Kann Semaglutid eine Lithium-Intoxikation hervorrufen?
In den sozialen Medien wurde die DAZ auf einen Bericht aufmerksam, in dem es um einen Patienten ging, der gleichzeitig Semaglutid injiziert und Lithium eingenommen hatte. Aufgrund der Verlangsamung der Magenpassage durch Semaglutid soll eine Lithium-Intoxikation entstanden sein. Bei der Abgabe der Medikamente soll die Software in der Apotheke kein Interaktionsrisiko der beiden Arzneimittel angezeigt haben. Ist die Verlangsamung der Magenpassage durch einen Agonisten am Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1)-Rezeptor ein Problem, wenn Patienten andere Arzneimittel mit enger therapeutischer Breite einnehmen?

Die DAZ hat bei Prof. Dr. med. Jochen Seufert, Leiter der Abteilung Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Freiburg, nachgefragt. Der Experte erklärte, dass die Verlangsamung der Magenpassage nach seiner Erfahrung allgemein kein schwerwiegendes klinisches Problem in der Praxis darstellt. Dass GLP-1-Rezeptoragonisten die Verweilzeit von Nahrungsbestandteilen im Magen verlängern, sei grundsätzlich ein gewünschter Effekt, der zur besseren Glucosekontrolle und Gewichtsreduktion unter diesen Arzneimitteln beiträgt. Eine Intoxikation mit Lithium oder anderen Arzneimitteln als Folge einer Semaglutid-Anwendung ist ihm in der Praxis noch nicht begegnet.
Theoretisch vorstellbar sei prinzipiell, dass durch die Verlangsamung der Magen-Darm-Passage und die dadurch längere Verweilzeit von Arzneimitteln im Darm Wirkstoffe mit schlechter Bioverfügbarkeit verstärkt resorbiert würden und erhöhte Wirkstoffspiegel resultierten.
Mit Blick auf den besagten Fall erklärt Seufert, dass eine Verlangsamung der Magenpassage durch Semaglutid, wenn überhaupt, nur zum Teil zu Vergiftungserscheinungen unter Lithium beigetragen haben könnte. Hier spielen wahrscheinlich auch andere Faktoren eine Rolle. So könnte der Patient zu wenig gegessen oder zu wenig getrunken haben. Das Verteilungsvolumen wird durch eine geringere Flüssigkeitszufuhr kleiner, in der Folge können die Serumspiegel bei Arzneimitteln mit geringer therapeutischer Breite steigen. GLP-1-Rezeptoragonisten reduzieren nicht nur den Appetit, sondern auch das Durstgefühl, darauf sollen Patienten hingewiesen werden, so Seufert.
Kein bekanntes klinisch relevantes Problem
Der Experte erklärte, dass Interaktionen mit Arzneimitteln aufgrund der Verlangsamung der Magenpassage unter GLP-1-Rezeptoragonisten bisher kein bekanntes klinisch relevantes Problem darstellen. Viel wichtiger sei es, die klassischen gastrointestinalen Nebenwirkungen unter Semaglutid und Co. im Blick zu haben. Dazu gehören Übelkeit, Verstopfung, Durchfall, der Wechsel zwischen Verstopfung und Durchfall, Blähungen und auch Refluxbeschwerden. Diese Nebenwirkungen betreffen laut Seufert relativ viele Patienten (rund 15%) und treten vor allem bei Neubeginn der Therapie oder einer Dosissteigerung auf. Arzneimittel wie Semaglutid oder Tirzepatid werden langsam auftitriert (Dosissteigerung alle vier Wochen), um die gastrointestinalen Nebenwirkungen gering zu halten. Man sollte Patienten darüber aufklären, dass sie sich darauf einstellen können, z. B. unter Sodbrennen zu leiden. Wenn Patienten eine höhere Dosis sehr schlecht vertragen, dosiere man in der Praxis auf die zuvor niedrigere Dosis zurück und verbleibe längere Zeit bei dieser, damit die Patienten mehr Zeit haben, sich an das Arzneimittel zu gewöhnen.