Inebilizumab
Inebilizumab
ATC-Code
L: Antineoplastische und immunmodulierende Mittel
L04: Immunsuppressiva
L04A: Immunsuppressiva
L04AA: Selektive Immunsuppressiva
L04AA47: Inebilizumab
Wirkungsmechanismus
Die schubförmig verlaufende Autoimmunerkrankung Neuromyelitis optica bewirkt eine Schädigung des ZNS, insbesondere des Sehnervs. Als Folge kommt es zu Erblindung, aber auch zu Muskelschwäche und aufsteigenden Lähmungen. Bei den meisten Patienten mit Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) sind gegen das durch Astrozyten im zentralen Nervensystem exprimierte Wasserkanalprotein Aquaporin 4 (AQP4) gerichtete Immunglobuline vorhanden. Im Rahmen der entsprechenden Autoimmunreaktion entstehen die für NMOSD charakteristischen entzündlichen Läsionen. Bei der NMOSD-Pathogenese spielen offenbar B-Zellen eine zentrale Rolle. Der humanisierte monoklonale Antikörper Inebilizumab bindet hochspezifisch an das Oberflächenprotein CD19 auf Prä-B- und reifen B-Zell-Lymphozyten. Als Folge werden die Antikörper-abhängige zelluläre Zytolyse (antibody-dependent cellular cytolysis, ADCC) und die Antikörper-abhängige zelluläre Phagozytose (antibody-dependent cellular phagocytosis, ADCP) unterstützt, sodass eine B-Zell-Depletion resultiert. Der Wirkmechanismus von Inebilizumab ist derzeit nicht vollständig verstanden. Man geht davon aus, dass eine reduzierte Antikörpersekretion, Antigenpräsentation, B-Zell-T-Zell-Interaktion sowie eine verminderte Produktion von Entzündungsmediatoren zur Besserung der Erkrankungssymptome beitragen. Die Zeit bis zur vollständigen Erholung der B-Zellen nach der Verabreichung von Inebilizumab ist nicht bekannt. In klinischen Untersuchungen blieb die B-Zell-Depletion bei 94% der Patienten zumindest über das sechsmonatige Applikationsintervall von Inebilizumab bestehen.
Pharmakokinetik
Resorption: Inebilizumab wird intravenös appliziert, daher beträgt die Bioverfügbarkeit 100%.
Proteinbindung, Verteilung: Das zentrale und periphere Verteilungsvolumen wird auf 2,95 bzw. 2,57 Liter geschätzt. Abgesehen von der Bindung an CD19 findet keine Proteinbindung statt.
Metabolismus: Der Antikörper Inebilizumab unterliegt dem physiologischen Protein-Katabolismus zu kleineren Peptiden und einzelnen Aminosäuren, die in den Nährstoffpool übergehen.
Exkretion: Die terminale Eliminationshalbwertszeit wird mit etwa 18 Tagen angegeben.
Dosierung, Art und Dauer der Anwendung
Inebilizumab wird initial und im Abstand von zwei Wochen in einer Dosis von jeweils 300 mg über 90 Minuten mit ansteigender Infusionsrate über eine Pumpe intravenös appliziert. Zur Vermeidung von infusionsbedingten oder Überempfindlichkeitsreaktionen erfolgt eine Prämedikation mit einem Corticosteroid wie Methylprednisolon, einem Antihistaminikum wie Diphenhydramin und einem fiebersenkenden Mittel wie Paracetamol. Als Erhaltungsdosis für die Langzeittherapie werden alle sechs Monate 300 mg Inebilizumab eingesetzt. Verspätete oder ausgelassene Dosen sollten so schnell wie möglich nachgeholt werden. Bei älteren Patienten sowie bei bestehender Leber- oder Niereninsuffizienz ist keine Dosisanpassung erforderlich. Sicherheit und Wirksamkeit von Inebilizumab für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren sind noch nicht erwiesen.
Kontraindikationen
Bei Überempfindlichkeit gegen Inebilizumab, schweren aktiven akuten oder chronischen Infektionen wie Hepatitis B, aktiver oder unbehandelter latenter Tuberkulose, progressiver multifokaler Leukenzephalopathie, stark immunsupprimiertem Zustand sowie bei Vorliegen aktiver Malignome besteht eine Kontraindikation.
