungsprofil und sind daher zu bevorzugen.
Rauchstopp zahlt sich aus
Es ist durch Studien gut belegt, dass Rauchen das Risiko für einen Morbus Crohn und einen schweren Krankheitsverlauf signifikant erhöht [2]. Eine unterstützende pharmazeutische Beratung zu den verschiedenen Produkten der Raucherentwöhnung kann daher zur Reduktion der Schubfrequenz und Komplikationen beitragen.
Von Phytotherapie über Probiotika zu Mind-Body-Medicine
Mehr als die Hälfte der CED-Patienten sucht unterstützend Hilfe im Bereich der Komplementärmedizin, die ein breites Spektrum von Phytotherapie, Prä- und Probiotika, traditionelle
chinesische Medizin (TCM) oder auch Entspannungsverfahren und Mind-Body-Medicine umfasst. Auch wenn insgesamt wenige Evidenz-basierte Studien bei CED vorliegen, können komplementärmedizinische Ansätze wie die begleitende Gabe von Curcumin, Boswellia serrata (Weihrauch), Myrrhe-Präparaten oder Heidelbeer-Extrakten bei leichteren Krankheitsverläufen symptomlindernd wirken und den Remissionserhalt unterstützen. Zubereitungen aus Kamille, Fenchel, Anis, Pfefferminz und
Kümmel können hilfreich bei Blähungen oder abdominellen Schmerzen sein, z. B. als Tee oder auch als Öl zur Bauchmassage. Bei Fissuren und Entzündungen im äußeren Analbereich sind Sitzbäder mit Kamille oder Eichenrinde schmerzentlastend und können die Wundheilung fördern. In den deutschen S3-Leitlinien für den Remissionserhalt der Colitis ulcerosa werden auch die Schalen des Indischen Flohsamens (Plantago ovata) empfohlen [3], ebenso bekommt das Thema Mikrobiom zunehmende Bedeutung. Der Einsatz einzelner Bakterienstämme (z. B. Escherichia coli Nissle) bzw. Bakterienkombinationen (sogenannte Multi-Spezies Probiotika) kann bei Patienten mit leichteren Krankheitsverläufen den Remissionserhalt unterstützen. Für E. coli Nissle gibt es eine klare Studienlage bei Patienten mit leichter und mittelschwerer Colitis ulcerosa. Die Anwendung dieses Bakterienstamms induziert und erhält eine Remission vergleichbar gut wie Mesalazin. E. coli Stamm Nissle 1917 wird daher auch von den Leitlinien bei Colitis ulcerosa empfohlen [3]. Auch für VSL-3, ein Gemisch aus verschiedenen Bakterienstämmen (Laktobazillen, Bifidobakterien, Streptococcus thermophilus), werden bei der Colitis ulcerosa und insbesondere bei der Pouchitis positive Effekte beobachtet [8]. Bei Erwachsenen mit M. Crohn wurde die Hefe Saccharomyces boulardii in Kombination im Vergleich zu Mesalazin alleine untersucht. Während der sechsmonatigen Beobachtungsdauer konnte durch die Kombination das Risiko für einen erneuten Schub signifikant reduziert werden [2]. Insgesamt ist die Datenlage zur gezielten Probiotika-Gabe bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen noch dünn und insbesondere bei immunsupprimierten Patienten oder während eines schweren Schubs ist bei der Anwendung Vorsicht geboten.
Impfen nicht vergessen
Für Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen ist insbesondere bei der Einnahme von immunsuppressiven Substanzen und Biologika aufgrund des erhöhten Infektionsrisikos ein ausreichender Impfschutz von besonderer Bedeutung. Dies umfasst nicht nur die Grundimmunisierungen und jährlichen Auffrischimpfungen wie Influenza, sondern bei einigen Biologika auch die Herpes-zoster-Impfung schon bei jungen Patienten. Eine pharmazeutische Impfberatung entsprechend der aktuellen STIKO-Empfehlungen kann hier unterstützen [9]. Zu beachten ist, dass unter einer Biologika-Therapie die Gabe von Lebendimpfstoffen kontraindiziert ist (z. B. Masern, Mumps, Röteln; Gelbfieber).
Auf einen Blick
- Bei Patienten mit leichter und mittelschwerer Colitis ulcerosa wirkt E. coli Nissle vergleichbar gut wie Mesalazin
- Patienten mit CED leiden häufig unter Eisen-, Vitamin-B12-, Folsäure-, Vitamin-D3-, Zink-, und Selen-Mangel.
- Unter einer Glucocorticoid-Therapie sollte Vitamin D3 täglich oral supplementiert werden.
- NSAID wie Ibuprofen sind schubauslösend. Geeignete Analgetika sind u. a. Paracetamol, Metamizol und niedrig potente Opioide.
- Unter einer Biologika-Therapie sind Lebendimpfstoffe kontraindiziert.
Prof. Dr. Julia Seiderer-Nack: Ihr neuer Patientenratgeber zu chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen erscheint im Juni 2025: „Das hilft bei CED: Neue Therapien bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Antientzündlich leben bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa“ (Herbig Verlag, 2025)
Literatur
[1] Jairath V, Feagan BG. Global burden of inflammatory bowel disease. Lancet Gastroenterol Hepatol 2020;5:2-3
[2] Sturm A et al. Aktualisierte S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn“ der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) (Version 4.1) Z Gastroenterol 2024 Aug;62(8):1229-1318
[3] Kucharzik T et al. Aktualisierte S3-Leitlinie Colitis ulcerosa der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) (Version 6.2) Z Gastroenterol 2024;62:769-858
[4] Gordon M, Sinopoulou V, Iheozor-Ejiofor Z et al. Interventions for treating iron deficiency anaemia in inflammatory bowel disease. Cochrane Database Syst Rev 2021;1:Cd013529
[5] Gasche C, Ahmad T, Tulassay Z et al. Ferric Maltol Is Effective in Correcting Iron Deficiency Anemia in Patients with Inflammatory Bowel Disease: Results from a Phase-3 Clinical Trial Program. Inflammatory Bowel Diseases 2014;21:579-588
[6] Thomasius F. DVO Leitlinie 2017 zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen und Männern. Osteologie 2018;27:154-160
[7] Yanai H, Levine A, Hirsch A, Boneh RS, Kopylov U, Eran HB, Cohen NA, Ron Y, Goren I, Leibovitzh H, Wardi J, Zittan E, Ziv-Baran T, Abramas L, Fliss-Isakov N, Raykhel B, Gik TP, Dotan I, Maharshak N. Lancet Gastroenterol Hepatol. 2022 Jan;7(1):49–59
[8] Chapman TM, Plosker GL, Figgitt DP. VSL#3 probiotic mixture: a review of its use in chronic inflammatory bowel diseases. Drugs. 2006;66(10):1371–87
[9] Impfempfehlungen der STIKO 2024, www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2024/Ausgaben/04_24.pdf?__blob=publicationFile
[10] Geisslinger G, Menzel S, Gudermann T, Hinz B, Ruth P. Mutschler. Arzneimittelwirkungen. 11. Auflage 2020, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart