Fintepla®

Fenfluramin

01.02.2021


Antiepileptikum
Die sehr selten auftretende frühkindliche Epilepsieform Dravet-Syndrom ist gegenüber herkömmlichen Therapieregimen oft refraktär. Mit Fenfluramin (Fintepla®) steht jetzt ein neues Add-on-Therapeutikum zu weiteren Antikonvulsiva wie Stiripentol oder Valproat zur Verfügung. Fenfluramin beeinflusst die serotoninerge Erregungsübertragung und wird derzeit bei Patienten ab zwei Jahren angewendet.

Fenfluramin 

ATC-Code

N: Nervensystem


N03: Antiepileptika


N03A: Antiepileptika


N03AX: Andere Antiepileptika


N03AX26: Fenfluramin


Wirkungsmechanismus

Fenfluramin ist ein Prodrug, das im Körper zu großen Teilen in seine Wirkform Norfenfluramin umgewandelt wird. Dieses führt zu einer Freisetzung des Neurotransmitters Serotonin und somit zu erhöhten Serotonin-Spiegeln im präsynaptischen Bereich. Möglicherweise tragen auch agonistische Effekte an zentralen serotoninergen Rezeptoren wie 5-HT1D, 5-HT2A, und 5-HT2C sowie am Sigma-1-Rezeptor zur antikonvulsiven Wirkung bei. Der genaue Wirkmechanismus bei Patienten mit Dravet-Syndrom konnte allerdings bislang nicht geklärt werden. Für die mit Fenfluramin assoziierten kardialen Nebenwirkungen wird seine agonistische Wirkung an 5-HT2B-Rezeptoren diskutiert.

Pharmakokinetik

Resorption: Nach peroraler Gabe werden innerhalb von drei Stunden maximale Fenfluramin-Plasmaspiegel erreicht. Der entsprechende Wert für den aktiven Metaboliten Norfenfluramin beträgt zwölf Stunden. Die absolute Bioverfügbarkeit von Fenfluramin liegt im Bereich von 75 bis 83%. Die Einnahme von Nahrung hat keine Auswirkungen auf die Pharmakokinetik von Fenfluramin oder Norfenfluramin.


Proteinbindung, Verteilung: Die Plasmaproteinbindung von Fenfluramin beträgt 50%, das Verteilungsvolumen 11,9 l/kg.


Metabolismus: Mehr als 75% einer Dosis werden primär durch CYP1A2, CYP2B6 und CYP2D6 zu Norfenfluramin metabolisiert. Im Anschluss entstehen über Desaminierung, Oxidation und Glucuronsäure-Konjugation inaktive Metaboliten.


Exkretion: Die Ausscheidung erfolgt zu mehr als 90% renal in Form von Metaboliten. Weniger als 5% der Dosis erscheinen in den Fäzes. Die Eliminationshalbwertszeiten von Fenfluramin und Norfenfluramin werden mit 20 und 30 Stunden angegeben.

Dosierung, Art und Dauer der Anwendung

Fenfluramin wird bei Kindern ab zwei Jahren, Jugendlichen und Erwachsenen initial in einer Dosierung von zweimal täglich 0,1 mg Fenfluramin/kg Körpergewicht peroral verabreicht. Die Einnahme der Lösung kann unabhängig von den Mahlzeiten stattfinden, gegebenenfalls auch über eine Magen- oder Nasensonde. Bei guter Verträglichkeit und Bedarf einer stärkeren antikonvulsiven Wirkung sollte nach sieben Tagen eine Dosiserhöhung auf zweimal täglich 0,2 mg/kg Körpergewicht bis zu einer Tagesmaximaldosis von 17 mg Fenfluramin erfolgen. Für Patienten, die nicht parallel mit dem weiteren Antikonvulsivum Stiripentol behandelt werden, ist nach weiteren sieben Tagen eine erneute Dosissteigerung auf maximal zweimal täglich 0,35 mg Fenfluramin/kg Körpergewicht möglich, wobei bei diesen Patienten eine Tagesdosis von 26 mg nicht überschritten werden sollte. Bei zwingendem Erfordernis kann die Dosistitration auf viertägige Intervalle verkürzt werden. Ein abruptes Absetzen von Fenfluramin ist wegen des Risikos von vermehrten Krampfanfällen bis hin zum Status epilepticus zu vermeiden. Für die Behandlung von älteren Patienten sowie bei bestehender Leber- oder Niereninsuffizienz liegen keine Erfahrungen vor. Die Anwendung von Fenfluramin wird bei Patienten mit mäßiger oder schwerer Leberfunktionsstörung nicht empfohlen. Sicherheit und Wirksamkeit sind für den Einsatz des Antikonvulsivums bei Kindern unter zwei Jahren bisher noch nicht erwiesen.

