Bortezomib
Bortezomib
ATC-Code
L: Antineoplastische und immunmodulierende Mittel
L01: Antineoplastische Mittel
L01X: Andere antineoplastische Mittel
L01XX: Andere antineoplastische Mittel
Wirkungsmechanismus
Bortezomib ist ein hochselektiver reversibler Proteasomen-Inhibitor. Er hemmt die Chymotrypsin-artige Aktivität des 26S-Proteasoms in Säugetierzellen. Andere Rezeptoren und Proteasen werden nicht beeinflusst. Das 26S-Proteasom ist ein großer Proteinkomplex, der an Ubiquitin gebundene Proteine abbaut. Der Ubiquitin-Abbauweg spielt eine wichtige Rolle bei der Metabolisierung zahlreicher Proteine.
Durch die Proteasom-Hemmung verändern sich in den Krebszellen die Regulatorproteine und Transkriptionsfaktoren, die unter anderem den Verlauf der Zellzyklen kontrollieren. Dadurch werden das Wachstum der Zelle, die Angiogenese, Zell-Zell-Interaktionen und die Metastasierung verhindert. Beim Myelom beeinflusst Bortezomib die Fähigkeit der Myelomzellen, mit dem Mikromilieu des Knochenmarks in Wechselwirkung zu treten.
Bortezomib wirkt auf eine Reihe von Krebszelltypen zytotoxisch. Dabei sind die Krebszellen anfälliger für die Wirkungen der Proteasom-Hemmung als normale Zellen.
Hintergrundinformation
Das multiple Myelom
Das multiple Myelom gehört zu den 20 häufigsten Tumorerkrankungen in Deutschland. Jährlich werden etwa 3500 Neuerkrankungen diagnostiziert, insgesamt leiden rund 12 000 Patienten daran. Nur etwa 30% der Patienten leben nach der Diagnose länger als fünf Jahre. Das durchschnittliche Alter bei der Diagnose beträgt etwa 65 Jahre. In letzter Zeit nimmt aber der Anteil jüngerer Patienten zu: Bereits 2% sind unter 40 Jahre alt. Männer sind im Verhältnis 3 : 2 häufiger betroffen als Frauen.
Die genaue Ursache des multiplen Myeloms ist nicht bekannt. Die Wirkung ionisierender Strahlen gilt als belegt; weiter werden eine Belastung mit Schwermetallen sowie Viren als Ursachen diskutiert.
Das multiple Myelom ist ein niedrig malignes Non-Hodgkin-Lymphom. Es gehört zu den lymphoproliferativen Erkrankungen des B-Zellsystems und befällt anders als die übrigen malignen Lymphome - nicht die Lymphknoten, sondern vor allem das Knochenmark. Als Folge akkumulieren terminal ausdifferenzierte BZellen, Plasmazellen, im Knochenmark. Zu Beginn ist der Anteil entarteter Zellen noch gering, nimmt aber im Verlauf der Krankheit zu. Das Knochenmark wird verdrängt, und es kommt zu Anämien, Blutungen und Infektionen. Durch eine Aktivierung der Osteoklasten entstehen im Verlauf der Krankheit Osteolysen, die zu Brüchen und schmerzhaften Sinterungen im Bereich der Wirbelsäule führen.
Die Krankheit beginnt oft schleichend. In den Frühstadien ist sie eher asymptomatisch. Erste Anzeichen können unspezifische Symptome wie Knochenschmerzen oder ständige Müdigkeit sein. In fortgeschrittenen Krankheitsstadien treten Osteolysen, Knochenschmerzen und Spontanfrakturen auf. Außerdem kommt es zu Anämie, Blässe, Müdigkeit und Leistungsminderung. Bis zu 50% der Patienten entwickeln ein Nierenversagen und Oligurie oder Anurie.
Das multiple Myelom ist derzeit nicht heilbar. Die Prognose hängt von Tumormasse, Alter, Progredienz und Allgemeinzustand des Patienten ab. Verschiedene Therapieansätze bewirken vorübergehende Remissionen. In jedem Fall führt die Krankheit jedoch nach Durchschreiten einer Plateauphase wieder zum Progress, der einen neuen Therapiebeginn erfordert. Das mediane Überleben liegt zwischen sechs Monaten und über fünf Jahren - je nach Krankheitsstadium und Alter bzw. Verfassung des Patienten. Durch konventionelle oder hochdosierte Chemotherapie mit Stammzelltransplantation kann die Prognose der Patienten verbessert werden.
