Augen auf bei Nebenwirkungen

Sowohl bei systemisch als auch bei lokal applizierten Wirkstoffen können Nebenwirkungen „ins Auge gehen“. Denn als kleine und stark durchblutete Organe sind die Augen Arzneistoffen gegenüber besonders exponiert [1]. Außerdem treffen im Mikrokosmos Auge viele unterschiedliche Gewebe des Körpers aufeinander, was Arzneistoffen diverse Angriffspunkte bietet [2]: Nervenzellen in der Retina, glatte Muskeln im Inneren und quergestreifte Muskeln am äußeren Auge, Epithelien wie die Hornhaut oder reich durchblutete Areale wie die mittlere Augenhaut (Uvea). Entsprechend zahlreich und vielfältig entfalten lokal und systemisch applizierte Wirkstoffe ihre unerwünschten Wirkungen am Auge (siehe Abb. und Tab. 1). Die Risikofaktoren für das Auftreten solcher Effekte sind alte Bekannte: ein hohes Alter, Polypharmazie sowie eine hohe Dosis und Langzeittherapie [1].

Hinweis: Um alle Fragen des Lernen+Punkten-Fragebogens beantworten zu können, lesen Sie bitte auch die folgenden Artikel: „Gesunder Augenaufschlag“ von Dr. Claudia Bruhn und „Wo ist der Lichtblick im Nebel?“ von Marina Buchheit-Gusmao.

Die richtigen Antworten auf die Fragen zum Lernen und Punkten „Fokus Auge“ sind: 1A, 2C, 3A, 4C, 5A, 6A, 7C, 8B, 9A, 10C.   

Fobi Widget
„/></figure>

<div class=

Lernziele

In diesem Beitrag erfahren Sie unter anderem,

  • warum das Auge anfällig für Nebenwirkungen ist,
  • welche Wirkstoffe die Sehfähigkeit beeinflussen können,
  • wo diese Wirkstoffe im Auge angreifen und
  • welche Maßnahmen zu ergreifen sind.

Ablagerungen in der Hornhaut

Dem Weg des Lichtes durch das Auge folgend bildet die Hornhaut (Cornea) die erste optisch wichtige Struktur. Sie wölbt sich über Iris und Pupille und schultert einen wesentlichen Anteil der Lichtbrechung des Auges. Verschiedene Wirkstoffe können sich in der Cornea anreichern. Nicht ­immer merken die Patienten das, die Ablagerungen können aber die Sicht verschwimmen lassen oder zu Lichthöfen um Lichtquellen führen [3]. In der Regel verschwinden die Ab­lagerungen nach dem Absetzen der Medikamente wieder [3]. Besonders typisch sind Cornea-Ablagerungen bei einer ­Therapie mit dem Antiarrhythmikum Amiodaron. Darüber ­hinaus können sich Phenothiazin-Antipsychotika, Hydroxychloroquin, Tamoxifen, Clarithromycin, Ciprofloxacin und nichtsteroidale Antirheumatika (NSAID, vor allem ­Indometacin) in der Hornhaut anreichern [3].

01_ck_Auge
Das Auge als Mikrokosmos vereint viele unterschiedliche Gewebe, die Arzneistoffen zahlreiche Angriffs­flächen bieten. (Grafik: DAZ/Hammelehle)

Trockene Augen sehen schlechter

Die Cornea ist immer von einer dünnen Schicht Tränenfilm bedeckt. Dieser schützt nicht nur das Auge und ernährt die Hornhaut, sondern leistet auch einen konkreten optischen Beitrag, da er für eine glatte Oberfläche der Hornhaut sorgt. Ein trockenes Auge (Keratokonjunktivitis sicca) brennt deshalb nicht nur, sondern beeinträchtigt auch die Sicht durch verschwommenes Sehen und gegebenenfalls eine erhöhte Lichtempfindlichkeit. Mit einer Prävalenz von 15% gilt das Syndrom als Volkskrankheit [4]. Arzneimittel bilden einen erheblichen Risikofaktor für ein trockenes Auge [5]: Anticholinergika und am adrenergen System angreifende Substanzen wie Betablocker und Alpha-Agonisten (z. B. Brimonidin) vermindern die Sekretion von Tränenflüssigkeit und anderen Bestandteilen des Tränenfilms wie Mucin. Das heißt, es fehlt nicht nur an Flüssigkeit, sondern der Tränenfilm ist auch instabiler. Andere Wirkstoffe werden in den Tränenfilm sezerniert und stören damit dessen Integrität, zum Beispiel Amiodaron, Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Bisphosphonate. Bisphosphonate fördern generell ­Entzündungen am Auge, die die Binde-, Leder-, Augen- oder Netzhaut betreffen können (Konjunktivitis, Skleritis, Uveitis und Retinitis). Retinoide werden ebenfalls über die Tränenflüssigkeit sezerniert und reizen häufig die Augen. Zusätzlich stören sie die Funktion der lipidproduzierenden Lidranddrüsen, weshalb die Tränenflüssigkeit schneller verdunstet. Zytostatika können die Quantität und Qualität des Tränenfilms ebenfalls beeinflussen. Zu den weiteren Auslösern zählen unter anderem Diuretika, Antihistaminika, Opioide, Benzodiazepine oder Kontrazeptiva. Für ­selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wird ein Zusammenhang mit trockenen Augen diskutiert [6]. Auch Lithium kann in den ersten Behandlungswochen die Augen reizen, da es die Natrium-Konzentration des Tränenfilms erhöht [7]. Konservierungsmittel wie Benzalkoniumchlorid wirken zusätzlich reizend auf die Augen [5]. Mittel der ersten Wahl beim trockenen Auge sind Tränenersatzmittel in Tropfen- oder Gelform [8].

Angriffsort Wirkstoffe/Wirkstoffklassen mögliche Nebenwirkung
Hornhaut Amiodaron
Clarithromycin
Ciprofloxacin
Hydroxychloroquin
NSAID
Phenothiazin-Antipsychotika
Tamoxifen
verschwommene Sicht und Lichthöfe um Lichtquellen aufgrund von Cornea-Ablagerungen
Tränenfilm Acetylsalicylsäure
Adrenerge Substanzen
Amiodaron
Anticholinergika
Bisphosphonate
Benzodiazepine
Diuretika
Ibuprofen
Kontrazeptiva
Lithium
Opioide
Retinoide
selektive Serotonin-
Wiederaufnahmehemmer
Zytostatika
verschwommene Sicht und Lichtempfindlichkeit aufgrund trockener Augen
Linse Anticholinergika verringerte Akkomodation
Antidiabetika Weitsichtigkeit
Glucocorticoide Katarakt
Parasympathomimetika (z. B. Pilocarpin) verstärkte Nahakkomodation, Kurzsichtigkeit, Spasmus des Ziliarmuskels
Topiramat Kurzsichtigkeit
Kammerwasser/
Augeninnendruck
Glucocorticoide verschwommene Sicht und Lichthöfe um Lichtquellen durch Offenwinkelglaukom
Anticholinergika verschwommene Sicht und Lichthöfe um Lichtquellen durch Engwinkelglaukom, gegebenenfalls Glaukomanfall, Lichtempfindlichkeit durch erweiterte Pupille
Sympathomimetika (z. B. Pseudoephedrin)
Netzhaut herzwirksame Glykoside Gelbsehen (Xanthopsie)
Hydroxychloroquin Gesichtsfeld-Defekte und eingeschränktes Farbsehen durch Bulls-Eye-Makulopathie
Interferon Netzhautblutungen
PDE-5-Inhibitoren Blausehen (Zyanopsie)
Retinoide eingeschränkte Nachtsicht
Tamoxifen eingeschränkte Sehkraft und Farbsehen durch Retina-Einlagerungen
Vigabatrin Gesichtsfeld-Defekte
Deferoxamin Makulaödem
Prostaglandin-Analoga (z. B. Latanoprost)
Sehnerv Ciprofloxacin
Ethambutol
Linezolid
PDE-5-Inhibitoren
abnehmende Sehkraft und Gesichtsfeld-Defekte durch Optikusneuropathie
Externe
Augenmuskulatur
Benzodiazepine verlangsamte Augenbewegungen
Carbamazepin Lamotrigin Topiramat unwillkürliche Augenbewegungen (Nystagmus)
Olanzapin okulogyre Krise
Tab. 1: Ophthalmologische Nebenwirkungen von Wirkstoffen nach Angriffsort

Linse im Fokus

Durch die Augenkammern gelangen die Lichtstrahlen zur Linse. Als einzige Komponente des dioptrischen Apparats kann diese ihre Brechkraft ändern und ermöglicht so die Fokussierung auf nahe und ferne Objekte. Diesen Vorgang nennt man Akkomodation. Der parasympathisch innervierte Ziliarmuskel, an dem die Augenlinse durch die Zonulafasern aufgehängt ist, steuert die Scharfstellung. Spannt er sich an, nimmt die Krümmung der Linse zu, entspannt er sich, nimmt die Krümmung entsprechend ab. Vor allem am Parasympathikus angreifende Pharmaka beeinträchtigen die Akkomodation und können die Sehschärfe reduzieren. Anticholinergika (siehe Tab. 2) setzen die Akkomodation herab, was zum verschwommenen Sehen führt, Parasympathomimetika wie das beim Glaukom verwendete Pilocarpin können dagegen zur Kurzsichtigkeit bis hin zum Spasmus des Ziliarmuskels führen [9, 10]. Bei akuter Kurzsichtigkeit kann gelegentlich Topiramat der Auslöser sein. Das Antikonvulsivum hemmt unter anderem Natrium- und Calcium-Kanäle und verschiebt so die Ionenkonzentrationen in verschiedenen Körpergeweben. Der Ziliarkörper schwillt dadurch an und kann die Linse ­etwas nach vorn drücken, was zur Kurzsichtigkeit führt. Die Myopie ist nach dem Absetzen des Medikaments aber ­reversibel. Außerdem kann es zum Verlegen des Kammerwinkels und somit zu einem sekundären Glaukom kommen [7]. Arzneimittel können die Linse außerdem trüben, ein solcher Katarakt kann vor allem bei einer Therapie mit ­Glucocorticoiden eintreten. Dann nimmt die Sehkraft schleichend ab. Die Sicht verschwimmt, als würde ein Schleier vor den Augen hängen. Gleichzeitig belastet eine vielmals erhöhte Blendempfindlichkeit die Patienten. Einer Kohortenstudie nach erhöhten Glucocorticoide das ­Katarakt-Risiko um mehr als das Doppelte [11]. Steroid-­Katarakte bleiben auch nach dem Absetzen bestehen. ­Neben den Glucocorticoiden werden außerdem Antidepressiva wie SSRI mit ­Katarakten in Verbindung gebracht [12].

ACB-Score 1 schwach anticholinerg ACB-Score 2 moderat anticholinerg ACB-Score 3 stark anticholinerg
Aripiprazol Asenapin Atenolol Azathioprin Baclofen Benazepril Benzodiazepine Bisacodyl Bromocriptin Bupropion Captopril
Cetirizin Chlordiazepoxid Chlorthalidon Ciclosporin Citalopram Clindamycin Clonazepam Codein Desloratadin Dextromethorphan
Digitoxin
Digoxin
Dimetinden Domperidon
Doxylamin Escitalopram Fexofenadin Fluoxetin Fluphenazin Fluvoxamin Glucocorticoide Glycopyrronium Guaifenesin Ipratropium Levocetirizin Levodopa
Lithium Loratadin Lorazepam Metformin Methocarbamol Metoclopramid Metoprolol Mirtazapin Naratriptan
Opioide Paliperidon Perphenazin Pramipexol Promethazin Pseudoephedrin Risperidon Rotigotin  Selegilin
Sertralin Sumatriptan Tiotropium Trazodon Triamcinolon
Triazolam
Valproat Vancomycin Venlafaxin Warfarin Ziprasidon Zolmitriptan
Amantadin Carbamazepin Cimetidin Haloperidol Loperamid Maprotilin Methadon Olanzapin Opipramol Oxcarbazepin Paroxetin
Pethidin
Pimozid
Quetiapin Ranitidin Theophyllin Tramadol
Amitriptylin Atropin Chlorpheniramin Clemastin Clomipramin
Clozapin Darifenacin Dimenhydrinat Diphenhydramin Doxepin Hydroxyzin Imipramin Levomepromazin Nortriptylin Orphenadrin Oxybutynin Propiverin Scopolamin Solifenacin Thioridazin Tizanidin Tolterodin Trimipramin Trospium
Tab. 2. Anticholinerge Wirkstoffe nach Anticholinergic-Burden-Score (ACB-Score), ausgewählte Wirkstoffe [28]

