Zwischen Innovation und Tradition: Wie sich Abrechner unterschieden
Die Rechtsgrundlage für die Rezeptabrechnung findet sich in § 300 Abs. 1 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V). Die Vorschrift besagt, dass die Apotheken die Verordnungsblätter maschinenlesbar zu beschriften und in analoger oder digitaler Form an die Krankenkassen weiterzuleiten haben. Absatz 2 ergänzt, dass Apotheken zur Erfüllung dieser Verpflichtungen Rechenzentren in Anspruch nehmen können. Das Gesetz schweigt zu weiteren Aufgaben, aber auf der Homepage der Abda findet man weiterführende Informationen.
Die unsichtbaren Partner – Teil 1: Von standeseigen bis privat: der Markt der Rechenzentren
Die wenigsten Patienten machen sich Gedanken darüber, was nach Abgabe eines Kassenrezepts passiert. Für die Apotheke beginnt der wirtschaftlich relevante Teil der Versorgung jedoch erst mit der Abrechnung. Seit Jahrzehnten übernehmen spezialisierte Rechenzentren diese Aufgabe, teils sind sie standeseigen, teils privat. Wir haben uns die Akteure im Markt der Apothekenrechenzentren einmal angesehen. Einen Überblick gibt es im ersten Teil des Artikels.
Demnach ist die zentrale Aufgabe eines Rechenzentrums, Abrechnungen für die Apotheken zu erstellen, diese an die Krankenkassen zu übermitteln und die Zahlungen an die Apotheken weiterzuleiten. Bei rund 74 Millionen gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland, knapp 100 Krankenkassen und jährlich über 500 Millionen Rezepte in den Apotheken vor Ort, Tendenz steigend, bekommt man ein erstes Gespür für die hohe Komplexität des Geschäftsmodells Rezeptabrechnung. Doch das ist noch längst nicht alles. Denn zwar kommen inzwischen schon die meisten ärztlichen Verordnungen als E-Rezepte in die Apotheke. Doch längst nicht alle. Insbesondere extrem hochpreisige Artikel werden momentan noch bevorzugt als Muster-16 auf Papier ausgestellt, dazu kommen die „Sonderrezepte“ für BtM und die T-Rezepte. Und auch Hilfsmittel werden noch eine ganze Weile nicht elektronisch werden können. Bei Papierrezepten werden die Verordnungen mit HochgeschwindigkeitsScannern digitalisiert und per Software ausgelesen, bevor sie in den Abrechnungsprozess einfließen. Das war, stark verkürzt, der technische Teil. Nun kommt noch die eigentliche Kernleistung der Abrechnung.
Schließlich müssen aus den Daten nun, möglichst automatisiert, die Informationen erzeugt werden, die für die Prüfung und korrekte Abrechnung des Rezeptes relevant sind. Wegen der Rabattverträge oder bei Lieferengpässen stimmt das ärztlich verordnete Arzneimittel in der Praxis oft nicht mit dem tatsächlich abgegebenen Medikament überein. Hersteller und Apotheken müssen an die Krankenkassen überdies Abschläge bezahlen, die zu berücksichtigen sind. Außerdem werden Daten zu abgerechneten Arzneimittelpackungen an den Nacht- und Notdienstfonds des Deutschen Apothekerverbandes gesandt, der für jede abgegebene Packung 21 Cent zur Unterstützung der Notdienste erhält. Auch nehmen die Rechenzentren manuelle Korrekturen vor, wenn beispielsweise Teile der Verordnung nicht lesbar sind. Im Zweifel wird auch mal eine Verordnung an die Apotheke zurückgespielt, um nachzubessern.
Diesen kompletten und komplexen Prozess managt das Rechenzentrum. Es überwacht zusätzlich den gesamten Zahlungsverkehr zwischen Krankenkassen, Herstellern und Apotheken. Schließlich werden auch noch die Industrierabatte an die Krankenkassen weitergeleitet und Zahlungen der Krankenkassen an die Apotheken. Wo, so mag man sich fragen, bleibt da noch Platz für Differenzierung zwischen den Anbietern?
Wie sich Rezeptabrechner voneinander unterscheiden
Die Wahl des Abrechners wird in vielen Fällen stark von der Regionalität und den gewachsenen Strukturen der Apotheke bestimmt. Apotheken rechnen meist bei ihrem eigenen Verband ab, nicht zuletzt aus Loyalität. Dieser respektvolle Umgang mit langjährigen Partnern prägt die Apothekenbranche und trägt dazu bei, dass sie relativ krisenresistent ist. Gleichzeitig setzen sich dadurch Innovationen langsamer durch als in anderen Branchen. Viele Apotheken wechseln, beispielsweise nach einem Inhaberwechsel, auch einfach deshalb nicht, weil dort „halt schon immer“ abgerechnet wurde. Einzelne Disruptoren wie AvP, die zunächst sehr erfolgreich expandierten, haben diese etablierten Strukturen dennoch auf den Prüfstand gestellt. Die anschließende Insolvenz des Unternehmens unterstrich, wie zentral Loyalität und Vertrauen als tragende Säulen der Rezeptabrechnung sind. Vor diesem Hintergrund versuchen die großen Anbieter, sich über Zusatzleistungen und Services zu differenzieren (s. Checkliste)
Tab. 2: Eine Checkliste für die Merkmale eines Apothekenrechenzentrums hilft, die Unterschiede zu erkennen
| Kategorie | Prüfpunkte | Bewertung |
| Vertrauen & Sicherheit | Werden Auszahlungen termingerecht überwiesen? | ☐ Ja ☐ Nein |
| Sind Sicherungsmaßnahmen für meine Abrechnungsgelder vorhanden? | ☐ Ja ☐ Nein | |
| Wurden, sofern vorhanden, Krisen in der Vergangenheit professionell gemeistert und transparent kommuniziert? | ☐ Ja ☐ Nein | |
| Service & Betreuung | Sind meine Ansprechpartner schnell erreichbar und kompetent? | ☐ Ja ☐ Nein |
| Werden individuelle Probleme oder Ausnahmen zeitnah und kulant gelöst? | ☐ Ja ☐ Nein | |
| Bekomme ich Unterstützung bei neuen Prozessen? (E-Rezept, Dekadenzahlung, o.ä.) | ☐ Ja ☐ Nein | |
| Digitalisierung & Innovation | Sind digitale Tools wie Online-Statistiken, Rezept-Vor-Prüfungen, elektronische Kostenvoranschläge o.ä. vorhanden? | ☐ Ja ☐ Nein |
| Werden/wurden neue Technologien (E-Rezept, ePA, Schnittstellen zu Warenwirtschaft) zeitnah und zufriedenstellend umgesetzt? | ☐ Ja ☐ Nein | |
| Gibt es nützliche Zusatzservices? (Liquiditätsmanagement, Vermeidung von Retaxationen, Reporting-Tools, etc.) | ☐ Ja ☐ Nein | |
| Kosten & Effizienz | Sind die Abrechnungsgebühren transparent und nachvollziehbar? | ☐ Ja ☐ Nein |
| Sind Optimierungsmöglichkeiten für Abläufe oder Auszahlungen vorhanden? | ☐ Ja ☐ Nein | |
| strategische Ausrichtung & Zukunft | Versteht mein Abrechner die Herausforderungen der Apotheke? | ☐ Ja ☐ Nein |
| Ist sein Geschäftsmodell robust gegenüber technologischen Veränderungen? | ☐ Ja ☐ Nein | |
| Sind dort aktuell Innovationsprojekte vorhanden, die auf die Zukunft der Apotheke einzahlen? |
☐ Ja ☐ Nein | |
| Partizipation & Mitgestaltung | Besteht die Möglichkeit, sich über Verband, Kundenbeirat oder Kooperation in die Weiterentwicklung einzubringen? |
☐ Ja ☐ Nein |
Noventi etwa setzt auf IT-Sicherheitslösungen und modernes Liquiditätsmanagement. Mit dem „Cashmanager“ können Apotheken ihr Rezeptguthaben flexibel abrufen und sofort auszahlen lassen. Damit soll die finanzielle Stabilität der Apotheken gestärkt und zugleich das Vertrauen zurückgewonnen werden, das durch frühere Marktturbulenzen erschüttert wurde. ARZ Haan bietet mit Flexzahlung ein ähnliches Instrument. Damit können Apotheken ihre Liquidität optimieren und erhalten zugleich eine moderne, digitale Abwicklung ihrer Rezepte. Das ARZ Darmstadt wiederum verfolgt einen teils ähnlichen, teils leicht anderen Ansatz: Für die Abholung der Papierrezepte setzt es zwei eigens für das Zentrum tätige Subunternehmen ein. Dadurch ist man weniger abhängig von den Touren der Großhandlungen, denen sich andere Abrechner meist zur Abholung der Papierrezepte bedienen. Das ARZ Darmstadt kombiniert diese logistische Unabhängigkeit mit digitaler Abrechnung und umfangreichen Sicherheits- und Versicherungsmaßnahmen für die abgeholten Rezepte.