Pharmakokinetik
- Nach einmaliger intravenöser Gabe nehmen die Plasmakonzentrationen von Bortezomib biphasisch ab. Die Abnahme ist durch eine schnelle Verteilungsphase, gefolgt von einer langsameren terminalen Eliminationsphase charakterisiert. Die schnelle Verteilung erfolgt mit einer Halbwertzeit von weniger als 10 Minuten. Beim Menschen beträgt die Halbwertzeit der terminalen Elimination von Bortezomib (geschätzt) 5 bis 15 Stunden. Über den Dosisbereich von 1,45 bis 2,0 mg/m² scheint die Exposition gegenüber Bortezomib dosisabhängig zu sein, mit dosisproportionalen Steigerungen im Dosisbereich von 1,0 bis 1,3 mg/m².
- Nach Mehrfachdosierung mit Bortezomib wurde eine Abnahme der Clearance beobachtet, die zu einer entsprechenden Erhöhung der terminalen Eliminationshalbwertzeit und der AUC führte.
- In einem Bortezomib-Konzentrationsbereich von 0,01 bis 1,0 µg/ml betrug die mittlere Proteinbindung in menschlichem Plasma in vitro 82,9%. Der prozentuale Anteil von Bortezomib, der an Plasmaproteine gebunden wurde, war nicht konzentrationsabhängig.
- Die Elimination von Bortezomib wurde in vivo nicht untersucht. In vitro scheinen hauptsächlich CYP3A4 und CYP2C19 für die Metabolisierung von Bortezomib verantwortlich zu sein. Im Urin wurde nur ein kleiner Anteil der nichtmetabolisierten Ausgangssubstanz nachgewiesen, während kein intaktes Bortezomib in der Galle oder den Fäzes gefunden wurde.
Dosierung, Art und Dauer der Anwendung
Zu Beginn wird Bortezomib in einer Dosis von 1,3 mg/m² Körperoberfläche zweimal wöchentlich über einen Zeitraum von zwei Wochen (Tage 1, 4, 8, und 11) gegeben, gefolgt von einer zehntägigen Therapiepause (Tage 12 - 21). Dieser Zeitraum von drei Wochen wird als ein Behandlungszyklus angesehen. Zwischen zwei aufeinander folgenden Dosen von Bortezomib soll eine Mindestzeitspanne von 72 Stunden eingehalten werden.
Patienten mit einem vollständigen Ansprechen sollten zwei weitere Zyklen lang mit Bortezomib behandelt werden. Patienten, die auf das Arzneimittel ansprechen, aber die keine vollständige Krankheitsremission zeigen, sollten insgesamt acht Behandlungszyklen erhalten.
Treten nicht-hämatologische Toxizitäten des Schweregrades 3 oder hämatologische Toxizitäten des Schweregrades 4 mit Ausnahme einer Neuropathie auf, sollte die Behandlung abgebrochen werden. Nach Abklingen der Toxizitätssymptome kann die Behandlung mit einer um 25% reduzierten Dosis erneut aufgenommen werden. Wenn die Toxizitätsreaktion nicht abklingt oder auch bei der niedrigsten Dosierung erneut auftritt, sollte ein Abbruch der Behandlung in Betracht gezogen werden.
Bei Patienten, bei denen im Zusammenhang mit der Behandlung neuropathische Schmerzen und/oder periphere Neuropathien auftreten, muss die Dosis angepasst werden. Patienten mit vorbestehender, schwerer Neuropathie dürfen nur nach vorheriger sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung mit Bortezomib behandelt werden.
- Die Anwendung von Bortezomib bei Kindern und Jugendlichen ist nicht untersucht worden, es sollte daher in der Pädiatrie nicht angewendet werden, bis weitere Daten vorliegen.
- Eine Dosisanpassung bei älteren Patienten ist nicht erforderlich.
- Patienten mit einer Nierenfunktionsstörung sollten sorgfältig überwacht werden, besonders bei einer Kreatinin-Clearance von unter 30 ml/min; eine Reduzierung der Dosis sollte in Betracht gezogen werden.
- Signifikante Leberfunktionsstörungen können die Elimination von Bortezomib beeinflussen und die Wahrscheinlichkeit von Arzneimittelwechselwirkungen erhöhen. Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion sollten mit besonderer Vorsicht behandelt werden, und die Dosis sollte reduziert werden
Kontraindikationen
- Überempfindlichkeit gegen Bortezomib, Bor oder einen der sonstigen Bestandteile.
- Schwere Leberfunktionsstörung.
Unerwünschte Wirkungen
256 Patienten erhielten Bortezomib zur Behandlung eines multiplen Myeloms, entweder als Einzelsubstanz oder in Kombination mit Dexamethason. Bei 97% dieser Patienten (n = 248) traten unerwünschte Arzneimittelwirkungen im Zusammenhang mit Bortezomib auf. 17% (n = 44) der Patienten brachen die Behandlung deshalb ab. Die Gründe für die Studienabbrüche verteilten sich gleichmäßig auf die häufigsten Arten von Unverträglichkeiten: periphere Neuropathie (4%), Thrombozytopenie (4%), Diarrhö (2%) und Müdigkeit (2%). Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse traten bei Patienten mit vorbestehenden Nierenfunktionsstörungen häufiger auf.
Gelegentlich wurde über mögliche Immunkomplex-vermittelte Reaktionen, wie Serumkrankheit oder Serumtypreaktionen, Polyarthritis mit Ausschlag und proliferative Glomerulonephritis, berichtet. Die Behandlung mit Bortezomib sollte abgebrochen werden, wenn schwere Reaktionen auftreten.
Nachfolgend werden sehr häufige (> 1/10) und häufige (< 1/10, > 1/100) unerwünschte Arzneimittelreaktionen aufgeführt
- Infektionen und parasitäre Erkrankungen: häufig: Herpes zoster, Nasopharyngitis, Infektion des oberen Respirationstrakts, Candida-Infektion, Herpes simplex.
- Erkrankungen des Bluts und des Lymphsystems: sehr häufig: Thrombozytopenie, Anämie, Neutropenie; häufig: Leukopenie, Lymphopenie.
- Stoffwechsel- und Ernährungsstörungen: sehr häufig: Anorexie; häufig: verminderter Appetit, Dehydratation, Hyponatriämie, Hypokalzämie, Hypomagnesiämie, Hypophosphatämie, Hyperglykämie, Hypokaliämie, Hyperurikämie, Hypoglykämie.
- Psychiatrische Erkrankungen: häufig: Schlaflosigkeit, Angstzustände, Stimmungsschwankungen.
- Erkrankungen des Nervensystems: sehr häufig: periphere Neuropathie, Kopfschmerz, Schwindel (ausgenommen Vertigo), Geschmacksanomalie; häufig: Parästhesie, Hypästhesie, Synkope, Gefühl von Brennen, Ganganormalitäten, periphere sensorische Neuropathie, Hyperästhesie.
- Augenerkrankungen: häufig: verschwommenes Sehen, trockene Augen, Augenreizung, gesteigerter Tränenfluss.
- Erkrankungen des Ohrs und des Labyrinths: häufig: Tinnitus.
- Herzerkrankungen: häufig: Tachykardie.
- Gefäßerkrankungen: häufig: Gesichtsrötung, orthostatische Hypotonie, Hypotonie.
- Erkrankungen der Atemwege, des Brustraums und Mediastinums: häufig: Dyspnö, Epistaxis, Belastungs-Dyspnö, Rhinorrhö, Husten, exazerbierte Dyspnö, Pleuraerguss.
- Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts: sehr häufig: Übelkeit, Diarrhö, Erbrechen, Obstipation; häufig: Bauchschmerz, Dyspepsie, weicher Stuhl, Oberbauchschmerzen, Blähungen, geblähtes Abdomen, Singultus, orale Ulzerationen, Halsschmerzen, Stomatitis.
- Erkrankungen der Haut und des Unterhautzellgewebes: sehr häufig: Ausschlag; häufig: Pruritus, Erythem, nächtliches Schwitzen, periorbitales Ödem, Urtikaria, pruritusartiger Hautausschlag, Haut-Noduli, vermehrtes Schwitzen, erythematöser Hautausschlag, generalisierter Hautausschlag.
- Muskuloskeletale- und Bindegewebserkrankungen: sehr häufig: Schmerz in den Gliedmaßen, Muskelkrämpfe, Myalgie; häufig: Arthralgie, Knochenschmerz, Gelenksteife, periphere Schwellung, Muskelsteifheit.
- Erkrankungen der Nieren und der Harnwege: häufig: Nierenfunktionsstörung, Schwierigkeiten beim Wasserlassen.
- Allgemeine Erkrankungen und Beschwerden am Verabreichungsort: sehr häufig: Müdigkeit, Fieber, Schwäche; häufig: Rigor, allgemeines Unwohlsein, grippale Infekte, peripheres Ödem, Schmerz, Ödem der unteren Gliedmaßen, Lethargie, Schleimhautentzündung, Ödem, Brustschmerz, Erythem an der Injektionsstelle, Neuralgie.
- Untersuchungen: häufig: Gewichtsabnahme, erhöhte Lactatdehydrogenase, erhöhte Alaninaminotransferase, erhöhte Aspartataminotransferase, erhöhte alkalische Phosphatase im Blut, erhöhte Kreatininspiegel, erhöhter Harnstoff im Blut, erhöhte Gammaglutamyltransferase.
Wechselwirkungen
- Bortezomib ist ein schwacher Inhibitor der Cytochrom-P450-(CYP-) Isoenzyme 1A2, 2C9, 2C19, 2D6 und 3A4. Patienten, die Bortezomib in Kombination mit potenten CYP3A4-Hemmern (z. B. Ketoconazol, Ritonavir), CYP2C19-Hemmern (Fluoxetin) oder CYP3A4-Induktoren (z. B. Rifampicin) erhalten, sollten engmaschig überwacht werden. Vorsicht ist ebenfalls bei der Kombination von Bortezomib mit CYP3A4- oder CYP2C19-Substraten geboten. Eine normale Leberfunktion sollte gesichert sein.
- Während der klinischen Studien traten bei Diabetikern, die orale Antidiabetika erhielten, Hypoglykämie und Hyperglykämie auf. Bei Patienten, die orale Antidiabetika erhalten und die mit Bortezomib behandelt werden, ist eine engmaschige Überprüfung der Blutzuckerwerte und eine Dosisanpassung ihrer Antidiabetika angezeigt.
Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen
- Gastrointestinale Unverträglichkeit, einschließlich Übelkeit, Diarrhö, Erbrechen und Obstipation tritt sehr häufig während der Behandlung mit Bortezomib auf. Diese Reaktionen werden in der Regel zu Beginn der Behandlung beobachtet (Zyklen 1 und 2) und können über mehrere Zyklen andauern. Patienten, bei denen eine behandlungsassoziierte, gastrointestinale Unverträglichkeit auftritt, können mit Antiemetika und Arzneimitteln zur Behandlung von Diarrhö behandelt werden. Zur Prävention oder Behandlung einer Dehydratation sollten Flüssigkeit und Elektrolyte zugeführt werden. Fälle von Ileus wurden berichtet, daher sollten Patienten, bei denen eine Obstipation auftritt, sorgfältig überwacht werden.
- Im Zusammenhang mit der Bortezomib-Behandlung treten sehr häufig hämatologische Toxizitäten auf (Thrombozytopenie, Neutropenie, Anämie). Daher sollten während der gesamten Behandlung mit Bortezomib regelmäßig Blutbilder erstellt werden. Die häufigste hämatotoxische Reaktion ist eine vorübergehende Thrombozytopenie, die in der Regel in den Intervallen zwischen den Behandlungszyklen abklingt. Im Zusammenhang mit einer Thrombozytopenie sind schwere Blutungen, einschließlich Blutungen im ZNS und gastrointestinale Blutungen, beschrieben worden. Bei hämatologischen Toxizitäten des Schweregrades 4 wird empfohlen, die Behandlung vorübergehend zu unterbrechen. Wenn die toxischen Reaktionen abgeklungen sind, kann die Behandlung mit herabgesetzter Dosis aufgenommen werden. Patienten, die unter der Behandlung mit Bortezomib lebensbedrohliche Blutungen erlitten, haben ein höheres Risiko für weitere Blutungen, daher muss der Nutzen einer Fortführung der Therapie sorgfältig gegen das Risiko abgewogen werden.
- Im Zusammenhang mit der Bortezomib-Behandlung tritt sehr häufig eine periphere Neuropathie auf, die vorwiegend sensorisch ist. In seltenen Fällen wurde auch eine gemischte sensorisch-motorische Neuropathie beschrieben. Bei Patienten mit vorbestehenden Symptomen und/oder Anzeichen einer peripheren Neuropathie kommt es wahrscheinlich während der Behandlung mit Bortezomib zu einer Verschlechterung der Symptomatik. Es wird empfohlen, die Patienten sorgfältig auf Anzeichen einer Neuropathie zu überwachen; dazu gehören ein Gefühl von Brennen, Hyperästhesie, Hypoästhesie, Parästhesie, Unwohlsein oder neuropathischer Schmerz. Bei Patienten mit neu auftretender oder sich verschlechternder peripherer Neuropathie kann eine Anpassung der Dosis und des Anwendungsschemas erforderlich sein. Die therapieinduzierte periphere Neuropathie kann reversibel sein, zur Zeit stehen jedoch nur wenige Daten zum weiteren Verlauf zur Verfügung. Arzneimittel von denen bekannt ist, dass sie zu Neuropathie führen können, insbesondere andere Chemotherapeutika, sollten mit besonderer Vorsicht eingesetzt werden. Zusätzlich zur peripheren Neuropathie kann zum Teil auch eine autonome Neuropathie zu einigen Nebenwirkungen beitragen, wie posturale Hypotonie und schwere Obstipation mit Ileus.
- Gelegentlich traten Krampfanfälle auf, ohne dass eine Anamnese von Krampfanfällen oder Epilepsie bestand. Eine besondere Überwachung ist notwendig, wenn Patienten mit einem Risiko für Krampfanfälle behandelt werden.
- Im Zusammenhang mit der Bortezomib-Behandlung tritt häufig eine orthostatische posturale Hypotonie auf. In den meisten Fällen ist diese leicht bis mittelschwer. Besondere Vorsichtsmaßnahmen sollten eingehalten werden, wenn Patienten mit Synkopen in der Anamnese mit Arzneimitteln behandelt werden, von denen bekannt ist, dass sie zu Hypotonie führen können, und bei Patienten die aufgrund rezidivierender Diarrhö oder Erbrechens dehydratisiert sind. Die Patienten sollten angehalten werden, sich an ihren Arzt zu wenden, wenn Symptome von Schwindel, Benommenheit oder Ohnmachtsanfälle auftreten.
- Unter der Behandlung mit Bortezomib kann eine dekompensierte Herzinsuffizienz auftreten oder sich verschlechtern. Eine Flüssigkeitsretention könnte auf Anzeichen einer Herzinsuffizienz hindeuten.
- Bei Patienten mit leichten bis mittelschweren Nierenfunktionsstörungen traten schwerwiegende Nebenwirkungen häufiger auf als bei Patienten mit normaler Nierenfunktion.
- Da Bortezomib eine zytotoxische Substanz ist und sehr schnell maligne Plasmazellen abtöten kann, können die Komplikationen eines Tumor-Lyse-Syndroms auftreten. Risikopatienten für ein Tumor-Lyse-Syndrom sind diejenigen Patienten, die vor der Behandlung eine hohe Tumorbelastung hatten. Diese Patienten sollten engmaschig überwacht und angemessene Vorsichtsmaßnahmen eingeleitet werden.
- Der Einfluss der Proteasom-Hemmung durch Bortezomib auf Erkrankungen, die wie die Amyloidose durch eine Eiweißakkumulation gekennzeichnet sind, ist nicht bekannt. Bei solchen Patienten ist Vorsicht geboten.
- Die Behandlung mit Bortezomib kann zu Ermüdung, Schwindel, Ohnmachtsanfällen, orthostatischer posturaler Hypotonie oder verschwommenem Sehen führen. Aus diesem Grunde müssen die Patienten vorsichtig sein, wenn sie Maschinen bedienen oder am Straßenverkehr teilnehmen.
Schwangerschaft und Stillzeit
Klinische Daten zur Anwendung von Bortezomib während der Schwangerschaft liegen nicht vor. In Studien an Ratten und Kaninchen zeigte Bortezomib bei den maximalen maternal verträglichen Dosierungen keine Wirkungen auf die embryonale/fötale Entwicklung. Männer in zeugungsfähigem und Frauen in gebärfähigem Alter sollten dennoch während und drei Monate nach Abschluss der Behandlung mit Bortezomib effektive Verhütungsmaßnahmen anwenden. Es ist nicht bekannt, ob Bortezomib in die Muttermilch übertritt. Da rein prinzipiell die Möglichkeit besteht, dass schwerwiegende Nebenwirkungen durch Bortezomib bei gestillten Kindern auftreten, sind die Patientinnen angehalten, während der Behandlung mit Bortezomib nicht zu stillen.
Handelspräparat Velcade®
Hersteller
Einführungsdatum
Zusammensetzung
Jede Durchstechflasche enthält 3,5 mg Bortezomib (als Mannitol-Borester).
Sonstige Bestandteile
Mannitol (E 421), Stickstoff
Packungsgrößen, Preise, PZN
Eine Durchstechflasche, Euro 1375,05, PZN 0822831
Indikation
Zur Behandlung von Patienten mit multiplem Myelom, die mindestens zwei vorangehende Therapien durchlaufen haben und bei denen während der letzten Behandlung eine Krankheitsprogression zu beobachten war
Dosierung
Zu Beginn wird Bortezomib in einer Dosis von 1,3 mg/m² Körperoberfläche zweimal wöchentlich über einen Zeitraum von zwei Wochen (Tage 1, 4, 8, und 11) gegeben, gefolgt von einer 10-tägigen Therapiepause (Tage 12 - 21). Dieser Zeitraum von drei Wochen wird als ein Behandlungszyklus angesehen.
Kontraindikationen
Schwere Leberfunktionsstörung
Unerwünschte Wirkungen
Periphere Neuropathie, Thrombozytopenie, Diarrhö, Müdigkeit. Weitere sehr häufige und häufige Nebenwirkungen: Anämie, Neutropenie, Leukopenie, Lymphopenie; Herpes zoster, Nasopharyngitis, Infektion des oberen Respirationstrakts, Candida-Infektion, Herpes simplex; Anorexie, verminderter Appetit, Dehydratation, Hyponatriämie, Hypokalzämie, Hypomagnesiämie, Hypophosphatämie, Hyperglykämie, Hypokaliämie, Hyperurikämie, Hypoglykämie; gelegentlich: Gedeihstörung, Hyperkaliämie; Schlaflosigkeit, Angstzustände, Stimmungsschwankungen; periphere Neuropathie, Kopfschmerz, Schwindel (ausgenommen Vertigo), Geschmacksanomalie; Parästhesie, Hypästhesie, Synkope, Gefühl von Brennen, Ganganormalitäten, Hyperästhesie; verschwommenes Sehen, trockene Augen, Augenreizung, gesteigerter Tränenfluss; Tinnitus; Tachykardie; Gesichtsrötung, orthostatische Hypotonie, Hypotonie; Dyspnö, Epistaxis, Belastungs-Dyspnö, Rhinorrhö, Husten, exazerbierte Dyspnö, Pleuraerguss; Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Bauchschmerz, Dyspepsie, weicher Stuhl, Oberbauchschmerz, Blähungen, geblähtes Abdomen, Singultus, orale Ulzerationen, Halsschmerzen, Übelkeit verschlechtert, Stomatitis; Ausschlag, Pruritus, Erythem, nächtliches Schwitzen, periorbitales Ödem, Urtikaria, pruritusartiger Hautausschlag, HautNoduli, vermehrtes Schwitzen, erythematöser Hautausschlag, generalisierter Hautausschlag; Schmerz in den Gliedmaßen, Muskelkrämpfe, Myalgie, Arthralgie, Knochenschmerz, Gelenksteife, periphere Schwellung, Muskelsteifheit; Nierenfunktionsstörung, Schwierigkeiten beim Wasserlassen; Fieber, Schwäche; häufig: Rigor, allgemeines Unwohlsein, grippale Infekte, peripheres Ödem, Schmerz, Ödem der unteren Gliedmaßen, Lethargie, Schleimhautentzündung, Ödem, Brustschmerz, Erythem an der Injektionsstelle, Neuralgie; Gewichtsabnahme, erhöhte Lactatdehydrogenase, erhöhte Alaninaminotransferase, erhöhte Aspartataminotransferase, erhöhte alkalische Phosphatase im Blut, erhöhte Kreatininspiegel, erhöhter Harnstoff im Blut, erhöhte Gammaglutamyltransferase