Auch Glucose spielt eine wichtige Rolle für die Linse, eine ­Diabeteserkrankung schädigt bekanntlich die Augen: Neben Katarakten und Retinaschäden lässt das Zuckerstoffwechselprodukt Sorbitol die Linse anquellen, wodurch ihre Brechkraft steigt, was zur Kurzsichtigkeit führt. Wird der Diabetes dann behandelt, geht die Linsenquellung zurück, die Patienten werden relativ gesehen weitsichtiger, einer Studie zufolge im Schnitt um eine halbe Dioptrie [13]. Neue Brillengläser sollten also erst angeschafft werden, wenn sich die Brechkraft der Linse nach einigen Wochen stabilisiert.

Medikamentös induzierte Glaukome

Empfindliche Netzhaut

Durch den Glaskörper werden die Lichtstrahlen im Auge von der Linse zur Netzhaut (Retina) weitergeleitet. Deren Fotorezeptoren wandeln das einfallende Licht in elektrische Impulse um, die das Gehirn zu Bildern verarbeitet. Greifen Wirkstoffe hier an, kann die Sicht der Patienten akut und chronisch stark beeinträchtigt werden. Vigabatrin (Sabril®) zum Beispiel ist bekannt für häufige Gesichtsfeldeinschränkungen, die womöglich auf eine Schädigung der Netzhaut zurückzuführen sind [16]. Etwa ein Drittel der Patienten ist davon betroffen: Nach monatelanger und jahrelanger Einnahme wird meist ein zentraler nasaler Defekt (d. h. ein ringförmiger Defekt in der Mitte des Gesichtsfelds) beschrieben. Die Veränderungen sind irreversibel. Während einer Behandlung soll das Gesichtsfeld deshalb alle sechs Monate untersucht werden [16]. Veränderungen an der Netzhaut bemerken Patienten auch an einer harmlosen veränderten Farbwahrnehmung oder einer reduzierten Nachtsicht. Phosphodiesterase-5-Hemmer (PDE-5-Inhibitoren) kommen meist nicht nur in blauer Tablettenform daher, sie tauchen den Blick auch ­häufig in blaues Licht und führen zu verschwommenem ­Sehen und Lichtempfindlichkeit. Die Erscheinungen könnten die Folge einer PDE-6-Inhibition in Photorezeptoren der Retina sein [17].