Mit der Einführung des E-Rezepts wurde seitens der Abrechner zunächst befürchtet, dass Abrechnungszentren überflüssig werden könnten. Deswegen investierte beispielsweise die damalige VSA GmbH im Jahr 2002 durch die Übernahme des Softwareanbieters Dr.-Ing. Stahl GmbH in dessen Warenwirtschaft Infopharm, um sich mit Apothekenverwaltungssoftware ein zweites Standbein aufzubauen. Heute ist das Software-Geschäft ein wesentliches Standbein der Noventi Health SE, unter deren Dach sich die frühere VSA befindet.
Doch nicht nur die Einführung des E-Rezeptes zog sich in die Länge, auch die Übergangsphase, in der sowohl Papier als auch E-Rezepte verarbeitet werden müssen, dauert länger als geplant. Solange Papierrezepte noch im Umlauf sind, entstehen weiterhin Kosten bei den Abrechnern: Jedes Rezept muss in Empfang genommen, sortiert und gescannt werden. Hochleistungsscanner müssen gewartet, kalibriert und mit aktueller Software versorgt werden. Mitarbeitende sind erforderlich, um die Belege zu prüfen, Fehler zu korrigieren und Ausnahmen zu bearbeiten.
Was uns zur Frage bringt: Wie wird die Rezeptabrechnung aussehen, sobald nur noch E-Rezepte verarbeitet werden müssen?
Innovationskiller E-Rezept?
Welche Informationen auf einem Rezept stehen müssen, ist in § 2 der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) geregelt. Jahrzehntelang wurden diese Daten auf Papier vom Arzt über die Apotheke bis zur Krankenkasse transportiert. Die auffällige regionale Ausrichtung der Rezeptabrechnungszentren war daher folgerichtig: Ein großer Teil der Wertschöpfung bestand in der Logistik – dem Einsammeln der Muster-16-Formulare und ihrem Transport zur Datenerfassung. Kurze Wege hielten die Kosten im Rahmen.
Heute werden die meisten Verordnungen digital übermittelt, der logistische Aufwand hat sich damit stark reduziert. Dennoch müssen die Abrechner weiterhin Kapazitäten für die schrumpfende Zahl von Papierrezepten vorhalten. Naheliegend wäre die Erwartung gewesen, dass mit Wegfall der Ortsgebundenheit das Feld für neue, innovative Modelle in der Rezeptabrechnung weit geöffnet würde. Doch so einfach war es nicht. Das 2024 bundesweit eingeführte E-Rezept basiert auf einer Spezifikation aus den frühen 2000er-Jahren. Dass Hardwarekomponenten wie Konnektoren in jeder Apotheke stehen mussten, wirkte schon lange anachronistisch. Mit RED medical trat bereits 2012 ein Anbieter auf, der die Anbindung an die Telematikinfrastruktur konsequent als Cloud-Lösung entwickelte. Anfangs belächelt, wurde dieser Ansatz inzwischen Standard: Nach Vorgabe der Gematik sind physische Konnektoren spätestens ab 2030 nicht mehr zulässig, und viele Abrechnungszentren bieten inzwischen TI-as-a-Service oder gar schon die Weiterentwicklung über zentrale Gateways (TI-Gateways) an. Ein Außenseiter setzte den Trend, der die Branche prägte. Dieses Beispiel zeigt, wie komplex die Einführung des E-Rezepts war. Es ging nicht nur um den Abbau logistischer Prozesse, sondern um einen tiefgreifenden Change-Prozess in den Apotheken und bei ihren Dienstleistern. Er band enorme Ressourcen, die nicht separat vergütet wurden und die vor allem bei den Abrechenzentren für andere Innovationsprojekte fehlten. So war das E-Rezept zugleich Innovationstreiber und Innovationsbremse.