Unerwünschte Wirkungen
Während der Behandlung mit Inebilizumab kommt es sehr häufig zu Harn- und Atemwegsinfektionen, Nasopharyngitis, Grippe, Arthralgien, Rückenschmerzen, reduzierten Immunglobulin-Spiegeln und infusionsbedingten Reaktionen. Häufig wird über Pneumonien, Zellulitis, Herpes-zoster-Infektionen, Sinusitis, Lymphopenien sowie über Neutropenien mit unmittelbarer oder später Manifestation berichtet. Gelegentlich muss mit Sepsis, subkutanen Abszessen und Bronchiolitis gerechnet werden.
Wechselwirkungen
Cytochrom-P450-Enzyme und hepatische bzw. renale Effluxpumpen sind nicht an der Clearance des Antikörpers beteiligt, ebenso findet keine Bindung an Plasmaproteine statt. Daher wird die Wahrscheinlichkeit für Interaktionen für Inebilizumab als sehr gering eingeschätzt. Wirksamkeit und Sicherheit einer Immunisierung mit attenuierten und nicht attenuierten Lebendimpfstoffen unter einer Inebilizumab-Therapie sind nicht erwiesen. Aufgrund der Substanz-assoziierten B-Zell-Depletion könnte der Impferfolg beeinträchtigt sein. Daher wird empfohlen, alle erforderlichen Impfungen etwa vier Wochen vor Beginn der Antikörper-Therapie abzuschließen. Bei gleichzeitiger Anwendung von Inebilizumab mit anderen Immunsuppressiva ist möglicherweise das Infektionsrisiko erhöht. Abgesehen von der erforderlichen Prämedikation mit Corticosteroiden sollte ein kombinierter Einsatz von Immunsuppressiva allenfalls mit großer Vorsicht erfolgen.
Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen
Insbesondere bei den ersten Applikationen von Inebilizumab muss mit infusionsbedingten Reaktionen und Überempfindlichkeitsreaktionen gerechnet werden. Entsprechende Anzeichen können Kopfschmerzen, Übelkeit, Somnolenz, Dyspnoe, Fieber, Myalgien und Hautausschläge sein. Wie erwähnt, ist daher eine Prämedikation aus Corticosteroiden, Antihistaminika und Antipyretika angeraten. Die Patienten sind während und bis zu mindestens einer Stunde nach Infusionsende zu überwachen. Gegebenenfalls sollte eine unterstützende Behandlung erfolgen. Zudem kann die Infusion vorübergehend unterbrochen oder die Infusionsgeschwindigkeit reduziert werden. Bei lebensbedrohlichen Infusionsreaktionen ist die Inebilizumab-Therapie unverzüglich und dauerhaft zu beenden. Aufgrund der Substanz-assoziierten B-Zell-Depletion führt Inebilizumab zu einer Verringerung der Lymphozyten- und Neutrophilenzahl sowie der Ig-Spiegel im peripheren Blut. Hieraus resultiert eine erhöhte Infektanfälligkeit. Die Patienten sollten sich bei entsprechenden Symptomen unverzüglich an ihren Arzt wenden. Gegebenenfalls muss die nächste Infusion von Inebilizumab so lange aufgeschoben werden, bis die Infektion abgeklungen ist. Bei schweren oder wiederkehrenden Infektionen kann ein endgültiger Abbruch der Therapie erforderlich sein. Bei Patienten mit vorangegangener Hepatitis-B- oder -C-Virus-Infektion oder Tuberkulose ist wegen einer erhöhten Reaktivierungsgefahr besondere Vorsicht geboten. Inebilizumab ist zudem mit der Entwicklung einer möglicherweise tödlich verlaufenden progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) assoziiert, einer opportunistischen Virusinfektion des Gehirns, die durch das John-Cunningham-Virus verursacht wird. Erste Symptome können fortschreitende Schwäche auf einer Körperseite, schwerfällige Bewegungen der Extremitäten, Sehstörungen sowie Veränderungen des Denkens und der Orientierung sein. Die Inebilizumab-Therapie darf nur dann fortgesetzt werden, wenn eine PML eindeutig ausgeschlossen werden konnte.