Auf ihrem Weg zur Linse passieren die Lichtstrahlen das Kammerwasser. Die Flüssigkeit übernimmt vor allem eine Ernährungs- und Immunfunktion für Linse und Cornea. Steigt durch ein vermindertes Abfließen des Kammerwassers jedoch der Augeninnendruck, entsteht das Risiko für ein Glaukom (Grüner Star), eine Schädigung des Sehnervs. Langfristig führt die Krankheit zur Erblindung. Man unterscheidet Offenwinkelglaukome und Engwinkelglaukome (Winkelblockglaukome): Beim Offenwinkelglaukom fließt das vom Ziliarkörperepithel sezernierte Kammerwasser nur schwer durch das Trabekelwerk ab, bei einem Engwinkelglaukom hingegen erschwert ein zu enger Kammerwinkel zwischen Iris und Hornhaut den Abfluss des Kammerwassers. Bestimmte Medikamente gelten als Auslöser beider Krankheitsformen – ein verändertes Sehvermögen sollte deshalb unbedingt abgeklärt werden: Klassische Symptome sind eine verschwommene Sicht sowie farbige Ringe um Lichtquellen, die Betroffene vor allem nachts wahrnehmen. Gesichtsfelddefekte hingegen deuten auf einen fortgeschrittenen Verlauf hin. Der Klassiker eines Medikamenten-­induzierten Offenwinkelglaukoms ist das Steroidglaukom. Vor allem am Auge angewendete, aber auch systemisch aufgenommene Glucocorticoide können den Augeninnendruck gefährlich erhöhen. Die hormonell wirksamen Substanzen erhöhen den Abflusswiderstand des Trabekelwerks. Nicht jeder Patient entwickelt zwangsläufig ein Glaukom, entscheidend sind Dosis und Dauer der Therapie und das ­individuelle Glaukomrisiko [14]. Das Management des Glaukoms besteht darin, das Steroid gegen einen alternativen nichtsteroidalen Wirkstoff oder ein weniger potentes Glucocorticoid auszutauschen – oder bei mangelnden Alternativen eine Therapie des Glaukoms einzuleiten [14]. Medikamente können außerdem den Kammerwinkel verengen und so den Augeninnendruck erhöhen. In diese Kategorie fallen alle anticholinergen Wirkstoffe wie zum Beispiel tricyclische Antidepressiva und H1-Antihistaminika (siehe Tab. 2) sowie Sympathomimetika, zum Beispiel Pseudoephedrin und Tetryzolin, die beide bei Engwinkelglaukom kontraindiziert sind. Die Substanzen bewirken, dass sich die Pupille erweitert, wodurch die Iris den Kammerwinkel verengt. Bei bereits anatomisch engem Kammerwinkel kann der Abfluss komplett verlegt werden und einen akuten Glaukomanfall auslösen – ein medizinischer Notfall! Die Pupillenerweiterung macht außerdem lichtempfindlich. Dagegen helfen kann eine Sonnenbrille [15]. Auch SSRI können über eine Stimulation der 5HT7-Rezeptoren im Irismuskel die Pupille erweitern [7].

Die Farbwahrnehmung beeinflussen außerdem herzwirksame Glykoside: Die Patienten nehmen gelegentlich einen Gelbstich wahr (Xanthopsie). Da die Wirkstoffe nur eine geringe therapeutische Breite haben, können Veränderungen des Visus auch erste Anzeichen einer Intoxikation sein. Obwohl eine Xanthopsie auch unter therapeutischer Dosierung vorkommt, kann sie neben verschwommenem Sehen, Lichtblitzen oder Doppeltsehen eine Überdosierung anzeigen [18]. Möglicherweise ereilte dieses Schicksal auch Vincent van Gogh: Der niederländische Maler wurde gegen seine Epilepsie und Manie unter anderem mit einem Extrakt aus dem roten Fingerhut (Digitalis purpurea) behandelt. Kunsthistoriker sind sich aber uneinig darüber, ob seiner Vorliebe für die gelbe Farbe eine Digitalisvergiftung zugrunde lag oder es sich doch um ein stilistisches Mittel handelte [19]. Das Antiprotozoikum und Antirheumatikum Hydroxychloroquin besitzt ein hohes Verteilungsvolumen, da es sich in vielen Geweben anreichert, so auch im Auge. Regelmäßige begleitende ophthalmologische Untersuchungen sind deshalb laut Fachinformation Pflicht. Hydroxychloroquin kann durch Bindung an Melanin in seltenen Fällen das retinale Pigmentepithel schädigen und zum Untergang von Photorezeptoren führen [20]. Da vor allem das Areal um die Fovea centralis, der im Zentrum der Makula befindliche Bereich des schärfsten Sehens betroffen ist, zeigt sich in der Bildgebung ein hypopigmentierter Ring. Die Diagnose ­lautet dann Bulls-Eye-Makulopathie oder Schießscheiben­makulopathie. Bei Anzeichen von Netzhautschäden ist die Therapie sofort zu unterbrechen [21]. Dazu gehört neben ­Gesichtsfeld-Defekten ein eingeschränktes Farbsehen: ­Hydroxychloroquin sorgt für Defizite im Gelb-Blau-Bereich des Farbspektrums, sodass es schwerer fällt, blau und grün oder gelb und violett zu unterscheiden [22]. Weitere Beispiele: Mit einer zunehmenden Dosis und Dauer einer Tamoxifen-Einnahme steigt das Risiko für kristalline Einlagerungen in der Retina, die die Sehkraft und das Farbsehen einschränken können [22]. Retinoide wie Isotretinoin können hingegen die Nachtsicht verschlechtern [23]. Auch Phenothiazin-Antipsychotika akkumulieren in hohen ­Dosen und bei langer Anwendung in der Netzhaut und ­schädigen das empfindliche Gewebe [20]. Interferon hingegen schädigt die Mikrozirkulation der Retina, wodurch es zu Blutungen kommen kann [20]. Ein anderer Grund für ­unscharfes Sehen ist ein Makulaödem, welches beispielsweise als Folge einer Therapie mit dem Eisenantidot ­Deferoxamin oder dem Prostaglandin-Analogon Latanoprost entstehen kann [20].