Wechselwirkungen
Vorsicht ist bei der Kombination von Bortezomib mit CYP3A4- oder CYP2C19Hemmern, -Induktoren und -Substraten geboten. Während der klinischen Studien traten bei Diabetikern, die orale Antidiabetika erhielten, Hypoglykämie und Hyperglykämie auf
Warnhinweise, Vorsichtsmaßnahme
Wegen der Gefahr von hämatologischen Toxizitäten sollten während der gesamten Behandlung mit Bortezomib regelmäßig Blutbilder erstellt werden. Bei Patienten mit peripherer Neuropathie kann eine Anpassung der Dosis und des Anwendungsschemas erforderlich sein. Eine besondere Überwachung ist notwendig, wenn Patienten mit einem Risiko für Krampfanfälle behandelt werden. Die Patienten sollten angehalten werden, sich an ihren Arzt zu wenden, wenn Symptome von Schwindel, Benommenheit oder Ohnmachtsanfälle auftreten. Unter der Behandlung mit Bortezomib kann eine dekompensierte Herzinsuffizienz auftreten oder sich verschlechtern. Die Komplikationen eines Tumor-Lyse-Syndroms können vorkommen. Die Behandlung mit Bortezomib kann zu Ermüdung, Schwindel, Ohnmachtsanfällen, orthostatischer posturaler Hypotonie oder verschwommenem Sehen führen. Aus diesem Grunde müssen die Patienten vorsichtig sein, wenn sie Maschinen bedienen oder am Straßenverkehr teilnehmen.
Literatur
Richardson, P. G., et al: A phase 2 study of bortezomib in relapsed, refractory myeloma. N. Engl. J. Med. 348, 2609 - 2617 (2003).
Hideshima, T., et al: The proteasome inhibitor PS-341 inhibits growth, induces apoptosis, and overcomes drug resistance in human multiple myeloma cells. Cancer Res. 61, 3071 - 3076 (2001).
Kurz zusammengefasst
Bortezomib (Velcade®) ist der erste Vertreter einer neuen Wirkstoffklasse, der Proteasomen-Inhibitoren. Es ist für die Behandlung von Patienten mit multiplem Myelom zugelassen, die mindestens zwei vorangehende Therapien durchlaufen haben und die während der letzten Behandlung eine Krankheitsprogression erlitten haben.
Das Peptid Bortezomib enthält am C-terminalen Ende ein Borsäure-Molekül, das für die Bindung an das Proteasom verantwortlich ist. Der Wirkstoff wird als gefriergetrocknetes Pulver in Form eines dipeptidischen Mannitol-Boresters angeboten. Nach der Zubereitung steht der Mannitolester im Gleichgewicht mit seinem Hydrolyseprodukt.
Bortezomib hemmt selektiv und reversibel die Chymotrypsin-artige Aktivität des ubiquitär vorkommenden 26S-Proteasoms in Säugetierzellen. Als Proteasom bezeichnet man einen Multiproteasen-Enzymkomplex im Zytoplasma. Dieser spielt in der Stoffwechselregulierung von den Proteinen eine zentrale Rolle, die Zellwachstum, Zelltod und Angiogenese regeln. Das 26S-Proteasom ist ein großer Proteinkomplex, der an Ubiquitin gebundene Proteine abbaut. Ubiquitin markiert die zu verdauenden Proteine und "präsentiert" sie dem Proteasom. In malignen Zellen gibt es zahlreiche Substrate für das Proteasom. Darunter finden sich Onkogene (z. B. c-myc), Zellzyklus-Regulatoren (z. B. Cycline), inhibitorische Proteine, Enzyme und Apoptose-Faktoren.