Der Elefant – oder die Telefonzelle? – im Raum
Inzwischen ist das E-Rezept Teil des Versorgungsalltags in Deutschland. Auch die elektronische Patientenakte (ePA), seit Oktober 2025 mit weiteren Funktionen ausgestattet, wird trotz holprigem Start die Digitalisierung im Gesundheitssystem spürbar beschleunigen. Damit ist die Rezeptabrechnung längst nicht mehr ortsgebunden: Aus einem früher aufgrund der Logistik lokal geprägtem Geschäft ist ein digitaler Milliardenmarkt geworden. Das weckt auch international Aufmerksamkeit.
Laut Abda beliefen sich die GKV-Arzneimittelausgaben (Fertigarzneimittel, Rezepturen und Verbandsstoffe) aus öffentlichen Apotheken im Jahr 2024 auf 47,87 Milliarden Euro, mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate (compound annual growth rate – CAGR) von über fünf Prozent. Selbst bei nur einem Promille Abrechnungsgebühren (tatsächlich liegen die Abrechnungsgebühren der Abrechner etwas darüber) ergibt sich daraus ein Umsatzpotenzial von knapp 480 Millionen Euro pro Jahr – mit steigender Tendenz. Natürlich ziehen solche Dimensionen Investoren an. Digitale Lösungen und Künstliche Intelligenz (KI) senken zudem die Eintrittsbarrieren, weil sie das Potenzial haben, administrative Prozesse zu automatisieren und Kosten drastisch zu reduzieren.
Der Kern der Rezeptabrechnung bleibt unverändert: Rezepte prüfen, korrekt abrechnen und Apotheken liquide halten. Solange das gewährleistet ist, bleibt das Geschäftsmodell bestehen. Doch sobald sich digitale Alternativen durchsetzen, die diese Kernfunktionen schneller, günstiger oder transparenter anbieten, wird das Geschäftsmodell auf den Prüfstand gestellt. Genau an diesem Punkt setzt das 2016 in Dresden gegründete Unternehmen Scanacs an. Mit seiner Lösung werden Apotheken direkt mit den Krankenkassen verbunden und sollen künftig tägliche Auszahlungen erhalten können. Ein Rettungsanker vor allem für Apotheken mit hohem Rezeptvolumen, die so in die Lage versetzt werden könnten, ihre Liquidität noch besser an die eigenen Ausgaben anzupassen.
Vor diesem Hintergrund wirkt die Debatte um Direktabrechnung zunehmend aus der Zeit gefallen. Viele reagieren noch skeptisch oder ablehnend, doch es wäre naiv zu glauben, dass Scanacs auf Dauer der einzige Anbieter für Direktabrechnung bleibt. Der nächste Nachahmer wird unweigerlich auftauchen und damit endgültig zeigen, dass das Modell funktioniert. Spätestens dann wird sich entscheiden, ob die standeseigenen Abrechnungszentren eine Rolle in der Direktabrechnung spielen oder ob sie durch ihr Festhalten am klassischen Modell tatsächlich, wie ein Kolumnist in dieser Zeitschrift kürzlich spottete, am „Geschäftsmodell Telefonzelle“ festhalten werden.
Fazit
Der Markt der Rezeptabrechnung ist historisch gewachsen und basiert auf einem hohen Vertrauen zum jeweiligen Partner. Dieses Vertrauen wurde in den letzten Jahren wiederholt erschüttert. Gleichzeitig erhöht der Technologiewechsel mit E-Rezept und Digitalisierung den Anpassungsdruck auf die etablierten Player.
Die Abrechnungszentren haben lange durch ihre Logistik und regionale Nähe eine unersetzliche Rolle gespielt. Doch Papier verliert rapide an Bedeutung, digitale Prozesse setzen sich durch und neue Anbieter wie Scanacs zeigen, dass selbst der Kern der Abrechnung – Apotheken liquide zu halten – nicht mehr unantastbar ist.
Die entscheidende Frage lautet daher nicht, ob die Abrechnung in Zukunft anders aussehen wird, sondern wer den Wandel gestaltet. Werden die standeseigenen Abrechnungszentren den Mut haben, überholte Strukturen hinter sich zu lassen, Overhead abzubauen und Innovationen anzunehmen? Oder überlassen sie das Feld Investoren und Technologieanbietern, die mit schlanken, digitalen Prozessen in den Markt drängen?
Klar ist: Das Offensichtliche – der Elefant im Raum – ist die Direktabrechnung. Sie wird nicht mehr verschwinden, sondern den Markt prägen. Ob die standeseigenen Anbieter Teil dieser Zukunft sind oder nur Beobachter, entscheidet sich jetzt.