Entzündeter Sehnerv

Die Aktionspotenziale aus der Retina werden über den Sehnerv zum Gehirn weiterleitet, wo die Impulse zu Bildern weiterverarbeitet werden. Auch auf dieser letzten Wegstrecke können Arzneistoffe den Sehvorgang beeinträchtigen. Häufigste Auslöser solcher Optikusneuropathien sind Tuberkulostatika, allen voran Ethambutol. 6% der Anwender trifft diese Nebenwirkung, sie leiden an einer abnehmenden Sehkraft, einer Rot-Grün-Schwäche und Gesichtsfeld-­Defekten [24]. Deshalb werden regelmäßige augenärztliche Untersuchungen während der Therapie angeraten. Werden Unregelmäßigkeiten festgestellt, soll die Therapie unter­brochen werden [25]. Das Reserveantibiotikum Linezolid gilt als weiterer Auslöser einer Optikusneuropathie. Die Substanz scheint die Mitochondrien der Nervenzellen zu schädigen. Zu einem großen Teil bilden sich die Schäden nach dem Absetzen des Antibiotikums wieder zurück [24].
TNF-alpha-Inhibitoren wie Infliximab (Remicade®) oder Adalimumab (Humira®) stehen im Verdacht, demyelinisierende Nervenkrankheiten zu begünstigen. Auch der Sehnerv könnte davon betroffen sein. Zumindest schildern einzelne Fallberichte eine Optikusneuritis in Verbindung mit den Therapeutika [24]. Ob wirklich ein ursächlicher Zusammenhang besteht, bleibt allerdings umstritten [24, 26].

Auf einen Blick

  • Als komplexes und gut durchblutetes Organ ist das Auge anfällig für unerwünschte Arzneimittel­wirkungen.
  • Ein unter anderem durch Anticholinergika, Diuretika, Lithium, Retinoide oder Zytostatika verursachtes trockenes Auge kann zu verschwommenem Sehen führen.
  • Hornhautablagerungen als Folge einer Therapie mit z. B. Amiodaron, Ciprofloxacin, Hydroxychloroquin oder Tamoxifen können ebenfalls zu verschwommenem Sehen führen.
  • Glaukome werden durch Glucocorticoide und ­Anticholinergika begünstigt.
  • Anticholinergika und Parasympathomimetika ­beeinflussen die Akkomodation des Auges.
  • Herzglykoside, PDE-5-Inhibitoren, Tamoxifen und Hydroxychloroquin können das Farbsehen ­beeinträchtigen.
  • Schädigungen des Sehnerves können Folge einer Behandlung mit Ethambutol, Linezolid oder ­Ciprofloxacin sein.
  • Benzodiazepine und die Antikonvulsiva Carbam­a­zepin, Lamotrigin und Topiramat beeinflussen die Beweglichkeit der Augen.