Die Hemmung des Proteasoms verhindert deren Proteolyse und bewirkt eine Unterbrechung einer Vielzahl von Signalkaskaden innerhalb der Zelle, die letztlich zum Absterben der Krebszelle führen. Unter anderem werden Regulatorproteine verändert, die den Verlauf der Zellzyklen und die Aktivierung des nukleären Faktors kappa B (NF-kappaB) kontrollieren. Der Wachstumsfaktor NF-kappaB trägt zur Proliferation maligner Zellen bei und schützt sie vor Apoptose. Bortezomib wirkt auf eine Reihe von Krebszelltypen zytotoxisch. Krebszellen sind anfälliger als gesunde Zellen, die aber auch angegriffen werden.
Bortezomib wird in mehreren Zyklen ambulant intravenös injiziert. Die Zyklen werden von behandlungsfreien Intervallen unterbrochen, in denen sich die Proteasomen der gesunden Zellen wieder regenerieren können. Nach 72 Stunden sollen sie sich vollständig erholt haben. Angestrebt wird, die ProteasomenAktivität zu 80% zu hemmen. 20% Aktivität soll erhalten bleiben, um die Regulation des Stoffwechsel in den gesunden Zellen zu gewährleisten. Bortezomib wird hauptsächlich durch CYP3A4 und CYP2C19 metabolisiert und über die Galle mit den Fäzes ausgeschieden. Beim Menschen beträgt die Halbwertzeit 5 bis 15 Stunden.
In der SUMMIT-Studie, einer offenen multizentrischen Phase-II-Studie, die 2003 zur beschleunigten Zulassung von Bortezomib in den USA führte, erhielten 202 Patienten mit rezidiviertem und refraktärem multiplem Myelom mit mindestens zwei vorhergehenden Therapielinien Bortezomib. In diese Studie wurden Patienten eingeschlossen, die sehr stark vorbehandelt (im Mittel sechs Vortherapien) und auf die letzte Therapie zu 91% refraktär waren. 64% der Patienten hatten bereits eine Stammzelltransplantation und 84% eine Therapie mit Thalidomid durchlaufen. Damit stand für diese schwer kranken Patienten keine adäquate Therapie mehr zur Verfügung. Die mediane Zeit bis zum Progress betrug drei Monate; die mediane Zeit zwischen letzter Therapie und Bortezomib lag bei einem Monat.
Insgesamt sprachen 35% der ausgewerteten 193 Patienten im Durchschnitt nach 38 Tagen auf Bortezomib an. Knapp 28% erzielten eine komplette oder partielle Remission. 59% erreichten eine Stabilisierung oder Besserung. Die mediane Zeit bis zum Ansprechen betrug 38 Tage (2 Zyklen); 80% der Responder erreichten die erste Response innerhalb von 59 Tagen (3 Zyklen). Schmerzen und andere Symptome wurden signifikant gelindert, auch das individuelle Befinden der Patienten besserte sich deutlich. Die mediane Überlebenszeit liegt inzwischen bei 17,5 Monaten. Mit anderen Behandlungsformen können dagegen nur 6 bis 9 Monate erwartet werden.
Das Ansprechen auf Bortezomib war von der Zahl und der Art der Vortherapien unabhängig. Bortezomib verlängerte die Zeit bis zum Progress gegenüber der Vortherapie um mehr als das Doppelte: In der SUMMIT-Studie lag die mediane Zeit bis zum Progress unter Vortherapie bei 3 Monaten, während die Patienten unter der Behandlung mit Bortezomib 7 Monate erreichten.
Die häufigsten Nebenwirkungen waren gastrointestinale Symptome, wie Erbrechen, Diarrhö und Obstipation; außerdem Thrombozytopenie, periphere Neuropathie sowie Fatigue.
Als nächstes wird eine Zulassung in der Rezidivtherapie (Zweitlinientherapie) angestrebt. In einer entsprechenden Studie wurde Bortezomib mit hochdosiertem Dexamethason verglichen. Diese Studie konnte aufgrund signifikant besserer Ergebnisse unter Bortezomib vorzeitig beendet werden.
In einem Studienprogramm soll auch die Wirkung von Bortezomib in der Primärtherapie untersucht werden. Auch soll der Einsatz bei anderen Tumorarten erprobt werden. Dazu gehören Non-Hodgkin-Lymphome, aber auch solide Tumoren wie Bronchialkarzinom, Mammakarzinom und Prostatakarzinom.