Schwangerschaft und Stillzeit
Zur Anwendung von Inebilizumab bei schwangeren Frauen liegen nur begrenzte Daten vor. Allerdings ist bekannt, dass IgG1-Antikörper die Plazentaschranke überwinden, sodass es beim Fötus bzw. Neugeborenen zu einer vorübergehenden B-Zell-Depletion und Lymphozytopenie kommen könnte. Der Einsatz des CD19-Antikörpers sollte daher in der Schwangerschaft vermieden werden. Impfungen bei intrauterin gegen Inebilizumab exponierten Säuglingen mit Lebendvirus-Impfstoffen sollten nach der Geburt so lange verschoben werden, bis sich die B-Zellzahl erholt hat. Totimpfstoffe können je nach Indikation auch vor der Erholung von der B-Zell- und Ig-Depletion verabreicht werden. Frauen im gebärfähigen Alter sollten während und bis zu sechs Monate nach Abschluss der Inebilizumab-Behandlung eine effektive Verhütungsmethode anwenden. Humanes Immunglobulin G geht bekanntermaßen während der ersten Tage nach der Geburt in klinisch relevantem Ausmaß in die Muttermilch über. Der Einsatz von Inebilizumab sollte daher während dieser ersten kurzen Zeitspanne der Stillzeit vermieden werden, um eine Schädigung des gestillten Säuglings auszuschließen.
Danach ist die Therapie mit dem CD19-Antikörper vertretbar. Wenn die Patientin jedoch bis in die letzten Monate der Schwangerschaft bereits mit Inebilizumab behandelt wurde, kann unmittelbar nach der Geburt mit dem Stillen begonnen werden.
Handelspräparat Uplizna®
Hersteller
Einführungsdatum
Zusammensetzung
100 mg Inebilizumab
Sonstige Bestandteile
Histidin, Histidinhydrochlorid-Monohydrat, Natriumchlorid, Trehalose-Dihydrat, Polysorbat 80 (E 433), Wasser für Injektionszwecke
Packungsgrößen, Preise, PZN
3 Durchstechflaschen mit jeweils 10 ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, 64.590,72 Euro, PZN 17847166
Indikation
Monotherapeutikum für erwachsene Patienten mit Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD), die Anti-Aquaporin-4-Immunglobulin-G(AQP4-IgG)-seropositiv sind
Dosierung
Die empfohlene Initialdosis ist eine intravenöse Infusion von 300 mg Inebilizumab, gefolgt von einer zweiten intravenösen Infusion von 300 mg zwei Wochen später. Die empfohlene Erhaltungsdosis beträgt 300 mg alle sechs Monate.
Kontraindikationen
Überempfindlichkeit gegen Inebilizumab; schwere aktive Infektionen, einschließlich aktiver chronischer Infektionen wie Hepatitis B; aktive oder unbehandelte latente Tuberkulose; progressive multifokale Leukenzephalopathie in der Anamnese; stark immunsupprimierter Zustand; aktive Malignome
Unerwünschte Wirkungen
In klinischen Studien kam es am häufigsten zu Harnwegsinfektionen (26,2%), Nasopharyngitis (20,9%), Infektionen der oberen Atemwege (15,6%), Arthralgien (17,3%) und Rückenschmerzen (13,8%).
Wechselwirkungen
Es wurden keine Studien zur Erfassung von Interaktionen durchgeführt.
Warnhinweise, Vorsichtsmaßnahme
Inebilizumab kann schwere infusionsbedingte Reaktionen und Überempfindlichkeitsreaktionen hervorrufen. Aufgrund des Wirkmechanismus über eine B-Zell-Depletion führt Inebilizumab zu einer Reduktion der Lymphozytenzahl und der Immunglobulin-Spiegel im peripheren Blut. Auch über eine Verringerung der Neutrophilenzahl wurde berichtet. Daher kann Inebilizumab die Infektionsanfälligkeit und möglicherweise auch das Risiko einer malignen Erkrankung erhöhen.
Literatur
[1] Fachinformation zu Uplizna®, Stand Juni 2022
[2] Cree BAC, Bennett JL, Kim HJ, Weinshenker BG et al. Inebilizumab for the treatment of neuromyelitis optica spectrum disorder (N-Momentum): a double-blind, randomised placebo-controlled phase 2/3 trial. Lancet 2019;394(10206):1352-1363
[3] EPAR summary for the public. Uplizna® Inebilizumab. EMA/192406/2022; European Medicines Agency; www.ema.europe.eu