Fallberichte beschreiben außerdem Ciprofloxacin als Aus­löser einer Optikusneuropathie [24]. Eine weitere Ursache für eine Neuropathie des Sehnervs sind Durchblutungsstörungen. PDE-5-Inhibitoren wie Sildenafil gelten als mögliche seltene Ursache einer solchen ischämischen Optikusneuropathie, neben retinalen Gefäßverschlüssen oder einer Netzhautablösung. Um 85% erhöhen die Substanzen das Risiko für eine dieser drei seltenen Erkrankungen, stellte eine Kohortenstudie fest [27]. Bei Patienten, die aufgrund einer spezifischen Form der Durchblutungsstörung des Sehnervkopfs, einer nicht-arteriiti­schen anterioren ischämischen Optikusneuropathie (NAION) ihre Sehkraft auf einem Auge verloren, sind PDE-5-Inhibitoren kontraindiziert.

Gestörte Motorik

Augen liegen nicht nur einfach starr in ihrer Höhle, sie sind beweglich. Dafür sorgt ein Netzwerk an äußeren, quergestreiften Augenmuskeln – das ebenfalls Angriffspunkt von Medikamenten sein kann. Nach der Einnahme von Benzodiazepinen sollten die Patienten nicht am Straßenverkehr teilnehmen. Das liegt nicht nur an den sedierenden Eigenschaften. Benzodiazepine verlangsamen die sogenannten sakkadischen Augenbewegungen (schnelle ruckartige ­Augenbewegungen) sowie Augenfolgebewegungen, die es ermöglichen, sich bewegende Gegenstände zu verfolgen [7]. Störungen der Augenmotilität gehören auch zu den unerwünschten Wirkungen einer antiepileptischen Therapie, zum Beispiel können Carbamazepin, Lamotrigin und Topiramat gelegentlich unwillkürliche Augenbewegungen ­(Nystagmus) verursachen [7]. Feste Objekte werden dann als schwankend wahrgenommen, was zu Gangunsicherheiten führen kann. Im schlimmsten Fall können die Augenmuskeln verkrampfen, in diesem Fall spricht man von einer okulogyren Krise: Die Augen bewegen sich dann unwillkürlich nach oben, was eine seltene Nebenwirkung von Anti­psychotika wie Olanzapin sein kann [7].
Diese Beispiele zeigen, dass ophthalmologische Nebenwirkungen eine wichtige Rolle im Beratungsgespräch einnehmen sollten. Während viele Effekte reversibel sind und mit Dosis-Reduktionen und Präparatewechseln gemanagt ­werden können, helfen in machen Fällen nur regelmäßige Kontrolluntersuchungen, um irreversible Veränderungen frühzeitig zu erkennen.

Interessenkonflikte
Der Autor versichert, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Literatur

[1] Santaella RM, Fraunfelder FW. Ocular adverse effects associated with systemic medications: recognition and management. Drugs 2007;67(1):75-93, doi: 10.2165/00003495-200767010-00006

[2] Li J et al. Drug-induced ocular disorders. Drug Saf 2008;31(2):127-41, doi: 10.2165/00002018-200831020-00003

[3] Raizman MB et al. Drug-induced corneal epithelial changes. Surv Ophthalmol 2017;62(3):286-301, doi: 10.1016/j.survophthal.2016.11.008

[4] Reitmeir P et al. Common eye diseases in older adults of southern Germany: results from the KORA-Age study. Age Ageing 2017;46(3):481-486, doi: 10.1093/ageing/afw234

[5] Gomes JAP et al. TFOS DEWS II iatrogenic report. Ocul Surf 2017;15(3):511-538, doi: 10.1016/j.jtos.2017.05.004

[6] Constable PA et al. A Review of Ocular Complications Associated with Medications Used for Anxiety, Depression, and Stress. Clin Optom (Auckl) 2022;14:13-25, doi: 10.2147/OPTO.S355091