Kontraindikationen

Bei Überempfindlichkeit gegen Fenfluramin, Aorten- oder Mitralklappen-Fehlbildungen (Vitien) sowie bei pulmonaler arterieller Hypertonie besteht eine Kontraindikation. Ebenso für die Einnahme von Monoaminoxidase-Hemmern innerhalb von 14 Tagen nach der Anwendung, da anderenfalls ein erhöhtes Risiko für das Auftreten eines Serotoninsyndroms besteht.

Unerwünschte Wirkungen

Während der Anwendung von Fenfluramin kommt es sehr häufig zu Bronchitis, Infektionen der oberen Atemwege, vermindertem Appetit, Lethargie, Somnolenz, Status epilepticus, Tremor, Obstipation, Diarrhö, Erbrechen, Fieber, Ermüdung, Stürzen, verringerten Glucose-Werten, EKG-Abweichungen (minimale Regurgitation) sowie zu Gewichtsabnahmen. Häufig wird über Ohrinfektionen, anomales Verhalten und Reizbarkeit berichtet.

Wechselwirkungen

Die Effekte von zentral dämpfend wirkenden Substanzen wie Sedativa oder Hypnotika können durch Fenfluramin verstärkt werden. Zusammen mit serotoninergen Wirkstoffen wie Inhibitoren der Monoaminooxidase (MAO-Hemmer), selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI), Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI), tricyclischen Antidepressiva oder Triptanen besteht die Gefahr eines Serotoninsyndroms. Als starker Serotoninrezeptor-Antagonist reduziert Cyproheptadin die Wirksamkeit von Fenfluramin, sodass verstärkt Krampfanfälle auftreten können. Die Antikonvulsiva Stiripentol plus Clobazam und/oder Valproat bewirkten in klinischen Studien in Kombination mit Fenfluramin eine Erhöhung von dessen Bioverfügbarkeit auf 130% und eine Reduktion der Bioverfügbarkeit des Wirkprinzips Norfenfluramin auf 60%. Gegebenenfalls sollte eine Dosisanpassung erwogen werden. Die gleichzeitige Anwendung mit starken CYP2B6- oder CYP1A2-Induktoren führt möglicherweise zu einer Verminderung der Fenfluramin-Blutspiegel. Daher ist bei gleichzeitiger Anwendung von Phenobarbital oder bei rauchenden Patienten Vorsicht geboten. In In-vitro-Untersuchungen zeigten sich Fenfluramin und/oder sein Metabolit als Inhibitoren des Enzyms CYP2D6 sowie des Transporters MATE1 (multidrug and toxin extrusion 1). Ebenso wurde in vitro eine Induktion von CYP2B6 und intestinalem CYP3A4 festgestellt. Bis zur Klärung der klinischen Relevanz dieser Befunde sollte beim kombinierten Einsatz von entsprechenden Substraten dieser Enzyme und Transporter eine Überwachung hinsichtlich Wirkungen und Nebenwirkungen stattfinden.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen

Die Anwendung höherer Fenfluramin-Dosierungen ist mit dem Auftreten von Herzklappen-Vitien und pulmonalen Hypertonien assoziiert. Obwohl der Wirkstoff bei der Behandlung des Dravet-Syndroms in geringeren Dosen eingesetzt wird, sollte zur Sicherheit eine regelmäßige Überwachung der Herzfunktion mittels EKG erfolgen. Falls Anomalien auftreten, ist ein Kardiologe hinzuzuziehen und eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung durchzuführen. Insbesondere bei Entwicklung einer pulmonalen Hypertonie wird zu einem Abbruch der Fenfluramin-Behandlung geraten. Das Antikonvulsivum kann dosisabhängig zu vermindertem Appetit und Gewichtsverlusten führen, vor allem wenn es mit anderen Antiepileptika wie Stiripentol kombiniert wird. Eine regelmäßige Kontrolle des Gewichts ist daher angeraten. Die meisten Patienten nehmen allerdings bei fortgesetzter Behandlung im Laufe der Zeit wieder an Gewicht zu. Bei Patienten mit Anorexia oder Bulimia nervosa darf die Behandlung allenfalls nach einer entsprechenden Nutzen-Risiko-Bewertung erfolgen. Zur Sicherheit wurde ein Programm für den kontrollierten Zugang zu Fenfluramin erstellt. Dieses soll sicherstellen, dass die aktuell zugelassene Indikation strikt eingehalten wird und Ärzte vor der Verordnung angemessen informiert werden. Bei einer Therapie mit anderen Antiepileptika besteht eine gewisse Gefahr suizidalen Verhaltens. Da eine solche Entwicklung für Fenfluramin derzeit nicht ausgeschlossen werden kann, ist bei entsprechend prädisponierten Patienten besondere Vorsicht geboten. Während einer Fenfluramin-Behandlung muss ferner mit dem Auftreten eines potenziell lebensbedrohlichen Serotoninsyndroms gerechnet werden. Symptome können Agitiertheit, Halluzinationen, Koma, Tachykardie, Blutdruckschwankungen, Hyperthermie, Hyperreflexie, Inkoordination und gastrointestinale Beschwerden sein. Insbesondere zu Behandlungsbeginn und bei Erhöhung der Fenfluramin-Dosis wird daher eine sorgfältige Beobachtung des Patienten empfohlen. Das Antikonvulsivum kann okuläre Symptome wie Mydriasis und Winkelblockglaukome herbeiführen. Falls es zu Augenschmerzen mit einer akuten Verminderung der Sehschärfe kommt, ist die Fenfluramin-Therapie abzubrechen.