[7] Richa S, Yazbek JC. Ocular adverse effects of common psychotropic agents: a review. CNS Drugs 2010;24(6):501-26, doi: 10.2165/11533180-000000000-00000

[8] Trockenes Auge. Leitlinie des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands e. V. und der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft. Stand Mai 2019, augeninfo.de/leit/leit11.pdf

[9] Sekeroglu MA et al. An overlooked effect of systemic anticholinergics: alteration on accommodation amplitude. Int J Ophthalmol 2016;9(5):743-5, doi: 10.18240/ijo.2016.05.19

[10] Geisslinger G et al. Mutschler Arzneimittelwirkungen. Pharmakologie – Klinische Pharmakologie – Toxikologie. 11., völlig neu bearbeitete Auflage 2020, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart

[11] Wang JJ et al. Use of inhaled and oral corticosteroids and the long-term risk of cataract. Ophthalmology 2009;116(4):652-7, doi: 10.1016/j.ophtha.2008.12.001

[12] Carlson J et al. Drugs associated with cataract formation represent an unmet need in cataract research. Front Med (Lausanne) 2022;9:947659, doi: 10.3389/fmed.2022.947659

[13] Sonmez B et al. Effect of glycemic control on refractive changes in diabetic patients with hyperglycemia. Cornea 2005;24(5):531-7, doi: 10.1097/01.ico.0000151545.00489.12

[14] Levin AM, Sieck EG. New Concepts in Steroid Glaucoma. Curr Ophthalmol Rep2003;11;78–82, doi: 10.1007/s40135-023-00316-9

[15] Manion GN, Stokkermans TJ. The Effect of Pupil Size on Visual Resolution 2024. In: StatPearls. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing;2024 Jan, PMID: 38753941

[16] Fachinformation Sabril® Filmtabletten

[17] Barroso F et al. Phosphodiesterase Type 5 Inhibitors and Visual Side Effects: A Narrative Review. J Ophthalmic Vis Res 2021;16(2):248-259, doi: 10.18502/jovr.v16i2.9088

[18] Renard D et al. Spectrum of digoxin-induced ocular toxicity: a case report and literature review. BMC Res Notes 2015;8:368, doi: 10.1186/s13104-015-1367-6

[19] Demir D, Görkey Ş. Van gogh and the obsession of yellow: style or side effect. Eye (Lond) 2019;33(1):165-166, doi: 10.1038/s41433-018-0204-2

[20] Souza Monteiro de Araújo D et al. Retinal Toxicity Induced by Chemical Agents. Int J Mol Sci 2022;23(15):8182, doi: 10.3390/ijms23158182

[21] Fachinformation Hydroxychloroquin-ratiopharm 200 mg Filmtabletten

[22] Rassi SZ et al. Drug-Induced Deficits in Color Perception: Implications for Vision Rehabilitation Professionals. Journal of Visual Impairment & Blindness 2016;110(6),448-453, doi: 10.1177/0145482X1611000608

[23] Fraunfelder FT et al. Ocular side effects possibly associated with isotretinoin usage. Am J Ophthalmol 2001;132(3):299-305, doi: 10.1016/s0002-9394(01)01024-8

[24] Grzybowski A et al. Toxic optic neuropathies: an updated review. Acta Ophthalmol 2015;93(5):402-410, doi: 10.1111/aos.12515

[25] Fachinfo EMB-Fatol® Filmtabletten

[26] Nicolela Susanna F, Pavesio C. A review of ocular adverse events of biological anti-TNF drugs. J Ophthalmic Inflamm Infect 2020;10(1):11, doi: 10.1186/s12348-020-00202-6

[27] Etminan M et al. Risk of Ocular Adverse Events Associated With Use of Phosphodiesterase 5 Inhibitors in Men in the US. JAMA Ophthalmol 2022;140(5):480-484, doi: 10.1001/jamaophthalmol.2022.0663

[28] Kiesel EK, Hopf YM, Drey M. An anticholinergic burden score for German prescribers: score development. BMC Geriatr 2018;18(1):239, doi: 10.1186/s12877-018-0929-6