Schwangerschaft und Stillzeit

Wegen bislang nur sehr begrenzter Erfahrungen mit weniger als 300 Schwangerschaftsausgängen sollte die Anwendung von Fenfluramin bei schwangeren Frauen zur Sicherheit vermieden werden. Tierexperimentelle Studien ergaben allerdings keine Hinweise auf Reproduktionstoxizität. Es ist nicht bekannt, ob Fenfluramin oder seine Metaboliten in die Muttermilch übergehen. Im Tierversuch war dies der Fall. Um ein Risiko für den Säugling auszuschließen, muss eine Entscheidung getroffen werden, ob auf das Stillen oder die Behandlung mit Fenfluramin verzichtet werden soll.

Handelspräparat Fintepla® 

Hersteller

Zogenix GmbH, München

Einführungsdatum

01. Februar 2021

Zusammensetzung

2,2 mg Fenfluramin als Fenfluraminhydrochlorid pro ml Lösung

Sonstige Bestandteile

Natriumethyl-4-hydroxybenzoat (E 215), Natriummethyl-4-hydroxybenzoat (E 219), Sucralose (E 955), Hyetellose (E 1525 aus Natriumdihydrogenphosphat 7 H2O und Dinatriumhydrogenphosphat 7 H2O), Arabisches Gummi (E 414), Glucose und Maltodextrin aus Mais, Ethylbenzoat, (natürliche) Aromastoffe, Schwefeldioxid (E 220), Kaliumcitrat (E 332), Citronensäure-Monohydrat (E 330), Wasser für Injektionszwecke

Packungsgrößen, Preise, PZN

60 ml Lösung, 1299,40 Euro, PZN 16578267;
120 ml Lösung, 2555,41 Euro, PZN 16578273;
360 ml Lösung, 7551,45 Euro, PZN 16578310

Indikation

Patienten ab einem Alter von zwei Jahren mit Krampfanfällen im Zusammenhang mit dem Dravet-Syndrom als Zusatztherapie zu anderen Antiepileptika

Dosierung

Die Anfangsdosis beträgt zweimal täglich 0,1 mg Fenfluramin/kg Körpergewicht. Nach sieben Tagen kann die Dosis bei Bedarf auf zweimal täglich 0,2 mg/kg erhöht werden. Patienten, die begleitend kein Stiripentol einnehmen, können nach weiteren sieben Tagen auf maximal zweimal täglich 0,35 mg/kg eingestellt werden.

Kontraindikationen

Überempfindlichkeit gegen Fenfluramin, Aorten- oder Mitralklappen-Vitien, pulmonale arterielle Hypertonie, Einnahme innerhalb von 14 Tagen nach der Anwendung von Monoaminoxidase-Hemmern

Unerwünschte Wirkungen

Die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen sind verminderter Appetit (44,2%), Diarrhö (30,8%), Fieber (25,6%), Ermüdung (25,6%), Infektionen der oberen Atemwege (20,5%), Lethargie (17,5%), Somnolenz (15,4%) und Bronchitis (11,6%).

Wechselwirkungen

Andere das Zentralnervensystem dämpfende Wirkstoffe erhöhen das Risiko einer verstärkten Sedierung durch Fenfluramin. Die gleichzeitige Anwendung mit starken CYP1A2- oder CYP2B6-Induktoren kann zu einer Verminderung der Fenfluramin-Konzentrationen im Plasma führen.

Warnhinweise, Vorsichtsmaßnahme

Vor Beginn und regelmäßig während der Behandlung mit Fenfluramin muss bei Patienten eine Echokardiografie durchgeführt werden, um bestehende oder sich entwickelnde Herzklappen-Vitien oder pulmonale Hypertonien auszuschließen. Vor Therapiebeginn ist bei Patienten mit Anorexia oder Bulimia nervosa in der Anamnese eine Nutzen-Risiko-Bewertung vorzunehmen. Fenfluramin kann ein Serotonin-Syndrom auslösen.

Literatur

[1] Fachinformation zu Fintepla®, Stand Februar 2021


[2] Zhang L, Li W, Wang C. Efficacy and safety of fenfluramine in patients with Dravet syndrome: A meta-analysis. Acta Neurol Scand 2020;doi: 10.1111/ane.13387. Online ahead of print


[3] EPAR summary for the public. Fintepla® Fenfluramine. EMA/694672/2020; European Medicines Agency; www.ema.europe.eu

Copyright

©2021-2022 Deutscher Apotheker Verlag, Neue Arzneimittel, Beilage der Deutschen Apotheker Zeitung

Datenstand

04/2021

Apothekerin Dr. Monika Neubeck